Wollen die Anwälte, dass Vergewaltiger ohne Strafe bleiben?
Die geplante Verschärfung des Sexualstrafrechts sorgt für Kontroversen. Was die Rechtswissenschaft vorschlägt, stösst auf Entrüstung bei der Anwaltschaft. Fünf Standpunkte – und ein Gespräch mit der Zürcher Verteidigerin Tanja Knodel.
Von Brigitte Hürlimann (Text) und Joan Minder (Bilder), 12.07.2019
Soll im Strafrecht neu der Grundsatz verankert werden, dass sexuelle Handlungen ohne Zustimmung zu bestrafen sind?
«Nein», sagt die Zürcher Fachanwältin für Strafrecht, Tanja Knodel, dezidiert: «Sex gegen den Willen eines Beteiligten gehört unter Strafe gestellt, und das ist heute schon der Fall. Nicht aber Sex ohne beweisbare Zustimmung.»
Die 44-jährige Verteidigerin sieht bei der jetzigen Debatte rund ums künftige Sexualstrafrecht grundlegende gesellschaftliche Wertehaltungen in Gefahr: «Nehmen wir eher einen Schuldigen in Kauf, der freikommt – oder einen Unschuldigen, der verurteilt wird und ins Gefängnis kommt? Ich befürchte, dass bei den Sexualdelikten die unschuldig Verurteilten als das kleinere Übel wahrgenommen werden. Das ist eine bedenkliche Entwicklung.»
Das Schweizer Sexualstrafrecht ist 1992 letztmals umfassend reformiert worden. Seither gilt der Grundsatz, dass das Strafrecht die sexuelle Integrität und das Selbstbestimmungsrecht der Einzelnen schützt – nicht moralische Auffassungen. Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung bedeutet: Eine mündige, urteilsfähige Person kann ihren freien Willen äussern; ohne Druck, Nötigung oder Gewalt (physische wie psychische), ohne Ausnützung einer Abhängigkeit und ohne dass sie widerstandsunfähig gemacht wurde; etwa mit Drogen oder Alkohol. Besonders streng werden Kinder geschützt.
Im April vergangenen Jahres hat der Bundesrat seine Vorschläge für Änderungen des Sexualstrafrechts unterbreitet; gut versteckt in einer Botschaft zur Harmonisierung der Strafrahmen. Er will bei den Sexualdelikten die Geldstrafen streichen und nur noch Freiheitsstrafen vorsehen: «aus kriminalpolitischen und generalpräventiven Gründen». Die Vergewaltigung soll geschlechtsneutral formuliert und die Mindeststrafe verdoppelt werden – von bisher einem Jahr auf zwei Jahre. «Damit soll der erhöhte Unrechtsgehalt, den eine Vergewaltigung aufweist, besser zum Ausdruck gebracht werden», so der Bundesrat.
Die Vorschläge zum künftigen Sexualstrafrecht reichen von einer Verschärfung der Strafandrohung bis zur gesetzlichen Verankerung der Einwilligung oder der geschlechtsneutralen Tatumschreibung. Und die Reaktionen darauf sind höchst unterschiedlich.
Fünf Positionen zur laufenden Debatte – und die Sicht einer Verteidigerin:
Marcel Niggli
Der Freiburger Strafrechtsprofessor hat in drei Republik-Beiträgen («Über Lüge und Beischlaf», Teil 1, Teil 2, Teil 3) auf die Vorschläge des Bundesrats reagiert. Sie überträfen die schlimmsten Befürchtungen, alles werde durch eine grosse Wurstmaschine gepresst. Die Argumentation der Regierung sei verlogen und zum Teil schlicht falsch: «Gesetzgebung sollte nicht auf die Befriedigung der Medien ausgerichtet sein, sondern auf die Kohärenz der Gesellschaft.» Wer Strafrecht durchsetzen wolle, müsse nicht die Strafen erhöhen, sondern Polizisten einstellen, «aber das kostet natürlich Geld».
Nora Scheidegger
Vergangenen Sommer präsentierte die Oberassistentin am Institut für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Bern ihre Dissertation über das Sexualstrafrecht in der Schweiz – mit Vorschlägen für eine grundlegende Reform. Scheidegger will einen neuen Grundtatbestand einführen, der sexuelle Handlungen ohne Einwilligung unter Strafe stellt. Sie sagt: Ein Nein solle Nein heissen und nur ein Ja wirklich Ja. «Wenn es zu viel verlangt ist, im Zweifel auch mal zu fragen: ‹Hey, ist das okay für dich?› – dann sollte man vielleicht einfach keinen Sex haben», sagte Scheidegger damals im Gespräch mit der Republik.
Amnesty International
Die Menschenrechtsorganisation veröffentlichte Ende Mai eine Umfrage unter 4495 Frauen und Mädchen in der Schweiz. Das Resultat: Sexuelle Belästigung und sexuelle Gewalt kommen deutlich häufiger vor als in der Kriminalitätsstatistik ausgewiesen. Amnesty lancierte eine Petition, die einen Paradigmenwechsel im Sexualstrafrecht fordert: Das Prinzip des Einverständnisses soll im Gesetz verankert werden – so wie dies heute schon in acht europäischen Ländern der Fall sei. Das werde auch von der Istanbul-Konvention verlangt, die von der Schweiz ratifiziert wurde.
Die Strafrechtsprofessoren
22 Strafrechtsprofessorinnen und -professoren haben sich der Petition von Amnesty International angeschlossen. Sie rufen Justizministerin Karin Keller-Sutter dazu auf, «Massnahmen zu ergreifen, damit Betroffene besser vor sexuellen Übergriffen geschützt werden». Die Unterzeichnenden schreiben: «Im revidierten Gesetz sollte zum Ausdruck kommen, dass das grundlegende Unrecht eines Übergriffs gegen die sexuelle Integrität nicht Zwang oder Gewalt ist, sondern die Missachtung der Selbstbestimmung im intimsten aller Lebensbereiche.» Setze sich ein Täter über das Nein des Opfers hinweg, ohne ein Nötigungsmittel einzusetzen, so werde eine solche Tat heute nicht als Vergewaltigung oder sexuelle Nötigung bestraft.
Die Anwaltschaft
Die Stellungnahme aus der Rechtswissenschaft führte umgehend zu einer heftigen Reaktion aus der Anwaltschaft. 32 auf Strafrecht spezialisierte Anwältinnen und Anwälte bezeichnen die professoralen Ausführungen als Fake News. Es stimme nicht, dass in der Schweiz Sexualstraftäter nur selten zur Rechenschaft gezogen würden und die sexuellen Übergriffe ein schockierendes Ausmass angenommen hätten. Die Kriminalstatistik zeige, dass die Fallzahlen betreffend Sexualdelikte in den vergangenen 10 Jahren konstant geblieben seien, trotz Bevölkerungswachstum: «Derselben Statistik kann entnommen werden, dass die Aufklärungsquote bei annähernd 90 Prozent liegt. Im Vorjahr lag sie bei annähernd 100 Prozent.» Die Forderungen aus der Professorenschaft seien deshalb unbegründet.
Tanja Knodel, Sie haben das Schreiben der Anwaltschaft unterzeichnet. Wollen Sie, dass Vergewaltiger straffrei davonkommen?
Das will ich keinesfalls. Tatsächlich höre ich diesen Vorwurf aber oft. Was bei der Diskussion um eine allfällige Reform des Sexualstrafrechts vergessen geht: Gerade bei schweren Delikten sind hohe Anforderungen ans Beweismass und an die Rechtsstaatlichkeit zu stellen. Das heisst: Es ist der Staat, der beweisen muss, ob ein Beschuldigter schuldig ist oder nicht. Das ist bei schweren Delikten mit einer strengen Strafandrohung besonders wichtig. Der Bundesrat schlägt ja vor, dass neu bei der Vergewaltigung eine Mindeststrafe von zwei Jahren gelten soll. Das ist eine massive Verschärfung und ein Eingriff ins richterliche Ermessen. Sollte diese Änderung beschlossen werden, wird die staatliche Beweispflicht noch wichtiger.
Bei Sexualdelikten handelt es sich häufig um Vieraugen-Delikte: ohne Zeugen, oft auch ohne Spuren. Es ist enorm schwierig, unter solchen Umständen die Beweise zu erbringen.
Diese Beweisproblematik besteht bei allen Vieraugen-Delikten, nicht nur im Sexualstrafrecht. Und es stimmt, es gibt Fälle, da wird ein Täter nicht bestraft, obwohl er die Tat begangen hat. Er oder sie wird freigesprochen, weil der Staat die Beweise nicht erbringen kann. Das ist schlimm und für die Opfer oder Geschädigten ein stossendes Ergebnis. Es ist jedoch ebenfalls schlimm, wenn jemand verurteilt wird, obwohl er die Tat nicht begangen hat – erst recht, wenn es ihm nicht gelingt, sich zu entlasten. Das sind ganz grundlegende Fragen und Wertehaltungen, die von der Gesellschaft beantwortet werden müssen. Nehmen wir eher einen Schuldigen in Kauf, der freikommt – oder einen Unschuldigen, der verurteilt wird und ins Gefängnis kommt? Für mindestens zwei Jahre, wie es der Bundesrat vorschlägt? Ich befürchte, dass bei den Sexualdelikten die unschuldig Verurteilten als das kleinere Übel wahrgenommen werden. Das ist eine bedenkliche Entwicklung.
Was würde sich an der Beweisproblematik ändern, wenn neu im Gesetz stünde, dass nicht einvernehmlicher Sex bestraft wird?
Das gilt heute schon, nach dem geltenden Sexualstrafrecht. Ein Nein ist ein Nein. Wenn jemand Nein sagt zur sexuellen Handlung, darf sich der andere nicht darüber hinwegsetzen. Die vorgeschlagene Änderung ist unnötig und weckt falsche Hoffnungen. Sex muss einvernehmlich sein, sonst liegt eine Straftat vor.
Von einer Straftat ist aber nur dann die Rede, wenn der Täter ein Nötigungsmittel einsetzt.
Nicht einvernehmlicher Sex beinhaltet immer eine Form von Nötigung. Es geht gar nicht anders. Wenn der eine Sexualpartner Nein sagt, und der andere nimmt sich den Sex trotzdem, dann wird mittels Gewalt oder mit psychischem Druck eine Grenze überschritten. Das kann ein Festhalten sein, vielleicht sind es verbale Äusserungen, auf jeden Fall setzt sich jemand über den Willen des anderen, über das Nein, hinweg, in irgendeiner Form. Zwischen dem Nein-Sagen und der dennoch vollzogenen sexuellen Handlung passiert etwas.
Ihrer Meinung nach liegt also rasch eine Nötigung vor?
Ja. Wenn die Frau Nein sagt, und der Mann holt sich trotzdem den Sex, dann ist das eine Form von Gewalt. Vielleicht ist Nötigung einfach nicht das richtige Wort, vielleicht bräuchte es hier eine Änderung: Der Wille müsste betont werden. Jemand setzt sich über den Willen des anderen hinweg, das ist eine Grenzüberschreitung, eine Demonstration von Überlegenheit und Macht. Damit wird das sexuelle Selbstbestimmungsrecht verletzt, und das ist strafbar, nach heute geltendem Recht und gemäss Rechtsprechung. Problematisch wird es, wenn man von der Täterin oder vom Täter verlangt, ein Ja des Sexualpartners zu beweisen.
Wo liegt hier der Unterschied? Ob man ein Ja oder ein Nein beweisen muss?
Die Ausgangslage ist anders. Muss vor dem Sexualakt ein ausdrückliches Ja vorliegen, im Sinne einer Vorleistung? Ist das sinnvoll? Und muss dann der andere Beteiligte beweisen, dass es dieses Ja gab? Vor der Handlung, während der Handlung, immer wieder zwischendurch? Man kann ja die Meinung ändern und den Sex plötzlich nicht mehr schön finden. Oder man hat anfänglich keine Lust und lässt sich verführen. Wie oft muss das Ja fallen? Mit dieser Forderung könnte man den Frauen einen Bärendienst erweisen. Es ist für ein Opfer schlimm, im Gerichtssaal zu hören, man könne den Übergriff nicht beweisen. Noch schlimmer dürfte es aber sein, wenn es hören muss, es habe doch Ja gesagt.
Muss sich eine Frau wehren, damit das Gericht von einem sexuellen Übergriff ausgeht?
Das steht nicht so im Gesetz, sich wehren ist kein Merkmal der Vergewaltigung. Das würde ja andernfalls heissen, dass ein Täter mit einer Frau, die sich nicht wehrt, machen kann, was er will. Das entspricht weder der Rechtslage noch unserem gesellschaftlichen Verständnis. Nochmals: Wenn eine Frau klar und deutlich sagt, sie wolle den Sexualakt nicht, dann darf sich der andere nicht darüber hinwegsetzen.
Und wenn er es trotzdem tut?
Dann liegt nicht einvernehmlicher Sex und eine Form von Gewalt oder psychischem Druck vor. Das wird bestraft. Die Staatsanwälte und die Richterinnen müssen bei der Beweiserhebung fragen, wie das Opfer Nein gesagt und ob es der Sexualpartner verstanden habe. Die Gerichte würdigen die Aussagen der Beteiligten. Bleiben erhebliche Zweifel, sprechen sie den Beschuldigten in dubio pro reo frei, wie bei allen anderen Delikten auch. Wir Verteidigerinnen und Verteidiger wehren uns dagegen, dass bei den Sexualdelikten andere Massstäbe gelten sollen. Im Sexualstrafrecht geht es um massive Vorwürfe, es drohen empfindliche Strafen. Das Risiko, dass es mit den vorgeschlagenen Änderungen vermehrt zu Falschanzeigen kommt, erachte ich als hoch.
Werden die Falschanzeigen nicht überbewertet?
Wenn wir so weit kommen, dass eine verdächtigte Person beweisen muss, dass der Sexualpartner zur Handlung Ja gesagt hat, nimmt die Gefahr von Falschanschuldigungen zu. Man kann den Sex im Nachhinein bereuen oder will nicht mehr dazu stehen. Vielleicht hat man nicht ausdrücklich Ja gesagt, sich aber in der Situation auf den sexuellen Kontakt eingelassen. Solche Fälle gehören strafrechtlich nicht geahndet, schon gar nicht mit mindestens zwei Jahren bestraft.
Sie sprechen den Vorschlag des Bundesrats an, der bei der Vergewaltigung die Mindeststrafe von einem auf zwei Jahre verdoppeln will.
Man spricht bei der Revision des Sexualstrafrechts immer nur von der Vergewaltigung. Es werden aber auch andere nicht einvernehmliche Handlungen unter Strafe gestellt – schon ein Zungenkuss gehört dazu. Hand aufs Herz: Wie oft haben Sie Ihren Partner vor dem Küssen schon gefragt, ob er damit einverstanden sei? Nie oder selten? Und auch wenn Sie es getan hätten: Könnten Sie die Einwilligung des anderen beweisen?
Die Anwaltschaft befürchtet eine Beweislastumkehr. Warum eigentlich?
Die vorgeschlagenen Gesetzesänderungen gehen eindeutig in diese Richtung: Der Verdächtigte muss seine Unschuld beweisen. Das ist das Ende der Unschuldsvermutung und das Ende des Rechtsstaats. In einem einzigen Rechtsgebiet sollen ganz andere Regeln gelten. Das ist eine gefährliche Entwicklung. Davon profitiert niemand, am wenigsten eine offene, liberale Gesellschaft. Wir müssen auch an jene denken, die von Falschanschuldigungen betroffen sein können – und das sind wir alle, auch wenn wir uns redlich bemühen, rechtschaffen und gesetzestreu zu leben. Niemand ist vor falschen Anschuldigungen geschützt.
Was passiert, wenn jemand eines Sexualdelikts verdächtigt wird?
Meine Erfahrung ist, dass bei einem solchen Verdacht sehr schnell Untersuchungshaft angeordnet wird. Schildert die Anzeigeerstatterin das mögliche Delikt einigermassen plausibel, so ist Untersuchungshaft die Regel. Dann kommt folgendes Problem hinzu: In einer Konstellation, in der Aussage gegen Aussage steht, wird dem Verdächtigten von Anfang an weniger geglaubt als dem mutmasslichen Opfer. Seine Aussagen haben weniger Wert. Anders als die Zeugen untersteht der Beschuldigte nicht der Wahrheitspflicht, er darf also theoretisch lügen. Oder er darf die Aussage verweigern.
Das ist eine schwierige Ausgangslage.
Die Verteidigung von vermeintlichen oder tatsächlichen Sexualstraftätern ist sehr schwierig – nicht zuletzt deshalb, weil es um gravierende Vorwürfe geht. Besonders schwierig wird es, wenn der Verdächtigte sagt, ich war es nicht, ich habe es nicht getan, es gab keinen Sex. Dann kann er sich zu den Vorwürfen nicht äussern, kann keine Handlungen schildern, nicht darlegen, dass alles einvernehmlich war. Das kommt bei der Staatsanwaltschaft und später bei den Gerichten nicht gut an; es wird oft als nicht nachvollziehbares Aussageverhalten taxiert, als stur und uneinsichtig. Ein Klient von mir, ein Student, war neun Monate lang in Untersuchungshaft. Der Staatsanwalt warf ihm Vergewaltigung vor, und das angebliche Opfer sagte detailliert und nachvollziehbar aus.
Angebliches Opfer?
Es sah schlecht aus für den Studenten. Dann kam die Wende. Kaum wurde er endlich aus der Untersuchungshaft entlassen, konnte er auf seinem Handy einen Chatverlauf wiederherstellen. Er ist IT-Fachmann, das war sein Glück. Dem forensischen Dienst war dies zuvor nicht gelungen. Der Chat zeigte unmissverständlich, wie sich die Anzeigeerstatterin mehrfach und überschwänglich lobend über die sexuellen Handlungen mit meinem Klienten äussert. Beschreibungen, die mir die Schamesröte ins Gesicht trieben. Der Sex war eindeutig einvernehmlich gewesen. Vermutlich bereute es die Frau im Nachhinein, das kann es geben. Aber stellen Sie sich vor, was mit dem jungen Mann passiert wäre, hätte er den Chatverlauf nicht vorlegen können. Und es war der Beschuldigte gewesen, der den entscheidenden Beweis erbrachte, nicht die Staatsanwaltschaft.
Sehen Sie keinen Reformbedarf im Sexualstrafrecht?
Nein. Die Schweiz hat die Istanbul-Konvention ratifiziert und erfüllt mit dem geltenden Recht die internationalen Anforderungen. Hingegen hätte ich kein Problem damit, wenn im Sexualstrafrecht der Wille ausdrücklich genannt würde. Wichtig ist, dass es zu keiner Beweislastumkehr kommt und die Unschuldsvermutung aufrechterhalten wird. Sex gegen den Willen eines Beteiligten gehört unter Strafe gestellt, nicht der Sex ohne beweisbare Zustimmung.
Womit wir wieder beim Konsens wären.
Wir müssen davon ausgehen, dass der einvernehmliche Sex die Regel ist. Das entspricht heute dem gesellschaftlichen Konsens. Kommt es zu nicht einvernehmlichem Sex, liegt eine strafbare Handlung vor, die der Staat beweisen muss. Einverstanden bin ich grundsätzlich mit dem Vorschlag des Bundesrats, die Vergewaltigung künftig geschlechtsneutral zu formulieren. Wenn aber gleichzeitig neue, unbestimmte Begriffe ins Sexualstrafrecht eingeführt werden sollen, wird es problematisch. Unbestimmte Rechtsbegriffe führen zu Rechtsunsicherheit und zu unterschiedlichen Anwendungen.
Sie sind Mutter einer Tochter. Ist es Ihnen nicht wichtig, dass ihr Nein ernst genommen wird?
Sehr wohl. Aber ich habe nicht nur eine Tochter, ich habe auch einen Sohn. Ich erziehe meine Kinder so, dass sie ihren Willen klar zum Ausdruck geben können – und den Willen der anderen respektieren. Ich hoffe, sie damit bestmöglich vor Übergriffen zu schützen. Für den Schutz vor falschen Anschuldigungen bin ich auf einen funktionierenden Rechtsstaat angewiesen.
Debatte: Sex nur noch, wenn beide ausdrücklich Ja sagen?
Wie liesse sich dieses Ja beweisen? Nähme damit die Gefahr von Falschanschuldigungen zu? Nehmen wir als Gesellschaft lieber unschuldig Verurteilte in Kauf als Schuldige, die mangels Beweisen freigelassen werden müssen? Diskutieren Sie heute Freitag von 13 Uhr bis 14.30 Uhr mit der Strafrechtsexpertin Tanja Knodel.