Hallo, da sind wir wieder!
Ein Jahr Corona in der Republik. Wie brauchbar waren wir für Sie? Wir ziehen Bilanz (III/IV): Die zweite Welle.
Von Ihrem Expeditionsteam, 30.01.2021
Woran wir uns messen in dieser Bilanz, erfahren Sie in Teil 1: Der Beginn. In aller Kürze zusammengefasst: Haben wir Sie mit Brauchbarem zur Pandemie versorgt? Stellten wir die richtigen Fragen, um die Politik verantwortlich zu halten? Wie spielte die Wechselwirkung zwischen Ihnen und der Redaktion?
In Teil 2 haben wir auf einen entspannten Sommer zurückgeblickt und uns gefragt: Hat sich die Republik von der allgemeinen Lockerungseuphorie mitreissen lassen? Haben wir früh genug erkannt, was da auf uns zurollt?
Hier gelangen Sie zu den einzelnen Kapiteln:
März 2020: Das neuartige Virus ist da, was wissen wir eigentlich darüber?
April 2020: Bald kommen Fragen zur Einschränkung unserer Freiheit
Mai 2020: Lockerungen? Ist es dafür nicht zu früh? Warum so überstürzt?
Juni 2020: Lockerungen. Sind wir darauf vorbereitet, was jetzt kommt?
Juli 2020: Also doch: zu früh, zu schnell. Was können wir daraus lernen?
August 2020: Verdoppeln sich kleine Zahlen, dann verdoppeln sich …
September 2020: Hotspot Helvetia – die Rechnung für den laxen Sommer
Oktober 2020: Willkommen in der zweiten Welle. Und was jetzt?
Dezember 2020: Angespannte Vorweihnachtszeit, vorsichtige Hoffnung
September 2020: Hotspot Helvetia
Die Zahlen steigen weiter an, Mitte des Monats wird die Schweiz gemäss eigener Definition zum Risikoland. Die Einsicht verfestigt sich, dass wir im Herbst die Rechnung für einen relativ laxen Sommer bezahlen.
Den Ton setzt in dieser Phase erneut einer der wöchentlichen Kommentare:
«Allerhöchste Zeit, mit dem Verdrängen endlich aufzuhören.»«Das Muster des Todes», 12.09.2020
Wir überprüfen: Gelingt der Schutz der Alten und Verletzlichen trotz der steigenden Fallzahlen wirklich? Und warnen: nein! Wir überprüfen: Schützen die Behörden tatsächlich die Gesundheit auf Kosten der Wirtschaft? (Nein.) Wir nehmen die immer rascher aufgehende Schere zwischen Arm und Reich in den Blick und befragen eine ETH-Ökonomin nach Lösungsmöglichkeiten.
Kritik äussern wir an staatlichen Corona-Nothilfen, die zwar der Wirtschaft helfen, aber dem Klima schaden: Viele Programme sind alles andere als grün.
Im Datenbriefing «Auf lange Sicht» ziehen wir den regelmässigen Blick auf die wichtigsten Kennzahlen der Pandemie weiter und fragen: Wo stehen wir jetzt? Die Analyse bestätigt erneut, dass Unheil droht, wenn wir nichts tun:
«Der Anstieg der Infektionen bei jüngeren Menschen ist eine Alarmglocke, noch ohne die Tragödie von hohen Todesfallzahlen.»«Sie provozieren immer wieder Streit, diese Covid-Zahlen. Was sagen sie uns jetzt?», 21.09.2020
Unser Ziel: Den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis zusammenfassen, um Ihnen und uns eine langfristige Perspektive für die kommenden Herbst- und Wintermonate bis in den Frühling geben zu können. Der wichtigste Republik-Beitrag, anders als im März und Mai diesmal mit einer Prognose:
«Wir machen uns vorsichtshalber auf einen langen, ziemlich harten Winter gefasst. Tun Sie das auch.»«Coronamüde? Wir auch. Was uns im Herbst, Winter und Frühling erwartet», 16.09.2020
In Umfragen steht eine grosse Mehrheit der Bevölkerung weiter hinter den politischen Massnahmen gegen die Pandemie. Aber ein Teil der Gegner radikalisiert sich zunehmend. In Deutschland durchbrechen Demonstranten die Absperrung vor dem Bundestag und schwenken Reichsfahnen. Nazis, Verschwörungsanhänger, Impfgegnerinnen und von der Politik enttäuschte Bürger marschieren Seite an Seite, «Querdenker» ist der Begriff der Stunde.
Unser Hausphilosoph Daniel Strassberg stellt zu den lauten Corona-Skeptikern die These auf:
«Sie verharren ein Leben lang in der Enttäuschung, dass sich niemand um sie kümmert, dass sie nicht von der Regierung versorgt werden und dass diese nicht allwissend und manchmal sogar widersprüchlich ist.»«Politische Pubertätskrise», 22.09.2020
Wenn Sie den vorhergehenden Absatz und das Kolumnenzitat gerade gelesen haben und das eine überzogene, unfaire oder überhebliche Perspektive auf die Corona-Demonstrationen finden, dann sind Sie nicht alleine. Im Dialog finden sich viele ähnliche Voten:
«Nun bedient man sich, leider auch in der ‹Republik›, dieser kleinen Gruppe, um die ganze Bewegung als ‹Covidioten› zu diffamieren.»Aus dem Dialog, 22.09.2020
(Den Begriff «Covidiot» benutzten wir allerdings nie.) Im Dialog wird zudem der Ruf lauter, den Covid-19-Uhr-Newsletter erneut zu starten. Wir zögern – und man kann uns durchaus vorwerfen, dass wir als Redaktion den vollen Ernst der Lage lange auch nicht wirklich wahrhaben wollten. Daran änderte auch die erste Corona-Infektion im Team nichts.
Fazit: Wir hängen durch. Die Aussichten sind nicht gut, gleichzeitig ist alles gesagt: Der sogenannte Schweizer Weg ist nach unserer Einschätzung weder gesundheitlich noch gesellschaftlich noch ökonomisch sinnvoll. Zugleich scheint im Frühling erlangtes epidemiologisches Grundwissen über exponentielles Wachstum oder die Unmöglichkeit, Ältere und Verletzliche bei steigenden Fallzahlen unter Jüngeren schützen zu können, aus dem öffentlichen Diskurs verdrängt zu werden. Über den Sommer haben wir die kritische Auseinandersetzung mit dem politischen Versagen zu stark in Wochenkommentare ausgelagert, was den Eindruck hinterlassen konnte, es handle sich bloss um eine Meinung – und nicht um faktische Evidenz.
Oktober 2020: Willkommen in der zweiten Welle! Und was machen wir jetzt?
Aus dem Hang wird eine Steilwand. Die Infektionskurve steigt immer schneller. Weil sich auch zunehmend wieder ältere Menschen anstecken, steigt auch die Zahl der Spitaleintritte. Die Kapazitäten für das Contact-Tracing stellen sich als hoffnungslos unterdotiert heraus, in einigen Kantonen bricht es komplett zusammen. Auch wenn sie noch nicht alle so nennen mögen:
Die zweite Welle ist da.
Den Ton setzt für einmal nicht ein Republik-Artikel, sondern ein Video aus dem Kantonsspital Schwyz. Darin wendet sich die Leitung des Spitals am 14. Oktober an die Bevölkerung und schlägt Alarm: «Wir haben einen der europaweit schlimmsten Ausbrüche.» Das Video führt zu einem spürbaren Ruck im Republik-Team, persönlich und publizistisch. Noch am selben Tag beschliessen wir: Maskenpflicht in der Redaktion, Gruppen treffen sich ab sofort nicht mehr physisch – Videokonferenzen werden wieder zur Norm.
Unser Ziel: Möglichst zuversichtlich bleiben. Das fällt uns angesichts der Situation zuweilen schwer. «Schauen wir den Tatsachen nüchtern ins Auge: Unsere Corona-Politik war leichtfertig, unsere Behörden haben versagt», schreiben wir. Und halten dagegen, als Verantwortungsträger wie Bundesrat Alain Berset der Bevölkerung die Entwicklung zurück in eine akute Notlage als «Überraschung» verkaufen wollen: «Schluss mit dem Corona-Nonsens!»
Wir blicken auf die USA mit Todeszahlen, als würden täglich vier voll besetzte Jumbojets abstürzen, fragen: Warum schafft China, woran die USA scheitern?
«Die Anti-Corona-Strategie der US-Regierung ist auf dem Niveau der Vorkehrungen gegen die Spanische Grippe im Jahr 1918.»«Unsere Weltsicht müsste eigentlich in ihren Grundfesten erschüttert werden», 03.10.2020
Wir müssen an eine Passage aus dem Erklärstück vom September denken:
«Wir brauchen nicht die perfekte Strategie, um ohne Shutdown oder überlastete Spitäler durch den Winter zu kommen – und darüber hinaus. Wir brauchen lediglich genügend Dinge richtig zu machen.»«Coronamüde? Wir auch. Was uns im Herbst, Winter und Frühling erwartet», 16.09.2020
Am 19. Oktober geht der Covid-19-Uhr-Newsletter in die zweite Staffel. Wir versprechen «ein Schutzkonzept für Ihr Nervenkostüm». Allerdings, das macht schon die erste Ausgabe klar, ist er nicht mehr eins zu eins derselbe wie im Frühling. Unsere Desillusion über das Krisenmanagement von Bund und Kantonen spiegelt sich auch im Newsletter.
Als am 28. Oktober landesweite neue Regeln in Kraft treten – Sperrstunde, kleinere Gruppengrössen, strenge Maskenpflicht –, äussern wir die Kritik:
«Wir sind, wo wir sind, weil Menschen in Verantwortungspositionen ihren Job nicht gut genug gemacht haben. Weil sie es nicht konnten, oder weil es die Umstände drumherum nicht zugelassen haben – manchmal einfach, weil es bequemer war.»«Menschliches Vertagen», 28.10.2020
Dieser Newsletter ist in der Phase unser wichtigster Beitrag; wir halten fest:
«Hier ist noch eine Tatsache: Jetzt gerade hilft es herzlich wenig, sich am Versagen aufzureiben. Das Schlamassel ist kollektiv – und wir kommen da nur mit Gemeinsinn wieder raus.»«Menschliches Vertagen», 28.10.2020
Darin spiegelt sich ein Dilemma, das uns seit Anfang dieser Pandemie begleitet und beschäftigt: die unterschiedlichen Ansprüche, welche Verantwortungs- und Pflichtethik an uns Journalistinnen stellen. Oder anders gesagt: Wie die richtige redaktionelle Balance zwischen dem Appell an Solidarität und Gemeinsinn und der Kritik an Missständen finden? Das wird in diesen Tagen im Dialog mit Ihnen nicht unbedingt einfacher. Stellvertretend dafür zwei E-Mails, die am selben Tag bei uns eintreffen:
«Ist Ihnen bewusst, dass Sie mit Ihren Bemerkungen, dass alles falsch war bisher und die Politiker generell versagt hätte, Öl ins Feuer giessen bezüglich schlechter Laune der Bevölkerung, widersetzlichem und aggressivem Verhalten ... etc.?»
«Warum lassen Sie nicht mehr Kritik zu? Man liest ganz selten etwas von den Normalen, von den Fragenden (Republik erscheint mir immer mehr zu den kritiklosen Befürwortern zu gehören). […] Sie lassen nicht einmal Gegenstimmen zu Wort kommen, mehr als schade. Die grundsätzlichen Meinungen Ihrer Journalisten sind inzwischen von vornherein schon klar.»
Fazit: Wir fühlen uns ähnlich fahrig wie die Schweizer Covid-Strategie.
November 2020: Winter is coming. Wie schlimm wirds?
Die Schweiz gilt als der Corona-Hotspot in Europa. Ein abschreckendes Beispiel für andere Länder. Wie zum Teufel sind wir hier gelandet? Im Laufe der vergangenen Monate appellierte der Bundesrat immer wieder an die «Eigenverantwortung»: Ihr dürft, aber ihr sollt nicht. Es hat sich bestätigt, dass dieses Konzept in Gesundheitskrisen wie einer Pandemie nicht greift.
Kritik: In einer ausführlichen Recherche arbeiten wir auf, was über den Sommer falsch gelaufen ist. Wir sind überzeugt, dass diese Aufarbeitung unerlässlich ist, damit zukünftige Fehler vermieden werden können. Auch, weil Amtsträgerinnen sich in dieser Zeit gerne auf den Standpunkt stellen, man sei einfach «überrascht» worden und hätte nichts Wesentliches anders machen können. Wir schauen auch auf den Herbst zurück und hinterfragen, wie die (inzwischen geschlossenen) Clubs zum Sündenbock werden konnten.
Und wir sprechen erstmals ein Thema an, das in der Öffentlichkeit vor allem über Statistiken und Zahlen abgehandelt wird: das Sterben. Die Kolumne von Mely Kiyak setzt den Ton unserer Berichterstattung in dieser Phase der Krise:
«Während der sogenannten zweiten Welle wieder das gleiche verstörende Gefühl: wie sehr es bei der Pandemie um das Leben geht und, im Vergleich dazu, nahezu gar nicht um das Sterben und seine Bedingungen.»«Besser sterben», 10.11.2020
Diese Analysen sind schmerzhaft. Aus der Community melden sich Stimmen, die sich «konstruktivere» Beiträge wünschen, die sich nach «Zukunftsvisionen» sehnen. Vereinzelt wird uns vorgeworfen, die Republik verbreite «Angst», indem sie auf die Gefährlichkeit des Virus aufmerksam mache.
Unser Ziel: Der November ist ein stockdunkler Monat. Das wollen wir abbilden, aber gleichzeitig präzise bleiben. Es gelingt jedoch nicht vollends.
«Keine Betten mehr frei»Betreff des Covid-19-Uhr-Newsletters, 17.11.2020
Nie zuvor in dieser Pandemie war die Gefahr derart akut, dass das Schweizer Gesundheitssystem zusammenbricht. Trotzdem hätten wir den Newsletter so nicht verschicken dürfen. Wer ihn las, war nachher verwirrter als vorher.
«In den Schweizer Spitälern sind seit heute die Intensivbetten praktisch vollständig belegt. In mehr als einem Drittel der Kantone sind die Intensivstationen an ihrer Kapazitätsgrenze», schreiben wir. Zusammen mit dem Betreff sind das drei verschiedene Aussagen dazu, wie viele Betten es noch gibt: keine mehr, praktisch keine mehr, an der Grenze zu keine mehr.
In Wirklichkeit war die Lage an dem Tag einiges komplexer. Es ist nämlich praktisch unmöglich, den «Platz in den Spitälern» in Echtzeit zu beziffern.
Richtig ist, dass etwa Mitte Monat praktisch alle zertifizierten Intensivbetten belegt waren. Richtig ist auch, dass weder davor noch danach je so viele Covid-19-Patientinnen auf der Intensivstation lagen. Richtig ist aber auch, dass es eine Reserve gab. Und dass das wiederum ausser Acht lässt, dass schon Wochen zuvor andere dringende Behandlungen und Operationen verschoben wurden, um Betten freizuhalten.
Man kann diese Newsletterausgabe als Schnitzer ansehen (verursacht durch Stress und Personalmangel auf der Redaktion). Wir haben das im Newsletter vom 19. November thematisiert – und nachträglich präzisiert.
Es verdeutlicht aber auch ein journalistisches Grundproblem in dieser Pandemie: Es ist fast unmöglich, die Lage an einer Zahl festzumachen. Egal welche Kenngrösse man nimmt, die Gefahr ist gross, eine komplexe, volatile Situation zu sehr zu vereinfachen.
Ein paar Beispiele:
Die Fallzahlen: Die schwanken von Tag zu Tag. An Feiertagen und Wochenenden wird weniger getestet. Es gibt Nachmeldungen.
Der R-Wert: Kann erst im Rückblick einigermassen verlässlich bestimmt werden – es kam auch schon vor, dass er nachträglich nach unten korrigiert wurde.
Die Todesfälle: Auch die werden nicht immer gleich gemeldet. Und wer sich zu fest darauf versteift, verliert schnell aus den Augen, dass Covid-19 auch für Überlebende teilweise gravierende Langzeitfolgen haben kann.
Die freien Intensivbetten: Die Kapazität ist nicht fix. Und nur sehr schwer genau bezifferbar. Wenn ein Spital zum Beispiel entscheidet, dass eine Intensivpflegerin neu drei statt zwei Patienten betreut, dann ist auf dem Papier ein Bett dazugekommen. Das sagt aber nichts darüber, ob das in der Praxis überhaupt sinnvoll ist.
In der Folge wird deutlich, wie problematisch der alleinige Fokus auf die Spitalkapazitäten ist. Zwar hielt nach dieser Definition das Gesundheitswesen der zweiten Welle stand. Aber der Preis, den das Gesundheitspersonal dafür bezahlt, ist enorm: Doppelschichten, Burn-outs, Verzweiflung, stille Triage. Dasselbe in den Alters- und Plegeheimen.
Fazit: Auch uns passieren Fehler. Wichtig ist uns eine Redaktionskultur, in der wir Fehler reflektieren und darüber beraten, wie wir sie verhindern können und Sie darüber in Kenntnis setzen (auch dazu haben wir Leitlinien).
Dezember 2020: Angespannte Vorweihnachtszeit und vorsichtige Hoffnung
Wir sehnen uns nach unbeschwerter Feierlaune – aber sie stellt sich nicht ein. Denn der Ausblick auf die Festtage wird von einem mulmigen Gefühl begleitet. Welchen Einfluss werden Weihnachtsessen, Familientreffen und offene Skigebiete auf den Verlauf der Pandemie haben? Die geltenden Regeln sind unübersichtlich, erst wenige Tage vor Weihnachten beschliesst der Bund einheitliche Massnahmen (Gastro schliesst, Läden bleiben offen).
Den Ton setzt in dieser Phase ein Gespräch mit der Medizinethikerin und Ärztin Tanja Krones: «Wir haben jetzt wirklich Situationen, in denen die Nerven blank liegen. Wir sind am Anschlag.» Weiter sagt sie im Gespräch:
«Der Swissness-Faktor hindert uns in der Schweizer Gesellschaft teilweise daran, den schwierigen Dingen ins Gesicht zu sehen. Wir glauben sehr lange, wir sind doch gut, wir haben gar kein Problem. Dieses ‹Wir sind stark, wir sind gut, wir haben es im Griff› lässt uns manchmal den Blick für die Realitäten verlieren.»«Am schlimmsten ist die stille Triage», 21.12.2020
Das Interview zieht weite Kreise, weil es systematische Mängel im Schweizer Gesundheitssystem thematisiert: die fehlende vollumfängliche universal health coverage, die fehlende solidarisch finanzierte Pflegeversicherung, die Ökonomisierung der Gesundheitsvorsorge. Und weil das Interview den Blick schärft für die soziale Komponente der Pandemie: «Tödlich wird das Virus besonders da, wo es zusammentrifft mit ungünstigen sozialen Bedingungen.»
Unser Ziel: An die Wurzeln der Probleme gehen; Reflexion zum Jahresende.
Besonders gut scheint uns das in einem Interview mit dem Soziologen Mike Davis gelungen zu sein: Das Gespräch wird Tausende Male geteilt und verbreitet in den sozialen Netzwerken. «Covid-19 ist erst der Anfang», sagt Davis. Und greift ein Thema auf, das bisher viel zu kurz kam: Massentierhaltung als Treiber neuer Infektionskrankheiten und Pandemien.
Einen Akzent dazu, wie die Schweiz in dieser Pandemie dahin geriet, wo sie vor den Festtagen ist, setzt auch der Podcast «Im Gespräch» mit Kabarettistin Patti Basler und Republik-Autor Daniel Binswanger: «In unserer Demokratie ist nicht wahr, was die Wissenschaft sagt, sondern, was die Mehrheit sagt».
Als Mitte Dezember der erste Impfstoff gegen Sars-CoV-2 in der Schweiz zugelassen wird, kommt Hoffnung auf. Wer hätte vor einem Jahr gedacht, dass in so kurzer Zeit ein Vakzin entwickelt werden könnte? Wir erklären, wie der Impfstoff wirkt, und geben Einblick in den Ablauf einer Impfstudie.
Der Covid-19-Uhr-Newsletter pausiert über die Festtage nicht; die Pandemie macht keine Pause. Wir wollen ein guter Begleiter sein durch die stillen und einsamen Tage. Dazu bemühen wir uns mit pandemiekonformen Angeboten um Zerstreuung und Geselligkeit («Sehen wir uns im Dokdown?»). Und laden mit dem Podcast «Ungefiltert» zur Reflexion über das Jahr 2020 ein: Lieben, Leben und Sterben, Hoffen, Weinen im ersten Pandemie-Jahr.
Kritik äussern wir an den minimalistischen Massnahmen des Bundesrats zur Eindämmung der Pandemie über die Feiertage. Und stellen die Wertefrage:
«Wer sind wir eigentlich? Welche Werte sind für unser Land unverhandelbar? Wir werden um eine sehr grundsätzliche Debatte nicht herumkommen.»«Festtage mit vollem Risiko!», 05.12.2020
Neben dem Streit um die Notwendigkeit von strengeren Schutzmassnahmen drehen sich die Debatten im Dialog jetzt immer wieder um Grundsatzfragen, die wir aufgeworfen haben: Welche Werte sind für uns unverhandelbar? Und unsere Kritik am Kurs der Schweiz in der Krise sorgt weiter für Unmut:
«Ich bin total enttäuscht von der einseitigen Berichterstattung der Republik im Zusammenhang mit Corona.»Aus dem Dialog
Fazit: Dieses Jahr hat Spuren hinterlassen. Besonders die Diskussionen über Einseitigkeit und Mainstream zermürben auch uns. Wenn wir besonders müde sind, lesen wir eine Passage in einem Gründungsdokument der Republik – einem Project-R-Newsletter:
Die wichtigste Strategie (...), um eine Demokratie auszuhebeln, ist Verwirrung. Dass in einer Flut von Behauptungen und Anklagen alles gleichwertig wird. Dass alle Argumente und Fakten nur Meinung sind, dass alle Experten, alle Politikerinnen, alle Journalisten und Wissenschaftlerinnen nur die Meinung ihres Lagers wiedergeben, dass alle lügen, alle bestochen sind, alle Dreck am Stecken haben. Dass nicht das Nachdenken zählt, nicht das Argument, nicht die Erfahrung, sondern nur die Entscheidung zwischen zwei Clans.
Für den politischen Journalismus bedeutet das, dass er sich Konfusion nicht mehr leisten kann. Schlechte Arbeit bedeutet heute mehr als nur schlechte Arbeit: Sie ist Parteinahme für das autoritäre Lager. Gegen die Strategie der Verwirrung hilft nur Klarheit: nicht die Klarheit einer möglichst schroffen Meinung, sondern die Klarheit beim Zeichnen von Komplexität, Zusammenhängen, Entscheidungen samt ihren Kosten. Dazu braucht es einen kleinen Schuss Mut. Im Privatleben ist das einzige Mittel gegen die Angst, auf sie zuzugehen. Im öffentlichen Leben ist das einzige Mittel zur Verbesserung der Welt ihre Durchschaubarkeit.
Welches Fazit ziehen Sie? Wie gut oder schlecht fühlten Sie sich in den Monaten der zweiten Welle dieser Pandemie bei der Republik aufgehoben? Was hätten wir besser machen können? Hier gehts zur Debatte.