Das Vertrauen in Journalismus nimmt wieder zu
Alles Panikmache? Wie sich die Schweizer Medien im zweiten Jahr der Pandemie geschlagen haben.
Von Dennis Bühler, 25.10.2021
Journalistinnen werden bedroht, bedrängt und beschimpft. Manchmal können sie ihrer Arbeit nur mit Personenschutz nachgehen – inzwischen auch in der Schweiz. So etwa Anfang September an einer Demonstration von Gegnern der Pandemiemassnahmen in Bern.
Zwar ist die Situation hierzulande weniger angespannt als in Deutschland, wo Journalisten regelmässig tätlich angegriffen werden. Doch auch in der Schweiz sind viele Menschen wütend auf Journalistinnen, da diese angeblich «Panikmache» betrieben und viel zu unkritisch über den vermeintlich «diktatorisch» regierenden Bundesrat berichten würden.
Das Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft (FÖG) der Universität Zürich hat untersucht, wie sich die Corona-Krise in den letzten eineinhalb Jahren auf den Informationsjournalismus in der Schweiz ausgewirkt hat. «Während der Anfangsphase der Pandemie gab es Anzeichen für positive Effekte», sagt FÖG-Leiter Mark Eisenegger zur Republik. «Doch nach über einem Jahr im Krisenmodus fällt die Bilanz vor allem mit Blick auf die wirtschaftliche Situation der Medien ernüchternd aus.»
1. Die Finanzen
Corona hat einen wunden Punkt offengelegt: die nach wie vor sehr grosse Abhängigkeit vieler Medien von Inserateeinnahmen – und damit von der Konjunktur. Nichts wirkt sich da negativer aus als der im Frühjahr 2020 erfolgte behördliche Aufruf, zu Hause zu bleiben, und die vorübergehende Schliessung von Geschäften.
Insgesamt gingen die Erlöse aus dem Werbemarkt im Jahr 2020 um 380 Millionen auf 1,9 Milliarden Franken zurück – ein Einbruch um 17 Prozent. Sämtliche Mediengattungen verloren im zweistelligen Prozentbereich: Im Printgeschäft waren es 21 Prozent, im TV-Sektor 13 Prozent und im Radiobereich 27 Prozent. Und auch die Online-Werbeerlöse sanken erstmals seit Beginn der Erhebung durch die Stiftung Werbestatistik im Jahr 2014, und das gleich um 11 Prozent.
«Ein weiteres Indiz dafür, dass Werbegelder zu den internationalen Tech-Unternehmen Google und Facebook fliessen», schreiben Mark Eisenegger und sein Co-Autor Daniel Vogler im heute Montag an der Universität Zürich präsentierten «Jahrbuch Qualität der Medien». «Dem Journalismus fehlen in einer bereits vor der Krise angespannten Lage heute mehr denn je die Ressourcen für eine hochwertige Berichterstattung.»
In der ersten Pandemiewelle meldeten alle grossen Medienhäuser Kurzarbeit an. Und auch mit anderen Massnahmen griff ihnen der Staat unter die Arme: So werden Tages- und Wochenzeitungen der Regional- und Lokalpresse seit Mai 2020 und noch bis Ende 2021 von der Post kostenlos und jene der überregionalen Medien vergünstigt zugestellt – unter der Bedingung, dass die Verlage auf die Ausschüttung von Dividenden verzichten. Darüber war es 2020 zum Streit unter Verlegern gekommen. «Ein solidarischer Dividendenverzicht hätte der gesamten Branche geholfen», kritisierte CH-Media-Chef Peter Wanner den TX-Group-Präsidenten Pietro Supino in einem Republik-Interview, nachdem dieser trotz Pandemie auf der Ausschüttung bestanden hatte (allerdings für das Jahr 2019). «Es soll und darf keinesfalls der Eindruck entstehen, Steuergeld könne in die Taschen der Aktionäre wandern.»
Notabene: Seit 2015 hat keines der fünf grossen privaten Schweizer Medienunternehmen TX Group, Ringier, NZZ, AZ Medien und CH Media einen Verlust ausgewiesen. Dies allerdings nicht dank der Arbeit ihrer Redaktionen, sondern weil sie rechtzeitig andere Geschäftsfelder erschlossen haben, die Gewinne abwerfen. «Journalismus leisten sich einige von ihnen vermutlich primär für die eigene Reputation», so Wissenschaftler Eisenegger.
Am stärksten fortgeschritten ist die Entwicklung beim grössten Konzern TX Group, bei dem Journalismus inzwischen nur noch eine untergeordnete Rolle spielt. Weil Supino und seine Verlegerkollegen nichts von Quersubventionierung wissen wollen, folgen sich die Meldungen über Personal- und Leistungsabbau seit zwei Jahren in rascher Folge. Investitionen in den Journalismus – etwa die im vergangenen März respektive Juni erfolgten Expansionen von «Watson» und «Blick» in die Romandie – bleiben eine seltene Ausnahme.
2. Desinformation
Drastisch drückte es der US-amerikanische Präsident Joe Biden aus: Im Juli sagte er, Plattformen wie Facebook würden mit der Verbreitung von Falschinformationen «Menschen töten».
Auch in der Wahrnehmung der Schweizer Bevölkerung haben absichtlich verbreitete Falschnachrichten während der Pandemie an Bedeutung gewonnen. Allerdings zeigt das «Jahrbuch Qualität der Medien» ein ambivalentes Bild: Zwar halten 49 Prozent der Befragten Desinformation für ein grosses oder sehr grosses Problem, doch beurteilen 51 Prozent dieses Problem als nicht besonders gefährlich.
Gemäss der vom FÖG durchgeführten repräsentativen Befragung in der Deutschschweiz, der Suisse romande und der Svizzera italiana stossen Menschen in der Schweiz vor allem in sozialen Netzwerken (62 Prozent), in Alternativmedien (39 Prozent), auf Videoportalen (36 Prozent) sowie in Messenger-Apps (28 Prozent) auf Falschinformationen. Professionelle Informationsmedien wie Fernsehen (13 Prozent), gedruckte Zeitungen (11 Prozent) und Radio (5 Prozent) werden hingegen deutlich seltener als Quellen von desinformativen Inhalten bezeichnet. Das Vertrauen in den Journalismus ist in der Schweiz somit vergleichsweise hoch.
3. Glaubwürdigkeit
Knapp über die Hälfte der Befragten (51 Prozent) gaben an, dass sie den Nachrichtenmedien überwiegend bis komplett vertrauen – ein Zuwachs um 7 Prozentpunkte seit 2019. Das sind Werte, die mit Deutschland (57 Prozent, plus 8 Prozentpunkte) vergleichbar sind und dem Schweizer Journalismus im internationalen Vergleich einen Platz im vordersten Drittel bescheren. «Viele Bürger haben erkannt, wie wichtig professioneller Journalismus ist», sagt FÖG-Chef Eisenegger. «Er hilft ihnen, den Wahrheitsgehalt von Informationen zu überprüfen, die sie in sozialen Medien erhalten.»
Keinen Vertrauensgewinn konnten während der Pandemie hingegen Suchmaschinen und Social Media erzielen, denen bloss 29 respektive 20 Prozent der Befragten überwiegend oder komplett vertrauen.
Whatsapp (30 Prozent), Facebook (27 Prozent) und Youtube (24 Prozent) sind für die News-Nutzung weiterhin die drei wichtigsten sozialen Netzwerke, gefolgt von Instagram (13 Prozent), Snapchat und Tiktok (je 4 Prozent), wobei die drei Letzteren bei den 18- bis 24-Jährigen besonders beliebt sind. Gegenüber dem Jahr 2019 haben die Whatsapp- (plus 3,3 Prozentpunkte) und die Telegram-Nutzung (plus 2,7 Prozentpunkte) stark zugenommen; Telegram ist 2020 einem breiteren Publikum bekannt geworden, weil sich Gegner der Corona-Massnahmen mithilfe dieses Messaging-Diensts organisierten.
4. Qualität der Berichterstattung
Schon im Oktober 2020 stellte das «Jahrbuch Qualität der Medien» den Schweizer Medien für ihre Corona-Berichterstattung ein relativ gutes Zeugnis aus. Daran hat sich ein Jahr später nichts geändert. «Es hat teilweise ein Lernprozess stattgefunden», sagt Eisenegger. So seien Zahlen und Statistiken in der zweiten Pandemiewelle häufiger kontextualisiert und eingeordnet worden, und der Anteil der gegenüber Behörden affirmativen Berichterstattung sei deutlich von 6 auf 0,3 Prozent zurückgegangen, womit heute «erst recht nicht mehr von ‹Hofberichterstattung› gesprochen werden» könne.
Widerlegt wird auch der Vorwurf von Massnahmenkritikern, die Medien hätten «Panikmache» betrieben. Wenn schon, könne man kritisieren, dass die Berichterstattung ihrer Frühwarnfunktion in der zweiten Welle zu wenig nachgekommen sei, heisst es im neuen «Jahrbuch». Nachdem Corona in der ersten Welle noch in 16 Prozent der untersuchten Beiträge als Bedrohung dargestellt wurde, sank dieser Wert in der zweiten Welle auf 6 Prozent.
Als ungenügend taxiert Eisenegger die Vielfalt der befragten Expertinnen, auch wenn Wissenschaftlerinnen im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen immerhin von 12 auf 21 Prozent aufholen konnten. Kritisiert wird im «Jahrbuch» zudem, dass mehr als vier von fünf zu Wort kommenden Wissenschaftlern dem medizinischen Bereich entstammten.
Auch was die restliche Berichterstattung angeht, zieht das FÖG für das Jahr 2020 ein verhalten positives Fazit: So hätten die Einordnungsleistungen in Form von Hintergrundbeiträgen erstmals seit sechs Jahren nicht weiter abgenommen. Gelobt werden für einmal insbesondere Medientypen, denen die Forscherinnen normalerweise eine unterdurchschnittliche Qualität attestieren: Das Privatfernsehen, die Boulevard- und die Online-Pendlerzeitungen erzielten ihre besten oder zweitbesten Werte der vergangenen sechs Jahre.
5. Das Jahr der Medienpolitik
Am 13. Februar 2022 entscheidet die Stimmbevölkerung über das vom Parlament in der Sommersession verabschiedete Massnahmenpaket zugunsten der Medien. Dieses sieht einen markanten Ausbau der indirekten Presseförderung vor: Die Post- und Frühzustellung gedruckter Zeitungen und Zeitschriften soll künftig mit 120 Millionen Franken pro Jahr gefördert werden – 70 Millionen mehr als bisher. Mit weiteren 30 Millionen Franken will die Politik während der nächsten sieben Jahre neu zudem Onlinemedien unterstützen; Aus- und Weiterbildungsinstitutionen, die Agentur Keystone-SDA sowie der Presserat erhielten ebenfalls 30 Millionen Franken. Das kommende Jahr wird damit zum Jahr der Medienpolitik: Ein Bereich, der für gewöhnlich wenig Aufmerksamkeit erhält, drängt ins Bewusstsein der Bevölkerung – zumal der Abstimmungskampf hitzig werden dürfte.
Zwei weitere Zahlen aus dem aktuellen «Jahrbuch» sind deshalb speziell interessant. Erstens sind 54 Prozent der repräsentativ Befragten gar nicht bis wenig besorgt über die finanzielle Situation der Medien; zweitens sind dennoch immerhin 37 Prozent der Meinung, dass der Staat die privaten Medien finanzieren soll, wenn diese in finanzielle Schieflage geraten. Das ist zwar keine Mehrheit – doch im Vergleich zu zwölf Referenzländern belegt die Schweiz damit vor Irland und Italien den Spitzenplatz.
«Dieses Massnahmenpaket ist ein kleiner, ja winziger Schritt», sagt Mark Eisenegger. «Aber immerhin einer in die richtige Richtung.» Zwar habe die Vorlage zwei Schwächen: Erstens fliesse ein zu grosser Teil des Geldes in die indirekte Medienförderung, von der einzig Printzeitungen profitierten; zweitens erhielten kleine journalistische Start-ups im Onlinebereich im Vergleich zu den Grossverlagen zu wenig. «Dennoch wäre ein Nein ein verheerendes Signal.»
Unmittelbar nach einer allfälligen Annahme des Massnahmenpakets müsse sich die Politik daranmachen, eine «mutigere» Medienförderung zu konzipieren, sagt Eisenegger. Eine Förderung, die das wachsende Marktversagen tatsächlich korrigiere und die privaten Medien mit den nötigen Mitteln ausstatte, damit diese ihrem Publikum Qualitätsjournalismus und Service public bieten könnten.