2019: Jahr der Entscheidungen
Im letzten Briefing des Jahres schauen wir auf 2018 zurück und erklären, wie es weitergeht: das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (39).
Von Andrea Arezina, Elia Blülle, Urs Bruderer und Dennis Bühler, 27.12.2018
Im Schweizer Politikjahr 2019 wird es zum Showdown kommen. Abgesehen von den Wahlen führen zwar dieselben Themen die Prioritätenlisten an wie bereits vor einem Jahr. Doch in der Europa- und der Klimapolitik, aber auch bei der Altersvorsorge und der Steuervorlage stehen endgültige Entscheidungen an, die den Fortgang der Schweizer Politik bis tief ins nächste Jahrzehnt prägen werden. Wo die wichtigsten politischen Geschäfte im Moment stehen – und welche Herausforderungen im nächsten Jahr auf die Schweiz warten, erfahren Sie im letzten «Briefing aus Bern», bevor es bis zum 17. Januar in die Ferienpause geht. Wir wünschen ein frohes neues Jahr!
Schweiz/EU: Die Beziehung bleibt kompliziert
Das ist passiert: Nach fünf Jahren haben die Schweiz und die Europäische Union die Verhandlungen über ein Rahmenabkommen beendet. Es soll den bilateralen Beziehungen ein rechtliches Fundament geben. Schon im Sommer zeichnete sich ab, dass es dieses Abkommen innenpolitisch schwer haben würde. Als einzelne Bundesräte öffentlich sagten, dass man mit der EU vielleicht auch über die flankierenden Massnahmen reden müsse, also über den Schutz vor ausländischen Dumpinglohn-Unternehmen, verweigerten die Gewerkschaften weitere Gespräche. Und sie stiessen damit bei Politikern von rechts bis links auf Verständnis.
Das ist der aktuelle Stand: Fast alle politischen Lager in der Schweiz sind mit dem Verhandlungsergebnis unzufrieden. Die Gewerkschaften sehen darin eine Schwächung der flankierenden Massnahmen, die Mitte befürchtet einen Ausbau der Sozial- und Bleiberechte für EU-Bürger, die SVP einen Souveränitätsverlust.
So geht es weiter: Im Dezember hat der Bundesrat das Verhandlungsergebnis veröffentlicht. Es soll jetzt von Parteien und Verbänden geprüft und diskutiert werden. Ende Frühling will der Bundesrat auf Grundlage dieser Konsultation über den nächsten Schritt entscheiden. Er kann das Abkommen unterzeichnen oder fallen lassen oder dem Parlament vorlegen. Auch eine Volksabstimmung darüber ist möglich. Für die Begleitmusik zu diesem Schicksalsentscheid sorgt die SVP-Initiative zur Kündigung des Personenfreizügigkeitsabkommens mit der EU und das mögliche Ausscheiden der Schweiz aus dem grenzenfreien EU-Schengen-Raum.
Das hat die Republik dazu geschrieben:
Wie die Schweiz in diese schwere Krise mit der EU geschlittert ist und warum es ihr so schwerfällt, wieder herauszukommen, lesen Sie hier.
Warum die Linke jetzt die Europapolitik kontrolliert und wie sie mit dieser Macht umgehen sollte, lesen Sie hier.
Weshalb das Seilziehen um ein Rahmenabkommen die Schweizer Politik europäisiert und warum das nicht gut ist, lesen Sie hier.
AHV/Unternehmenssteuer: der Kuhhandel
Das ist passiert: Die Sicherung der Altersvorsorge und die Unternehmenssteuerreform hatten bislang nichts miteinander zu tun. 2018 änderte sich das. Die Bundesversammlung hat die beiden Geschäfte miteinander verknüpft und die sogenannte «Steuervorlage und AHV-Finanzierung» (kurz: STAF) ausgearbeitet. Die Idee dahinter: Die Schweizer Steuerprivilegien für Unternehmen werden wie von der EU gefordert abgeschafft und durch Steuersenkungen ersetzt. Zugleich soll die AHV jährlich zwei Milliarden Franken aus den Lohnprozenten, der Mehrwertsteuer und der Bundeskasse erhalten. Dieser mustergültige Kompromiss konnte fast alle Regierungsparteien vereinen und wurde von National- und Ständerat abgesegnet.
Das ist der aktuelle Stand: Ein sehr linkes und ein sehr rechtes Komitee haben aus unterschiedlichen Gründen das Referendum gegen die STAF ergriffen. Die Rechten beklagen das AHV-Geschenk, die Linken wollen die hohen Steuersenkungen verhindern. Die Frist für die 50’000 Unterschriften läuft noch bis zum 17. Januar.
So geht es weiter: Kommt das Referendum zustande, stimmt das Volk am 19. Mai 2019 über die Vorlage ab. Eine Ablehnung der STAF wäre verheerend: Einerseits gäbe es grossen Ärger mit der EU, anderseits würde der Reformdruck bei der Altersvorsorge akut.
Das hat die Republik dazu geschrieben:
Was Sie alles über die Altersvorsorge wissen müssen und wieso es AHV-Reformen so schwierig haben, lesen Sie hier.
Wie die neuste Steuervorlage zustande kam und wieso das so lange dauerte, lesen Sie hier.
Wieso der Kuhhandel ein guter Kompromiss ist und die AHV- und Steuervorlage gut zusammenpassen, lesen Sie hier.
Klimapolitik: Ständerat muss das CO2-Gesetz retten
Das ist passiert: Der Sommer 2018 war der drittwärmste und sechsttrockenste Schweizer Sommer seit Messbeginn 1864. Gletscher haben Tausende Kubikmeter Eis verloren, Fische starben und Wiesen verdorrten. Trotz der bedrohlichen Signale aus der Natur konnte sich der Nationalrat aber nicht zu einer harten Klimapolitik durchringen. Im Nationalrat haben SVP und FDP das CO2-Gesetz dermassen stark abgeschwächt, dass es politisch chancenlos war. Für Aufregung sorgte vor allem, dass die bürgerlichen Politiker das klimapolitische Inlandziel streichen und den Benzinpreis deckeln wollten.
Das ist der aktuelle Stand: Zwischen dem bürgerlichen und linken Lager gibt es grosse Meinungsverschiedenheiten darüber, mit welchen Mitteln die Schweiz ihre Klimaziele erreichen soll. Nachdem der Nationalrat das CO2-Gesetz abgeschossen hat, muss nun der Ständerat noch einmal von vorne beginnen. Umstritten ist, ob das vom Bund vorgeschlagene CO2-Gesetz überhaupt ausreicht, um die Pariser Klimaziele einzuhalten. Darum sind verschiedene Volksinitiativen in der Pipeline, die einen deutlich schärferen Kurs fahren möchten. So will zum Beispiel die Gletscher-Initiative fossile Brennstoffe bis 2050 komplett verbieten.
So geht es weiter: Bis 2030 will die Schweiz ihre Treibhausgas-Emissionen um fünfzig Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 reduzieren. Damit sie dieses Ziel fristgerecht erreichen kann, muss nächstes Jahr eine endgültige Lösung auf dem Tisch liegen. Ansonsten wird es knapp. Darum ist zu erwarten, dass im Ständerat ein mehrheitsfähiger Kompromiss zustande kommen wird.
Das hat die Republik dazu geschrieben:
Wie die Schweizer Politik beim Klimawandel versagt und wieso sie energischer durchgreifen müsste, lesen Sie hier.
Im Nationalrat hat die FDP einen Kompromiss verhindert. Wieso nicht alle Freisinnigen zufrieden sind mit der Klimapolitik ihrer Partei, lesen Sie hier.
Wieso die Erderwärmung für die Schweizer Landwirtschaft eine Chance ist und sich die Bauern trotzdem schwertun mit den erforderlichen Umstellungen, lesen Sie hier.
Medienpolitik: Offene Fragen nach weiterem Krisenjahr
Das ist passiert: Die Schweizer Medienszene wurde 2018 noch stärker durchgeschüttelt als in den vorangegangenen Krisenjahren. Gute und schlechte Nachrichten hielten sich dabei die Waage. Im Januar sahen sich die Journalistinnen der Nachrichtenagentur SDA nach haarsträubenden Entscheidungen ihres Managements zu einem viertägigen Streik veranlasst. Im März atmete die Medienbranche auf, als die No-Billag-Initiative abgelehnt wurde, die die Abschaffung der Radio- und TV-Gebühren gefordert hatte. Im Juni präsentierte der Bundesrat seinen Entwurf für ein neues Mediengesetz. Und während des gesamten Jahres 2018 schritt die Medienkonzentration voran: Tamedia kaufte die «Basler Zeitung» und stellte die gedruckte Ausgabe von «Le Matin» ein, sowohl die «Tageswoche» als auch der «Blick am Abend» erschienen zum letzten Mal.
Das ist der aktuelle Stand: Mit Simonetta Sommaruga erhält die Schweiz ab dem 1. Januar 2019 eine neue Medienministerin. Ihre Vorgängerin Doris Leuthard hinterlässt ihr mit dem Mediengesetz eine Totgeburt – in der Vernehmlassung fiel der bundesrätliche Entwurf hochkant durch. Zuletzt haben Parlamentarier aller grossen Parteien mit Ausnahme der SVP Vorstösse eingereicht, mit denen sie eine Verfassungsgrundlage für die direkte Presseförderung schaffen wollen. Der Verband Medien mit Zukunft fordert hingegen den Bund auf, einen Innovationsfonds für Schweizer Medien zu gründen und diesen pro Jahr mit 100 Millionen Franken zu speisen.
So geht es weiter: Nach Leuthards Scheitern muss Sommaruga bei null beginnen – eine Chance. Gut möglich, dass sich die SP-Bundesrätin sowohl für eine Verfassungsänderung starkmachen wird als auch für einen Innovationsfonds. Nötig ist die Verfassungsänderung, damit nicht länger bloss audiovisuelle Inhalte gefördert werden können, sondern auch Texte – im Internetzeitalter haben sich die Grenzen zwischen diesen einst getrennten Gattungen längst aufgelöst. Nebst diesen politischen Diskussionen dürfte es 2019 aber gleich weitergehen wie zuletzt: mit Entlassungen von Journalisten und der Einstellung von Printzeitungen und -zeitschriften.
Das hat die Republik dazu geschrieben:
Weshalb der Streik bei der Nachrichtenagentur SDA die ganze Misere der Schweizer Verlage schonungslos aufzeigte, lesen Sie hier.
Wie die Tamedia zum mächtigsten Medienkonzern des Landes aufstieg und warum dies für die Schweizer Demokratie schlecht ist, lesen Sie hier.
Wieso das vom Bundesrat präsentierte Mediengesetz ein einziger Murks ist, lesen Sie hier.
Zahl des Jahres: Gesundheitskosten steigen und steigen
Die Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH Zürich rechnet für das Jahr 2018 mit einem erneuten Anstieg der Gesundheitskosten von 3,8 Prozent. Damit wären die Ausgaben im auslaufenden Jahr erstmals auf über 10’000 Franken pro Kopf angeschwollen. Und der Trend flacht nicht ab. Für die nächsten zwei Jahre prognostiziert die KOF weitere Kostenzunahmen von jährlich 4 Prozent.
Gründe für die hohen Kosten sind die gestiegenen Löhne im Gesundheitswesen, aber vor allem auch der demografische Wandel. Ältere Leute beanspruchen Gesundheitsleistungen stärker als die jungen. Trotzdem: Die Politikerinnen aus allen Lagern sind sich einig, dass im Gesundheitssektor ein grosses Sparpotenzial besteht. Die CVP und die SP lancierten eigene Volksinitiativen, und der Bundesrat hat im Herbst ein erstes Massnahmenpaket verabschiedet. Das heisst fürs nächste Jahr: Die Debatte um die Gesundheitskosten wird neben der Klima- und der Europafrage den Wahlkampf bestimmen.
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