Onlineförderung vor dem Aus: Doppelspiel der Grossverleger
Eine Intervention des Aargauer Verlegers Peter Wanner kippt die Mehrheit in der zuständigen Kommission des Nationalrats in letzter Minute. Seine Kollegen im Verlegerverband sind empört – mit Ausnahme von Präsident Pietro Supino.
Von Dennis Bühler, 26.08.2020
«Wird die Schweizer Medienpolitik auf Jahre hinaus gelähmt?» Diese Frage stellte die Republik am Montag in einem Beitrag, der die Ausgangslage vor der medienpolitisch wichtigsten Kommissionssitzung seit langem schilderte. Zwei Tage später steht fest: Der Nationalrat ist punkto Medienförderung tatsächlich in eine Sackgasse eingebogen – doch überraschenderweise liegt das weniger an der CVP als an der Kehrtwende eines FDP-Politikers. Und an einem Player, der in den letzten Wochen ein widersprüchliches Verhalten an den Tag legte: dem mächtigen Verlegerverband.
120 Millionen für die Printzeitungen, nichts für die Onlinemedien? Die staatliche Förderung von digitalen Medien steht auf der Kippe. Warum dies die Medienpolitik auf Jahre hinaus lähmen könnte.
Am Samstagabend wenden sich zwei Mitglieder des Präsidiums des Verlegerverbandes per E-Mail an die 25 Mitglieder der nationalrätlichen Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen (KVF). «Medienpolitisches Paket – Klarstellung», heisst es in der Betreffzeile des Schreibens, das der Republik vorliegt. Was folgt, ist eine Abrechnung mit CH-Media-Verleger Peter Wanner. Absender sind Gilbert Bühler und Christof Nietlispach.
Der eine ist Direktor der Freiburger Nachrichten AG und im Verlegerverband für das «Departement Recht» zuständig; der andere ist Verwaltungsratspräsident bei der Freiämter Regionalzeitungen AG und im Verband für das «Departement Distribution» zuständig. Beide sehen sie sich als Vertreter der kleinen Verlage. Und damit als Vertreter einer Sparte, die sich im Verlegerverband seit geraumer Zeit zunehmend schlechter vertreten fühlt.
Aktiv werden Bühler und Nietlispach, nachdem sie am vergangenen Samstag in der «Schweiz am Wochenende» einen Meinungsbeitrag ihres Präsidiumskollegen Peter Wanner gelesen haben. Mit «Ungereimtheiten bei der digitalen Medienförderung» ist dessen ganzseitiger Artikel überschrieben. Rund 9000 Anschläge wendet der Aargauer Chef des Verlags CH Media auf, um die vom Bundesrat vorgeschlagene Onlineförderung in Bausch und Bogen zu verwerfen. Der Gesetzesvorschlag erweise sich bei näherem Hinsehen als Kuckucksei, schreibt Wanner, es türmten sich viele Fragezeichen und Ungereimtheiten auf. Und was bisher vom Verordnungsentwurf bekannt sei, sei noch schlimmer: Er wirke überhastet und nicht zu Ende gedacht.
Wanner verleiht zudem seinem Unverständnis Ausdruck, dass der Bund ausschliesslich digitale Bezahlmedien fördern wolle. Digitale Reichweitenmedien wie sein Onlineportal «Watson», die sich über Werbung finanzieren, gingen leer aus. «Dies ist insofern fragwürdig, als der Gesetzgeber einseitig ein Marktmodell bevorzugt (digitale Bezahlmedien) und das andere (digitale Reichweitenmedien) als nicht förderungswürdig erachtet. Eine Diskriminierung, die einer staatlich inszenierten Wettbewerbsverzerrung gleichkommt – als ob es mit der SRG nicht schon genug wäre.»
Dezidierte Worte an die Politik
Mit seiner Intervention zwei Tage vor der entscheidenden Kommissionssitzung fällt Wanner – immerhin Vizepräsident – dem Verlegerverband in den Rücken. Zumindest dessen offizielle Position ist seit Monaten klar: Der Verband macht sich für alle drei Säulen des Massnahmenpakets stark. Für den Ausbau der indirekten Presseförderung, die Unterstützung der Onlinemedien und verbesserte Rahmenbedingungen. Zudem wollen die Verleger, dass neu auch die Frühzustellung der Printzeitungen subventioniert wird.
Die vom Verband während der Sommerferien beinahe im Tagesrhythmus verbreiteten Communiqués lassen keinen Zweifel daran, dass die Verleger auch Onlinemedien gefördert sehen wollen. Übertitelt sind sie mit «Digitalförderung: Journalistische Unabhängigkeit gewährleistet», «Digitalförderung: Professionellen Journalismus fördern» oder «Digitalförderung: Brückenbau für die Transformation». Zudem unterstützt der Verband seit langem die Idee des Bundesrats, Gratisportale wie «20 Minuten» und «Watson» nicht zu unterstützen. «Eine staatliche Förderung kostenloser Angebote würde die Zahlbereitschaft unterminieren, zu Wettbewerbsverzerrungen führen und so das ganze Mediensystem gefährden», heisst es dazu auf der Verbandswebsite.
Und deshalb wählen Bühler und Nietlispach in ihrer E-Mail an die KVF-Mitglieder dezidierte Worte. Wanners Artikel widerspreche der Haltung des Verlegerverbands, schreiben sie. «Es handelt sich um die persönliche Meinung des obenerwähnten Verlegers; sie ist Ausdruck seiner Partikularinteressen.» Die Meinung der Mehrheit des Präsidiums sei unverändert: «Das Gesamtpaket ist ausgewogen und hilft sowohl den kleinen als auch den grossen Verlegern. (…) Es gewährleistet das Überleben der staatspolitisch bedeutenden Lokal- und Regionalpresse und der überregionalen Medien.»
Der 13:12-Entscheid der Kommission
Am Montag zeigt sich kurz vor der Mittagszeit, welche Wirkung Peter Wanner mit seiner Intervention entfaltete: Die KVF des Nationalrats entscheidet mit 13:12 Stimmen, das Massnahmenpaket des Bundesrats aufzutrennen. Während die Kommission die Detailberatung der Förderung von Post- und Frühzustellung fortführt, lässt sie die Onlineförderung fallen.
Anders als von der Republik am Montag prognostiziert, ist dafür jedoch nicht die CVP hauptverantwortlich. Ihr Bündner Nationalrat Martin Candinas stimmt dem Vernehmen nach gegen die Aufsplittung der Vorlage. Und sorgte damit dafür, dass es auf die Stimmen seiner Parteikollegen Philipp Matthias Bregy, Philipp Kutter und Marco Romano gar nicht angekommen wäre. Wenn denn nicht ein Freisinniger plötzlich eine spektakuläre Kehrtwende hingelegt hätte: Kurt Fluri.
Noch letzte Woche sagte der Solothurner zur Republik, er werde gegen die Auftrennung der Vorlage stimmen, auch wenn dieser Antrag von seinem Fraktionskollegen Christian Wasserfallen komme. «In der FDP haben wir keinen Fraktionszwang. Ich bin in meiner Entscheidung frei und unabhängig.» Seine Unterstützung für die Onlineförderung begründete er mit zwei Argumenten: Erstens sei die von den Gegnern der Digitalförderung oft ins Feld geführte Frage, ob dafür überhaupt eine Verfassungsgrundlage vorhanden sei, seiner Meinung nach längst mit Ja beantwortet; zweitens wolle er den Absturz der gesamten Vorlage vermeiden, weil die Politik bei der Unterstützung der Printmedien angesichts des Inserateeinbruchs nicht länger zuwarten könne. Und bei einer Aufsplittung drohe ein solcher Absturz, weil sich eine unheilige Allianz von SP, Grünen, Grünliberalen und SVP formieren könnte.
Dennoch stimmt Fluri am Montag in der KVF für die Aufteilung der Vorlage und damit gegen die Onlineförderung. Dies bestätigt er gegenüber der Republik. Hat ihn der Meinungsbeitrag von Peter Wanner zum Umdenken gebracht, der als CH-Media-Verleger medial über Fluris Kanton Solothurn wacht? «Nein», sagt der 65-jährige FDP-Nationalrat. «Dieser Beitrag hat mich nicht mehr gross beeinflusst.»
Allerdings führt Fluri als Begründung für seinen plötzlichen Meinungsumschwung exakt die gleichen zwei Gründe ins Feld, die Wanner auch in seinem Zeitungsartikel vorgebracht hat: Zum einen sei die vom Bundesamt für Kommunikation vorgesehene Degression viel zu steil, zum anderen sei die geplante Holdingklausel ungerecht. Beide Instrumente führten dazu, dass jene Grossverlage zu wenig Subventionsgelder für ihre Leistung erhielten, die mit Lokalredaktionen in den Regionen präsent seien, kritisiert Fluri. Ganz ähnlich die Worte Wanners in der «Schweiz am Wochenende»: «Es ist nicht nachvollziehbar, warum beispielsweise die ‹Schaffhauser Nachrichten› zehnmal mehr von der Digitalförderung profitieren sollen als die ‹Thurgauer Zeitung›, die den gleichen redaktionellen Aufwand im Lokalen betreibt. Der Unterschied ist einzig, dass Letztere einem Grossverlag angehört.»
Die widersprüchliche Rolle von Pietro Supino
Am Dienstag führte die KVF die Diskussion des Massnahmenpakets weiter. Für mehr Aufsehen in der Medienbranche aber sorgt an diesem Tag etwas anderes: In Zürich gibt Pietro Supino, Verwaltungsratspräsident des grössten Schweizer Medienkonzerns TX Group, an einer Medienkonferenz einschneidende Sparmassnahmen bekannt. Innert dreier Jahre sollen die unter dem Markendach Tamedia zusammengefassten Bezahlzeitungen 70 Millionen Franken einsparen. «Zu rechnen ist mit dem Wegfall Dutzender journalistischer Stellen», sagen die beiden Tamedia-Geschäftsführer dazu.
Auf die Frage der Republik, warum die TX Group ihr Sparprogramm ausgerechnet während der Hochphase der Parlamentsdebatte über die Medienpolitik verkünde, antwortet Supino: «Es wäre ungesund, wenn ein Unternehmen seine Strategie von der Politik abhängig machen würde.»
Und er zeichnet die Argumentation vor, die man von den Chefs der grossen Verlage in den nächsten Wochen wohl noch häufiger hören wird: Der gegenwärtig im Parlament diskutierte Ausbau der Subventionen für die Post- und die Frühzustellung sei in den Businessplänen bereits einkalkuliert – «bleiben diese Entlastungen im Vertrieb aus, wird unsere Lage noch schlimmer». Was Supino damit meint: Dann müsste noch mehr gespart werden. Statt Dutzender Stellen würden sehr viele Dutzend gestrichen.
Die Drohkulisse ist Supinos Strategie, um im Parlament eine unheilige Allianz zu verhindern: SP, Grüne, Grünliberale und SVP könnten auch die verbliebenen Teile des bundesrätlichen Massnahmenpakets bachab schicken. Die ersten drei Parteien, weil sie kein rückständiges Paket ohne Digitalförderung wollen; die SVP, weil sie aus ordnungspolitischen Überlegungen gegen jegliche staatliche Medienförderung ist. Supinos Drohung, allenfalls weitgehendere Sparmassnahmen zu ergreifen, richtet sich primär an Grüne und Linke. Nach dem Motto: Wollt ihr euch wirklich gegen den Ausbau der indirekten Presseförderung stellen und damit riskieren, dass noch mehr Angestellte auf die Strasse gestellt werden?
Etwas Klarheit bringt Supinos Auftritt an der TX-Group-Pressekonferenz auch bezüglich der Rolle, die er in der Schweizer Medienpolitik gegenwärtig spielt: Es ist eine äusserst widersprüchliche.
Als Präsident des Verlegerverbands müsste er sich an die im Präsidium gefasste Losung halten und das gesamte Massnahmenpaket inklusive Onlineförderung propagieren. Als TX-Chef aber spielen die Subventionen für Digitalmedien für ihn höchstens eine marginale Rolle. Wichtiger als die drei, vier Millionen Franken pro Jahr, die aus dem insgesamt dreissig Millionen Franken umfassenden Online-Fördertopf an die Tamedia gehen würden, scheint Supino zu sein, dass die Konkurrenz leer ausgeht. Zu dieser zählen im Onlinebereich nicht nur traditionelle Verlage wie die NZZ oder CH Media, sondern auch neuere Marktteilnehmer wie «Tsüri.ch» und die Republik.
Von der staatlichen Förderung würde auch die Republik profitieren. Wie viel Geld sie erhielte, ist derzeit unklar. Genauso, ob wir das Geld denn überhaupt annehmen würden. «Die ‹Republik› muss mindestens selbsttragend werden, um unabhängig zu sein»: So steht es im ersten Newsletter zur Finanzierung des Unternehmens. Es gibt daher keinen Businessplan, der mit staatlichen Zuschüssen rechnet. Aktuell zählen wir rund 25’500 Mitgliedschaften und Abos, sind damit selbsttragend und sehen den Reibereien in Bern als Unternehmen so interessiert wie gelassen zu. Die Genossenschaft Project R und die Republik sind Mitglieder des Verbands «Medien mit Zukunft», der sich für Medienvielfalt und eine sinnvolle Medienförderung einsetzt. Wie es bei der Republik um die Zahlen steht, können Sie jederzeit in Echtzeit dem Cockpit entnehmen. Und hier finden Sie die sieben wichtigsten Statistiken zum Journalismus und zum Geschäft.
«Die Eckpunkte der vom Bundesamt für Kommunikation geplanten Verordnung haben tatsächlich zu Spannungen unter den Verlegern geführt», bestätigt Supino, als die Republik ihn an der Medienkonferenz auf Wanners Meinungsbeitrag anspricht. Auch Supino selbst stört sich am Ausmass der vorgesehenen Degression und an der Holdingklausel.
Unterscheiden sich Ihre Positionen je nachdem, ob Sie als Verlegerpräsident oder als TX-Chef sprechen, Herr Supino?
Durchaus. Als Präsident des Verbands vertrete ich die Positionen, die die Mehrheit des Präsidiums beschlossen hat. Als Chef der TX-Group habe ich teilweise andere Vorstellungen und Interessen.
Als TX-Chef sind Sie wie Peter Wanner der Meinung, dass die geplante Onlineförderung unausgegoren ist?
Persönlich denke ich, dass die Digitalförderung noch nicht zu Ende gedacht ist.
Kakofonie und Krisensitzung
Auch abgesehen vom jüngsten Hickhack gelingt es dem 1899 gegründeten Verlegerverband seit Jahren mehr schlecht als recht, die divergierenden Interessen der kleinen, mittleren und grossen Verlage zu vereinen. Seit dem Wochenende aber hängt der Haussegen jetzt endgültig schief.
Präsidiumsmitglied Gilbert Bühler sagt: «Der Begriff ‹Kakofonie› beschreibt das Bild, das der Verband zuletzt hinterlassen hat, perfekt.»
Geschäftsführer Andreas Häuptli sieht es ähnlich: «Gut möglich, dass Peter Wanners Meinungsbeitrag dazu geführt hat, dass einige Nationalräte im letzten Moment an der Onlineförderung zu zweifeln begannen. Seine Intervention ist aus Sicht von AZ und CH Media nachvollziehbar, entspricht jedoch nicht der Haltung des Verlegerverbandes.»
Heute Mittwoch trifft sich die «Arbeitsgruppe Lobbying» des Verlegerverbands zur Krisensitzung. Unter den aktuellen Vorzeichen fast schon ironisch: nicht physisch. Sondern digital.
Korrigendum: In einer früheren Version schrieben wir, der gesamte Verlegerverband treffe sich am Mittwoch zur Krisensitzung; er trifft sich aber erst am Donnerstag zur Aussprache – physisch. Wir entschuldigen uns für den Fehler.