Briefing aus Bern

Crypto AG wieder im Geschäft, Postauto-Klage geschreddert – und dank Impfprämie zur Herden­immunität?

Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (129).

Von Philipp Albrecht, Reto Aschwanden, Dennis Bühler und Simon Schmid, 24.12.2020

Kurier- und Paket­dienste haben über die Festtage viel zu tun. Nun kommt ein weiterer Transport­auftrag hinzu: 400 Chiffrier­geräte müssen nach Steinhausen geliefert werden – zur Crypto International AG, der Nachfolge­firma der skandal­umwobenen Crypto AG.

Absenderin ist die Bundes­anwaltschaft. Sie hatte die Geräte im Frühjahr beschlagnahmt wegen Verdachts auf Zuwider­handlungen gegen das Güter­kontroll­gesetz. Die Behörde ging damals aufgrund der Crypto-Affäre davon aus, dass die Chiffrier­geräte manipuliert wurden.

Knappe zehn Monate später wird das Verfahren nun eingestellt. Es gebe keine Anhalts­punkte dafür, dass jemand bewusst gegen das Gesetz verstossen habe, teilte die Bundes­anwaltschaft am Montag mit. Dem Befund, dass Geräte der Crypto AG von Geheim­diensten genutzt wurden, um Regierungen auf der ganzen Welt abzuhören, widersprechen die Ermittler damit nicht. Im Gegenteil: Auch der inländische Geheim­dienst sei an der Aktion beteiligt gewesen. Aber auf Basis der geltenden Gesetze.

Deshalb sei das Vorgehen als Ganzes legitim, und deshalb hätten die Verantwortlichen bei der Crypto AG und ihren Nachfolge­firmen auch davon ausgehen können, dass der Export jener beschlag­nahmten Geräte – die «fast durchwegs typengleich» waren – rechtmässig sei.

So werden die 400 Codier­maschinen nun also in den Kanton Zug zurück­geschickt. Das Staats­sekretariat für Wirtschaft (Seco) dürfte die hängigen Ausfuhr­gesuche der Crypto International AG und weiterer Nachfolger­firmen wohl bald bewilligen. Und die Firmen sind wieder im Geschäft – sofern jetzt noch jemand ihre Geräte will.

Wichtige Fragen, die auch die Republik aufgeworfen hat, bleiben offen: Wer wusste beim Schweizer Geheimdienst von der Abhör­operation? In welchem Ausmass wurden auch Schweizer Firmen abgehört? Und wurden die Schweizer Geheim­dienste Opfer ihrer eigenen Abwehrbemühungen? Ein Schluss­strich unter die Crypto-Affäre ist also noch nicht gesetzt.

Und damit zum Briefing aus Bern.

Neue Regeln: Bund kooperiert nicht mehr mit Philip Morris

Worum es geht: Im Sommer 2019 geriet das Aussen­departement (EDA) wegen seiner Nähe zum weltgrössten Tabak­multi Philip Morris in die Kritik. Nun hat das Departement neue Richt­linien für die Zusammen­arbeit mit Sponsoren erarbeitet, die die Pflicht zu Transparenz und Sorgfalt beinhalten. «Eine Zusammen­arbeit mit Philip Morris wäre heute nicht mehr möglich, weil das Unter­nehmen kein gutes Image der Schweiz portiert», sagte Bundesrat Ignazio Cassis vergangenen Freitag vor den Medien.

Warum Sie das wissen müssen: Mit 1,8 Millionen Franken hätte Philip Morris den Schweizer Pavillon an der Welt­ausstellung in Dubai sponsern wollen – sie war für 2020 vorgesehen, wurde wegen Corona aber verschoben. Im Gegenzug hätte sich der Konzern mit dem «Image der offiziellen Schweiz» schmücken dürfen. Nach wochen­langer öffentlicher Kritik trat das EDA im Sommer 2019 vom Deal zurück. Von Philip Morris bezahlen liess es sich hingegen die Eröffnung der neuen Schweizer Botschaft in Moskau. Beim «Image­transfer» blieb es nicht, wie Recherchen der Republik zeigten: Das EDA setzte sich für Philip Morris ein, als sich der Tabak­konzern beim Gesetz­gebungs­prozess in der Republik Moldau benachteiligt fühlte. Dafür gab es eine Rüge von der Welt­gesundheits­organisation WHO und dem Bundesamt für Gesundheit. Um ähnliche Fälle in Zukunft zu verhindern, hält das EDA nun fest: «Wenn aufgrund einer Chancen-Risiko-Analyse davon ausgegangen werden muss, dass der angestrebte Image­transfer mit einer Firma nicht zustande kommen kann oder gefährdet ist, wird auf eine Sponsoring-Partnerschaft verzichtet.»

Wie es weitergeht: Die neuen Regeln gelten ab Anfang 2021 für die Teilnahme der Schweiz an internationalen Gross­veranstaltungen sowie für alle Botschaften und Konsulate. Um die Ziele der Landes­kommunikation zu erreichen, seien Sponsorings weiterhin nötig, sagte Cassis. Im kommenden Jahr wird das EDA unter anderem mit einem «House of Switzerland» in Stuttgart präsent sein, der Hauptstadt des wirtschaftlich sehr bedeutenden Bundes­landes Baden-Württemberg.

Transparenzinitiative: Ständerat hält an Gegen­vorschlag fest

Worum es geht: Die Volks­initiative «Für mehr Transparenz in der Politik­finanzierung» verlangt, dass Parteien und Abstimmungs­komitees die Herkunft aller Spenden über 10’000 Franken offenlegen müssen. Diese Forderung geht der Regierung und dem Parlament zu weit. Im Unterschied zum Bundesrat und zum Nationalrat, die bisher keinen Gegen­vorschlag wollen, hat der Ständerat vergangene Woche nun aber zum zweiten Mal bekräftigt, das Anliegen auf Gesetzesstufe aufnehmen zu wollen.

Warum Sie das wissen müssen: Zwar hält der Ständerat nach wie vor daran fest, dass Parteien nur Spenden über 25’000 Franken ausweisen müssen. Doch geht er in einem anderen Punkt sogar weiter als die Initiative: Er will, dass Abstimmungs­komitees ihren Aufwand transparent machen müssen, sofern er 50’000 Franken übersteigt (die Initiative sieht 100’000 Franken vor). Damit versucht der Ständerat, die SP, die Grünen und die Grün­liberalen für einen Gegen­vorschlag zu gewinnen, die einen solchen im September im Nationalrat noch abgelehnt hatten. Die drei Parteien taten dies, nachdem der Gegenvorschlag im Zuge der Nationalratsdebatte stark abgeschwächt worden war. Gemäss Umfragen hat die Transparenz­initiative in der Bevölkerung gute Chancen. In den letzten Jahren wurden ähnliche Begehren in mehreren Kantonen angenommen: So errangen die Juso in den Kantonen Schwyz und Freiburg aufsehen­erregende Siege. Und vor drei Wochen hat die Mitte-links-Mehrheit im Zürcher Kantonsrat eine parlamentarische Initiative eingereicht, um die Transparenz in der Politik­finanzierung zu erhöhen.

Wie es weitergeht: Die Transparenz­initiative geht noch einmal zurück in den Nationalrat. Tritt er nicht auf die Vorlage ein oder lehnt er den Gegen­entwurf erneut ab, kommt sie im Herbst 2021 oder Anfang 2022 ohne Gegen­vorschlag zur Abstimmung. Wie bei jeder Volks­initiative müssen die Initiantinnen nicht nur eine Mehrheit der Bevölkerung überzeugen, sondern auch das Stände­mehr erringen.

Postauto-Anklage: Zwei Jahre Ermittlungen für die Tonne

Worum es geht: Das Wirtschafts­strafgericht des Kantons Bern weist die Anklage des Bundes­amts für Polizei (Fedpol) gegen die Verantwortlichen des Postauto-Skandals zurück. Grund ist ein «schwerwiegender Mangel» in der Anklage: Das Fedpol hat 2018 Alt-Bundes­richter Hans Mathys und Kantons­richter Pierre Cornu als externe Verfahrens­leiter eingesetzt, wofür es laut Gericht keine gesetzliche Grund­lage gab. Nun sind sämtliche Unter­suchungs­ergebnisse und die Arbeit von zwei Jahren wertlos.

Warum Sie das wissen müssen: Vor knapp drei Jahren deckte das Bundes­amt für Verkehr den Subventionsbetrug auf: Seit 2007 hatte die Postauto-Führung illegale Gewinne in Höhe von fast 80 Millionen Franken gemacht. Finanziert wurden sie von Bund und Kantonen. Im Nachgang trat die gesamte Postauto-Führung zurück, genauso wie Post-Chefin Susanne Ruoff und Finanz­chef Pascal Koradi. Ende August dieses Jahres erhob das Fedpol, basierend auf den Unter­suchungen von Mathys und Cornu, Anklage beim Berner Wirtschaftsstrafgericht.

Wie es weitergeht: Für ein Urteil ist es noch nicht zu spät – es droht noch keine Verjährung. Bislang ist der Gerichts­entscheid in erster Linie für das Fedpol blamabel. Als Erstes müssen die Unterlagen aus 70 Befragungen vernichtet werden. Dann muss die Staats­anwaltschaft für Wirtschafts­delikte in Bern prüfen, ob der Fall nochmals vom Fedpol aufgerollt werden darf. Danach muss entschieden werden, wer sich der erneuten Unter­suchung annimmt. Juristen rechnen mit einer Verzögerung von mehreren Jahren.

Kurzarbeit: Wer schlecht verdient, bekommt vollen Lohn

Worum es geht: Das Parlament hat beschlossen, dass Menschen mit sehr tiefen Einkommen bei Kurzarbeit den vollen Lohn erhalten. Das betrifft Einkommen bis 3470 Franken. Wer bis zu 4340 Franken verdient, erhält ebenfalls 3470 Franken.

Warum Sie das wissen müssen: Leute, die wenig verdienen, rutschen durch Lohn­ausfälle schnell in die Armut. Und gerade Tieflohn­branchen wie die Gastronomie, der Detail­handel oder auch die Kultur und persönliche Dienst­leistungen leiden besonders unter den pandemie­bedingten Einschränkungen. Die 20 Prozent der Arbeitnehmerinnen mit den tiefsten Löhnen machen laut dem Schweizerischen Gewerkschaftsbund knapp ein Drittel der Kurzarbeitenden aus. Für diese Menschen ist es darum von existenzieller Bedeutung, ob sie pro Monat 3470 oder aber bei einer Entschädigung von 80 Prozent nur 2776 Franken erhalten.

Wie es weitergeht: Die Regelung gilt rückwirkend ab dem 1. Dezember und ist bis zum 31. März 2021 befristet. Gering­verdiener haben damit fürs Erste ein bisschen Luft. Wie es ab April weitergeht, ist offen.

Geldspritze der Woche

Der Impfstoff ist da. Am Mittwochmorgen erhielt eine 90-jährige Frau im Kanton Luzern die erste Corona-Impfung der Schweiz. Doch noch gibt es viel Skepsis: Laut einer repräsentativen Umfrage will sich nur gut ein Drittel der Bevölkerung so schnell wie möglich impfen lassen, mehr als die Hälfte hingegen gar nicht – obwohl eine klare Mehrheit der Befragten glaubt, dass der Impfstoff wirksam und sicher ist. Zur Aufklärung und Motivierung der Bevölkerung hat der Bund nun eine Plakatkampagne gestartet. Aber was nützt gutes Zureden im Vergleich zum Duft des Geldes? Helmut Dietl, ein BWL-Professor der Universität Zürich, schlägt darum vor, jeder Person, die sich impfen lässt, 1000 Franken zu bezahlen. Von Tausender­nötli angelockt, würden die Menschen in Massen zu den Impf­zentren eilen, und im Nu wären genügend Leute immunisiert, um die Pandemie zu beenden – so die Überlegung.

Was die Tatsache in ein neues Licht rücken lässt, dass sich der Bundesrat schon bald und vielleicht gar öffentlich impfen lassen will. Drängeln sich die Bundes­rätinnen vor, weil sie einen Tausender einstreichen wollen? Zumindest bei Ueli Maurer ist dieser Gedanke nicht abwegig. Kann der Finanz­minister angesichts des Schulden­bergs, den Corona hinterlässt, doch jeden Franken brauchen. Die Vorstellung, wie Säckel­meister Maurer frisch geimpft den Batzen mit staats­männischer Geste ins Bundes­kässeli legt – dieser Anblick wäre uns die 5,3 Milliarden, die Professor Dietls Impfprämie insgesamt kosten würde, fast schon wert.

Illustration: Till Lauer