Covid-19-Uhr-Newsletter

Welcome to the Hotel Corona

19.11.2020

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Liebe Leserinnen und Leser

Uns packt manchmal gar heftig das Fernweh in diesen Zeiten. Doch wie ist es, wenn man wegen Covid-19 nicht zurück nach Hause kann? Dreieinhalb Monate sitzt der Auslandschweizer Hansruedi Fritschi in der Schweiz fest, er darf nicht zurück nach Thailand reisen. Er macht neue Erfahrungen mit dem Bürokratiemonster, landet vorübergehend im Zürcher Hotel Corona – und sitzt seit Sonntag im Covid-19-Hotel von Bangkok seine Quarantäne ab. Für diesen Newsletter hat der ehemalige Journalist in die Tasten gehauen:

«‹Bist du denn wahnsinnig geworden?›

So reagierten die meisten meiner thailändischen Freunde, als sie erfuhren, dass ich Ende Juli von Bangkok nach Zürich fliegen werde. Natürlich bin ich ‹wahnsinnig›, aber das war schon immer so. Zum Beispiel, als ich vor knapp dreissig Jahren meine Redaktorenstelle beim ‹Tages-Anzeiger› kündigte und nach Thailand abhaute – mit einem Koffer und einem Laptop als einzigem Gepäck.

Ich war damals ein gut verdienender, sensibler 34-jähriger Schnudderi, und ich litt an einer Midlife-Crisis. Ich stellte mir vor, wie ich mit 64 immer noch übers Knabenschiessen, das Sechseläuten, den Zoo, über Wochenmärkte und Drogenszenen berichten würde. Das wollte ich nicht. Dann lieber ohne jegliche Sicherheit ab in die Ferne.

Die damalige Zürcher Stadträtin Emilie Lieberherr hörte von meinen Plänen, und sie warnte mich: ‹Bangkok, dasch aber a gföhrlichi Stadt für än junge Maa!› Ich wanderte trotzdem aus. Und habe es nicht bereut. Thailand ist zu meiner Heimat geworden.

Familienangelegenheiten haben mich diesen Sommer zurück in die Schweiz gezwungen. Unterdessen schloss Thailand wegen Corona seine Grenzen.

Vorerst verdrängte ich die Gedanken an die Heimreise. Ich produzierte Youtube-Filme über den Alltag in der Schweiz, genoss einen wunderbaren Sommer, traf Journalistenkollegen und Freundinnen.

Die ersten fünf Wochen wohnte ich im Zürcher Seefeld bei Freunden. Dann zog ich ins Hotel Corona am Limmatquai, weil ich ihnen nicht durch overstay auf den Wecker fallen wollte.

Das Hotel ist offiziell unter dem Namen ‹Krone› bekannt und geniesst als ehemalige Absteige keinen guten Ruf. Verschiedene Freunde haben mir gestanden, dass sie dieses Gebäude auch schon von innen gesehen hatten – und zwar in der Gesellschaft von Strichern oder ‹leichten Mädchen›, wie das früher wohl hiess.

Heute wird es von sympathischen jungen Leuten betrieben und ist absolut jugendfrei: Es wurden in dieser Zeit keinerlei Besucher auf den Zimmern geduldet. Das war mir gerade recht. Ich habe häufig wechselnden Geschlechtsverkehr (wie das in der Ärztesprache heisst) strikt vermieden, höchstens mal einen Porno geschaut. So weit ist es mit uns gekommen! Dass wir das noch erleben mussten, es gibt keinen Gott.

Mein Familienbusiness konnte ich Anfang Oktober erfolgreich abschliessen. Ich wollte zurück: zu meiner Familie, meinen Freunden, zu meinen Gärten. Doch Thailand, wo seit Wochen keinerlei Übertragungen von Covid-19 mehr stattgefunden hatten, blieb zu.

In der Schweiz hingegen schossen die Fallzahlen in die Höhe. Eine Panikattacke erfasste mich. Mit gutem Grund. Denn in Thailand habe ich zwar eine sehr gute Krankenversicherung abgeschlossen. Diese hilft mir in der Schweiz aber nicht weiter. Würde ich auf einer Intensivstation landen, wäre ich in kürzester Zeit ruiniert.

Ich beschloss, mich im Zürcher Stadthaus anzumelden, um ins Schweizer Krankenkassen-Obligatorium zurückkehren zu können. An einem Montagmorgen trat ich an den Schalter. Die junge Frau, die dahinter sass, behandelte mich schnippisch. Ich solle beim Hotel eine Aufenthaltsbestätigung holen. Als ich ihr diese am Nachmittag vorbeibrachte, verweigerte sie mir die Anmeldung – weil ich in einem Hotel wohne.

Um eine lange Geschichte kurz zu machen: Ich benötigte eine volle Arbeitswoche, bis ich als Schweizer Bürger wieder in meiner einstigen Heimatstadt Zürich angemeldet war.

Danach folgte ein längerer Papierkrieg mit der thailändischen Botschaft in Bern, doch letzten Samstag hat es geklappt. Ich durfte ein Flugzeug besteigen. Seit Sonntag bin ich zurück. Und sitze seither in einem Hotelzimmer in Bangkok, das ich 15 Tage lang nicht verlassen darf – und das auch niemand betreten kann. Das Essen wird in Plastikgeschirr vor die Tür gestellt. Alkohol gibt es keinen. Aber ich bin wieder (fast) daheim.»

Und deshalb bringen wir hier nun auch für Hansruedi in der Ferne die News aus der Schweiz.

Die wichtigsten Nachrichten des Tages

Die Corona-Pandemie hat andere Sorgen der Schweizer Bevölkerung auf der Rangliste verdrängt. Dies ergibt sich aus dem alljährlich erscheinenden Sorgenbarometer der Credit Suisse, durchgeführt vom Forschungsinstitut GFS Bern. Über die Hälfte der Befragten gaben an, dass ihnen das Virus und seine Folgen am meisten Sorgen bereiten würden.

Die Gespräche zwischen der EU und Grossbritannien bezüglich eines Handelsabkommens für die Nach-Brexit-Zeit wurden unterbrochen. Ein Mitglied des EU-Verhandlungsteams wurde positiv auf Covid-19 getestet. «Die Gesundheit unserer beiden Teams steht an erster Stelle», sagte der Chef-Unterhändler des britischen Teams.

Corona macht Schwächen im Gesundheitssystem sichtbar. Dies zeigt eine Studie der OECD. Staaten müssten vor allem mehr in ihr Gesundheitspersonal und dessen Ausbildung investieren. Gleichzeitig habe sich gezeigt, dass Länder, die schnell auf die Krise reagieren können, besser in der Lage seien, kostspielige weitgehende Beschränkungen zu vermeiden.

Und zum Schluss: Eine Prise Präzision

Unser Ziel ist stets, präzise und klar zu schreiben. Manchmal gelingt das nicht so, wie man es gerne hätte. Vorgestern hatten wir hier berichtet, dass die Schweizer Intensivbetten vollständig belegt seien.

Daraufhin fragten viele Republik-Verleger – zu Recht – was denn nun stimme: Bei SRF.ch seien andere Prozentzahlen genannt, das absolute Maximum sei noch nicht erreicht. Die Kollegen von SRF Data haben offenbar ähnliche Fragen erhalten – und einen klärenden Twitter-Thread verfasst.

Wir nehmen nochmals Anlauf:

Wie können alle Intensivplätze belegt sein, wenn es noch die Möglichkeit der Aufstockung gibt?

Eigentlich ist die Antwort recht simpel:

«Zertifizierte» Intensivbetten für Erwachsene sind diejenigen 876 Betten in der Schweiz, die normalerweise in den Intensivstationen zur Verfügung stehen. Sie bekommen einen Qualitätsstempel dafür, dass sie die Kriterien erfüllen, mit denen eine optimale intensivmedizinische Versorgung garantiert ist.

Dieser Stempel wird von der Schweizerischen Gesellschaft für Intensivmedizin (SGI) anhand von gewissen Kriterien vergeben. «Die Zertifizierungskommission der SGI beurteilt, ob die Ressourcen wie Personal, die Ausrüstung, das Gebäude und die Einrichtung, die Strukturen sowie Organisation einer Intensivstation modernen intensivmedizinischen Anforderungen entsprechen», erklärt Luca Lavina von der SGI. Ein Intensivbett ist quasi eine Einheit aus Platz, Personal und Ausrüstung.

Diese Betten sind jetzt vollständig belegt.

Was tun?

Man kann aufstocken mit «Ad hoc»-Betten: Sie erfüllen diese idealen Kriterien nicht, aber können benutzt werden. Immerhin: Ein nicht ideales Bett ist besser als keins. Aber: «Ab einem gewissen Punkt muss mit Einbussen in der Behandlungsqualität gerechnet werden», so Lavina.

Das heisst: Es ist zwar ein Bett, aber es hat nicht alle nötigen Geräte. Oder, sehr viel wahrscheinlicher: Es gibt nicht genug ausgebildetes Personal, um es zu bedienen – und den Patienten zu versorgen. «Die Behandlung kritisch kranker Patienten mit und ohne Covid-19 erfordert spezifische Fähigkeiten von Intensiv-Fachärztinnen und -Pflegefachpersonen.»

Veranschaulichen wir es: Es ist, wie wenn man eine tolle Rakete vor sich hätte – aber keine Astronautin da ist. Sondern ein Flugzeugpilot. Der kann dann mit einer Rakete vielleicht besser umgehen als eine Journalistin – aber eben auch nicht ideal.

Hilflose Metaphern beiseite. Wir wollten es von der SGI nochmals genauer wissen: Was ist der Minimalbestand an Pflegestellen für eine Intensivstation, die gemäss den SGI-Kriterien zertifiziert werden soll? «Für eine Station mit 12 Betten braucht es das absolute Minimum von 30 Vollzeitstellen», sagt Lavina.

Wir hoffen, das ist nun etwas klarer.

Bleiben Sie umsichtig. Bleiben Sie freundlich. Und bleiben Sie gesund.

Marguerite Meyer

PS: Haben Sie Fragen und Feedback, schreiben Sie an: covid19@republik.ch.

PPS: Wir würden uns freuen, wenn Sie diesen Newsletter mit Freundinnen und Bekannten teilten. Er ist ein kostenloses Angebot der Republik.

PPPS: Kennen Sie Random-ize.com? Für die Fernwehgeplagten unter uns gibt es eine neue kleine Spielerei im Internet: die «Random Google Street View». Nach dem Zufallsprinzip nimmt sie die Besucherin an irgendeinen Ort auf dieser Welt (der von Google Street View bereits aufgenommen wurde) mit. Wo Sie wohl als Nächstes landen? Macht Spass – und Lust aufs Schmieden zukünftiger Reisepläne.