Die Gründe für das Nein zum Mediengesetz – und wie es jetzt weitergeht
Die Stimmbürgerinnen haben den Ausbau der staatlichen Medienförderung abgelehnt. Nächstes Ziel der Gegner: die SRG.
Eine Analyse von Dennis Bühler (Text) und Elena Xausa (Illustration), 14.02.2022
Keine Onlineförderung, kein Ausbau der indirekten Presseförderung, kein Geld für die Frühzustellung: 54,6 Prozent der Stimmbevölkerung haben das Massnahmenpaket zugunsten der Medien abgelehnt. Was sind die Gründe dafür? Was heisst das Resultat für die Zukunft der Medienbranche? Und worauf muss sich die Bevölkerung nun einstellen?
Der Reihe nach.
1. Das Parlament schuf einen unbrauchbaren Kompromiss
Hauptgrund für das Scheitern ist die Vorlage selbst: Sie war ausgesprochen schlecht.
Oder in den Worten von Politologe Claude Longchamp: «In diesem vom Parlament angerührten Potpourri war kein Konzept zu erkennen.»
Ursprünglich war das Paket ausgewogen gewesen: Der Bundesrat sah je 20 bis 30 Millionen Franken vor für den Ausbau der indirekten Presseförderung, für eine neue Onlineförderung und für Massnahmen, die der gesamten Branche zugutegekommen wären. Das Parlament aber blähte die Vorlage auf, bis sie aus der Balance geriet. So baute es die indirekte Presseförderung unter Federführung von FDP und Mitte stark aus, obwohl der Bundesrat diese «Giesskannensubvention» in den letzten Jahrzehnten mehrfach als «ineffizient» bezeichnet hatte. Mit der Folge, dass sich die diversifizierten und deshalb hochprofitablen Medienverlage TX Group, CH Media und Ringier zu den grössten Nutzniessern der Vorlage emporschwangen.
Parlamentarier aller Fraktionen verhielten sich in der Medienpolitik in den letzten zwei Jahren, als wären sie auf einem Basar. Sie überboten sich mit Geschäften und Gegengeschäften, was sich dann in etwa so anhörte: «Wenn du Ja sagst zur Onlineförderung, sage ich Ja zur Subventionierung der Sonntagszustellung, auch wenn ich sie eigentlich als unnötig erachte.» Am Ende konnten mit Ausnahme der SVP alle Parteien einigermassen mit dem geschnürten Paket leben, auch wenn niemand restlos begeistert davon war.
Doch dann ergriffen rechtsbürgerliche Medienschaffende sowie die «Freunde der Verfassung» das Referendum. Damit wurde der realpolitische Kompromiss, der nötig war, um das Paket durchs Parlament zu bringen, plötzlich zum entscheidenden Nachteil.
Im Parlament hatte folgende Überlegung dominiert: Je mehr Profiteure, desto weniger Gegner. Im Kampf um die Gunst der Stimmbevölkerung aber war der Effekt nun gegenteilig: Jeder zusätzliche Profiteur bot zusätzliche Angriffsfläche.
In dieser Hinsicht erinnerte die Medienvorlage an das CO2-Gesetz, das 2021 an der Urne Schiffbruch erlitt: Die Thematik war ähnlich komplex, und alle, die wollten, fanden im Medien-Massnahmenpaket Punkte, die sie als störend empfanden. Rechte ärgerten sich, dass linke Onlineportale wie «Bajour» oder «Tsüri.ch» gefördert worden wären, während sich Linke erbosten, dass die TX Group profitiert hätte, obwohl sie Dividenden in Millionenhöhe an ihre Aktionäre ausschüttet.
Kurzum: Die Vorlage war nicht darauf ausgerichtet, eine Volksabstimmung zu überstehen.
2. Das Ja-Lager hat den Abstimmungskampf verschlafen
«Der politische Prozess war eine Zangengeburt», sagt Mitte-Nationalrat Martin Candinas, einer der wichtigsten Befürworter. Schuld am Geknorze sei in erster Linie die Medienbranche selbst. «Eine derart zerstrittene Truppe habe ich nie zuvor erlebt. Es dauerte sehr, sehr lange, bis sie merkte, dass es an der Zeit wäre, Einheit zu demonstrieren und sich gemeinsam für ihre Ziele einzusetzen.»
Tatsächlich war es in den letzten zwei Jahren zu tiefen Verwerfungen gekommen: Der Chef der «Freiburger Nachrichten», selbst Präsidiumsmitglied des Verlegerverbandes, warf seinen Kolleginnen «Kakofonie» vor und gründete kurzerhand die «Interessengemeinschaft kleine und mittlere Verlage», weil er seine Ziele nicht mehr repräsentiert sah; mit Ringier verzichtete ein Grossverlag auf die zuvor mit Pauken und Trompeten angekündigte Rückkehr in den Verlegerverband; und mit Konsumenteninfo («K-Tipp» und «Saldo») trat jüngst ein weiterer Verlag aus Protest aus. Die Diskussionen um die staatliche Medienförderung waren eine einzige Zerreissprobe.
Entsprechend geschwächt und unvorbereitet startete das Ja-Lager in den Abstimmungskampf. «Anders als bei Behördenvorlagen üblich, lag das Nein-Lager von Anfang an in Führung», sagt Politologe Longchamp.
Die Fehler liegen nicht Wochen, sondern Monate zurück. «Die Befürworter haben zu wenig Aufklärungsarbeit geleistet», sagt Mark Eisenegger, Leiter des Forschungszentrums Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich. «Sie haben es verpasst, frühzeitig und glaubwürdig aufzuzeigen, mit welch gigantischen Herausforderungen der Journalismus derzeit zu kämpfen hat.» Dieses Versäumnis sei umso unbegreiflicher, als Umfragen längst gezeigt hätten, dass sich die Mehrheit der Bevölkerung der negativen ökonomischen Entwicklung des Journalismus gar nicht bewusst sei – 54 Prozent der Schweizerinnen sind «überhaupt nicht» bis «wenig» besorgt über die finanzielle Situation der Medien.
Und solange ihr Leibblatt noch gedruckt wird, stellt aus der Sicht der meisten Konsumenten auch die schwindende Medienvielfalt kein Problem dar.
Dazu kommt: Vielen Menschen fehlt es am Verständnis, dass die Herstellung von gutem Journalismus teuer ist, und an der Bereitschaft, dafür zu zahlen. «Kein Wunder», sagt Mitte-Präsident Gerhard Pfister. «Wieso sollte man den Eindruck erhalten, für Journalismus bezahlen zu müssen, wenn man sich den ganzen Tag über vielfältig und aktuell auf privaten Gratisportalen wie 20Minuten.ch, Watson.ch und Blick.ch sowie auf dem gebührenfinanzierten SRF.ch informieren kann?»
Als der Verlegerverband seine Abstimmungskampagne im Dezember dann doch noch lancierte, tat er das mit einem Plakat, auf dem der Nationalheld Wilhelm Tell zu sehen ist, wie er mit einer zusammengeknüllten Zeitung eine Wand zerschlägt, auf der «Fake News» geschrieben steht.
«Die Pro-Seite operierte mit einem abstrakten Narrativ», sagt Wissenschaftler Eisenegger. Zwar habe grundsätzlich recht, wer die Bedeutung der Medien für die Demokratie betone. «Doch damit erreichen Sie vielleicht das Bildungsbürgertum – bei der breiten Bevölkerung zieht diese Argumentation nicht.» Stattdessen hätten die Befürworterinnen konkret aufzeigen müssen, was bei einem Nein auf dem Spiel steht, «also wie viele Stellen abgebaut werden müssten, welche Medientitel verschwänden, welche Ressorts zusammengelegt würden».
3. Das Nein-Lager hat erfolgreich skandalisiert
Das feu sacré, das dem Verlegerverband und seinen Mitstreitern abging, loderte dafür bei den Gegnerinnen des Massnahmenpakets. Ihre Taktik war so simpel wie erfolgserprobt: skandalisieren, personalisieren, emotionalisieren.
An Silvester starteten sie furios in die entscheidende Phase: mit der Veröffentlichung einer Videoaufnahme, auf der Ringier-CEO Marc Walder seiner Belegschaft mitteilt, man wolle die Regierungen in der Pandemie unterstützen.
Mit dem Slogan «Keine Steuermilliarden für Medienmillionäre» zielte das Nein-Lager direkt auf Pietro Supino, Peter Wanner und Michael Ringier – die Chefs der drei grössten Schweizer Verlage.
Emotionen brachte das Referendumskomitee in den Abstimmungskampf, als sein Geschäftsführer Philipp Gut tatkräftig zur Eskalation einer vollends missglückten «Club»-Sendung beitrug.
Weil sie das Spiel mit der Aufmerksamkeitslogik so viel besser beherrschten, dominierten die Gegner den Abstimmungskampf nach Belieben. Permanent zwangen sie die Befürworterinnen, ihr Anliegen zu rechtfertigen – mit dem Ergebnis, dass diese nie aus der Defensive herausfanden.
«Die Pro-Seite agierte über weite Strecken hilflos», sagt Mark Eisenegger von der Universität Zürich. «Etwa, als das Referendumskomitee behauptete, 70 Prozent der geplanten staatlichen Medienförderung würden zu den Grossverlagen fliessen, ohne dafür eindeutige Belege zu präsentieren. Die Befürworter wussten dem selten etwas entgegenzusetzen.»
Anders als bei der im März 2018 hochkant gescheiterten No-Billag-Initiative blieb das Ziel der Gegnerinnen des Mediengesetzes vage. Während damals offenkundig war, dass die libertären Initianten und der Gewerbeverband auf die Zerschlagung des angeblichen Staatsmediums SRG zielten, blieb lange unklar, worum es Weigelt, Gut, Hug und Co. genau ging. Erst gegen Ende des Abstimmungskampfs zeichnete sich ab, dass der am rechten Rand der FDP stehende Männerclub eine Zunahme oder wenigstens Absicherung der gegenwärtigen Medienvielfalt verhindern will, weil dies seinem Ziel zuwiderläuft, mit rechtsbürgerlichem Kapital und Onlineportalen wie dem «Nebelspalter» und «Die Ostschweiz» eine mediale Dominanz aufzubauen.
Vor vier Jahren erhöhten die Medien den Druck auf die No-Billag-Unterstützerinnen so lange, bis diese darlegten, wie sich die SRG auch ohne Gebührengelder finanzieren könnte. Als sich ihr Plan B als unhaltbar erwies, wurde er in der Luft zerrissen.
Nun wurden die Gegner des Massnahmenpakets kaum je gefragt, wie sie sich die Finanzierung der regionalen Berichterstattung, langwieriger investigativer Recherchen und schlagkräftiger Onlineredaktionen vorstellen. Denn an eines hat man sich während der Pandemie gewöhnt: dass destruktive Kräfte politische Fundamentalopposition betreiben, ohne eigene Lösungen zu präsentieren.
4. Die Zivilgesellschaft blieb passiv
Im Vorfeld der No-Billag-Abstimmung im März 2018 wurde der Mediensektor mehrfach durchgeschüttelt:
Im Dezember 2017 übernahm Tamedia die Medienvermarkterin Goldbach.
Im Vorfeld der Abstimmung über das Massnahmenpaket zugunsten der Medien passierte: nichts.
Jedenfalls nichts, was die breite Bevölkerung in Wallung versetzt hätte – denn daran, dass Tamedia seine Redaktionen ausdünnt und fusioniert, wie es der Verlag 2021 in Bern und in Zürich tat, hat man sich längst gewöhnt.
Auch deshalb gab es dieses Mal anders als vor bald vier Jahren keine Diskussionen über den medialen Service public, keine vertiefte Debatte über die Bedeutung der Medien in einer direkten Demokratie.
Und die Zivilgesellschaft blieb fast völlig still: Keine Künstler, die sich für die Medienvielfalt eingesetzt, keine Sportlerinnen, die sich für ihr Lokalblatt starkgemacht hätten. Keine Fahnen, die aus den Fenstern gehängt worden wären.
Der Abstimmungskampf blieb seltsam flau.
Gegen die schliesslich von 71,6 Prozent der Stimmen abgelehnte No-Billag-Initiative mobilisierte ein eigens gegründetes Bündnis namens «Nein zum Sendeschluss», das mit einem Crowdfunding innert Kürze mehr als 1,5 Millionen Franken für die Nein-Kampagne sammelte. Während Monaten setzten sich die Stimmbürger sehr intensiv mit der Vorlage auseinander. Laut einer GFS-Umfrage gab es am Ende nur noch 2 Prozent Unentschlossene. «In dieser Deutlichkeit habe ich das noch nie gesehen», sagte Claude Longchamp damals.
Bei der Ende Januar durchgeführten letzten Umfrage vor dem gestrigen Urnengang hatten hingegen erst 63 Prozent der Stimmbürgerinnen eine feste Meinung.
«Bei der No-Billag-Initiative waren die Konsequenzen offenkundig», sagt Uniprofessor Eisenegger. «Es war klar, dass SRF-Sendungen wie das ‹Echo der Zeit› oder das ‹Sportpanorama› auf dem Spiel gestanden hätten, die den Menschen am Herz lagen, ja dass womöglich die gesamte SRG hätte liquidiert werden müssen.»
Und dieses Mal? Blieb völlig unklar, ob und wie sich die Ablehnung des Massnahmenpakets konkret auswirken wird.
5. Wie es jetzt weitergeht: Die Attacke gegen die SRG
Und nun? Wird der Abwehrkampf jener, denen an starken Medien gelegen ist, unverzüglich weitergehen müssen. Denn die Kreise, die eine gut ausgestattete vierte Gewalt als störend empfinden, sind im Auftrieb.
Vor einer Woche wurde bekannt, dass die SVP und der Gewerbeverband ernst machen mit ihrer seit Jahren schwelenden Drohung, die Haushaltsabgabe für die Finanzierung von Radio und Fernsehen mittels Volksinitiative senken zu wollen. Ob die Gebühr von 335 Franken auf 200 Franken reduziert oder gar halbiert werden soll, ist noch offen. Hans-Ulrich Bigler, der Direktor des Gewerbeverbands, wollte sich dazu auf Anfrage der Republik nicht äussern.
Klar ist, dass bald Unterschriften gesammelt werden. Der Kampf gegen die SRG könnte zu einem der prägenden Wahlkampfthemen für die eidgenössischen Wahlen im Herbst 2023 werden. Gut möglich, dass die SVP ihre Initiative kurz vorher mit reichlich Getöse einreichen wird.
Zum Selbstläufer wird deren Abwehr nicht, ist die SRG doch in schlechterem Zustand als vor vier Jahren. Mit unpopulären Sparmassnahmen hat sie bei ihrem traditionellen Publikum (und den eigenen Mitarbeitenden) Sympathien verspielt; zugleich scheint ihre mit Verve und viel Geld verfolgte Strategie, die an Instagram und Youtube verlorene jüngere Zielgruppe zurückzugewinnen, noch nicht sehr erfolgreich.
Die SRG wird sich wohl auch gegen die privaten Verleger behaupten müssen: TX-Chef Pietro Supino verschärfte den Ton vor wenigen Tagen im Interview mit der Republik spürbar. «Die SRG konkurrenziert und untergräbt mit ihrem kostenlosen Onlineangebot die Geschäftsgrundlage der Bezahlmedien», sagte er. «Sie unterläuft die Transformation des Geschäftsmodells der privaten Medien und schwächt sie und letztlich die Medienvielfalt.»
Mit welch harten Bandagen der Abstimmungskampf geführt werden wird, zeigt auch ein aktueller Kommentar der NZZ, in dem die SRG als «Staatssender» bezeichnet und dazu aufgefordert wird, sich wieder einmal darüber zu unterhalten, «welchen Sinn und welche Berechtigung ein staatlich gehegter Sender in der jetzigen Zeit noch hat» – schliesslich könne heute ja jeder Einzelne frei darüber entscheiden, wo er sich informieren wolle und zu welchem Preis.
Die Kampfansage an die SRG ist einer von zwei Rettungsankern, an denen sich die privaten Verleger nun festklammern.
Der zweite ist die Hoffnung, die Schweiz möge so rasch wie möglich ein Leistungsschutzrecht einführen. «Im Moment ist der Journalismus kein Geschäft mehr», sagte der TX-Verwaltungsratspräsident im Republik-Interview.
Doch Supino wäre nicht Supino, wenn er für dieses Problem nicht bereits eine Lösung am Horizont sähe: Statt von den Steuerzahlern will er sich den Journalismus nun halt von Google und Facebook finanzieren lassen.
Von der staatlichen Medienförderung, die das Schweizer Stimmvolk am 13. Februar abgelehnt hat, hätte auch die Republik profitiert. Wie viel Geld sie erhalten hätte, war unklar. Die Entscheidung, welche Parole Project R, die Genossenschaft hinter der Republik, zum Mediengesetz fassen soll, wurde an die Verlegerschaft delegiert. Hier finden Sie die Ergebnisse der Befragung.