Geld auf der Bank hat sich noch nie gelohnt
Viele Leute klagen über die gefallenen Bankzinsen. War früher alles besser? Nein. Das zeigt eine Datenreihe über 72 Jahre zu den Zinsen auf privaten Sparguthaben.
Von Simon Schmid, 25.02.2019
Die Vergangenheit wird gerne verklärt, besonders in Finanzfragen. Etwa wenn es um das Geld auf dem Privatkonto geht: Vor ein paar Jahrzehnten schrieb die Bank pro Jahr jeweils 3, 4 oder sogar 5 Prozent Zinsen gut. Inzwischen sind es in den meisten Fällen 0 Prozent.
Ein Ärgernis unserer Zeit? Ein Rückblick auf Daten aus den letzten 72 Jahren zeigt: Unter Berücksichtigung der Inflation hat Geld auf dem Konto noch nie viel abgeworfen. Der reale Zins auf Bankguthaben betrug im historischen Schnitt gerade einmal 0,2 Prozent.
Früher war also zumindest in dieser Hinsicht keineswegs alles besser. Wie man zu dieser Einsicht kommt, das zeigen wir anhand von sechs Grafiken. Und zwar Schritt für Schritt: von der Original-Zeitreihe bis zur inflationsbereinigten und geglätteten Grafik der Realzinsen.
1. Die nominalen Sparzinsen
Ausgangspunkt ist ein Datensatz der Schweizerischen Nationalbank (SNB). Er enthält die Zinssätze auf Spareinlagen von Privatkunden bei Banken. Diese wurden der SNB von den Banken in einer Umfrage gemeldet und liegen seit 1932 vor. Es handelt sich um eine der längsten Schweizer Finanz-Zeitreihen.
Wir zeigen die Daten hier ab 1946. Dies der Darstellung zuliebe: Während der Grossen Depression und des Zweiten Weltkriegs gibt es grössere Ausschläge.
Zunächst die Rohdaten – auf monatlicher Basis, in Prozent: Sie zeigen, wie viel Zins die Banken ihren Kunden auf Neugeschäften im Schnitt offerierten.
Man sieht in der Darstellung deutlich: Die Bankzinsen sind gefallen. Von zwischenzeitlich über 5 Prozent in den 1970er- und 1990er-Jahren auf noch 1 Prozent nach der Jahrtausendwende – und schliesslich auf 0 Prozent. Es ist das bekannte Muster, das gewisse Menschen nostalgisch werden lässt.
Um den zugrunde liegenden Trend noch etwas zu verdeutlichen, stellen wir dieselben Daten nochmals leicht anders dar – und zwar im gleitenden Durchschnitt über fünf Jahre. Das bedeutet: Der Punkt, der im Dezember 2018 eingezeichnet ist, entspricht dem Mittel aller Monatswerte der fünf Jahre zuvor, also von Januar 2014 bis Dezember 2018. Der November 2018 entspricht dem Mittel von Dezember 2013 bis November 2018 etc. Auf diese Weise wird die Kurve geglättet, die Trends lassen sich einfacher ablesen.
Wie die geglättete Kurve offenbart, folgte auf den Zweiten Weltkrieg erst eine stetige Phase mit nominalen – das heisst: nicht inflationsbereinigten – Zinssätzen um rund 2,5 Prozent. Dann kam eine wildere, mehrere Jahrzehnte dauernde Phase, in der die Zinsen zweimal deutlich stiegen. Gegen Ende des Jahrtausends kam es dann zum Sinkflug der Zinsen in Richtung 0 Prozent.
Wie muss man diese Entwicklung einordnen? Was bedeutet die Kurve?
2. Die Inflation
Das Zusammenspiel zwischen Zinsen und Preisen war in dieser Rubrik schon mehrmals ein Thema: Wir haben etwa in einem Beitrag über die langfristige Inflation oder in einem zu den langfristigen Zinsen darüber gesprochen.
Wichtig ist an dieser Stelle vor allem ein Zusammenhang: Geld auf der Bank ist nur so viel wert, wie man sich damit kaufen kann. Steigt der Kontostand durch Zinsgutschriften um 5 Prozent an, während die Preise ebenfalls um 5 Prozent zunehmen, ist für die Sparerin am Ende des Jahres nichts gewonnen.
Um die obigen Zinsgrafiken deuten zu können, müssen wir also die Inflation im fraglichen Zeitraum kennen. Deshalb hier als Nächstes eine Grafik zu den Inflationsraten – ebenfalls auf monatlicher Basis, ebenfalls in Prozent.
Quelle der Daten ist das Bundesamt für Statistik. Angegeben ist jeweils die Veränderung der Konsumentenpreise über die nachfolgenden zwölf Monate.
Die Inflationsgrafik zeigt heftige Ausschläge. Im Lauf der Jahrzehnte schlug die Inflation mal stark nach oben aus, mal lag sie wieder deutlich unter null. Besonders in den 1970er-, 1980er- und 1990er-Jahren waren Teuerungsraten von 5 Prozent pro Jahr und mehr keine Seltenheit. Es waren Zeiten, in denen die Preise viel stärker schwankten und die Geldpolitik stärker gefordert war.
Bevor wir darauf eingehen, was diese Teuerungsschwankungen für die Bankzinsen bedeuteten, wenden wir nochmals denselben Trick wie oben an und stellen die Inflation im gleitenden Durchschnitt über fünf Jahre dar.
Die «zittrige» Linie wird so etwas begradigt. Und das Muster, nach dem die Teuerung über die Jahrzehnte verlief, wird besser sichtbar.
Man erkennt rasch: Die Trends laufen ähnlich wie bereits bei den nominalen Zinsen. Nach dem Krieg tat sich vorerst nicht viel – die Inflation lag im Schnitt bei etwas über 2 Prozent. Ende der 1970er- und Ende der 1990er-Jahre folgten zwei Peaks, die Inflation stieg auf über 4 Prozent. Und schliesslich, im Verlauf der 2000er- und der 2010er-Jahre, fiel sie praktisch bis auf 0 Prozent.
Dass die beiden Kurven ähnlich aussehen, ist kein Zufall. In Zeiten hoher Teuerungsraten sehen sich Banken typischerweise unter Druck, höhere Zinsen zu zahlen. Täten sie es nicht, würden ihnen die Kunden rasch davonlaufen – und ihr Geld für den Konsum ausgeben oder anderweitig investieren. Einen höheren Zins zahlen, dazu sind die Banken in solchen Zeiten meist auch in der Lage – weil sie von ihren Schuldnern, also etwa von Firmen oder Liegenschaftsbesitzern, ebenfalls höhere Zinsen verlangen.
Gleicht sich die Sache also vollständig aus? Oder bleibt bei den Bankzinsen unter dem Strich doch ein Trend in die eine oder andere Richtung?
3. Die realen Sparzinsen
Um diese Frage zu beantworten, muss man die Realzinsen berechnen – also die tatsächliche Wertsteigerung des Spargeldes. Man nimmt dazu die Nominalzinsen und zieht davon die Inflation ab (genau genommen macht man eine Division der beiden Zahlen, aber fürs Verständnis ist das einerlei).
Macht man diese Rechnung für jeden Datenpunkt seit 1946, dann kommt, ähnlich wie bei der Inflationsgrafik, eine ziemlich hektische Kurve heraus.
Auf den ersten Blick sagt die Kurve nicht viel aus, ausser, dass die Realzinsen in den letzten 72 Jahren starken Schwankungen unterworfen waren – mal stiegen sie auf 3, 4 oder 5 Prozent an, mal fielen sie deutlich unter 0 Prozent.
Das ist nicht weiter überraschend und liegt daran, dass die Inflation (wie oben gesehen) starken Schwankungen von Monat zu Monat unterworfen war.
Bei genauem Hinschauen zeigen sich jedoch zwei bemerkenswerte Punkte.
Erstens: die Symmetrie. Im Verlauf der Zeit gab es ebenso viele und ebenso heftige Ausschläge nach oben wie nach unten. Mal waren sie stärker, mal waren sie schwächer, doch stets wechselten sich die Ausschläge ab.
Zweitens: die Höhe der Werte. Fast ebenso oft, wie die Realzinsen seit dem Zweiten Weltkrieg über null lagen, lagen sie unter null. Das langjährige Mittel der Realzinsen liegt mit 0,2 Prozent ziemlich genau bei der Nulllinie.
Die beiden Punkte bedeuten, dass Geldsparen auf dem Bankkonto zwar eine ziemlich nervenaufreibende Sache sein kann – in realen Einheiten betrachtet kann man damit von Jahr zu Jahr einiges gewinnen oder verlieren –, aber das Ganze ist über die mittlere Frist gesehen doch ein Nullsummenspiel: Geld auf dem Sparbuch wirft im Durchschnitt eigentlich keine reale Rendite ab.
Um dies zu verdeutlichen, stellen wir auch die Realzinsen nochmals im gleitenden Fünfjahresmittel dar. Hier ist die dazugehörige Grafik:
Der springende Punkt an dieser Grafik ist, dass man darin keine echten Trends erkennen kann. Die Nominalzinsen und die Inflation – die im Mittel über fünf Jahre sehr ähnlich aussahen – heben sich sozusagen gegenseitig auf. Und produzieren beim Realzins eine Abfolge von Restschwankungen, die von rund 2 Prozent unter null bis rund 2 Prozent über null reichen. Das bedeutet: Es gab durchaus mehrjährige Phasen, in denen Sparer auf dem Bankkonto mal Geld gewannen und mal Geld verloren. Doch in den Folgejahren hoben sich diese Phasen immer wieder gegenseitig auf.
Der letzte Datenpunkt für den Dezember 2018 zeigt in dieser Grafik einen Wert von 0,1 Prozent an. So hoch war demnach die reale Verzinsung von Spargeldern auf Schweizer Bankkonten im Schnitt der letzten fünf Jahre.
Dies mag sehr tief erscheinen – manche sprechen angesichts der niedrigen Nominalzinsen sogar von Finanzrepression oder Enteignung. Historisch betrachtet relativiert sich die Sache allerdings stark. Oft in der Geschichte waren die Realzinsen über Jahre hinweg tiefer, als wir es heute beobachten.
Wer also erwartet, das Sparbuch sei da, um das grosse Geld zu verdienen, liegt falsch. Die lange Sicht zeigt, dass das Bankkonto noch nie die Geldvermehrungsmaschine war, als die es nun zuweilen dargestellt wird.
Sie stammen aus dem Bestand der Schweizerischen Nationalbank (Bankzinsen) und des Bundesamts für Statistik (Teuerungsraten).
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