Welche Politiker sich bezahlen lassen, gute Aussichten für GLP und FDP – und kommt doch «Nur Ja heisst Ja»?
Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (209).
Von Dennis Bühler, Angelika Hardegger, Priscilla Imboden und Jana Schmid, 27.10.2022
Wer die Republik liest, weiss: Das Parlament ist ein Tummelfeld für Lobbyisten. Sie lauern in der Wandelhalle, stecken den Parlamentsmitgliedern Argumentarien zu, werben sie an für Verwaltungsräte und Organisationen – als Gegenleistung gibts Kontakte, manchmal auch Geld. Das kann Abhängigkeiten schaffen, und deshalb müssen die Parlamentsmitglieder ihre Mandate einmal pro Jahr deklarieren.
Die Transparenzplattform Lobbywatch hat die Deklarationen nun neu ausgewertet und aufgelistet, wer am meisten Ämter sammelt. Und erstmals auch, wer dafür bezahlt wird.
An der Spitze steht demnach der Luzerner FDP-Nationalrat Peter Schilliger mit 18 bezahlten und 5 unbezahlten Ämtern. Den zweiten Rang teilen sich mit 16 vergüteten Mandaten FDP-Ständerat Martin Schmid, FDP-Nationalrat Beat Walti, Mitte-Ständerat Erich Ettlin – und Bundesratskandidat und SVP-Nationalrat Albert Rösti. Die Mitte-Politikerin Ruth Humbel hatte Lobbywatch zuerst fälschlicherweise mit 21 bezahlten Mandaten ausgewiesen. In der Tat sind es 14, womit die Politikerin nicht mehr zuoberst, aber doch in den Top 10 figuriert.
Wie können die Parlamentarierinnen ihre Unabhängigkeit trotz der vielen Mandate wahren?
Listenführer Peter Schilliger erklärt, man müsse die Mandate differenziert betrachten: «8 dieser 18 Mandate haben mit meinem unternehmerischen Engagement in der Gebäudetechnik zu tun.» Er setze sich damit dafür ein, dass junge Leute sich für eine handwerkliche Lehre entscheiden und so helfen, den Fachkräftemangel zu reduzieren. «Von Lobbyismus kann bei solchen Mandaten wahrlich nicht die Rede sein, sie sind mit bezahlten Mandaten bei Krankenkassen nicht zu vergleichen!»
Über ein solches von Schilliger kritisiertes Mandat verfügt Mitte-Ständerat Erich Ettlin: Er sitzt im Verwaltungsrat der Krankenversicherung CSS. Er erklärt: «Als Mitglied des CSS-Verwaltungsrates (nur ein Mandat, aber es werden alle Gesellschaften und Tochtergesellschaften des CSS-Vereins aufgelistet) und der Spitex vertrete ich sowohl eine Krankenkasse wie auch einen Leistungserbringer. Früher war ich auch Mitglied des Verwaltungsrates des Kantonsspitals Obwalden. Meine Tätigkeit im Gesundheitswesen ist breit abgestützt.»
Ein Multi-Verwaltungsrat ist auch FDP-Ständerat Martin Schmid, er sitzt in Verwaltungsräten einer Versicherung sowie der Strom- und Gasindustrie. Er sagt dazu: «Ich bin bezahlt, um in diesen Unternehmen und Führungsgremien wie andere Mitglieder zu arbeiten und meine Fähigkeiten einzubringen. Die politische Tätigkeit ist transparent, die Voten und Vorstösse und Abstimmungen sind auch im Ständerat öffentlich.»
Mitte-Nationalrätin Ruth Humbel spricht von Diffamierung statt Transparenz, nicht nur wegen des Fehlers, sondern auch, weil Lobbywatch bei Verwaltungsratsmandaten in Konzernen auch die Tochterfirmen aufführt, bei denen die Politikerin einsitzt. So weist die Liste 4 Mandate beim Krankenversicherer Concordia und 5 beim Rehaklinik-Betreiber Zurzach Care aus. «Es handelt sich dabei um jeweils ein Mandat und eine Entschädigung», sagt Humbel. Lobbywatch hält mit Verweis auf das Parlamentsgesetz in dieser Frage an seiner Darstellung fest.
Mehrere befragte Parlamentsmitglieder, wie etwa FDP-Fraktionspräsident Beat Walti, werden grundsätzlich: «Es ist das Wesen des Milizprinzips, dass die Parlamentsmitglieder ihre jeweilige persönliche und berufliche Erfahrungswelt und Perspektive auch in die politische Tätigkeit einbringen. Das ist ein Vorteil, es verhindert eine ‹abgehobene› Politik, die als Selbstzweck betrieben wird, und ist eben gerade nicht gleichzusetzen mit Abhängigkeit.»
Und was sagt SVP-Bundesratskandidat Albert Rösti, seines Zeichens Präsident des Wasserwirtschaftsverbandes, des Verbandes Auto-Schweiz und der Grand Kasino Kursaal Bern AG? Der damals noch als Präsident der Erdölimporteure aktiv dazu beitrug, das CO2-Gesetz zu bodigen? Er erklärt: «Bei der Auswahl meiner Mandate schaue ich genau darauf, dass diese vollumfänglich mit meinen politischen Werten übereinstimmen und sich gegenseitig nicht widersprechen, damit Interessenkonflikte gar nicht erst entstehen.» Weiter müsse die Entschädigung so bemessen werden, dass vom Mandatsgeber keine Erwartungen, die über die eigentliche Arbeitsleistung und Verantwortung hinausgehen, geltend gemacht werden könnten. Schliesslich bestehe mit der Offenlegungspflicht die notwendige Transparenz, für wen er neben der Parlamentsarbeit tätig sei.
An dieser Transparenz zweifelt Thomas Angeli, Co-Direktor von Lobbywatch: «Die bestehenden Regeln reichen nicht aus, es braucht Transparenz über die Höhe der Entschädigungen.» Das Parlament berät derzeit über einen Vorstoss der SP-Fraktion, der Licht ins Dunkel bringen möchte, indem die Parlamentarier grössere Beträge offenlegen müssen. SP-Nationalrätin Nadine Masshardt twitterte, der Nationalrat habe es in der Hand, das in der Wintersession zu beschliessen.
Und damit zum Briefing aus Bern.
Wahlbarometer: GLP und FDP legen zu, Grüne verlieren
Worum es geht: Corona-Pandemie, Russland-Ukraine-Krieg, Inflation und Energiemangellage – trotz internationaler Krisen und nationaler Sorgen bleiben die Wahlabsichten der Schweizer Bevölkerung stabil. Dies zeigt das gestern veröffentlichte Wahlbarometer des Forschungsinstituts Sotomo im Auftrag der SRG. Wäre der Nationalrat Anfang Oktober gewählt worden, hätten bloss zwei Parteien eine bedeutende Veränderung erfahren: Die Grünliberalen hätten um 1,5 Prozentpunkte auf 9,3 Prozent zugelegt, die Grünen hätten 1,5 Prozentpunkte eingebüsst und damit neu 11,7 Prozent aller Stimmen erreicht. Bemerkenswert ist auch die FDP: Hatte das letzte Wahlbarometer vor einem Jahr dem Freisinn einen Verlust von 1,5 Prozentpunkten attestiert, würde er im Vergleich zu den Wahlen 2019 aktuell um einen Prozentpunkt auf 16,1 Prozent zulegen. Die Studienautoren schreiben die Trendwende zum Teil dem neuen Parteichef Thierry Burkart zu.
Warum Sie das wissen müssen: Die Verteilung der Stimmen ist nicht bloss wegen der Zusammensetzung des Nationalrats relevant, sondern auch wegen der Verteilung der Bundesratssitze. Vor einer Woche haben die Grünen den Regierungsparteien den Kampf angesagt: Sie setzten alles daran, Ende 2023 deren «Machtkartell» zu knacken, teilten sie an einer Medienkonferenz mit. Das aktuelle Wahlbarometer versetzt diesen Hoffnungen nun einen Dämpfer. Ändern sich die Parteistärken bis in einem Jahr nicht deutlich, dürfte der Bundesrat auch in der nächsten Legislatur aus je zwei Vertreterinnen der SVP, FDP und SP sowie einer der Mitte bestehen, bleiben doch sowohl Grüne als auch GLP deutlich hinter diesen vier Parteien zurück.
Wie es weitergeht: Gewählt werden National- und Ständerat am 22. Oktober 2023. Siebeneinhalb Wochen später stehen die Gesamterneuerungswahlen des Bundesrats an.
Sexualstrafrecht: Nationalratskommission will «Nur Ja heisst Ja»
Worum es geht: Letzten Freitag hat sich die Rechtskommission des Nationalrats dafür ausgesprochen, im Sexualstrafrecht die Zustimmungslösung zu verankern («Nur Ja heisst Ja»). Einen sexuellen Übergriff, eine sexuelle Nötigung oder eine Vergewaltigung begeht demnach, wer «ohne die Einwilligung» einer Person eine sexuelle Handlung an ihr vornimmt. Es braucht also eine Zustimmung aller Beteiligten, damit eine sexuelle Handlung als einvernehmlich gilt. Die Nationalratskommission widersprach mit 15 zu 10 Stimmen dem Ständerat. Dieser hatte sich zuvor – wie auch der Bundesrat – für die «Widerspruchs»-Lösung («Nein heisst Nein») ausgesprochen. Danach macht sich strafbar, wer eine sexuelle Handlung «gegen den Willen» einer Person vornimmt, also nur, wenn das Opfer seine Ablehnung verbal oder nonverbal zum Ausdruck bringt.
Warum Sie das wissen müssen: Die Debatte um eine Verschärfung des Sexualstrafrechts ist kontrovers. Bereits 2018, vor Beginn der parlamentarischen Beratungen, hat sich die Republik mit der Zustimmungslösung befasst, damals noch als progressive Forderung aus der Rechtswissenschaft. Allerdings sprachen sich in der Folge unter anderem Strafverteidigerinnen gegen die Zustimmungslösung aus, weil sie in der Anwendung im Strafverfahren eine Beweislastumkehr bedeuten könne und damit den Grundsatz der Unschuldsvermutung missachte. Auch eine Minderheit in der Nationalratskommission warnte vor «Symbolstrafrecht» und Beweislastumkehr. Amnesty International präsentierte hingegen im April eine vom GFS-Institut erstellte Studie, laut der 45 Prozent von rund tausend befragten Personen aus der Schweizer Bevölkerung die «Nur Ja heisst Ja»-Lösung wollen, während 27 Prozent die «Nein heisst Nein»-Regel befürworten. Einig sind sich der Bundesrat, der Ständerat und die Nationalratskommission darin, dass das Sexualstrafrecht revidiert und der bestehende Vergewaltigungstatbestand ausgeweitet werden soll – insbesondere, weil eine Vergewaltigung heute zwingend eine Nötigung des Opfers voraussetzt. Keine Zustimmung in der Nationalratskommission fand jedoch auch der Beschluss des Ständerats, bei der qualifizierten Form der Vergewaltigung eine Mindeststrafe von mehr als zwei Jahren vorzusehen. Damit würde der bedingte Freiheitsentzug ausgeschlossen.
Wie es weitergeht: Das Geschäft geht in den Nationalrat, der voraussichtlich in der kommenden Wintersession darüber beraten wird. Erst wenn sich beide Räte auf eine Reform geeinigt haben, kann dagegen das Referendum ergriffen werden.
Migration: Bundesasylzentren stossen an Kapazitätsgrenze
Worum es geht: Weil die Zahl der Asylsuchenden seit dem Sommer hoch ist, sind die Bundesasylzentren ausgelastet. Sie verfügten kaum noch über freie Betten, hat das Staatssekretariat für Migration (SEM) am Dienstag in einer Mitteilung geschrieben. Um weiterhin jedem Asylsuchenden einen Schlafplatz in einem Bundesasylzentrum garantieren zu können, wird zurzeit ein Teil der Asylsuchenden den Kantonen früher zugewiesen als bisher. Die Kantone müssen sich gemäss SEM darauf einstellen, vorübergehend bis zu 1000 statt wie bisher 500 Menschen pro Woche aufzunehmen. Die Personen werden proportional zur Bevölkerung auf die Kantone verteilt.
Warum Sie das wissen müssen: Pro Woche bitten derzeit rund 800 Menschen um Asyl. Besonders gross war der Andrang im September, als innert eines Monats so viele Menschen ein Asylgesuch stellten wie nie seit 2015/2016. Das SEM hat deshalb kürzlich gemeinsam mit der Armee fast 20 zusätzliche Unterkünfte in Betrieb genommen oder vorbereitet. Dazu zählen Mehrzweckhallen in Bure, Chamblon, Emmen, Schönbühl und Thun. Zu den Asylsuchenden zählen ausserdem die knapp 67’000 Ukrainerinnen, die seit der russischen Invasion den Schutzstatus S erhalten haben. Im internationalen Vergleich ist das eine überschaubare Zahl: Insgesamt haben in Europa 4,4 Millionen ukrainische Geflüchtete einen Schutzstatus beantragt.
Wie es weitergeht: Bis Ende Dezember rechnet das SEM für das aktuelle Jahr mit mindestens 22’000 Asylgesuchen, was 7000 mehr wären als im Vorjahr und so viele wie nie seit dem Jahr 2016. Angesichts des anstehenden Wahljahres dürfte vor allem die SVP versucht sein, daraus Kapital zu schlagen. Am vergangenen Freitag warnte die Parteispitze bereits vor den steigenden Zahlen.
Metapher der Woche
Weil der Landgasthof Sonne im Toggenburg am Berg liegt, kann der ehemalige SVP-Präsident Toni Brunner auf Politik und Partei hinabschauen. Kann zum Beispiel beobachten, wie die «Weltwoche» kürzlich einen Angriff auf den Bundesratskandidaten Albert Rösti versuchte. Es blieb beim Versuch, und doch fragte die «SonntagsZeitung» darauf: «Wird Rösti zum halben Bundesrat?» Toni Brunner hat die Frage am Wochenende in einer Kolumne beantwortet. Seine Kolumnen erzählen üblicherweise von Skifahrern, Viehzuchtvereinen und Schwingern, und immer zur Pointe kommentieren sie das aktuelle Geschehen. Diese Woche also im «Walliser Boten»: Soll Albert Rösti Bundesrat werden? Brunners Antwort beginnt auf einer Alp im Wallis, wo er einst unter Fendanteinfluss eine Eringerkuh kaufte, die später ein Kalb gebar. Später focht das Kalb, mittlerweile zur Kuh gewachsen, einen Kampf gegen eine andere Kuh aus und verlor sämtliche Haare. Das Fell wächst nun wieder nach, wie Brunner zu erzählen weiss, bisher aber nur zur Hälfte. Er habe seine Kuh im Stall getröstet, schreibt Brunner, er habe ihr gesagt: «Lieber ein halbes Fell als ein halber Bundesrat.» Und zum Ende der Kolumne weiss man gar nicht, was man lieber hat: einen halben Angriff auf Albert Rösti oder einen ganzen.
Illustration: Till Lauer