«Ich wollte schon immer erzählen, wie wir trotz Klimakrise eine bessere Welt erschaffen können»
Der Schriftsteller Kim Stanley Robinson ist ein Vorreiter der Klimafiktion. Er findet, dass die Klimaaktivistinnen lieber Reifen aufschlitzen sollten, als sich auf die Strasse zu kleben.
Ein Interview von Elia Blülle, 10.02.2023
Wie weitermachen, wenn die Welt kurz vor dem Kollaps steht? Das ist die Art von Fragen, die sich der Schriftsteller Kim Stanley Robinson gerne stellt.
Der 70-jährige Amerikaner schreibt Science-Fiction: Romane, die in der Zukunft spielen, Geschichten über die düsteren Probleme, die auf uns warten. Vor allem aber schreibt Robinson über deren Lösungen.
2020 hat der Erfolgsautor «Das Ministerium für die Zukunft» veröffentlicht. Der ehemalige US-Präsident Barack Obama feierte das Buch als eine seiner Lieblingslektüren, und als der Schweizer Politiker Paul Rechsteiner diesen Winter nach 36 Jahren aus dem Parlament zurücktrat, verschenkte er es Kollegen. Christiana Figueres, die Uno-Diplomatin und Mutter des Pariser Klimaabkommens, hörte sich den Roman in ihrem Garten an und weinte.
Die Geschichte spielt in der nahen Zukunft: Sie beginnt im Jahr 2025 mit einer schrecklichen Hitzewelle in Indien, bei der Millionen Menschen sterben, und endet 2053, als der CO2-Gehalt in der Atmosphäre zu sinken beginnt. Dazwischen erzählt Robinson, wie Hunderte Millionen Menschen sterben oder flüchten müssen und eine in Zürich beheimatete Behörde von den Vereinten Nationen den Auftrag bekommt, die schlimmsten Folgen der Klimakrise für die Menschen und die Tiere abzumildern. Mit Erfolg.
Die Republik hat Kim Stanley Robinson online zum Gespräch getroffen – und erst einmal da begonnen, wo er herkommt: in der Vergangenheit.
Herr Robinson, was wollten Sie werden, als Sie 15 Jahre alt waren?
Ich stritt damals viel mit meiner Mutter, darum wollte sie, dass ich Anwalt werde.
Und Sie?
Nicht Anwalt! Ich hatte doch in diesem Alter keine Pläne. Ich alberte herum, las ständig, vor allem historische Romane. Mich hat immer interessiert, was die Menschen im Laufe der Zeit auf diesem Planeten so gemacht haben.
Wünschten Sie sich damals, Sie wären in eine andere Zeit geboren worden?
Ich wuchs in den 1950er- und 1960er-Jahren in einer Vorstadt im Süden von Los Angeles auf. Es war steril, langweilig, repetitiv. Keine Theater, keine Konzertsäle. Nur weisse Menschen – alles Arbeiter, die ihren langweiligen Mittelklassearbeiten nachgingen. Die einzige Kultur, die es gab, war das konventionelle, bürgerliche Zeugs: Pfadfinder, Strandausflüge, Sport, Sport, Sport. Fast jede andere Zeit, fast jeder andere Ort schien mir interessanter als das.
Zum Beispiel?
Ich hätte auf dem Mars oder dem Jupiter sein wollen.
Über den Mars schrieben Sie dann in den 1990er-Jahren auch die preisgekrönte Mars-Trilogie. Kamen Sie so zum Thema der globalen Klimaerwärmung?
In der Mars-Trilogie geht es darum, wie die Menschen den Mars künstlich in einen Planeten verwandeln, auf dem man im Kurzarmhemd spazieren kann. Geoengineering, also die bewusste Manipulation von Klimasystemen, bereitete einigen Wissenschaftlern bereits damals Sorge, darum besuchte ich mit ihnen die Antarktis. Sie berichteten da auch von der Klimaerwärmung, dem Meeresspiegel, der um Dutzende Meter ansteigen würde, wenn sich der Planet weiterhin unkontrolliert erwärmte und alles Eis schmölze. Ich fragte: Stimmt das wirklich? Ja, antworteten sie mit grosser Entschiedenheit. Da realisierte ich: Das wird alles verändern.
Auch Ihr Schreiben?
Mich interessiert Science-Fiction, die in der nahen Zukunft spielt. Geschichten, die hochspekulativ sind, aber an die gegenwärtige Realität anknüpfen. Mir wurde bewusst: Wenn ich weiterhin diese Art von Science-Fiction schreiben möchte, dann komme ich nicht darum herum, über die Klimaerwärmung zu schreiben. Sonst wären meine Bücher trivial.
Was kann diese Science-Fiction, was andere Erzählungen nicht können?
Versetzen Sie sich für einen Moment in die nähere Zukunft, sagen wir ins Jahr 2141. Was passiert? Sie schauen zurück, nerven sich über die vergangene Zeit, lachen vielleicht. Sie blicken auf Ihre eigene Gegenwart, so wie Sie heute in einem Museum auf die Viktorianer oder Wilhelm Tell zurückschauen würden. Man fühlt sich dabei überlegen, weil man lebt und die anderen tot sind; weil man Dinge weiss, die die anderen damals nicht wussten; weil sie Fehler begingen, die in Zukunft offensichtlich sind. Wenn Sie dann wieder aus dem Jahr 2141 in die Gegenwart zurückkehren, dann werden Sie verstehen, dass auch Sie Teil eines historischen Prozesses sind, an den man sich später erinnern wird und den Sie mit Ihren Handlungen beeinflussen.
Science-Fiction hilft uns also zu verstehen, welche Geschichte wir gerade schreiben und wie man sie womöglich einmal beurteilen wird?
Genau. Und die Erderwärmung wird den Lauf der Menschheitsgeschichte bestimmen. Weil es diese Gewissheit gibt, sollte alle Literatur, die sich mit der Welt in der nahen Zukunft befasst, zwangsläufig auch Klimafiktion sein.
2020 haben Sie mit Ihrem Roman «Das Ministerium für die Zukunft» eine Klimafiktion veröffentlicht, die schon heute ein Klassiker ist.
Ich wollte schon immer erzählen, wie wir trotz Klimakrise eine bessere Welt erschaffen können. Das Buch sollte eine Utopie sein. Eine, an die man glauben kann. Die Idee habe ich schon lange mit mir rumgetragen. Ich machte mich aber erst an die Arbeit, als ich von der Wet-bulb-Temperatur gelesen hatte.
Können Sie die Wet-bulb-Temperatur erklären?
Ungefähr 2017 habe ich mich erstmals ausführlich damit befasst. Die Wet-bulb-Temperatur misst die Lufttemperatur in Kombination mit der Luftfeuchtigkeit. Ab einer Wet-bulb-Temperatur von 35 Grad Celsius sterben Menschen, weil wir die Körpertemperatur nicht mehr über den Schweiss regulieren können. Die innere Hitze steigt und steigt, bis die Organe versagen.
Man wird innerlich gekocht.
Ohne Elektrizität und Klimaanlagen haben Sie keine Chance. Selbst eine verhältnismässig tiefe Lufttemperatur unter 35 Grad ist in Kombination mit extremer Feuchtigkeit tödlich. Als ich das las, realisierte ich, dass sich die Menschen vielerorts nicht einfach an die Klimaerwärmung anpassen können, wie das vielfach suggeriert wird. Erreicht die Wet-bulb-Temperatur 35 Grad, werden grosse Teile der Erde – die Tropen und der Südosten der Vereinigten Staaten – nicht mehr wirklich bewohnbar sein. Die Menschen werden sie verlassen müssen.
Im Einstiegskapitel von «Das Ministerium für die Zukunft» sterben in Indien Millionen Menschen, weil die Wet-bulb-Temperatur die 35-Grad-Marke für einige Tage überschreitet. Die Szene ist brutal. Ich habe erst bei dieser Lektüre emotional begriffen, was die Klimakrise bedeutet – obwohl ich mich seit Jahren mit der Erderwärmung beschäftige.
Wenn Sie einen Roman lesen, begeben Sie sich in den Kopf eines anderen Menschen. Sie reisen in eine andere Zeit, an einen anderen Ort. Man kann in Büchern darüber lesen, wie es ist, ein Mönch im mittelalterlichen Europa zu sein oder ein Zenturio in Rom oder ein Astronaut auf den Monden des Jupiters. Als Leser tut man etwas sehr Kreatives – anders als bei Filmen, journalistischen Texten oder Studien. Man muss viel geistige Arbeit leisten, um die Worte im eigenen Kopf zum Leben zu erwecken. Sie erleben wirklich etwas. Sie leben ein anderes Leben – für eine, für zwei Wochen. Und dann kommen Sie zurück und wissen Dinge, die Sie vorher nicht wussten.
Ich erkenne den Reiz von Science-Fiction, um die Klimakrise emotional näher erscheinen zu lassen. Aber ich sehe auch grosse Gefahren.
Klar. Es gibt Zukunftserzählungen, die sind so dystopisch, dass sie jede Anstrengung in der Gegenwart verunmöglichen. Viele junge Leute lassen sich dann entmutigen und sagen: Da kann ich mich genauso gut in mein Handy flüchten, in eine Fantasiewelt, denn in der realen Welt sind wir erledigt. Oder man landet mit zu einfachen, zu wenig ambivalenten Zukunftserzählungen beim «grausamen Optimismus»: wenn man sagt, es werde schon alles irgendwie gut, wir könnten uns schon irgendwie anpassen.
Der technologische Fortschrittsglaube von Leuten wie Elon Musk ist stark beeinflusst von Science-Fiction. Einige Silicon-Valley-Tech-Boys propagieren die Idee, man müsse einfach nur eine neue Wundertechnologie erfinden und die Krise habe sich erledigt.
Wir hätten alle gerne eine einfache Lösung für komplexe Probleme. Aber die Welt ist nicht einfach. Ich habe mehrere von diesen Leuten getroffen. Diese Silicon-Valley-Typen kommen oft aus dem Ingenieurwesen, sind in Geschichte, politischer Theorie und Wirtschaft schlecht ausgebildet. Fast alles Männer. Allein das ist schon verdächtig. Die Kombination von patriarchaler Männlichkeit, Reichtum und Arroganz lässt solche Leute glauben, alle Probleme der Welt selbst lösen zu können. Aber viel interessanter als diese Typen ist eigentlich ihre Vorstellung, alles sei Technologie. Das ist aber nur wahr und richtig, wenn man auch Kultur oder Gesetze als Technologie betrachtet. Sprache ist zum Beispiel nichts anderes als Software. Das sind letztlich die wirklich mächtigen Technologien.
Eine andere Gefahr von Science-Fiction-Utopien: Lebt man mit dem Kopf ständig in der Zukunft und unterhält man sich ständig nur über Dinge, die eines Tages geschehen sollten, ist das auch eine Form von Realitätsflucht.
Wenn die utopischen Zukunftsträume nicht an die Gegenwart geknüpft sind, dann landen wir wieder beim grausamen Optimismus, bei dem alles auf wundersame Weise von selbst gut wird. Die wenigsten Menschen könnten sich aber einen solchen Optimismus überhaupt leisten. Vielleicht zehn Prozent der Menschheit haben die Zuversicht, dass es ihnen und ihren Kindern einmal gut gehen wird – unabhängig davon, wie sich die Welt verändert. In der Schweiz und in den Ländern Nordeuropas kann man damit rechnen, im Alter versorgt zu sein. Die restlichen neunzig Prozent müssen jederzeit damit rechnen, dass sie ihre Gesundheit, ihr Zuhause, ihre Ersparnisse verlieren. Sie leben im Prekariat. In der neoliberalen Ausprägung des Kapitalismus gibt es keine Sicherheiten.
Das ist zu negativ: In den vergangenen 30 Jahren konnten sehr viele Menschen der Armut entfliehen – auch dank dem Kapitalismus.
Viele Menschen wurden aus schrecklicher Armut befreit – aber nicht genug. Die globale Ungleichheit hat 40 Jahre lang massiv zugenommen. Die Verfechter des neoliberalen Kapitalismus verteidigen diese Ungleichheit und sagen, wenn die Reichen reicher werden, geht es den Ärmeren auch besser. Das ist nicht wahr. Wenn das Hauptziel des Neoliberalismus darin bestünde, das Elend zu begrenzen, sodass alle ein würdevolles Leben führen könnten, würde die Ungleichheit abnehmen. Tut sie aber nicht. Die vermögendsten Menschen haben tausendmal mehr Geld als alle anderen und verhalten sich auf diesem Planeten wie Götter, wie Idioten-Götter. Das ist Feudalismus. Am Weltwirtschaftsforum in Davos sagen alle: O mein Gott, wir haben so viele Menschen aus der Armut geholt. Nein. Die Wissenschaft hat sie aus der Armut geholt – und eine winzige Minderheit hat die wirtschaftlichen Erträge gekapert.
Sie fordern eine bessere Verteilung von Ressourcen zur Bekämpfung der Klimakrise. In der Utopie Ihres jüngsten Buchs aber werden Länder wie Saudiarabien dafür bezahlt, kein Erdöl mehr zu verkaufen.
Europa und die USA haben den Rest der Welt jahrhundertelang ausgebeutet und ihn später ohne Infrastruktur, mit schlechter Regierungsführung in Armut zurückgelassen. Viele dieser Nationen haben nichts anderes zu verkaufen als ihre fossilen Brennstoffe, die sie selbst kontrollieren. Verbrennen wir das alles, wird die Welt gekocht und die Biosphäre kollabiert. Verbrennen wir nichts und kaufen wir keine Brennstoffe mehr, versinken diese Länder in Armut, ihre Gesellschaften brechen zusammen.
Also wollen Sie, dass wir diese Gesellschaften tatsächlich finanziell entschädigen?
Das wäre wahrhaftige ökologische Realpolitik in der Klimakrise. Es braucht internationale Kompensationen, damit diese Staaten ihr Erdöl, ihre Kohle, ihr Gas im Boden lassen. Sonst ist entweder die Welt am Ende – oder Venezuela, Nicaragua, Indonesien, die Golfstaaten, der Iran gehen bankrott und enden wie Somalia oder Syrien: als gescheiterte Staaten.
Saudiarabien und dem Iran Geld nachzuwerfen, ist doch ein schlechter Witz.
O ja. Es sieht aus, als würde man einen Erpresser bezahlen. Simpler Moralismus ist hier aber fehl am Platz. Die Menschenrechtsbilanz dieser Länder ist schrecklich, aber sie verkaufen nun mal ein Produkt, das im Boden bleiben muss. Und sobald diese Länder Geld von der internationalen Gemeinschaft annehmen, werden sie auch deren Bedingungen akzeptieren müssen: kein Öl mehr zu fördern.
Mit solchen Vorschlägen machen Sie sich keine Freunde bei Klimabewegungen.
Wir haben alle fossile Brennstoffe in unseren Adern. Die Aktivisten verbrennen Benzin, um zu ihren Demonstrationen zu gelangen. Und am Abend, wenn sie nach Hause gehen, verbrennen sie noch mehr fossile Brennstoffe, um ihre Häuser zu heizen und ihr Essen zu kochen. Wir sind alle mitschuldig. Wir neigen dazu, Bösewichte, Helden und Schurken zu suchen. Das ist eine Art von vereinfachendem Moralismus, der uns nicht weiterbringt. Jeder Protest sollte im Bewusstsein erfolgen, dass wir alle im selben Boot stecken.
In Deutschland und der Schweiz drehen die Leute gerade komplett durch, weil sich einige Aktivistinnen auf die Strassen kleben.
Natürlich sollte es zivilen Widerstand geben: Die Leute sollen Reifen von Geländewagen aufschlitzen und vielleicht eines Tages sogar auch Pipelines in die Luft jagen, wie es der schwedische Autor Andreas Malm vorschlägt. Widerstand, der andere Menschen nicht körperlich verletzt, ist in dieser Krise legitim. Von den Strassenblockaden halte ich aber nichts. Denn man überzeugt Menschen, die glauben, keine Meinung zu haben, nicht, indem man sie wütend macht. Effektiver wäre es, wenn sich 500 Leute an die Türen grosser Schweizer Banken kleben würden, die in fossile Technologie und Brennstoffe investieren. Das hätte eine grössere Wirkung, als auf die Strasse zu liegen und gewöhnliche Menschen zu verärgern, die sich dann sagen: Diese dummen Hippies können mich mal.
Haben Sie jemals überlegt, sich selbst an eine Bank zu kleben?
Das würde viel Aufmerksamkeit erregen. Aber seit «Das Ministerium für die Zukunft» im Oktober 2020 erschienen ist, habe ich täglich über die Klimakrise gesprochen – oft zwei bis drei Zoom-Calls pro Tag. Ich sehe meine Aufgabe als öffentlicher Intellektueller und Romanautor darin, zu vermitteln, dass unsere Welt eine bessere werden könnte, falls wir jetzt die richtigen Schritte unternehmen. Klebte ich mich an die Bank, würde ich wohl verhaftet und Dutzende, wenn nicht Hunderte Möglichkeiten verpassen, vor Menschen zu sprechen. Was ist mehr wert? Ich denke, meine Auftritte.
Sie recherchieren seit 30 Jahren zur Klimakrise, zu möglichen Lösungen, und betonen immer wieder, wie wichtig es sei, dass es auf allen Ebenen zu Veränderungen komme. Haben Sie bei den Recherchen für Ihre jüngsten Bücher eigentlich noch etwas Neues gelernt?
Eine Idee, die mich umgehauen hat, ist der Plan, Wasser unter den Antarktis-Gletschern abzusaugen, um deren Schmelze zu verlangsamen. Das Wasser unter dem Gletscher erwärmt das Eis zusätzlich und beschleunigt so dessen Rückgang. Würde das Wasser aber an die Oberfläche gepumpt, gefröre es da wieder, weil es über dem Eis kälter ist. Als ich 2019 erstmals davon hörte, dachte ich, es handle sich um einen einzelnen Glaziologen, der diese Idee verbreitet. Aber es gibt eine ganze Bewegung von Wissenschaftlern, die sich ernsthaft mit dieser Strategie befasst. Es wäre fantastisch, könnten wir den Gletscherschwund verlangsamen und den Meeresspiegel so stabilisieren.
Das ist nun wirklich ziemlich utopischer Science-Fiction-Kram.
Klar. Eine solche Operation würde Hunderte Milliarden kosten, das Militär benötigen. Der Ölindustrie müsste man sagen, ihr dürft zwar kein Öl mehr aus dem Boden, dafür aber Wasser aus den Gletschern pumpen. Es bräuchte dafür dieselben Technologien. Darum fand ich diese Idee auch so interessant, und darum spielt sie auch eine wichtige Rolle in meinem Buch. Es kann gut sein, dass das nie funktionieren wird. Es gibt auch viele Glaziologen, die an dieser Idee zweifeln. Aber wir sollten doch zumindest darüber nachdenken.
Sie sind 70 Jahre alt. Was wollen Sie auf dieser Erde noch erleben?
Ich werde das Ende dieser Krise nicht mehr erleben, wie auch alle anderen, die heute auf diesem Planeten leben. Diese Geschichte wird einfach immer weitergehen und weitergehen und weitergehen. Wenn ich noch 15 Jahre habe, könnte es sein, dass ich in den späten 2030ern erlebe, wie alles auseinanderfällt: soziale Unruhen, Bürgerkriege, vielleicht geht hier oder da eine Atombombe hoch. Mit anderen Worten: Es ist möglich, dass ich noch miterleben werde, wie die Zivilisation zusammen mit der Biosphäre zerfällt.
Uff ...
Es gibt planetare Grenzen, die nicht einfach erfunden wurden, sondern existieren – und wir sind kurz davor, sie zu durchbrechen. Das ist eine existenzielle Krise. Ich wünsche mir, zu erleben, dass das alle verstehen.
Und glauben Sie, dass sich dieser Wunsch noch erfüllen wird? In «Das Ministerium für die Zukunft» nennen Sie die kommenden 2030er-Jahre die Zombie-Jahre.
Das würde ich heute nicht mehr so schreiben. Ein Satz aus dem Jahr 2019, ein Satz aus der Zeit vor der Covid-Pandemie. Die Pandemie war ein Schlag in unser Gesicht, der uns bewusst machte, dass die Biosphäre Menschen angreifen und töten kann, wenn wir zu ihr keine Sorge tragen. Ein Beweis dafür, dass wir auf einem einzigen Planeten mit einer einzigen Zivilisation leben. Mir war noch nicht klar, wie schnell diese Erfahrung die Dinge beschleunigen würde. Ich sehe heute – vor allem auch in den USA – hoffnungsvolle Entwicklungen. Die Realität hat meine eigene utopische Science-Fiction-Erzählung in gewissen Aspekten bereits überholt.