Das Wunder von Malaysia, eine Frage zum Vollgeld und ein Wochenrückblick
19.05.2018
Ladies and Gentlemen
beziehungsweise:
Tuan serta Dam
So werden wir Sie wahrscheinlich in Zukunft ansprechen müssen, falls wir im Geschäft bleiben wollen. Denn die Mehrheit unseres Publikums kommt neuerdings aus Malaysia.
Zuerst vermutete unsere IT-Abteilung einen Hacker-Angriff. Der Grund war, dass die Zugriffszahl aus Malaysia explodiert war: von rund 15 Zugriffen pro Tag auf 48'000. Als die IT dann nachprüfte, was los war, entdeckte sie, dass das ganze Interesse nur einem einzigen Artikel galt: «The UBS in the Jungle» von Mark Dittli – der englischen Übersetzung von Dittlis Recherche «Die UBS im Dschungel».
Die Übersetzung war seit dem 26. März nicht sehr stark beachtet worden. Am Tag der Veröffentlichung lasen sie 150 Leute. Dann, am Samstag vor einer Woche, lasen sie 300 Leute, am Sonntag 4000, am Montag 6000, am Dienstag 48'000, am Mittwoch 51'000, am Donnerstag wieder nur 12'000 – kurz, sie hatte sich verbreitet wie eine Infektionskrankheit in einem geschlossenen Saal.
Was war passiert?
Am 9. Mai feierte die Opposition in Malaysia einen sensationellen Sieg. Sie schlug Umno, die Regierungspartei des Premierministers Najib Razak. Die Umno ist quasi die FDP Malaysias: Sie war seit der Unabhängigkeit 1957 ununterbrochen an der Macht. Was Razak das Genick brach, war, dass er ein wenig übertrieben hatte – er hatte die malaysischen Staatsfonds um 4,5 Milliarden Dollar erleichtert. Die Umno-Funktionäre schmissen mit Luxuskarossen und Van-Gogh-Bildern nur so um sich, der Hollywoodfilm «The Wolf of Wall Street» mit Leonardo DiCaprio wurde durch die Gelder produziert, Razak selber erklärte 700 Millionen Dollar auf seinem Privatkonto durch eine «Spende aus Saudi-Arabien».
Darauf wechselte ein alter Mann die Seite: Mahathir Mohamad war von 1981 bis 2003 Premierminister gewesen: autoritär, aber durch die Ölindustrie erfolgreich – er hatte Malaysia zu einem boomenden Tigerstaat gemacht. Nun kam Mahathir nach 15 Jahren aus der Pension zurück, bezeichnete seinen Nachfolger als «Monster» – und stellte sich an die Spitze der Opposition, deren Politiker er zu seiner Regierungszeit noch ins Gefängnis werfen liess. Mit 92 Jahren ist er einer der ältesten Wahlsieger der Geschichte.
Doch wahrscheinlich war es das Patt im Wahlkampf in der ölfreien, also relativ armen Provinz Sabah, die Dittlis Artikel zur Sensation machte. Bei den Wahlen in Sabah bekam der seit 15 Jahren regierende Umno-Gouverneur Musa Aman 29 Parlamentssitze, gleich viel wie die Opposition. Einige Abgeordnete wechselten zu ihm: Er wurde vereidigt. Doch dann wechselten Umno-Abgeordnete zur Opposition: Nun wurde auch der Oppositionsführer vereidigt.
Kurz: In Sabah herrscht gerade eine konstitutionelle Krise. Und hier schlug der Artikel von Dittli wahrscheinlich ein wie eine politische Bombe: Denn Dittli zeichnete detailliert nach, wie die UBS Musa Aman und seinen Leuten half, Dutzende von Millionen an Bestechungsgeldern hin und her zu schieben.
Sollte die Republik also in ihren ersten vier Monaten gar in Asien mehr bewirkt haben als in Graubünden? Darüber wären wir genauso erstaunt wie erfreut.
Damit zum nicht-asiatischen, also quasi unbedeutenden Restteil unserer Produktion:
Die Schweiz beschäftigt sich weniger mit Bestechungs- als mit Vollgeld. Dabei stellt sich Daniel Binswanger eine Frage immer wieder: Warum ist das Niveau der Debatte um die Initiative so tief, konfus und polemisch?
Dominic Nahr ist diesmal mit seiner Kamera in Lüneburg, einer Stadt im Norden Deutschlands, deren Gebäude derart penetrant aus rotem Stein sind, dass ihre Einwohner sagen, sie sei faulobstfarben.
Und damit, wie gewohnt, zu ein paar Lesetipps aus der vergangenen Woche:
Am Donnerstag ging Michael Rüegg der Frage nach, weshalb die Ehe für alle in der Schweiz nicht umgesetzt wird. Obwohl die Bundesverfassung nur eine Form der Ehe verbietet: die zwischen nahen Verwandten.
Sibylle Bergs Pessimismus wurde durch die Zuversicht der Historikerin Hedwig Richter auf eine brutale Probe gestellt. Es ergab sich ein Duell zwischen Dunkelheit und Licht, das die Laserschwert-Kämpfe bei «Star Wars» nicht scheuen muss.
Wie funktioniert Marktwirtschaft? Der liberale Ökonom Paul De Grauwe sprach mit Daniel Binswanger – und erklärt schlüssig, dass alle, die den Gegensatz Staat–Markt predigen, wissenschaftlich gesehen vor allem eins sind: Schwätzer.
Adrienne Fichter erhielt etwas Sensationelles von Facebook: eine Antwort. Zum ersten Mal weiss man nun, dass Facebook mit Aufrufen Wahlen in über 60 Ländern beeinflusste. Und dasselbe auch 2019 in der Schweiz plant.
Christof Moser recherchierte die Geschichte des mächtigsten Medienkonzerns der Schweiz: Tamedia. Der aber an Medien kaum mehr Interesse hat. Und die grösste Massenentlassung der Pressegeschichte vorbereitet.
Damit: Undang dan mempunyai hujung minggu bagus.
(Was, für unser nicht-malaysisches Restpublikum übersetzt, heisst: Auf Wiedersehen und schönes Wochenende.)
Mengalu-alukan,
Ihre Crew der Republik