Wie El Niño und Vulkane das Klima beeinflussen
Warum die Erdtemperatur nicht nur steigt, sondern auch schwankt: zwei Betrachtungen über 150 und 1500 Jahre.
Von Arian Bastani, 06.05.2019
Das Klima verändert sich. Es wird wärmer, der Meeresspiegel steigt, und die Gletscher schmelzen. Oft reden wir dabei über die grossen Trends. Zum Beispiel: Die Erde hat sich in den letzten 150 Jahren um 1 Grad erwärmt.
Selten reden wir allerdings über die kleinen Veränderungen – über die Schwankungen, die innerhalb kleinerer Zeiträume von Jahren und Jahrzehnten auftreten.
Genau das tun wir jedoch in diesem Beitrag. Denn es ist wichtig, die beiden Dinge auseinanderzuhalten. Im Fokus steht dabei die globale Temperatur. Zuerst blicken wir auf die relativ kurze Frist von gut 150 Jahren.
Eine kurze Messgeschichte
Wir beginnen mit einer Kurve, die Sie wahrscheinlich in ähnlicher Form schon einmal gesehen haben. Sie zeigt die Entwicklung der globalen Durchschnittstemperatur, und zwar im Vergleich zu einer in der Klimatologie üblichen Referenzperiode (1961 bis 1990). Die Kurve ist unterlegt mit einer grauen Schattierung, die die Unsicherheit wiedergibt. Diese resultiert aus Messungenauigkeiten oder zeitlichen und räumlichen Datenlücken.
Die Kurve zeigt einen klaren Trend – den Temperaturanstieg, der ungefähr um 1900 einsetzt. Und sie zeigt viele kleine Schwankungen.
Die Story hinter dem Trendanstieg ist die vom Treibhauseffekt. Kurz gefasst:
Die Erdtemperatur (aktuell etwa 15 Grad Celsius) hängt von der Sonneneinstrahlung und von der Wärmeabstrahlung ab. Sie ergibt sich aus dem Gleichgewicht dieser beiden Prozesse.
Seit etwa 150 Jahren stösst die Menschheit Treibhausgase aus und vermindert so die Abstrahlung. Dadurch bleibt mehr Wärme nahe der Erdoberfläche zurück und erwärmt sie.
So kam es zum globalen Temperaturanstieg von etwa 1 Grad.
Doch woher kommen die Schwankungen? Hier wird es komplizierter. Es gibt zahllose Elemente im Klimagebilde, die mehr oder weniger direkt auf die Temperatur einwirken können. Ihr Einfluss ist oft nur mit komplizierten mathematischen Berechnungen nachweisbar.
El Niño
Eines dieser Elemente heisst El Niño. Es handelt sich um ein unregelmässig wiederkehrendes Phänomen an der südamerikanischen Pazifikküste, an dessen Entstehung Atmosphäre und Ozean beteiligt sind.
Entlang des Äquators wehen in dieser Region starke Südostwinde. Sie drücken warmes Oberflächenwasser von der südamerikanischen Westküste weg Richtung Westen. Kaltes Wasser aus der Tiefe rückt an die Oberfläche nach und nimmt Wärme aus der darüberliegenden Luft auf. Die Luft kühlt dadurch ab. Da es sich hierbei um sehr grosse Wassermassen handelt, wird der Atmosphäre viel Wärme entzogen.
In manchen Jahren wehen die Passatwinde allerdings nur schwach oder gar nicht. Das warme Wasser im Osten wird nicht westwärts gedrückt, und der Atmosphäre wird keine Wärme entzogen. Peruanischen Fischern ist dieses Phänomen bestens bekannt, da ihre Netze während dieser Zeit oft leer bleiben. Denn: Normalerweise bringt das kalte Tiefenwasser Nährstoffe an die Oberfläche. Diese fehlen nun. Am stärksten wird die Strömung oft im Dezember abgeschwächt. Daher sprechen die Fischer von El Niño – dem Christkind.
Die amerikanische Ozean- und Atmosphärenforschungsbehörde NOAA hat einen Index entwickelt, der die Stärke von El Niño misst. Hier eine Abbildung dieses Indexes für die Jahre 1979 bis 2018.
Hohe Werte, wie 1998 oder 2015, bedeuten, dass Niño stark ist. Wenig Wind, wenig Strömung, wenig Wärmeentzug. Tiefe Werte symbolisieren den umgekehrten Fall: starke Winde und starke Westwärtsströmung. Genannt wird dieser Zustand La Niña – das Mädchen. Werte um null signalisieren den Normalzustand.
Vergleicht man den Index mit der globalen Durchschnittstemperatur, so zeigen sich erstaunliche Parallelen. Dies wird in der folgenden Grafik deutlich. Sie enthält neben dem Niño-Index auch einen Ausschnitt aus der Temperaturkurve, die wir oben bereits gezeigt haben – dabei wurde der Trend herausgerechnet, sodass nur noch die Schwankungen übrig bleiben.
Die beiden Kurven weisen zwar Diskrepanzen auf. Doch besonders ab den späten 1990er-Jahren ist der Verlauf sehr ähnlich. Während der beiden Niño-Spitzen von 1998 und 2015 schlug auch die Temperatur nach oben aus. La-Niña-Situationen dagegen, wie etwa 2010, gehen einher mit tiefen globalen Temperaturen.
Der letzte starke Niño trat also vor 4 Jahren auf und trug dazu bei, dass sich Rekordtemperaturen einstellten. Die Erdtemperatur war 2015 um 0,3 Grad höher als noch 5 Jahre zuvor. Klimatologen gehen davon aus, dass etwa 10 Prozent der Wärmeanomalie auf El Niño zurückzuführen sind – was nicht heisst, dass das Jahr nicht auch sonst Rekorde aufgestellt hätte.
Noch nicht gesichert ist, ob die Erderwärmung umgekehrt auch El Niño beeinflussen wird. Darauf, dass zumindest die Folgen des Phänomens heftiger werden könnten, deutet eine Studie von amerikanischen Forschern der Universitäten von Boulder und Santa Barbara aus dem letzten Jahr hin.
Nebst El Niño gibt es weitere Faktoren, die zu Temperaturschwankungen führen. Um sie zu diskutieren, blicken wir etwas weiter in die Vergangenheit.
Eine lange Rekonstruktionsgeschichte
Und zwar rund 1500 Jahre – eine Zeitspanne, in der das Klima noch kaum vom Menschen beeinflusst wurde. Dieser Einfluss setzte erst mit der industriellen Revolution ab etwa 1850 ein. Davor war quasi Natur pur.
Erwärmungen im Stil der momentanen sucht man auf der Abbildung der letzten 1500 Jahre vergeblich. Erst in den letzten 100 Jahren stieg sie – in einer Form, die als «Hockeyschläger» bekannt geworden ist, mit einem langen Schaft und einer spitz nach oben zulaufenden Schaufel. Die Temperaturen sind notabene rekonstruiert, also indirekt geschätzt.
Wie man lange vergangene Temperaturen misst
Vor 1000 Jahren gab es keine Wetterstationen. Die Temperaturen wurden also nicht gemessen, sondern sind rekonstruiert. Und zwar mithilfe von sogenannten Proxys, also Stellvertretern, die Hinweise auf die Temperatur liefern. Bäume zum Beispiel: Ist es in einem Jahr warm, wachsen sie mehr – der Jahresring ist dicker.
Ähnlich wie Bäume bilden auch Gletscher und Korallen Jahresschichten, von deren atomarer Zusammensetzung sich auf die Temperatur schliessen lässt. Kombiniert man einige dieser Proxys, kann man eine verlässliche Temperaturkurve rekonstruieren. Vergleiche mit Messdaten der letzten 150 Jahre belegen dies. Die hier gezeigte Kurve besteht aus einer ganzen Reihe solcher Proxys, deren Herkunft sich über den gesamten Globus verteilt und somit global repräsentativ ist.
Wie bereits auf der 150-jährigen Messkurve sind auch auf der 1500-jährigen Rekonstruktion der Temperatur klare Schwankungen erkennbar. Woher rühren sie? Wiederum gilt: Es gibt keinen einzigen Faktor, der alles erklärt.
Doch gewisse Einflüsse sind klar belegbar. Einer davon: Vulkane.
Vulkane
Bricht ein Vulkan aus, werden Schwefelpartikel ausgestossen – und zwar sehr viele. Diese verteilen sich in der Atmosphäre und bilden eine Partikelschicht, die um den ganzen Globus reichen kann. Quasi ein Sonnenschirm, der die einfallende Sonnenstrahlung vermindert und die Temperatur dadurch senkt.
Mit der Zeit landen die Partikel auf der Erdoberfläche und lagern sich dort ab, beispielsweise in Gletschern. So können sie später nachgewiesen werden. Die wissenschaftliche Rekonstruktion der Vulkanaktivität, die wir in der folgenden Grafik zeigen, basiert auf einer Reihe solcher Gletscherbohrungen.
Die Menge an Partikeln in der Luft wird dabei als optische Dichte bezeichnet. Man kann diese optische Dichte auch als eine Art Vulkanindex auffassen. Auf der Grafik ist dieser Index für die Zeit vom Jahr 800 bis 2000 dargestellt.
Wie das Bild zeigt, steigt die optische Dichte der Atmosphäre zu bestimmten Zeitpunkten jeweils sprunghaft an – dann, wenn irgendwo auf der Welt ein Vulkan ausbricht. Ungefähr ab etwa dem Jahr 1200 nehmen die Spitzen zu: Ab dann kam es häufiger als zuvor zu grossen Vulkanausbrüchen.
Gemäss der Theorie müsste in Phasen starker Vulkanaktivität jeweils auch eine Temperatursenkung zu beobachten sein. War dies tatsächlich der Fall?
Um uns dies genauer anzuschauen, betrachten wir als Nächstes beide Kurven zusammen: jene des langfristigen Temperaturverlaufs und jene der Vulkanaktivität. Wobei wir bei den Vulkanen die Skala umgekehrt haben, statt nach oben zeigen die Spitzen nun nach unten. Die Temperaturkurve wurde zwecks besserer Leserlichkeit dagegen etwas nach oben verschoben, und wir konzentrieren uns aufs Zeitfenster von 1400 bis 1900.
An der Theorie scheint tatsächlich etwas dran zu sein. Brechen irgendwo Vulkane aus, geht dies oft mit einem Temperatursturz einher.
Beispielsweise um etwa 1450. Sucht man in der Literatur nach dokumentierten Eruptionen, finden sich einige Einträge, die zeitlich passen. In Nordamerika bricht etwa dann der Aniakchak-Vulkan aus und auf der Inselgruppe von Vanuatu im Südwestpazifik der Kuwae.
Dasselbe gilt für andere Aktivitätsspitzen. 1600 ist es der Huaynaputina in Peru, und 1680 bricht in Indonesien der Tangkoko aus und hinterlässt seine Spuren in der Temperatur.
Der grosse Peak 1835 geht zurück auf den Cosigüina in Nicaragua. Auch infolge dieser Eruption sank die Temperatur.
Vulkane beeinflussen die Temperatur allerdings nicht nur während ein paar Jahren, sondern können – bei einer Häufung – auch länger Wirkung entfalten.
So zeigt sich im Rückblick, dass die globalen Temperaturen während der gesamten frühen Neuzeit etwas tiefer waren als zuvor. Diese Kühlephase, in die auch die sogenannte kleine Eiszeit fällt, wird von Forschern auch als kumulierte Folge wiederkehrender Vulkanausbrüche verstanden.
So gehen etwa Wissenschaftler der University of Washington davon aus, dass ein knappes Drittel der Temperaturabsenkung in der kleinen Eiszeit auf eine erhöhte Vulkanaktivität zurückzuführen ist.
Vulkane können also massgeblich auf das Klima einwirken. Allerdings ist nicht jedes Temperaturtief damit erklärbar. Weitere Faktoren, die sich kurzfristig auswirken, sind das sogenannte Albedo-Feedback, das eine Temperaturveränderung durch Ab- oder Zunahme der Eisfläche verstärkt, und die interne Variabilität des Klimasystems, zu der auch El Niño zählt.
Eine untergeordnete Rolle spielt dagegen die schwankende Intensität der Sonneneinstrahlung. Diese ist vor allem über längere Zeiträume wichtig.
Schluss
Die Temperatur der Erde ist nichts Konstantes – das zeigt sich, wenn man auf die Kurven der letzten 150 und 1500 Jahre blickt. Sondern sie schwankt.
Für diese Schwankungen lassen sich teils ziemlich gute Erklärungen finden. El Niño und Vulkanausbrüche sind zwei der Faktoren, die das Klima auf die kurze Sicht beeinflussen. Ob es in nächster Zeit global relativ kühl sein wird oder nicht, hängt unter anderem auch von diesen Phänomenen ab.
Den weltweiten Erwärmungstrend der letzten Jahrzehnte erklären El Niño und die Vulkane allerdings nicht. Dieser ist in seiner Form nicht bloss in den letzten 1500 Jahren einmalig, sondern in weit grösseren Zeiträumen.
Wir werden in dieser Rubrik bald nochmals darauf zu sprechen kommen.
Die rekonstruierten Temperaturdaten stammen aus verschiedenen wissenschaftlichen Publikationen, die auf der Website der National Ocean and Atmospheric Administration gesammelt zur Verfügung gestellt werden. Die gemessenen Temperaturdaten stammen vom UK Met Office, dem Wetterdienst von Grossbritannien.
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