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Tamedia legt Redaktionen von «Bund» und «Berner Zeitung» zusammen

Das «Berner Modell» ist Geschichte. Hintergründe und Reaktionen.

Von Dennis Bühler, 29.10.2020, Update 04.12.2020

«Wir sind stolz auf den ‹Bund›»: So lautete der Titel des Gastbeitrags, den Pietro Supino vor vier Wochen in seiner Zeitung publizierte. Und auch die einleitenden Worte des Verwaltungs­rats­präsidenten des grössten Schweizer Medien­konzerns TX Group waren ausgesprochen freundlich: Der «Bund», der an jenem Tag seinen 170. Geburtstag feierte, sei ein wichtiger Titel im Portefeuille des Verlages, weshalb man die Ambition habe, das erfolgreiche Berner Zeitungs­modell weiter­zuführen. Doch verbunden war die Umarmung aus Zürich mit einer ziemlich expliziten Drohung.

Weitergeführt werde das «Berner Modell», das die beiden zum Konzern gehörenden Zeitungen «Der Bund» und «Berner Zeitung» eine eigenständige Lokal-, Regional- und Kultur­bericht­erstattung machen lässt, nur dann, wenn vier Voraussetzungen erfüllt würden. Das Berner Online­medium «Journal B» hat sie kürzlich treffend zusammengefasst:

  • «Es müssen genügend Leserinnen und Leser unsere Zeitungen abonnieren.»

  • «Das Gewerbe, die Unter­nehmen und auch die Institutionen dürfen ihre Mittel nicht mehr ‹bei der globalen Konkurrenz› investieren, sondern sie haben ihre Werbung gefälligst bei uns zu platzieren.»

  • «Das Bundesparlament muss endlich seine Idee aufgeben, kleine Online­medien stärker zu fördern als grosse. Die sogenannte Holding­klausel, wonach verschiedene Online­medien aus dem gleichen Haus bei der Subventionierung als ein Medium behandelt werden, muss gestrichen werden.»

  • «Der ‹Anzeiger der Region Bern› muss aufgegeben werden. Statt Geld in dieses defizitäre Amtsblatt zu stecken und ‹damit den Wettbewerb zu verzerren›, haben die Regierungen von Stadt und Kanton Bern nach einer gemeinsamen Lösung mit der Tamedia zu suchen.»

Überrumpelte Redaktionen

Am Mittwoch versammelten sich die wegen Corona grösstenteils im Homeoffice arbeitenden Redaktorinnen von «Berner Zeitung» und «Bund» nichts ahnend vor ihren Computern. Auf dem Programm stand eine Diskussion mit Marco Boselli und Andreas Schaffner, zu der die Personal­kommission geladen hatte. Die Redaktoren gingen davon aus, man wolle mit den beiden Tamedia-Geschäfts­führern besprechen, was das Ende August verkündete Tamedia-weite Sparprogramm im Umfang von 70 Millionen Franken für den Medien­standort Bern bedeuten könnte.

Die beiden Tamedia-Geschäfts­führer aber machten schnell klar, dass es für Diskussionen zu spät ist: Im zweiten Quartal 2021 werden die Redaktionen von «Berner Zeitung» und «Bund» zusammen­gelegt. Egal, ob Regional- oder Kultur­berichterstattung, ab dann kommt alles aus einer Hand. Zwar sollen die Titel­seiten von «Bund» und «Berner Zeitung» verschieden gestaltet sein; inhaltlich aber werden sich primär noch die Seiten­umfänge unterscheiden.

Nachdem die Republik die Pläne am Mittwoch publik gemacht hatte, bestätigten Boselli und Schaffner auf Anfrage des Branchenportals «persoenlich.com», «Bund» und «Berner Zeitung» würden zukünftig organisatorisch enger zusammen­arbeiten, «um Synergien in der kantonalen und städtischen Bericht­erstattung zu finden». Der Hinter­grund der Massnahmen sei struktureller Natur und aktuell für jeden Verlag eine grosse Heraus­forderung: «Der Werbe­umsatz im Print erodiert kontinuierlich, genauso wie die Umsätze aus den Print-Abos.» Der Republik teilte Boselli mit, dieser Stellung­nahme gebe es «nichts beizufügen».

Netflix statt Opern

Unkommentiert liess er damit auch seine Aussagen vom Vortag, die in den Redaktionen von «Bund» und «Berner Zeitung» für grossen Ärger sorgten. Laut mehreren voneinander unabhängigen Quellen sagte Boselli, er verstehe nicht, dass Theater­premieren bis anhin von beiden Zeitungen besucht worden seien – das sei ineffizient. Dem Kultur­ressort des «Bundes», das er als «elitär» empfindet, empfahl er vor versammelter Belegschaft, künftig mehr über Netflix­serien zu berichten. Artikel über Opern brächten zu wenig Klicks.

Für Bestürzung sorgte zudem seine an die Lokal- und Regional­journalisten gerichtete Aufforderung, künftig mehr Artikel zu schreiben, die schweizweit zu reden geben. Selbst über Gemeinde­wahlen soll nur noch berichtet werden, wenn etwas Ausser­gewöhnliches geschehen ist. Die Lokal­redaktionen von «20 Minuten» hätten unter seiner Führung vorgemacht, wie aufsehen­erregende Bericht­erstattung funktioniere, so der ehemalige Chef des Gratisblatts. In der Belegschaft von «Bund» und «Berner Zeitung» fürchtet man nun wenig überraschend eine rasant fortschreitende Boulevardisierung.

Wie viele Stellen durch die Zusammen­legung der Redaktionen gestrichen werden, ist offen. Boselli scheint darauf zu spekulieren, dass möglichst viele Mitarbeiter von sich aus kündigen. «Überlegt euch gut, ob ihr diese Reise mitmachen wollt», soll er bei der Versammlung am Mittwoch gesagt haben.

Warum das Ende des «Berner Modells» nur gerade vier Wochen nach Supinos Gastbeitrag verkündet wird, ist unklar. Am ehesten hat es damit zu tun, dass die Stadt Bern nicht gewillt ist, auf die vierte Forderung des TX-Chefs einzugehen: Sie will den zurzeit einmal wöchentlich mit einer Auflage von 155’000 Exemplaren kostenlos in die Haushalte verschickten «Anzeiger» nicht verkaufen, sondern einstellen – ab 2022 soll er nur noch digital erscheinen. Von der «Berner Zeitung» auf Supinos Übernahme­angebot angesprochen, sagte Finanz­direktor Michael Aebersold (SP) Anfang Monat klipp und klar: «Eine solche Lösung sehe ich nicht.»

Bei den anderen drei Supino-Ultimaten lässt sich noch nicht feststellen, ob die Adressaten ihnen nach­kommen werden oder nicht:

Tamedia arbeitet erst daran, bei ihren Online­portalen mehr oder weniger undurchlässige Paywalls hochzuziehen – ob die Leser dem digitalen «Bund» und der digitalen «Berner Zeitung» treu bleiben, wird sich weisen.

Ob das von Corona gebeutelte Berner Gewerbe in Zukunft vermehrt in den Tamedia-Publikationen Werbung schalten wird, ist genauso offen.

Die parlamentarischen Diskussionen über die genaue Ausgestaltung der Medien­förderung laufen: Am 9. November diskutiert die zuständige Kommission darüber, danach geht das Geschäft erneut in den Nationalrat.

Dieser Nationalrat hatte vor einem Monat entgegen der Empfehlung seiner Kommission an der Onlineförderung festgehalten, die eine der drei vom Bundesrat vorgesehenen Säulen zur Stärkung der Medien­vielfalt ist. Im September hatten die beiden mächtigsten Verleger des Landes ein übles Spiel gespielt: TX-Chef Supino und CH-Media-Chef Peter Wanner, Präsident und Vizepräsident des Verleger­verbands. Offiziell unterstützten sie wie ihre Verbands­kollegen die vom Bundesrat konzipierte Online­förderung; gleichzeitig hintertrieben sie die Vorlage, weil sie sich an der vorgesehenen Degression sowie an der Holding­klausel stören.

Im Vorfeld der Kommissions­sitzung vom 9. November wird die Online­förderung nun aber gemäss gut unterrichteten Quellen mit einem neuen Argumentarium unter Beschuss genommen: Es gehe nicht an, dass der Bund private Online­medien finanziell unterstütze, wenn sich gleichzeitig die gebühren­finanzierte SRG immer stärker im Web ausbreite. Tatsächlich hat SRF-Chefin Nathalie Wappler vor kurzem angekündigt, das Online­portal und die App ausbauen zu wollen. Und die NZZ machte ein internes Papier publik, in dem es heisst, ein signifikantes Wachstum sei nur möglich, wenn es gelinge, Nutzer «von anderen Angeboten für sich zu gewinnen».

Auf Antrag der bürgerlichen Parteien wird die Kommission in zehn Tagen nun deshalb auch die SRG-Spitze anhören. Ihr Kalkül: die Online­förderung wenn nicht zu verhindern, dann wenigstens zu verzögern.

Mit der Holdingklausel scheint man sich dagegen abgefunden zu haben; und bei der Degression wären auch auf Verordnungs­stufe noch Korrekturen möglich.

Erste Pläne für ein neues Berner Medienprojekt

Doch zurück zum Berner Medien­platz. Wie schlimm wäre die Zusammen­legung der Redaktionen von «Bund» und «Berner Zeitung» überhaupt? Natalie Imboden, Präsidentin der Grünen des Kantons, schrieb auf Twitter von einem «schwarzen Donnerstag». Lokales und Kultur seien wichtig. «Qualität und Vielfalt statt Einheitsbrei!»

Berns Stadtpräsident Alec von Graffenried, der von der TX Group erst gestern Abend zu den neuesten Plänen aufdatiert wurde, sagt auf Anfrage der Republik: «Würden die Redaktionen tatsächlich vollständig zusammen­gelegt, wäre das für die Stadt Bern und ihre Medien­vielfalt verheerend.»

Und mit Mark Balsiger will die Hiobs­botschaft ein bekannter Berner nicht kampflos hinnehmen. «Die TX Group respektive Tamedia hat in den letzten fünf Jahren 852 Millionen Franken Reingewinn erzielt und ihren Aktionären 225 Millionen Franken Dividende ausbezahlt», sagt der Politik­berater. «Angesichts solcher Zahlen ist es himmel­traurig, dass der Konzern nie in die Lokal- und Regional­redaktionen auf dem Platz Bern investiert hat.»

Er zweifle daran, ob es sich lohne, mit der Führungs­riege der TX Group überhaupt noch einmal an einen Tisch zu sitzen. «Im Vorder­grund steht deshalb ein anderer Weg: Warum gründen wir nicht ein kleines, schlankes Online­portal, das von Konzern­interessen und der Werbung unabhängig ist?» Er sei überzeugt, dass ein solches Medium im Grossraum Bern gute Überlebens­chancen hätte.

Es wäre nicht das erste Mal, dass sich Balsiger für ein Medium einsetzt. Vor elf Jahren organisierte er die gross angelegte und letztlich erfolgreiche Kampagne «Rettet den Bund». Kann er sich vorstellen, ein neues Medien­projekt aufzugleisen? «Ja», sagt er zur Republik. «Allerdings bräuchte ich neue Verbündete; denn meine engsten Mitstreiter von 2009 sind inzwischen entweder im Bundesrat oder viel zu früh gestorben.» Es brauche Leute mit Zeit, Know-how, Verbindungen und Kapital.


Gegendarstellung von Tamedia

Die Republik hat im Artikel «Tamedia legt Redaktionen von ‹Bund› und ‹Berner Zeitung› zusammen» vom 29. Oktober 2020 ausgeführt, Tamedia-Verleger Pietro Supino habe «ein übles Spiel gespielt»: Er habe offiziell die Vorlage zur Medien­förderung einschliesslich Online­förderung unterstützt, diese jedoch gleichzeitig «hintertrieben». Das ist falsch. Richtig ist, dass Verleger Pietro Supino und Tamedia die Position des Verbands Schweizer Medien stets vertreten haben und entgegen der wiederholten Unter­stellung der Republik auch informell nicht davon abgewichen sind.

Tamedia, November 2020

Die Redaktion hält an ihrer Darstellung fest und stützt sich auf die folgenden Quellen: Stellung­nahme von Pietro Supino vom 25. August 2020; Stellungnahmen des Verbands Schweizer Medien vom 20. August 2020 Nr. 1, 2 und 3 sowie vom 28. August und vom 10. September 2020.


In einer ersten Version schrieben wir von einer Versammlung am Dienstag. Ein Versehen. Richtig ist, dass sich die Redaktionen in Bern am Mittwoch trafen.