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Die besten Nachrichten

Willkommen im Jahr 2022! Ein Neujahrs­blick auf das Positive, das neben Corona auf der Welt dann doch passiert.

Von Olivia Kühni und Simon Schmid, 03.01.2022

«Mehr Gelassenheit, bitte»: So titelte der «Tages-Anzeiger» den Leitartikel zu Silvester 2013 auf der Frontseite. Manchen Leserinnen schien diese Botschaft etwas abwegig: Sollte der Journalismus nicht kritisch in die Welt blicken und die vielen Probleme diskutieren, die da ungelöst vor uns liegen?

Doch statt Sorgen über die Euro-, die Klima- oder die Migrations­krise zu thematisieren, legte der damalige TA-Chefredaktor dem Publikum nahe, sich über die Errungenschaften der Schweiz zu freuen und alltägliche Ärgernisse wie den S-Bahn-Zugsausfall oder den sogenannten Dichte­stress nicht grösser zu machen, als sie sind.

Nicht nur Leitartikel­schreiber, auch spirituelle Strömungen wie der Zenbuddhismus animieren Menschen zu einer gleich­mütigen Haltung: «Lass den Ärger los», «lass den Wettbewerb los», «lass die Schuld­zuweisungen los». Praktiken wie Yoga oder Achtsamkeit sollen Leuten dabei helfen, Entspannung und innere Ruhe zu finden. Nicht erst seit Ausbruch der Corona-Pandemie erfreuen sie sich grosser Beliebtheit.

Ein bisschen Entkrampfung tut auch dem Journalismus hin und wieder gut. Aktuell ist einer dieser Momente: Zwei Jahre Pandemie haben an den Kräften gezehrt. Und nun steht mit Omikron schon die nächste Belastungs­probe an. Zweifellos gibt es Kern­aufgaben, die Medien angesichts der neuen Variante erfüllen müssen: Informieren über mögliche Gefahren; Kritik am Pandemie­management üben, wenn dieses den Anforderungen nicht genügt; Position beziehen in Streit­fragen wie der Impfpflicht. Trotzdem – und gerade deshalb – ist es zwischen­durch aber auch essenziell, das negative Gedanken­karussell bewusst zu stoppen.

Irgendwann geht auch die Corona-Krise vorbei. Sich in der Zwischen­zeit auf sich selbst zu besinnen oder wahlweise in die Weite zu blicken – auf das, was sich über kurz oder lang zum Guten wendet –, ist nicht nur erlaubt. Sondern für viele von uns – ob wir nun Journalismus machen oder ihn konsumieren – unverzichtbar. Ein schlechtes Gewissen brauchen wir deswegen nicht zu haben. Denn Gelassenheit ist nicht dasselbe wie Gleich­gültigkeit: Es ist völlig in Ordnung und total sinnvoll, Probleme zur Kenntnis zu nehmen – aber trotzdem den Optimismus nicht zu verlieren.

Damit (und mit Gruss an den Ex-Tagi-Chefredaktor, den das Thema der Gelassenheit offensichtlich nicht mehr losliess) zu unserer zenmässig entschleunigten Sammlung von positiven Nachrichten zum Start ins Jahr 2022.

Impfung

Hier ist die mit Sicherheit beste Nachricht der vergangenen zwölf Monate: Die Impfung gegen Covid-19 wirkt – und zwar gegenüber allen Varianten.

  • Doppelt mit einem mRNA-Impfstoff geimpfte Personen sind je nach Alters­gruppe und Zeitpunkt der Impfung rund 5- bis 20-mal besser gegen schwere Krankheits­verläufe geschützt als Ungeimpfte. Diese Zahlen hat die wissenschaftliche Taskforce des Bundes im November 2021 genannt, als die Delta-Variante noch im Vorder­grund stand.

  • Die dritte Impfdosis erhöht den Schutz vor Hospitalisierung zusätzlich. Wichtig ist das besonders bei den Risiko­gruppen: Über 80-Jährige sind mit dem Booster-Shot zu 95 statt nur zu 80 Prozent davor geschützt, wegen einer Corona-Infektion in Spital­pflege zu müssen. Eine dritte Impfung gegen Covid-19 vermindert auch das Ansteckungs­risiko sowie die Wahrscheinlichkeit, dass Angesteckte das Virus weiter­geben.

  • Ersten Studien zufolge nützt die Impfung auch gegen die neue Omikron-Variante. Das gilt besonders für die Booster-Impfung. Gemäss der jüngsten Lagebeurteilung der wissenschaftlichen Taskforce verringert sie das Risiko, an Covid-19 zu erkranken, deutlich. Der Schutz einer dreifachen Impfung mit dem Präparat von Pfizer/Biontech gegen Omikron ist ähnlich gut wie der Schutz einer doppelten Impfung gegen Delta.

Dass die Corona-Impfung mit der Zeit weniger gut vor einer Ansteckung schützt, ist zugegebener­massen ein Nachteil. Manchen Menschen schlägt das aufs Gemüt: Sie hatten nicht damit gerechnet, eine dritte oder sogar eine vierte, an neue Virus­varianten angepasste Impfung machen zu müssen.

Gegen den Impfkoller hilft: durchatmen, mit den Schultern zucken und die Erwartungen anpassen. Dass man Impfungen periodisch auffrischen muss, ist per se nichts Ausser­gewöhnliches. Die Zeckenimpfung funktioniert zum Beispiel nach demselben Schema: zwei Pikse im Abstand von einigen Wochen, ein weiterer Piks nach einem halben Jahr. Und auch bei der Grippe­impfung gibt es Parallelen: Der Impfschutz läuft nach sechs bis zwölf Monaten aus, deshalb wird für manche Bevölkerungs­gruppen jedes Jahr eine erneute Impfung empfohlen.

Rund eine halbe Million Leben haben die Impfungen gegen Covid-19 allein in Europa gerettet, schätzen die WHO und das European Centre for Disease Prevention and Control. Das «Time»-Magazin hat die Forscherinnen, die daran beteiligt waren, deshalb zu Recht zu «Helden des Jahres 2021» gekürt.

Impfungen des Typs mRNA, die bei Covid-19 erstmals zum Einsatz kamen, werden als viel­versprechendes Forschungs­feld betrachtet. So könnten mRNA-Präparate künftig etwa gegen Krebs zum Einsatz kommen. Nach Angaben der NGO Human Rights Watch sind auch in Latein­amerika, in Asien und in Afrika über hundert Firmen prinzipiell in der Lage, einen mRNA-Impfstoff herzustellen. Dieses Jahr will etwa ein südafrikanisches Unternehmen mit Tests für einen auf mRNA basierenden Impfstoff gegen Covid-19 beginnen.

Gesundheit

Apropos Impfung. Eine mindestens so frohe Botschaft ging letztes Jahr inmitten von Covid unter: Zum ersten Mal in der Geschichte gibt es eine Impfung gegen Malaria – die WHO empfahl im Oktober den Einsatz vor allem für Kinder in stark betroffenen Gebieten. Und auch sonst gibt es auf dem Gebiet der Gesundheit Erfreuliches zu berichten.

  • Ebenso El Salvador. Es hat als erstes Land in Mittel­amerika ein Zertifikat für die Eliminierung von Malaria von der Welt­gesundheits­organisation erhalten. Seit 2017 traten keine Malaria-Erkrankungen mehr auf.

Besonders rasche Fortschritte macht die Forschung zur Behandlung von Depressionen. Schweizer Forscher erzielen schon länger sehr gute Ergebnisse mit Substanzen wie Psilocybin (enthalten in magic mushrooms). 2021 mehrten sich nun die Hinweise, dass Inhalts­stoffe, die seit Jahrhunderten unter anderem in schamanischen Ritualen eingesetzt werden, mindestens so gut wirken wie etablierte Anti­depressiva. Ein US-amerikanisches Pharma­unternehmen startete einen Pilot­versuch mit DMT, ein britisches vermeldete Erfolge mit Psilocybin – und ganz generell haben sich Psychedelika mittlerweile als ernst zu nehmendes Forschungs­thema etabliert.

Klima

Natürlich: Es geschieht zu wenig, und es geschieht zu spät. In diese Richtung tendierten die meisten Kommentare zur Klima­konferenz von Glasgow, dem seit Paris wohl wichtigsten Aufeinander­treffen zur globalen Klima­politik.

Doch 2021 brachte auch ein paar Fortschritte:

  • Das Zeitalter der erneuerbaren Energie ist definitiv angebrochen. 2021 legten Wind-, Solar- und Wasser­kraft in vielen Ländern zu; die EU wie auch das Vereinigte König­reich bezogen erstmals mehr Elektrizität aus nachhaltigen Quellen als aus fossilen. Portugal hat im November sein letztes Kohle­kraftwerk abgestellt. Für die nächsten Jahre wird ein Boom von Wind- und Solar­energie voraus­gesagt: Die Internationale Energie­agentur prognostiziert 60 Prozent mehr Energie aus diesen Quellen bis 2026.

  • Der Weltklimarat veröffentlichte im August seinen sechsten Bericht. Er fand klare Worte: «Der Klima­wandel ist umfassend, schnell und intensiviert sich», bilanzierten die Wissenschaft­lerinnen. Die Botschaft – und das entsprechende Datenmaterial – ist eindeutig: Die Klimakrise betrifft nicht die Zukunft, sondern die Gegenwart.

  • Der Kanton Zürich hat Ja gesagt zum kantonalen Energie­gesetz. Damit dürfte sich der ökologische Heizungs­ersatz in den nächsten Jahren beschleunigen. Der bevölkerungs­reichste Kanton bietet nach dem auf nationaler Ebene gescheiterten CO2-Gesetz damit einen Licht­blick.

  • Frankreich verbietet Inlandflüge, wenn die Strecke alternativ auch mit dem Zug in weniger als zweieinhalb Stunden zurück­gelegt werden kann. Ein entsprechendes Gesetz hat das Parlament gutgeheissen.

Viel bleibt zu tun, um die Erderwärmung auf ein vertretbares Mass zu begrenzen. Doch das Klima wird nicht an einem Tag gerettet werden – in einer grossen Ankündigung aller Staatschefs –, sondern in Tausenden von kleinen Schritten, von denen viele es nicht in die News schaffen.

Der Bewusstseins­wandel ist da, dass die Klimakrise jetzt und heute längst Realität ist – und nicht erst irgend­wann kommt. Das war dieses Jahr wegen der Überschwemmungen in Deutschland und China, wegen Hitze­wellen und Waldbränden in den USA unübersehbar. Und diese Erkenntnis ist essenziell: in der Politik, in der Wirtschaft und im Handeln jedes Einzelnen.

Staat und Infra­struktur

Die Pandemie­jahre waren vielerorts auch Jahre, in denen Staaten ihre Rolle als Investoren wieder­entdeckten. Die Chancen stehen gut, dass das vielen Ländern in den nächsten Jahren einen Boom bescheren wird.

  • Im November stellte das Wirtschafts­magazin «Economist» fest, was schon seit Monaten zu beobachten war: «Für die Welt beginnt eine neue Ära des big government»: Rund um den Globus haben Staaten im Nachgang zur Pandemie massive Investitions­programme angekündigt: gesamthaft über 17 Billionen Dollar; das entspricht 16 Prozent der durch­schnittlichen globalen Wirtschafts­leistung pro Jahr.

  • Die vielen Investitionen dürften nicht ohne Wirkung bleiben. Die Konjunktur­forscherinnen der Schweizer KOF beispiels­weise prognostizieren aktuell wegen Liefer­engpässen noch eine zähe Entwicklung – spätestens ab 2023 aber werde die Wirtschaft über­durchschnittlich stark wachsen.

Gleichstellung und Anti-Diskriminierung

Die Schweiz macht einen kleinen Schritt vorwärts bei den Rechten von Menschen mit Trans­identität oder einer Variante der Geschlechts­entwicklung: Sie können künftig ihr Geschlecht und ihren Vornamen im Personenstands­register rasch und unbürokratisch ändern.

Ebenfalls in der Schweiz angekommen: die «Ehe für alle». Ab dem 1. Juli 2022 können gleich­geschlechtliche Paare heiraten. Das Schweizer Stimmvolk hat die Vorlage im September in einer Abstimmung gutgeheissen.

Auch aus anderen Ländern gibt es gute Neuigkeiten im Bereich der Gleichstellungs- und Anti-Diskriminierungs­politik:

  • In Botswana hat das höchste Gericht des Landes bestätigt, dass jegliche diskriminierenden Straf­normen gegen Homosexualität verfassungs­widrig sind und abgeschafft werden müssen. Der Entscheid ist nicht mehr anfechtbar.

  • Kanada hat gesetzlich die conversion therapy verboten – also jegliche Versuche, die geschlechtliche Identität oder sexuelle Orientierung von Menschen mithilfe unterschiedlicher, teilweise religiös motivierter Praktiken zu «therapieren».

  • Die finnische Regierung plant ein Gesetz, das den Gender-Pay-Gap schliessen soll. Wenn Angestellte den Verdacht haben, dass ihre Kollegen trotz gleicher Arbeit mehr verdienen, sollen sie Einblick in deren Gehälter erhalten.

  • Australien zahlt Schaden­ersatz an die indigene Bevölkerung: Die aktuelle Regierung hat einen Fonds in der Höhe von 380 Millionen Australischen Dollar (250 Millionen Franken) aufgesetzt, um jene Menschen zu entschädigen, die der Staat als Kinder mit Zwang von ihren Familien getrennt hatte (die sogenannte «stolen generation»).

Prosit Neujahr!

Schon überzeugt, dass auf der Welt doch nicht alles so schlecht ist? Nein? Dann helfen zum Schluss vielleicht noch die folgenden News aus diversen Gebieten dabei, 2021 schönzutrinken, ähm, schönzulesen.

Auf dass das junge Jahr 2022 umso hübscher, erbaulicher, herz­erwärmender und natürlich voller guter Neuigkeiten werde. Mit Dank unter anderem an «Krautreporter» und «Positive News», von wo ein Teil der Nachrichten stammt.

  • Hummer dürfen im Vereinigten König­reich ab sofort nicht mehr bei lebendigem Leib gekocht werden. Die Gesetzes­änderung folgte auf einen Bericht, der die hohe neurologische Empfindsamkeit von Krusten­tieren festhielt. Die Schweiz hat die Praxis bereits 2018 verboten.

  • Der US-Bundesstaat Virginia schafft die Todes­strafe ab. Damit kann in 25 amerikanischen Gliedstaaten (inkl. District of Columbia und Puerto Rico) niemand mehr zum Tod verurteilt werden.

  • Anders als bislang angenommen werden bestimmte Tausend­füsser doch ihrem Namen gerecht. Ein Exemplar der neu entdeckten Spezies Eumillipes persephone bringt es auf 1306 Beinchen.

  • In den USA haben ein Pasta­hersteller und ein Food-Podcaster die «perfekten» Teigwaren erfunden: Cascatelli, eine geringelte Nudel mit seitlicher Doppel­krause, zwischen der die Sauce optimal haften bleibt. (Wir sind da allerdings skeptisch: Spiral­nudeln bleiben die besten Nudeln!)

  • Frankreich verbannt Plastik­verpackungen: Rund 30 Obst- und Gemüse­sorten dürfen in Frankreich ab diesem Jahr nur noch ohne Plastik­verpackung verkauft werden. Ab 2026 soll dann gar kein Obst und Gemüse mehr in Plastik verkauft werden dürfen.

  • Apropos Plastik: Eine Non-Profit-Organisation hat mithilfe eines Auffang­netzes angefangen, den Abfallberg im Pazifik («Great Pacific Garbage Patch») abzutragen. Bis 2040 wollen sie den gesamten Ozean vom Plastik­abfall befreit haben.

  • Im Labor entwickeltes Fleisch bleibt auf Wachstums­kurs. Über 70 Start-ups weltweit liefern sich ein Rennen um das feinste im Labor gezüchtete Fleisch. Die israelische Firma Future Meat steckte 2021 die bislang grösste Investitions­summe in ein entsprechendes Projekt: mit den 347 Millionen Dollar an Kapital will Future Meat unter anderem eine Produktions­stätte mit Kapazitäten für den Massen­markt in den USA aufbauen.

  • Das dürfte den Konsum von tierischem Fleisch zurück­gehen lassen. Eine Studie der Boston Consulting Group schätzt, dass in Nordamerika und in Europa bereits in wenigen Jahren – 2025 – der peak meat erreicht ist.

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