Man sollte sie beim Wort nehmen
Der Entscheid über den Ausbau der Medienförderung dürfte knapp ausfallen. Eine Frage, die viel zu wenig debattiert wurde: Für welche Publizistik stehen eigentlich die Gegner?
Von Daniel Binswanger, 29.01.2022
Wir alle können kaum erwarten, dass der Peak endlich überschritten ist, der Frühling kommt, der Covid-Albtraum – so uns keine Mutationen mehr überraschen – wenigstens in seiner pandemischen Form tatsächlich hinter uns liegt. Die Ungeduld kommt nicht nur von der Sehnsucht nach Bewegungs- und Begegnungsfreiheit, sondern auch von der Beunruhigung über den grassierenden Fanatismus. Über Neonazis auf dem Bundesplatz, Anti-Massnahmen-Geschwurbel in sozialen Netzwerken, militante Impfgegnerschaft. Über den inzwischen ganz normal gewordenen Irrsinn, der zwar minoritär bleibt, den öffentlichen Diskurs aber massiv vergiftet und wohl nachhaltig verändert hat.
Wir möchten keine Texte mehr lesen müssen wie zum Beispiel diesen: «Die ersten wirklich angsteinflössenden Bilder haben uns aus italienischen Spitälern erreicht. Jeder, der mit den Verhältnissen im italienischen Gesundheitssystem einigermassen vertraut ist, weiss, dass uns diese Bilder keinen Sonderfall gezeigt haben. Es ist eher der Normalfall. Patienten, die auf Pritschen im Gang liegen: Das ist leider keine Ausnahme in Italien.»
Hier behauptet ein offensichtlich schwer fanatisierter Wirrkopf, es habe in Norditalien gar keinen pandemischen Ausnahmezustand gegeben. Triage, Notlage, explodierende Todeszahlen? In Wahrheit nur südländischer Schlendrian. Typisches dolce far niente!
Aber es wird noch viel obszöner: «Dasselbe mit Aufnahmen von Patienten, die beatmet werden. Das sieht zugegebenermassen verstörend aus. Aber warum hat man diese Bilder nicht bei der letzten Grippewelle gezeigt, als das ebenfalls überdurchschnittlich oft der Fall war? (...) Wo genau ist eigentlich der Zusammenhang mit den positiv Getesteten und den Menschen an Beatmungsgeräten? Es wird so dargestellt, als wenn die irrwitzige Zahl von Tests und Menschen nahe dem Tod einen direkten Bezug zueinander hätten. Was nicht der Fall ist.» Nicht nur die italienische Notlage soll also eine reine Medienerfindung sein. Auch die Behauptung eines Zusammenhangs zwischen Menschen an Beatmungsgeräten und der Pandemie ist nichts als schändliche Fake News!
Richtig: Sie mögen sich fragen, weshalb ich diesen toxischen Unsinn hier überhaupt zitiere. Wissen wir nicht schon lange, dass solche Theorien verbreitet werden auf Social Media und irgendwelchen Youtube-Kanälen? Ist das politische Amokpotenzial der Pandemie nicht schon lange hinlänglich bekannt?
Diese Texte sind deshalb wichtig, weil sie etwas über unsere Zukunft erzählen könnten – und weil sie nicht von einem abseitigen Spinner in seiner Filterblase stammen. Sie werden stattdessen von einem respektablen, jedenfalls sehr einflussreichen Schweizer Onlinemedium unters Volk gebracht. Einflussreich vielleicht nicht in einem klassisch publizistischen, aber in einem sehr politischen Sinn: Der groteske Corona-Negationismus stammt aus der Feder von Stefan Millius, dem Chefredaktor der Onlinezeitung «Die Ostschweiz».
Verlegerisch hat Peter Weigelt, Investor und Verwaltungsratspräsident der «Ostschweiz», Texte wie diesen zu verantworten. Sie erscheinen nicht wie die Ausnahme, sondern wie die politische Kernbotschaft seiner Publikation.
Millius und Weigelt – gemeinsam mit Mitstreitern wie Ex-«Weltwoche»-Vize Philipp Gut, «Nebelspalter»-Chefredaktor und «SonntagsZeitungs»-Kolumnist Markus Somm und «Nebelspalter»-Investor Konrad Hummler – könnten kurz davor stehen, Schweizer Mediengeschichte zu schreiben. Sie gehören allesamt dem von Weigelt präsidierten Referendumskomitee gegen das Medienförderungsgesetz an. Momentan dürfen sie sich reelle Chancen ausrechnen, den Ausbau der Medienförderung in der Schweiz tatsächlich zu stoppen. Damit eine Publikation wie «Die Ostschweiz» und ihre ideologische Agenda bessere Entwicklungsmöglichkeiten haben. Damit potenzielle Konkurrenten ausserhalb der grossen Medienkonzerne, wenn sie nicht im selben Mass durch politisches Kapital gesponsert werden, ihr auch in Zukunft nichts entgegensetzen können.
Es ist weiter nicht erstaunlich, dass eine Gruppe von Rechtsauslegern am äussersten Rand des bürgerlichen Spektrums die staatliche Medienförderung mit allen Mitteln zu bekämpfen versucht. Erstaunlich ist der ideologische Hardcore-Hooliganismus, den Weigelt und sein Chefredaktor betreiben. Bisher wird er im Abstimmungskampf nur vereinzelt zum Thema.
Vielleicht liegt es daran, dass die Medien phasenweise vollständig damit beschäftigt waren, eine unbedachte Äusserung von Ringier-CEO Marc Walder zu skandalisieren. Dass in den Ringier-Publikationen durchaus kritisch und differenziert berichtet wird und der blanke Irrsinn nicht am Wüten ist, spielte dabei keine Rolle.
Vielleicht liegt es ja auch am gepflegten Auftritt des ehemaligen FDP-Nationalrats Peter Weigelt: Dass der strategische Pakt mit den allerextremsten Massnahmengegnerinnen die eigentliche Basis von Weigelts Abstimmungsstrategie bildet, wird weitgehend ignoriert. Dieser Extremismus prägt die Publizistik, die Weigelt von Konkurrenz mit allen Mitteln freihalten will. Es erscheint ein wenig absurd, dass die Debatte über das Mediengesetz an den real existierenden Medien der Gesetzesgegner ganz einfach vorbeisieht.
Mit Begeisterung bedient sich Weigelts Chefredaktor Millius im Fundus der trumpschen Kampfrhetorik. Oberster Lieblingsbegriff: Fake News. So lesen wir etwa kurz vor dem Referendum über das Covid-Gesetz in einem Leitartikel der «Ostschweiz»: «Überlastete Spitäler: Fake news. Aufgrund von Coronafällen überlastete Spitäler: Big fake news. Die Impfung als Lösung: Fake news. Die Zertifikatspflicht zum Schutz des Gesundheitssystems: Fake news. So gut wie alles, das wir seit bald zwei Jahren erleben: Fake news.»
Alles Fake News: Die «Mainstreammedien» verbreiten nichts als systematische Lügenpropaganda – und sollen deshalb zertrümmert werden. So lautet die eigentliche Kernbotschaft in einem Abstimmungskampf, der über die Schweizer Medienpolitik entscheiden soll. Man muss nur die Nein-Befürworterinnen bei ihrem Wort nehmen.
Das sind extrem fanatisierte Diskurse: ein massiver Angriff auf die Schweizer Institutionen und die Schweizer Debatte. Sie könnten jetzt ihren grossen Moment der Mehrheitsfähigkeit erleben und die Grundlage schaffen für eine fortgesetzte Dominanz. Trotz dem Ja zum Covid-Gesetz. Trotz der helvetischen Urüberzeugung, hierzulande werde immer alles weniger heiss gegessen und ideologische Extreme würden automatisch vom demokratischen Instinkt der schweigenden Mehrheit wieder eingemittet. Ist das in Stein gemeisselt? Auch dann, wenn diese schweigende Mehrheit ihre Informationen mehr und mehr von Plattformen wie eben der «Ostschweiz» und dem «Nebelspalter» bezieht? Und falls man das alles unbedenklich findet: Warum treten die unheimlichen Patrioten dann überhaupt mit solchen Ansagen an?
Zwar kann man einwenden, dass Weigelt sich immerhin entschuldigte, als im letzten Juli ein Gastautor die Corona-Politik des Bundes mit einem Genozid verglich und Alain Berset als Psychopath beschimpfte. Es gab öffentlichen Protest, Anzeigenkunden drohten abzuspringen, Weigelt reagierte. Aber die Entschuldigung wirkt vollkommen fadenscheinig: Die «Ostschweiz» betreibt weiterhin Antimassnahmenpropaganda der allerfanatischsten Sorte.
Jedenfalls kennt sie nach wie vor keine Berührungsängste. Mit einer flammenden Hommage wurde im letzten November etwa Robert F. Kennedy Jr. abgefeiert, ein verirrter Sprössling aus dem Kennedy-Clan, der im November an einer vom Verschwörungstheoretiker Urs Hans organisierten Anti-Zertifikats-Demo auftrat. Oder wie es die «Ostschweiz» sagt: «RFK Jr. steht da oben auf Urs Hans’ Anhänger, weil er nicht anders kann.» Der Ton ist wirklich schräg – und demnächst vielleicht mehrheitsfähig.
Das Onlineportal jedenfalls wird von heiliger Ehrfurcht ergriffen, die «Reportage» kippt ins Hagiografische, weil RFK Junior so unglaublich Wichtiges zu sagen hat. Zitieren wir etwas ausführlicher: «Die Schweiz sei der letzte Ort, wo noch wirkliche Demokratie herrsche. Die Welt würde auf die Menschen in der Schweiz zählen, dass diese ‹Nein› zu den neuen Tyrannen sagen. Man solle seinen Freunden, Bekannten und Nachbarn mitteilen, dass man die Freiheit mehr lieben soll, als so einen Virus zu fürchten. Es gäbe schlimmere Sachen als den Tod. Schlimmer wäre es nämlich, sein restliches Leben als Knecht von Bill Gates, den Silicon-Valley-Räuberbaronen und den grossen Banken zu verbringen. Diese würden den Menschen ihre Rechte wegnehmen und sie in Leibeigene verwandeln. Man solle die Covid-Abstimmung nicht nur für die Schweiz gewinnen, sondern für die ganze Welt. Man sähe sich bestimmt wieder auf den ‹Barrikaden› (Schutzwälle bei Strassenschlachten der deutschen Freiheitsbewegung von 1848) und er selbst und viele andere mit ihm würden ihr Leben für die Freiheit geben.»
Kann man solche Delirien überbieten? Sie könnten gerade dabei sein, medienpolitische Fakten zu schaffen.
Natürlich ist in solchen ideologischen Gefilden auch der krude Antisemitismus nie weit weg. «Zu Zeiten von Hitler-Deutschland», sagte Robert F. Kennedy Jr. am letzten Sonntag an einer Kundgebung in Washington, «konnte man sich über die Alpen in die Schweiz retten. Man konnte sich wie Anne Frank in einem Estrich verstecken. Heute werden Mechanismen erfunden, damit niemand mehr fliehen oder sich verstecken kann.» Anne Frank darf sich offensichtlich glücklich schätzen, in Bergen-Belsen ermordet worden zu sein. Uns Opfern der totalitären Pandemiepolitik wird viel übler mitgespielt!
Die «Ostschweiz» hat mit solchen antisemitischen Obszönitäten ganz offensichtlich kein Problem. Einen politischen Pakt mit Massnahmengegnern kann man nun einmal nicht schliessen, wenn man David-Sterne an Corona-Demos nicht in Ordnung findet. Die Heiligsprechung von Robert Kennedy hat die «Ostschweiz» bis anhin jedenfalls nicht zurückgenommen.
Wieso auch? Im letzten August wurde stattdessen in einem empörten Kommentar festgehalten: «Dass es an diesen Anlässen [den Anti-Massnahmen-Demos] auch viele Nazi-Sympathisanten gibt, ist eine Medienlüge sondergleichen.» Alles Fake News: Auf der einen Seite die Lügenpresse – auf der anderen Seite die «Ostschweiz», Herr Weigelt, Herr Gut – und ihre bemerkenswerten politischen Freunde. Wird die Ablehnung der Medienförderung der etwas spezielle Schweizer Beitrag zum Holocaust-Gedenktag werden?
Es wäre doch eigentlich an der Zeit, dass die FDP von ihrem ehemaligen Nationalrat deutlich abrückt. Geschehen tut das Gegenteil: Parteipräsident Thierry Burkart macht mit Peter Weigelt gemeinsame Front gegen die Medienförderung. Dasselbe gilt von Mitte-Parteipräsident Gerhard Pfister, von GLP-Parteipräsident Jürg Grossen, obwohl sowohl die GLP als auch die Mitte die Medienförderung befürworten. Pfister möchte lieber nur die gedruckten Zeitungen fördern, Grossen lieber nur die Onlinemedien.
Wenn es darum geht, an einer Kompromisslösung herumzumäkeln und irgendwelche Ausflüchte zu erfinden, kennt die Kreativität der Verantwortungsträger offensichtlich keine Grenzen. Das ist schon beinahe bewundernswert, aber es gibt politische Realitäten: Die sogenannt bürgerlichen Parteipräsidenten legen sich mit den ideologischen Hooligans ins Bett. Fanatische, rechtspopulistische Kräfte – das ist historisch leider bestens belegt – bekommen immer dann ihre Chance, wenn das bürgerliche Establishment versagt. Für die heutige Schweiz ist das kein gutes Omen.
Denn es ist in diesem Fall nicht so, dass flexible Allianzen gebildet werden für einen Abstimmungskampf und dass man mit legitimen Gründen eine Vorlage bekämpfen kann, die andere Akteurinnen mit völlig unabhängigen Motiven zu Fall bringen wollen. Worüber wir in zwei Wochen abstimmen, das ist die Meinungsmacht von Publikationen wie dem «Nebelspalter» und der «Ostschweiz». Die Medienförderung ist nicht eine blosse Sachvorlage. Sie stellt die Machtfrage.
Wer die Macht von Peter Weigelt, Konrad Hummler und Markus Somm stärken will, der soll sich zu diesem politischen Bündnis bekennen – und zu dem ganzen ideologischen Wahnsinn, den sie für ihre Zwecke bewirtschaften. Die fortschreitende Verödung der Medienlandschaft – wobei die Nein-Propaganda trotz des kontinuierlichen, massiven Abbaus jetzt sogar die Medienkrise zu Fake News erklärt – schafft freie Bahn für Investoren mit klar umrissener Agenda. Wer ihre Weltsicht teilt, soll mit ihnen marschieren. Wer das nicht tut, muss sich dagegen entscheiden.
Illustration: Alex Solman
Von der staatlichen Medienförderung, über die das Schweizer Stimmvolk am 13. Februar abstimmt, würde auch die Republik profitieren. Wie viel Geld sie erhielte, ist derzeit unklar. Klar ist: Über die Frage, ob sie das Geld überhaupt annehmen würde, müsste die Verlegerschaft entscheiden. Genauso haben wir die Entscheidung, welche Parole Project R, die Genossenschaft hinter der Republik, zum Mediengesetz fassen soll, an die Verlegerschaft delegiert. Die Befragung ist abgeschlossen, hier finden Sie die Ergebnisse.