«Ich sehe die Gefahr, dass Corona vor allem die Vermögensungleichheit erhöhen wird»: ETH-Ökonomin Isabel Martínez.

«Die Idee einer Sondersteuer für Krisengewinner ist nicht abwegig»

Die Vermögen sind so ungerecht verteilt wie seit hundert Jahren nicht mehr. Wieso die Corona-Pandemie die Super­reichen noch reicher macht, warum das bei der Pest anders war – und wie die Politik darauf reagieren könnte. Ein Gespräch mit ETH-Ökonomin Isabel Martínez.

Von Daniel Ryser (Text) und Joël Hunn (Bilder), 08.09.2020

«Das ist für alle jene, die glaubten, die Reichen würden durch die Pandemie hart getroffen werden: Es stellt sich heraus, die reichsten US-Milliardäre wurden in den letzten Monaten sogar noch viel reicher.»

So kommentierte die Schweizer Ökonomin Isabel Martínez kürzlich auf Twitter eine Liste, in der das Wirtschafts­magazin «Forbes» das Vermögen der reichsten US-Milliardäre zu Beginn der Pandemie (Stichtag: 18. März 2020, der Tag, an dem die deutsche Bundes­kanzlerin Angela Merkel Covid-19 als «grösste Heraus­forderung seit dem Zweiten Weltkrieg» bezeichnete) mit dem Stand am 5. August 2020 verglich.

Die Zahlen, auf die sich die ETH-Forscherin bezog, lauten so (die «Forbes»-Datenanalyse finden Sie hier):

Vermögen Jeff Bezos (Amazon)
18. März 2020: 113 Milliarden Dollar.
5. August 2020: 189 Milliarden.
Ein Plus von: 76 Milliarden.

Bill Gates (Microsoft)
18. März 2020: 98 Milliarden Dollar.
5. August 2020: 114 Milliarden.
Ein Plus von: 16 Milliarden.

Mark Zuckerberg (Facebook)
18. März 2020: 55 Milliarden Dollar.
5. August 2020: 97 Milliarden.
Ein Plus von: 42 Milliarden.

Warren Buffett (Berkshire Hathaway)
18. März 2020: 68 Milliarden Dollar.
5. August 2020: 80 Milliarden.
Ein Plus von: 12 Milliarden.

Larry Ellison (Oracle)
18. März 2020: 59 Milliarden Dollar.
5. August 2020: 71 Milliarden.
Ein Plus von: 12 Milliarden.

Steve Ballmer (Microsoft)
18. März 2020: 53 Milliarden Dollar.
5. August 2020: 71 Milliarden.
Ein Plus von: 18 Milliarden Dollar.

Elon Musk (Tesla)
18. März 2020: 25 Milliarden Dollar.
5. August 2020: 68 Milliarden Dollar.
Ein Plus von: 43 Milliarden.

Diese sieben Milliardäre haben während der Pandemie zusammen zusätzliche 219 Milliarden Dollar Vermögen angehäuft (und sie sind nicht die Einzigen, die sehr viel reicher wurden), während in den USA gleichzeitig die Arbeitslosen­zahlen explodierten (mit 6,6 Millionen neuen Arbeitslosen – in einer einzigen Woche), während die Wirtschaft zeitweise fast stillstand und weswegen nun 40 Millionen US-Amerikanern die Zwangsräumung droht.

Ein Land voller Multi­milliardäre kollabiert an seiner Armut.

Aussichten auf den Kollaps

«Die reichsten US-Milliardäre wurden in den letzten Monaten sogar noch viel reicher»: Isabel Martínez, die diesen Satz geschrieben hat, ist nicht irgendwer. Sie forscht an der ETH-Konjunktur­forschungs­stelle (KOF) zur Ungleichheit in der Schweiz. Dr. Martínez ist zudem Teil des «World Inequality Database»-Projekts des französischen Ökonomen und Ungleichheitsforschers Thomas Piketty, das die Kluft zwischen Arm und Reich erforscht und dokumentiert.

Bedeutet die Corona-Pandemie, dass sich dieser Graben weiter vergrössert, womöglich deutlich? Ich schrieb Isabel Martínez umgehend eine Mail.

Wir treffen uns ein paar Tage später an einem sonnigen Morgen zum Frühstücks­kaffee an der Limmat im Café Sphères in Zürich-West. Und Martínez präsentiert sachlich, freundlich, bepackt mit Statistiken, Zahlen und Tabellen, Aussichten auf den kommenden Kollaps.

«Die ‹Forbes›-Liste zeigt eindrücklich, dass die Super­reichen durch die Krise reicher werden», sagt Martínez. Aber sie fügt an: «Auch wenn die Liste tatsächlich einen Haken haben könnte, was mir erst später auffiel: Der erste Stichtag ist der 18. März – der Tag, an dem die Krise voll einschlug und somit auch die Märkte nach unten drückte. Es ist deswegen nicht erstaunlich, dass danach die Aktien­kurse wieder nach oben schossen. Um die Sache ein wenig besser einordnen zu können und zu sehen, ob dieser Trend tatsächlich korrekt ist, braucht man einen anderen Stichtag. Ich habe deshalb die Aktien­kurse vom August mit dem ersten Handels­tag im Januar 2020 verglichen, als Corona noch nirgends war.»

«Und hat sich dadurch wirklich etwas verändert?», frage ich.

«Nein», sagt Martínez. «Der Amazon-Börsenwert ist seit dem 1. Januar 2020 um 60 Prozent gestiegen, der Wert von Microsoft um 20 Prozent, Facebook bis zum 3. August um 15 Prozent, bis Ende August sogar um 33 Prozent, was zeigt, dass diese Werte auch tages­abhängig sind. Der Börsen­wert von Tesla wies gegenüber dem Anfang des Januar zeitweise ein Plus von 216 Prozent aus. Der Nasdaq-100, der den Gesamt­wert der hundert grössten börsen­kotierten US-Unternehmen ausweist, hat im Vergleich zum 1. Januar einen Sprung von 25 Prozent gemacht, bis Ende August sogar einen Sprung von 40 Prozent gegenüber Anfang Jahr. Im Juni knackte der Nasdaq die Index-Rekordmarke von 10’000 Punkten …»

«Stopp, stopp, stopp … Was bedeutet das? Ist die Corona-Krise also irgendwie doch, trotz allem, ein grosser Glücks­fall für die Wirtschaft?»

«Diese Zahlen zeigen, dass vor allem Big-Tech-Firmen nicht nur trotz der Pandemie ihre Gewinne noch einmal stark gesteigert haben, sondern zum Teil gerade wegen der Pandemie», sagt Martínez. «Bezeichnender­weise sind es in erster Linie Firmen, die im weitesten Sinne ihr Geld im Internet verdienen, während Restaurants, der Tourismus, die Reise­branche zu den grossen Verlierern zählten.»

Zudem agierten Firmen wie Amazon, Facebook oder Google, die stark von der Krise profitiert haben, auf Plattform­märkten, die sie lange vor der Krise so mächtig gemacht hätten: «Plattformen führen Nachfrage und Anbieterinnen zusammen und haben die Tendenz, marktmächtig zu werden, weil sowohl für Nachfrager wie Anbieter eine solche Plattform dann am meisten Wert hat, wenn möglichst viele sie nutzen. Je mehr Hotels an eine Plattform wie Booking.com gekoppelt sind, desto mehr Kunden hat sie. Dasselbe bei Amazon mit Händlerinnen. Dasselbe Prinzip bei Facebook: Eine Social-Media-Plattform ist dann sinnvoll, wenn sie möglichst viele nutzen. Deswegen setzen sich am Schluss nur wenige Plattformen durch, diese haben dann dafür mehr oder weniger eine Monopol­stellung. Diese Marktmacht macht die Unter­nehmen für Investoren sehr wertvoll und die Firmen­besitzer und Aktionäre umso reicher.»

Deswegen komme es im Plattformmarkt-Bereich regelmässig zu Markt­macht­missbrauch, «weil der Markt nicht mehr spielt», sagt die Ökonomin, die auch Mitglied der schweizerischen Wettbewerbs­kommission (Weko) ist. «Die Top Ten der kartell­rechtlichen Bussen in Europa wegen Marktmacht­missbrauchs betreffen fast ausschliesslich Tech-Firmen.» Die extrem hohen Bussen für Google etwa seien letztlich ein Spiegel der extrem hohen Gewinne in diesem Geschäft, «denn das Ziel der Bussen ist es, einen Teil des unrecht­mässig erworbenen Profits abzuschöpfen».

Martínez erklärt es so: Du hast also diese verrückte Monopolisierung, die Markt­macht von Firmen wie Amazon und Google und Facebook; und dann kommt die Krise, die Regierungen beschliessen Lockdowns, wir können nicht mehr raus, kaufen keine Zeitung mehr am Kiosk, treffen keine Freundinnen mehr, die Restaurants sind geschlossen, wir kaufen alles im Netz und treffen uns auf Facebook – und der Zugriff auf diese Plattformen multipliziert sich, und ihr Wert steigt, auch dank den Werbe­einnahmen, während physische Geschäfte einbrechen und Amazon nach oben schiesst. Und am Ende stehen wir da mit einer Wirtschafts­krise, die ein paar grosse Gewinner hervor­gebracht hat, und diese Gewinner sind ausgerechnet jene, denen es sowieso schon blendend ging. «Der Lockdown war wie geschaffen für die Tech-Firmen», sagt Martínez.

«Das doppelt Perfide an dieser Krise ist, dass davon während des Lockdowns in erster Linie Branchen mit tiefen Einkommen betroffen waren, und deswegen wäre ein weiterer Lockdown so verheerend: Service­angestellte, Coiffeusen zum Beispiel, Jobs, in denen man nicht reich wird, aber auch nicht einfach auf Homeoffice umstellen kann. Während man in der Krise gleichzeitig gesehen hat, dass es durchaus Berufe gibt, die geeignet sind für Homeoffice – vornehmlich Berufe mit höheren Verdienst­möglichkeiten.»

Die verstärkende Wirkung der Staatsausgaben

«Wie sieht es auf lange Sicht aus?», frage ich.

«Ich sehe die Gefahr, dass Corona vor allem die Vermögens­ungleichheit erhöhen wird», sagt Martínez. «Es gab schon jetzt auf der einen Seite massive Gewinnerinnen, während es auf der anderen Seite massive Verlierer gab.»

Die Geldpolitik werde durch den Lockdown nicht weniger expansiv: Die Noten­banken würden Geld in den Markt pumpen, sagt Martínez, damit die Firmen an günstiges Geld kämen, um Arbeits­plätze zu erhalten. Was im ersten Moment einen reduzierenden Effekt auf die Ungleichheit habe. Aber mehr billiges Geld im Umlauf bedeute auch, dass die Leute, die Geld hätten, nach neuen Investitions­möglichkeiten suchten. Und dass als Folge davon die Werte von Aktien und Immobilien weiter anstiegen, wie nach der Finanzkrise 2008 – was schon damals dazu geführt hat, dass sich die Schere zwischen Arm und Reich weiter geöffnet hat und sich seit 2010 der Anteil des Schweizer Gesamt­vermögens, der den reichsten 0,01 Prozent gehört, noch einmal erhöht hat, und zwar von 11 auf 12 Prozent.

Ein weiterer Aspekt seien die Staats­finanzen: Wer Schulden mache, sagt Martínez – selbst wenn er Schulden mache, um einen akuten grossen Wirtschafts­einbruch abzuwenden, wie während des Lockdowns –, der müsse diese Schulden irgendwann wieder abbauen. Entweder mit Steuer­erhöhungen oder Spar­programmen. «Erstere werden von der Wirtschafts­lobby bekämpft. Letztere treffen die ärmeren Bevölkerungs­schichten und den Mittel­stand härter als die Reichen.»

«Die Schweiz trifft das weniger hart, weil wir vor der Krise eine sehr tiefe Staats­verschuldung hatten und auch jetzt, mit den Massnahmen gegen die Pandemie, die Bundes­finanzen solide sind. Aber in den USA und im europäischen Ausland mit hoher Staats­verschuldung, wo ein schlechtes Berufs­bildungs­system die Chancen­gleichheit zusätzlich noch einmal deutlich verringert, sieht es in meinen Augen für die Zukunft nicht gut aus.»

Die Staaten würden Ausgaben kürzen, sagt Martínez: «Und wir wissen aus der Geschichte, wen diese Kürzungen am ehesten treffen: jene, die sowieso schon tiefe Einkommen haben. Es wird um Kürzungen von Arbeitslosen­geldern und Sozialhilfe­geldern gehen, um Sparmassnahmen im Gesundheits­bereich und im Bildungs­bereich. Man hat es nach der Finanzkrise 2008 gesehen: Die folgende Austeritäts­politik hat zum Beispiel in Südeuropa vor allem im Gesundheits­bereich zu einem massiven Abbau geführt, zu einer Reduzierung der Versorgungs­dichte. Tragischer­weise haben sich genau solche Massnahmen in der Corona-Krise zusätzlich gerächt. Diese Spar­massnahmen sind schliesslich Ausdruck einer Ungleichheit in der Versorgung: Wer kann sich privaten Zugang zu Gesundheit und Bildung leisten – und wer kann das nicht? In den USA war der Zugang zu Gesundheit und guter Bildung schon vor Corona extrem ungleich, diese Brenn­punkte werden sich weiter verschärfen.»

Schon einmal seien die Vermögen weltweit derart ungleich verteilt gewesen, sagt Isabel Martínez: Unmittelbar vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs.

Was Arm und Reich derart stark auseinander­getrieben hat

Da sitzen wir also beim Kaffee, und die Forscherin erklärt anhand von Tabellen das Auseinander­driften unserer Gesellschaften. Ich frage sie, ob eigentlich jede Krise bedeute, dass im Nachgang die Welt noch ungleicher sei als vorher, und sie sagt, nicht zwingend, nein, eigentlich überhaupt nicht. Die Pest etwa habe fast ein Drittel der Bevölkerung dahin­gerafft, davon viele junge Menschen, und somit habe sich das Arbeits­angebot verknappt und Arbeit habe deswegen an Wert gewonnen. Somit seien die Löhne gestiegen, und deswegen habe jene Pandemie die Ungleichheit auf der Welt verringert.

Und ich frage sie, ob die Vermögen auf dieser Welt eigentlich schon einmal derart ungerecht verteilt gewesen seien, und sie sagt ja, vor ziemlich genau hundert Jahren, vor dem Ersten Weltkrieg, und dann sei der Krieg gekommen, die Krise, und habe wie eine Wasch­maschine alles durch­einandergewirbelt.

«Der Erste Weltkrieg führte zum Bruch mit einer Welt, die noch immer geprägt war von der Stände­gesellschaft. In dieser Klassen­gesellschaft waren Einkommen und Vermögen extrem ungleich verteilt», sagt Martínez. «Die Umwälzungen hatten zur Folge, dass die Welt durch die neue Ordnung danach lange Zeit ein Ort war, an dem Vermögen und Einkommen gerechter verteilt waren. Während des grossen Wirtschafts­aufschwungs nach dem Zweiten Weltkrieg besassen die reichsten 0,01 Prozent zwischen 4 und 6 Prozent des Gesamt­vermögens. Das änderte sich Ende der Siebziger­jahre. Seit 1980 steigt die Ungleichheit stetig an. Der Anteil am Gesamt­vermögen der 0,01 Prozent hat sich seither verdoppelt. Diese 0,01 Prozent Super­reichen besitzen heute in der Schweiz je nach Rechnung zwischen 8 und 12 Prozent des gesamten Vermögens.»

Hinter dieser Entwicklung stünden verschiedene Treiber, sagt die Ungleichheits­forscherin. Einerseits seien durch die Globalisierung die Märkte grösser geworden, während gleichzeitig in vielen Bereichen die Produktions­kosten gesunken seien. Dadurch seien immer grössere Gewinne möglich geworden. Ein anderer Erklärungs­faktor für das Auseinander­driften von Arm und Reich, sagt Martínez, sei die «neoliberale Revolution».

«In den USA und Grossbritannien waren bis in die 1970er die Grenzsteuer­sätze für hohe Einkommen sehr hoch», sagt die Ökonomin. Grenzsteuer­satz heisst: Der Steuersatz in Prozent auf jeden Franken, den man über einem bestimmten Betrag – zum Beispiel über einer Million – pro Jahr verdient.

«Diese hohen Steuer­sätze auf hohen Einkommen hielten während der Phase des hohen Wirtschafts­wachstums die Ungleichheit lange sehr tief», sagt sie. «Dann propagierten die britische Premier­ministerin Margaret Thatcher und US-Präsident Ronald Reagan in den Achtzigern die Trickle-down-Ökonomie. Grenzsteuer­sätze runter mit dem Ziel, dass die Reichen reicher werden. Denn mehr Reichtum, so die Idee, kurble die Wirtschaft an, und desto mehr tröpfle dann von diesem Reichtum nach unten, und somit gehe es schliesslich allen besser.»

Als Folge dieses Paradigmen­wechsels, sagt Martínez, seien die Steuersätze auf hohe Einkommen deutlich gesunken, auch in der Schweiz. «Zahlte man auf ein hohes Einkommen von einer Million in den Achtzigern im Schnitt 38 Prozent Steuern, betrug der effektive Satz 2016 schätzungs­weise 33 Prozent. Die Reichen konnten ihren Anteil am Gesamt­vermögen steigern, doch das Wirtschafts­wachstum fand nie mehr zurück zur alten Stärke, und die Ungleichheit stieg somit deutlich an.»

Und jetzt?

Was tun?

Alarmstimmung bei FDP und Economie­suisse

Es war Robert Reich, ehemaliger Arbeits­minister unter Bill Clinton und Politik­professor in Berkeley, der in den vergangenen Tagen auf Twitter ebenfalls Vermögens­sprünge in Milliarden­höhe verbreitete, Bezos (derzeit mit einem Plus von 81 Milliarden Dollar), Zuckerberg, Gates, Musk oder Charles Koch, und der fordert: «Besteuert die Reichen!» Und dann, mit Blick auf die 40 Millionen drohenden Zwangsräumungen: «Ich weigere mich, ein System zu tolerieren, wo sich Arbeitende mit einem Mindest­lohn in keinem einzigen US-Bundes­staat die Miete leisten können, aber sich Jeff Bezos 25 Badezimmer in seinem Haus in D. C. leisten kann.»

Besteuert die Reichen? Die Krisengewinner?

Zwei Tage bevor ich Isabel Martínez zum Gespräch traf, publizierte der «SonntagsBlick» ein Interview mit ihrem Chef, dem KOF-Leiter und Wirtschafts­professor Jan-Egbert Sturm, der zudem die Experten­gruppe Wirtschaft der nationalen Covid-19-Taskforce leitet.

Sturm sagte, dass die Krise auch in der Schweiz nicht nur Verlierer produziere, sondern dass es auch Firmen gebe, «die in der Krise so viel verdient haben wie nie zuvor». Er sprach dabei von «gewissen Lebensmittel­händlern, Online­shops und Pharma­unternehmen», deren Gewinne durch die Pandemie explodiert seien.

Zum Beispiel die Familie Blocher, wie inzwischen die «SonntagsZeitung» berichtete: Dank Neugeschäften auch im Zusammen­hang mit Corona, dem Verkauf von Corona-Test-Röhrchen, Analyse­geräten, Schutzbrillen, Beatmungsmasken und -geräten sowie Desinfektions­fläschchen und Medikamenten, steigerte allein die Ems-Chemie ihren Firmenwert um 30 Prozent auf 19,5 Milliarden Franken – 3 Milliarden mehr als vor Corona.

«Wir könnten darüber nachdenken», sagte KOF-Leiter Sturm, «die Gewinne der Krisen­gewinner höher zu besteuern und mit dem Geld die Verlierer der Krise zu unterstützen.»

Umgehend Alarmstimmung bei FDP und Economiesuisse: Diese Sondersteuer sei doppelt unfair, sagte etwa FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt im «Blick»: «Wenn Firmen, die schnell auf die gesellschaftlichen Bedürfnisse seit Corona reagierten, nachträglich bestraft würden, wäre das ein verheerendes Zeichen für künftige Krisen. Sie müssten sich überlegen», so Silberschmidt, «ob sie noch erfolgreich sein wollen, wenn sie dafür eine Sonder­steuer bezahlen müssen.»

Ist dem so? Lohnt sich Erfolg bald nicht mehr, wenn wir die Ungleichheit bekämpfen wollen? Was sagt Isabel Martínez?

«Die Idee einer Sondersteuer ist nicht abwegig. Schon nur deshalb, weil sie historisch keine Ausnahme bildet. Typischerweise werden in Kriegen Sonder­steuern erhoben. So ist letztlich unser Steuer­system überhaupt entstanden: Die direkte Bundes­steuer hiess bis in die Achtziger eidgenössische Wehrsteuer, die regelmässig verlängert wurde. Sie war während des Zweiten Weltkriegs eingeführt worden. Bereits während des Ersten Weltkriegs gab es eine Kriegsgewinn­steuer, in der Zwischenkriegs­zeit eine Krisen­abgabe und 1945 ein eidgenössisches Wehropfer: Ab einem gewissen Vermögen wurden Leute mittels Sonder­steuer zur Kasse gebeten.»

Die politische Antwort auf die Corona-Pandemie sei insofern mit einer Antwort in Kriegs­zeiten zu vergleichen, weil die Regierung einen Ausnahme­zustand ausgerufen habe, mit Notrecht die leidende Bevölkerung gezwungen habe, daheim zu bleiben, den Spitälern Vorgaben gemacht und direkt in den Markt eingegriffen habe.

«Typischerweise erhöhen Länder während Kriegen ihre normalen Steuern oder greifen zugunsten der Kriegs­wirtschaft in den Markt ein», sagt die Ungleichheits­forscherin. «Mit Steuern finanziert man Kriege. Und die Markt­eingriffe in Kriegszeiten haben ebenfalls zur Folge, dass gewisse Firmen übermässig profitieren – etwa weil sie das Glück haben, dass ihr Produkt plötzlich extrem gefragt ist, oder weil sie vom Staat verpflichtet wurden, zum Beispiel Munition herzustellen. Das Notrecht in Zeiten der Pandemie hat viele Parallelen zum Kriegsrecht, das immer auch Steuer­erhöhungen zur Folge hatte.»