Wie wollen Sie die lange Sicht haben?
Themen, Autorinnen, Techniken: Wir messen unseren Datenblog an den Versprechen, die wir vor einem Jahr gegeben haben. Und fragen Sie, was wir im nächsten Jahr ändern sollen.
Von Simon Schmid, 29.07.2019
Vor einem Jahr haben wir an dieser Stelle beschrieben, warum wir auf die lange Sicht blicken. Und dabei vier Vorsätze gefasst:
nicht immer über Wirtschaft zu schreiben;
einen grösseren Autorenpool einzuführen;
Abwechslung bei den Charttypen zu pflegen;
mehr Ambivalenz zuzulassen.
Heute ziehen wir Bilanz. Und schauen: Wo haben wir reüssiert, wo nicht?
1. Worüber schreiben wir?
Vor einem Jahr war dieser Datenblog ziemlich wirtschaftslastig. Davon wollten wir wegkommen zugunsten eines breiteren Themenmix.
Ist das gelungen? Hier eine Auswertung über die Themen, die in den vergangenen zwölf Monaten «auf lange Sicht» abgehandelt wurden.
Hipp, hipp, hurra! Bei den Themen hat sich tatsächlich etwas getan. Neu führt nicht mehr die Wirtschaft, sondern die Politik die Statistik an. Zu verdanken ist das in erster Linie den Beiträgen unseres Gastautors Claude Longchamp, der seit Oktober einmal pro Monat langfristige politische Trends analysiert.
Wer die lange Sicht regelmässig liest, weiss allerdings auch: Es gibt keine Statistik, die wir nicht selbst gefälscht haben. Was zählt als Wirtschaft, was als Politik, was als Wirtschaftspolitik? Nehmen wir hier eine etwas andere, gröbere Einteilung vor, sieht die Sache doch wieder etwas anders aus. Und das Thema Wirtschaft erscheint ein weiteres Mal zuoberst auf der Hitliste.
Nun gut. Sie sehen immerhin: Wir haben uns Mühe gegeben. Und haben unter anderem mehrmals über den Klimawandel geschrieben: darüber, wie sich die Temperaturen in 1500 oder sogar in 120’000 Jahren verändert haben und was dies für die Energiepolitik in den nächsten 30 Jahren heisst.
2. Wer schreibt?
Mehr Brainpower: So lautete die Ansage vor einem Jahr. Wir wollten neu auch externe Autorinnen in den Blog einbeziehen. Hier der Check:
Die Auswertung zeigt: Wir zählen bei 49 Beiträgen insgesamt 21 Beiträge von externen Schreibenden, 28 stammten von Internen. Schaut man auf die Autorenzeilen, so zählt man insgesamt 12 Namen. So ungefähr haben wir uns das vor einem Jahr tatsächlich vorgestellt.
Besondere Freude bereitet uns, mit Ursina Kuhn, Isabel Martínez und Oliver Hümbelin drei Wissenschaftlerinnen gewonnen zu haben, die im Monatsrhythmus die Ungleichheit unter die Lupe genommen und beispielsweise beschrieben haben, was sich an der Spitze der Einkommensverteilung tut und wie gut die Schweiz im Vergleich zu Ländern wie den USA abschneidet.
3. Was für Charts nutzen wir?
Die Republik ist kein fixfertiges Medienprodukt, sondern under construction. Vor einem Jahr war das Angebot noch limitiert – wir hatten nur Linien- und Balkencharts zur Verfügung. Doch unsere Entwickler haben sich reingekniet und die Charttypen erweitert, die wir nun standardmässig einsetzen können.
Wie oft wir sie benutzt haben, darüber gibt die folgende Grafik Aufschluss.
Das Ergebnis ist ziemlich einseitig: Einfache Liniengrafiken bleiben der mit Abstand am meisten verwendete Charttyp. Nur 12 von 49 Lange-Sicht-Beiträgen stützen sich primär auf einen Scatterplot oder auf eine Karte ab.
Heisst das, unsere Entwickler haben vergebliche Arbeit geleistet? Kaum.
Die Statistik zeigt vielmehr, wie wichtig ein vermeintlich simples Darstellungsmittel wie eine Liniengrafik für unseren Blog trotz allem ist:
Eine Liniengrafik muss man nicht erklären: Jeder versteht sie, auch wenn das Thema, um das es geht, ziemlich komplex ist.
Eine Liniengrafik ist mächtig: Wenn eine Kurve erst sinkt und dann wieder steigt, ist das eine extrem klare Botschaft.
Liniengrafiken sind das Mittel der Wahl, um Entwicklungen über die Zeit darzustellen – ein Hauptanliegen dieses Datenblogs. Man kann darauf auch so schöne Dinge tun wie Trends einzeichnen.
Nichtsdestotrotz verweisen wir gerne nochmals auf ein paar Beiträge, in denen auch andere Grafikformen zum Zuge kamen:
«Das bunte Europa der Regionen»: ein Stück, das die räumlichen Muster der Entwicklung auf dem Kontinent in drei Karten fassbar macht.
«Die europäischen Parteien im Zeitraffer»: Zeigt die Veränderung der politischen Landschaft in einer Serie von dynamischen Scatterplots.
«Swissminiatur der Volksabstimmungen»: nochmals Karten und Scatterplots – diesmal über das Stimmverhalten der Kantone.
Und wir versprechen, die Diversität in unserem Grafikarsenal weiter zu steigern und zwischendurch auch sehr ausgefallene Charts zu kreieren.
4. Wie argumentieren wir?
Die kniffligste der Aufgaben. Wir wollten «häufiger auf verschiedene Seiten derselben Medaille» eingehen, schrieben wir in unserem letzten Rückblick.
Was wir damit gemeint haben: Wir wollten in unseren Texten öfter darauf hinweisen, dass man anhand von Daten zu unterschiedlichen Schlüssen kommen kann – sei es bei Themen wie der Einkommensverteilung oder bei der Entwicklung der Geschlechtergleichheit. Oft liegt die Wahrheit in einem Graubereich, oft gibt es unterschiedliche legitime Sichtweisen.
Um es offen zu sagen: Die Sache ist nicht immer gelungen. Wie jede andere journalistische Publikation bewegen auch wir uns in einem Spannungsfeld. Auf der einen Seite gilt es, möglichst klare Zusammenhänge zu zeigen: Je klarer die Grafik und je krasser die Aussage, desto höher die Einschaltquote.
Auf der anderen Seite steht das Bedürfnis nach Differenzierung. Die beiden Dinge sind teils schwer unter einen Hut zu bringen – «man kann es so oder so sehen» ist eine Aussage, mit der man im Journalismus oft nicht punktet.
Immerhin: Im Nachhinein bleiben bei mir persönlich gerade jene Beiträge in stärkster Erinnerung, in denen wir explizit hinter die Kulissen geblickt und die Methoden der Datenaufbereitung und -visualisierung thematisiert haben.
Das waren zum Beispiel:
«Die schönste Klimagrafik der Welt»: ein farbliches Experiment mit einem Typ von Visualisierung, der gerade ziemlich populär ist.
«Was ist Zersiedelung?»: Hier erklären wir die Konstruktion eines wissenschaftlichen Indikators anhand von drei Karten.
«Wie ungleich die Einkommen verteilt sind»: Eine Kennzahl – der Gini-Index – wird auf sechs verschiedenen Ebenen durchdekliniert.
Wenn es gelingt, in den nächsten zwölf Monaten noch mehr Beiträge dieser Sorte zu realisieren, wäre damit aus meiner Sicht ein wichtiges Ziel erreicht.
Welche Ziele sollen wir uns setzen?
Nun sind Sie an der Reihe: Sagen Sie uns, welche Ziele wir in der langen Sicht im nächsten Jahr verfolgen sollen – bei der Autorenschaft, bei den Themen, beim Differenzierungsgrad, bei der Textlänge oder bei sonst einem Kriterium, das Sie wichtig finden. Lassen Sie uns wissen, was Ihnen gefallen hat und was nicht.
Eine kleine Änderung führen wir auf Wunsch einiger Verlegerinnen bereits ein: Die Sammeldebatte zur Rubrik wird ersetzt durch Einzeldebatten über die jeweiligen Beiträge. Mit dieser Umfrage beschliessen wir das bisherige allgemeine Forum.