Acht Learnings aus dem Klimalabor
Acht Monate ergebnisoffene, partizipative Suche nach Journalismus, der uns in der Klimakrise weiterbringt. Was bleibt?
Von David Bauer, Elia Blülle (Text) und Cristina Spanò (Illustration), 31.08.2023
«Heute ist es höchste Zeit, dass der Journalismus nicht bloss apokalyptische Szenarien zeichnet oder verharmlost, sondern zu vernünftigen Entscheiden ermächtigt.» Das schrieben wir im Januar zur Lancierung des Klimalabors.
Wir haben uns damals aufgemacht, herauszufinden, was denn das genau ist: Journalismus, der uns in der Klimakrise wirklich weiterbringt. Mit dem Klimalabor haben wir einen Ort für Austausch und Experimente geschaffen – weil wir überzeugt waren (und sind!), dass wir richtig gute Antworten nur finden, wenn wir möglichst viele Stimmen und Perspektiven einbeziehen.
Acht Monate später sind wir am Ende dieser Erkundungen angekommen. Zeit, festzuhalten, was wir unterwegs gelernt haben. Und was nun die Basis dafür ist, wie wir Journalismus zur Klimakrise voranbringen wollen.
1. Der Bedarf nach Austausch ist gross
Über 7500 Menschen haben am Klimalabor mitgewirkt, die Liveveranstaltung in Zürich war bis auf den letzten Platz besetzt, zu unseren Online-Events haben sich fast tausend Menschen angemeldet. Und auch in Hunderten persönlichen Rückmeldungen und Gesprächen kam immer wieder zum Ausdruck: Viele Menschen wünschen sich Austausch mit anderen, die sich Sorgen machen, mit anderen, die etwas unternehmen wollen, die inspirieren oder von denen man etwas lernen kann. Und doch ist das nur die halbe Wahrheit.
Was ist denn Austausch? Austausch ist kein Selbstzweck. Wenn wir versucht haben, Austausch anzuregen, ohne dass es einen guten inhaltlichen Grund dafür gab, hat das nicht funktioniert. Funktioniert hat es dann, wenn wir im richtigen Moment den Raum geboten haben, in dem gehaltvoller Austausch und kontroverser Dialog möglich waren – sei es eine Diskussion über «Klimakleber» oder seien es Gespräche über Sorgen, Wünsche im kleinen Rahmen.
Es ist nicht unsere Rolle, als Animateure für Austausch zu sorgen. Sondern Räume zu schaffen und wo nötig als unabhängige Kraft zu moderieren. Das kann Journalismus nämlich auch: Menschen zusammenbringen, die sich nicht einig sind, aber die Lust haben, sich mit anderen Meinungen auseinanderzusetzen.
2. Der Bedarf nach Zuversicht ist gross
Ein zweites Bedürfnis, das sich in unserer Auswertung als zentral herauskristallisiert hat, ist das nach Zuversicht. Paraphrasiert aus unzähligen Rückmeldungen: «Die Krise ist überwältigend. Ich benötige Gründe, trotz allen schlechten Nachrichten zuversichtlich in die Zukunft zu blicken.»
Das zeigt sich auch darin, dass jene zwei Texte, auf die wir immer wieder angesprochen werden, genau dies zum Thema hatten: Daniel Grafs Essay «Ja, Zukunftslust, verdammt!» und der Gastbeitrag von Rebecca Solnit mit der Erinnerung: «Die Zukunft ist noch nicht entschieden, weil wir sie jetzt entscheiden.»
Wie mit dem Austausch ist es mit der Zuversicht aber nicht ganz einfach.
Die Aufgabe des Journalismus ist es nicht, wie eine Seifenblasenmaschine Zuversicht in die Welt zu blasen. Guter Journalismus versucht immer Realität abzubilden – und die Realität stimmt selten nur zuversichtlich.
3. Zuversicht vermitteln ist richtig anstrengend
Sosehr wir daran glauben, dass es richtig und zielführend ist, der Klimakrise mit Zuversicht zu begegnen – einfach ist das nicht. Die Klimaerwärmung sorgt weltweit für Zerstörung und Leid, Gegenmassnahmen kommen vielerorts nur sehr schleppend voran, statt ernsthafter Debatten dominiert immer mehr der Kulturkampf.
Einerseits fällt es uns ganz persönlich mitunter schwer, nicht zu resignieren. Und auf professioneller Ebene sind da immer wieder Zweifel: Ist diese zuversichtliche Grundhaltung die richtige, vermitteln wir kein Zerrbild? Laufen wir damit Gefahr, zur Karikatur zu werden? Wie der berühmte Cartoon-Hund, der im brennenden Wohnzimmer Kaffee trinkt und «Alles ist gut» sagt?
Gestartet sind wir mit einer unverrückbaren Prämisse: «Die Klimakrise ist hier. Die Lage ist ernst.» Sie bleibt auch ein Reminder an uns selbst: Wir werden nirgendwo Zuversicht herbeifantasieren, wo keine angebracht ist. Wir werden keine netten Good News zelebrieren. Aber wie bei jeder existenziellen Krise gibt es nur einen Weg zur Besserung: ihr schonungslos ins Auge blicken. Und dann nach Lösungen suchen, neugierig und kritisch.
4. Eine Vielfalt an Menschen erreicht man nur mit einer Vielfalt an Zugängen
Natürlich sagt niemand: Wir möchten mit diesem neuen Projekt exakt die gleichen Leute ansprechen, die wir bisher schon angesprochen haben.
Aber neue Zielgruppen zu erreichen, ist gar nicht so einfach.
Neben zahlreichen Artikeln und Möglichkeiten, online zu diskutieren, gab es bei uns:
Eine virtuelle Zeitreise. Einen Live-Event mit Publikum auf der Bühne. Einen öffentlichen Fragebogen. Online-Veranstaltungen speziell für Berufsanfänger und für Eltern. Kleine Gesprächsrunden mit ausgewählten Teilnehmenden. Und zuletzt ein gedrucktes Sonderheft.
Das ist alles nicht überaus innovativ. Aber vielfältig genug, um jedes Mal Menschen zu aktivieren, die sich sonst nicht angesprochen gefühlt hatten. Darum geht es letztlich: interessierte Menschen an den Rändern der bestehenden Community andocken lassen und so für organisches Wachstum sorgen. Keine komplett neuen Zielgruppen angehen, die wenig Bezug zur bestehenden Leserschaft und Community haben. Es ist vermutlich kein Zufall, dass beim Online-Event für Berufseinsteigerinnen nur sehr wenige Teenager dabei waren – da fehlten ein paar Zwischenschritte.
5. Kulturkampf und Dogmatismus töten die Debatte
Die vergangenen Wochen und Monate zeigen beispielhaft, dass die Debatten um die Klimakrise und mögliche Lösungen in eine neue Sphäre vorstossen. Sie werden hitziger, feindseliger und damit unproduktiver. In den medialen und politischen Auseinandersetzungen treffen Positionen aufeinander, die kaum mehr zu versöhnen sind. Und allzu oft haben genau jene am wenigsten zu sagen, die am lautesten brüllen und am meisten Aufmerksamkeit erhalten.
Was kann guter Journalismus dagegen unternehmen? Er sollte nach jenen Menschen und Stimmen Ausschau halten, die einerseits die Dringlichkeit und die Komplexität der Krise anerkennen, bei der Frage nach den richtigen Lösungen aber undogmatisch und stets neugierig bleiben. Sprich: mit einer undogmatischen Grundhaltung das Visier so weit wie möglich öffnen, niemanden ausschliessen, der oder die offen für neue Perspektiven ist und an einer konstruktiven Debatte interessiert ist.
Das Mittel gegen Kulturkampf? Freundlichkeit, Fröhlichkeit, Demut, Offenheit und viel Frustrationstoleranz.
6. Der ergebnisoffene Ansatz war eine (notwendige) Überforderung für alle
«Was macht ihr hier eigentlich mit diesem Klimalabor? Werdet endlich konkret!» So und ähnlich haben wir das immer wieder gehört, von allen Seiten – nicht zuletzt von den Stimmen in unseren eigenen Hinterköpfen.
Ein solch langer, ergebnisoffener Prozess ist eigentlich eine Zumutung.
Man baut eine riesige Projektionsfläche auf, bezieht Menschen ein, verlangt ihnen viel Geduld ab. Ständig muss man seine eigene Ungeduld zügeln, interessierte Kolleginnen auf später vertrösten. Geldgeber und Stiftungen wimmeln einen ab: Kommt wieder, wenn ihr mehr wisst.
Und fortwährend die bange Frage: Ginge das alles nicht auch einfacher?
Bestimmt. So wie man sich ein Hörbuch mit doppelter Geschwindigkeit anhören kann.
Unser Fazit: Wir würden es wieder so machen. Es ist eine Überforderung. Aber eine notwendige, um wirklich zu verstehen, wohin die Reise gehen soll.
7. Die Bereitschaft, mitzuhelfen, ist gross
Das Gute an der ergebnisoffenen, partizipativen Herangehensweise: Es ist eine Einladung, mitzuhelfen, zu kooperieren.
Wir profitieren davon, dass die Republik seit ihrer Gründung das Miteinander von Redaktion und Community kultiviert. Doch beim Klimalabor haben auch viele Menschen mitgewirkt, die davor nicht Teil der Republik-Community waren. Viele haben uns erstmalig kontaktiert, weil sie ihre Unterstützung anbieten wollten.
Im Klimalabor bestätigte sich auch, was wir aus verschiedenen Studien wissen: Viele wollen besseren Journalismus zur Klimakrise nicht für sich selbst, sondern vor allem für andere. Damit mehr Menschen sensibilisiert und mit guter, nützlicher Information versorgt werden. Wir können unseren Teil leisten – indem wir solchen Journalismus herstellen und Räume schaffen, wo Austausch darüber stattfinden kann. Es braucht aber auch Menschen, die diese Arbeit hinaustragen an Orte, wo wir selbst nicht hinkommen, und Leute zu uns führen, die von allein nicht kommen würden.
Das Interesse, mitzuhelfen, war und ist gross. Leider konnten wir nur auf einen Bruchteil davon wirklich eingehen und haben damit auch einige Unterstützungswillige enttäuscht.
8. Echten Wandel gibt es nur disziplinenübergreifend
Die Klimakrise ist nicht einfach ein Thema unter vielen, es ist eine Dimension, die in allen Bereichen der Berichterstattung mitgedacht und vermittelt werden muss – im Sport, in der Wirtschaft, in der Kultur. Also lässt sich besserer Journalismus zur Klimakrise auch nicht im Silo entwickeln.
Sobald es darum ging, aus allen Erkenntnissen und Rückmeldungen abzuleiten, was das nun für uns heisst, haben wir ein Team aus (fast) allen Bereichen der Republik zusammengestellt, mit Leuten aus der Redaktion, der Produktentwicklung, der Bildredaktion, dem Audio- und dem Tech-Team.
Damit haben wir nicht nur viele neue Perspektiven dazugewonnen, sondern waren auch gezwungen, viele Annahmen nochmals zu hinterfragen und sauber zu begründen.
Und jetzt?
Mit dieser Bilanz schliessen wir die Erkundungsphase des Klimalabors ab.
Vielen, vielen Dank allen, die bis hierhin mitgewirkt haben.
Wir werden uns in den kommenden Monaten darum bemühen, all die gewonnenen Erkenntnisse nicht nur für uns selbst zu nutzen, sondern mit allen zu teilen, die von unserer Vorarbeit profitieren möchten – in der Medienbranche und darüber hinaus.
Nun gilt der Fokus erst einmal ganz der Lancierung des ersten Produkts – unsere Antwort auf die Frage, die wir mit der Klimalabor-Community gemeinsam ausgelotet haben: Wie sollte Journalismus aussehen, der uns in der Klimakrise weiterbringt? Im Spätherbst geht es los. Sie hören bald wieder von uns.
Einige Highlights aus dem Klimalabor
Für einen Journalismus, der in der Klimakrise einen Unterschied macht
Seit 50 Jahren berichten die Medien über die Klimakrise. Es ist höchste Zeit, dass der Journalismus zu vernünftigen Entscheiden ermächtigt.Von Elia Blülle, 10.01.2023
Ja, Zukunftslust, verdammt!
Utopie oder Dystopie? Falsche Frage. Doch für einen Klimadiskurs berechtigter Hoffnung kommt es tatsächlich auf unsere Erzählungen an.Von Daniel Graf (Text) und María Jesús Contreras (Illustration), 14.02.2023
«Wir können eine globale Katastrophe abwenden»
Verschiedenste Persönlichkeiten, die sich seit Jahren mit dem Klima beschäftigen, haben wir gefragt: Was wünschten Sie, würden alle über die Klimakrise verstehen?Von David Bauer, Elia Blülle, Theresa Leisgang, Felix Michel, Jeremy Stucki und Anna Traussnig (Konzept und Umsetzung), 04.04.2023
Wir haben kein Recht, vor der Klimakrise zu kapitulieren
Menschen, die gegen Flut und Feuer kämpfen, können es sich nicht leisten, die Hoffnung zu verlieren. Warum also sollten wir das tun?Von Rebecca Solnit (Text), Tobias Haberkorn (Übersetzung) und Greta Rybus (Bilder), 16.01.2023
Der Solarfreund vom Simmental
Der Bergbauer Christian Haueter kämpfte einst gegen die Verschandelung der Natur. Jetzt will er in der erzkonservativen Region eine riesige Solaranlage in die Hänge bauen. Kann das gut gehen?Von Elia Blülle (Text) und Joan Minder (Bilder), 16.06.2023
Das schädlichste Denkverbot in der Klimadebatte? Das Verbot
Die Rezepte der Liberalen in der Klimapolitik haben zwei Probleme. Sie funktionieren nicht. Und: Sie sind nicht liberal.Von Elia Blülle (Text) und Niklas Wesner (Illustration), 23.05.2023
«Wir brauchen den Klimanotstand»
Die Strassenblockaden von Klimaaktivistinnen sorgen für Ärger. Warum tun sie das und wie weit sind sie bereit zu gehen?Ein Interview von Elia Blülle, Carlos Hanimann (Text) und Goran Basic (Fotos), 29.04.2023
«Ich wollte schon immer erzählen, wie wir trotz Klimakrise eine bessere Welt erschaffen können»
Der Schriftsteller Kim Stanley Robinson ist ein Vorreiter der Klimafiktion. Er findet, dass die Klimaaktivistinnen lieber Reifen aufschlitzen sollten, als sich auf die Strasse zu kleben.Ein Interview von Elia Blülle, 10.02.2023
Klimafreundliche Grüsse aus der Zukunft
«Die Veränderungen zum Guten kamen zum Glück exponentiell», aber auch: «Sehenden Auges in den Abgrund: warum nur?» Wir haben unsere Leserinnen auf eine virtuelle Zeitreise ins Jahr 2083 geschickt.Von Hunderten Klimalabor-Zeitreisenden, 18.01.2023
«Ich freue mich auf die Zukunft, die wir gerade erschaffen»
Christiana Figueres war die treibende Kraft hinter dem letzten grossen klimapolitischen Durchbruch. Sieben Jahre nach dem Pariser Klimaabkommen ist sie hoffnungsvoller denn je.Ein Interview von David Bauer, 10.01.2023
15 Fragen zum Klima – Ihre Antworten
Können Sie einer Fünfjährigen die Klimakrise erklären? Worauf schaffen Sie es nicht zu verzichten, obwohl Sie wissen, dass es für das Klima besser wäre?03.03.2023
Sie lieben Fleisch und Käse? Das lässt sich ändern
Wie wir lernten, Essen zu mögen, das wir früher verschmäht hatten. Eine Entdeckungsreise mit einer der besten veganen Köchinnen der Schweiz.Von Elia Blülle, Marie-José Kolly (Text) und Marvin Zilm (Bilder), 18.03.2023
Ein Gespräch über das Verhältnis von Klimakrise und Justiz
Rentnerinnen aus der Schweiz wollen den Klimaschutz juristisch durchsetzen. Aber ist das nicht Sache der Politik? Nein, sagt Klimaanwältin Roda Verheyen.Von Daniel Graf und Brigitte Hürlimann, 10.03.2023
Wie wir die Ozonschicht repariert haben
Die grösste ökologische Erfolgsgeschichte der Menschheit wird leider viel zu selten erzählt. Was lernen wir daraus für die Klimakrise?Von Hannah Ritchie (Text), Andreas Bredenfeld (Übersetzung) und Qianhui Yu (Illustration), 23.01.2023
Die komplette Übersicht zu allem, was in der Erkundungsphase gelaufen ist, finden Sie auf der Übersichtsseite des Klimalabors.