Diplomatie im Dienst des Weltkonzerns

Das Schweizer Aussendepartement bietet dem weltgrössten Tabakmulti nicht nur einen Imagetransfer, sondern auch politische Unterstützung. Wie das EDA im Interesse von Philip Morris in Moldau intervenierte.

Eine Recherche von Elia Blülle und Dennis Bühler, 31.07.2019

Vor gut zwei Wochen. Die Schweizer Botschaft in Kiew wendet sich an die Präsidentin des moldauischen Parlaments. Im Brief, datiert auf den 13. Juli 2019, wird Parlaments­präsidentin Zinaida Greceanîi nicht etwa zu ihrer Wahl gratuliert, die fünf Wochen zuvor erfolgte. Auch pocht die offizielle Schweiz nicht auf die Einhaltung rechts­staatlicher Prinzipien im osteuropäischen Staat, der von politischen und wirtschaftlichen Krisen gebeutelt und oft als «Armenhaus» Europas bezeichnet wird.

Nein, im Brief geht es um einen Hilfsdienst für den grössten Zigaretten­hersteller der Welt: Philip Morris International.

Der Tabakkonzern sorgt derzeit in Verbindung mit dem Eidgenössischen Aussen­departement EDA für Schlagzeilen. Die Weltgesundheits­organisation (WHO), die Schweizer Lungenliga und das Bundesamt für Gesundheit sind empört, Teile der Öffentlichkeit ebenfalls. Zuerst wird bekannt, dass Philip Morris den Schweizer Pavillon an der Welt­ausstellung 2020 in Dubai mit 1,8 Millionen Franken unterstützen will. Das Departement von FDP-Bundesrat Ignazio Cassis verspricht dem treuen Sponsor im Gegenzug einen «Image­transfer». Sprich: Der Tabak­konzern soll auf dem internationalen Parkett vom guten Ruf der Schweiz profitieren können.

Dann wird publik, dass Philip Morris die Eröffnung der Schweizer Botschaft in Moskau mit 45’000 Franken sponserte.

Wegen des immer grösser werdenden öffentlichen Drucks zieht Bundesrat Cassis gestern Nachmittag die Reissleine: Er entscheidet, die Verhandlungen mit Philip Morris über das Expo-Sponsoring abzubrechen. Gleichentags erlässt der Aussenminister den Auftrag, die bestehende Sponsoring Policy des EDA bis Ende Jahr zu überarbeiten.

Schöner Anlass dank grosszügigem Zustupf: Aussenminister Ignazio Cassis (Mitte) eröffnet mit seinem russischen Amtskollegen Sergei Lawrow (links) und Botschafter Yves Rossier die offizielle Vertretung der Schweiz in Moskau. Yuri Kochetkov/EPA/Keystone

Doch jetzt zeigen Recherchen der Republik: Das EDA war nicht nur bereit, seinem grosszügigen Sponsor einen «Image­transfer» zu offerieren – sondern auch politische Unterstützung.

Als sich das Parlament der Republik Moldau vor rund zwei Monaten an eine Verschärfung des Tabakgesetzes macht, bittet Philip Morris die Schweizer Botschaft um Unterstützung. Cassis’ Departement eilt seinem regelmässigen Sponsor umgehend zu Hilfe – und interveniert mit dem Brief vom 13. Juli.

Heikle Intervention – oder diplomatischer Courant normal?

Die Recherchen zeigen weiter: Das EDA läuft mit seiner Diplomatie im Dienst von Philip Morris den Zielen der Schweizer Gesundheits- und der eigenen Entwicklungs­politik zuwider.

Moldau – ein Traum für Philip Morris

Rückblende ins Jahr 2016: Moldau führt verhältnismässig strenge Anti-Tabak-Gesetze ein. Rauchen wird auf allen geschlossenen und halb­geschlossenen öffentlichen Plätzen und an sämtlichen Arbeitsorten verboten, irreführende Labels wie «light» oder «medium» auf Zigaretten­packungen untersagt. Und Tabakfirmen dürfen weder direkt noch indirekt werben und auch keine Anlässe sponsern. So hofft der Staat, die Zahl der Raucher zu reduzieren. Der WHO zufolge greift immer noch fast die Hälfte der Männer im Land regelmässig zu Zigaretten.

Die verschärften Anti-Tabak-Gesetze sind eine direkte Folge des Beitritts der Moldau zum Rahmenübereinkommen der WHO zur Eindämmung des Tabakgebrauchs vor zehn Jahren. Ein Vertragswerk, das die Schweiz im Gegensatz zu weltweit 181 Staaten und als einziges europäisches Land bis heute nicht ratifiziert hat.

Weit weniger reguliert sind in Moldau bisher die neuartigen Alternativen zu herkömmlichen Zigaretten. Insbesondere das Tabak­heizsystem IQOS, das Philip Morris als Welt­innovation preist und das bereits gut 13 Prozent des globalen Konzernumsatzes ausmacht.

Während bei E-Zigaretten nikotin­haltige Flüssigkeit verdampft wird, werden bei IQOS Mini-Zigaretten, «Heets» genannt, auf etwa 300 Grad erhitzt. Obwohl der Tabak dabei nicht verbrannt wird, entsteht Rauch. Philip Morris behauptet, dieser Rauch sei weit weniger schädlich als jener von herkömmlichen Zigaretten. Unabhängige Wissenschaftler hingegen weisen darauf hin, dass die Auswirkungen von IQOS noch viel zu wenig erforscht seien. Und insbesondere über Langzeit­risiken so gut wie alles unbekannt sei.

Seit rund einem Jahr sind IQOS in Moldau erhältlich. Nach Angaben von Philip Morris sind bereits 20’000 Raucher auf das neuartige Produkt umgestiegen. Dem Geschäft hilft der Umstand, dass IQOS im Unterschied zu Zigaretten keinen Werbe­beschränkungen unterliegen. Populär sind die «Heets» zudem wegen ihres geringen Preises. Und das ist nicht überraschend: Besteuert werden «Heets» in Moldau 11-mal tiefer als herkömmliche Zigaretten.

Die Gewinnmargen sind entsprechend hoch. Ein Traum für Philip Morris. Und es kommt noch besser: Im Sommer 2017 nimmt das Parlament IQOS und andere nicht zum Rauchen erfundene Tabakprodukte explizit aus dem Gesetz zur Tabakkontrolle aus.

Der abtretende Generalsekretär des Gesundheits­ministeriums sagte jüngst in einem Interview, Philip Morris habe IQOS damals mit einer aufwendigen Kampagne beworben. Und er könne mit absoluter Gewissheit sagen: «Um ihren Sitz zu erhalten, musste die damalige Gesundheits­ministerin Silvia Radu dieses Tabak­produkt unterstützen. Das war eine Bedingung.»

«Donald Trump der Moldau»

Gedrängt auf die Gesetzesänderung hatte Vlad Plahotniuc, ein Mann mit – vorsichtig ausgedrückt – zweifelhaftem Ruf. Während Jahrzehnten ist er in Moldau der mit Abstand mächtigste Politiker und Wirtschafts­führer. «Donald Trump der Moldau» nennt das US-Nachrichtenportal «The Daily Beast» den Besitzer von vier nationalen TV- und drei Radio­stationen, mehrerer Luxus­hotels, eines privaten Sicherheits­trupps und eines 26-Millionen-Anwesens am Genfersee. Sein ältester Sohn studiert in Genf, wo er einen spezial­gefertigten Mercedes fährt, der mehr als eine Million Franken wert sein soll.

Drahtzieher mit zweifelhaftem Ruf: Vlat Plahotniuc am 9. Juni an einer Kundgebung seiner Partei PDM in Chisinau. Vadim Deniso/TASS/Getty Images

Vlad Plahotniuc, der bei sämtlichen Bevölkerungs­umfragen der letzten Jahre zum unbeliebtesten Politiker der Moldau gewählt wurde, gilt als Draht­zieher eines Verbrechens, das als «Raub des Jahrhunderts» in die moldauischen Geschichtsbücher eingegangen ist: Kurz vor den Wahlen 2014 werden mittels eines undurchsichtigen Kredit- und Beteiligungs­modells innerhalb von drei Tagen von drei moldauischen Banken insgesamt 750 Millionen Dollar über lettische Banken und Konten von Offshore-Firmen an bis heute unbekannte Empfänger transferiert.

Als die Banken kurze Zeit später unter staatliche Aufsicht gestellt wurden, fehlten insgesamt 1,3 Milliarden Dollar – eine astronomisch hohe Summe für eines der ärmsten Länder Europas, dessen Bevölkerungszahl seit Jahren schwindet und inzwischen noch 2,68 Millionen beträgt. Genau genommen entspricht sie einem Sechstel des damaligen moldauischen Brutto­sozialprodukts.

Gelungen sein soll Vlad Plahotniuc der Aufstieg zum alles dominierenden Oligarchen in seinem Land dank einer ebenso cleveren wie skrupellosen Idee: In den Neunziger­jahren besass der Finanz­hai und spätere Erdöl­händler eine Sauna, in der er wohlhabende und aufstrebende Geschäfts­leute genauso mit jungen Prostituierten in Kontakt brachte wie einheimische und ausländische Diplomaten. Im Geheimen liess Plahotniuc Video­kameras mitlaufen. Und mit den Aufnahmen erpresste er seither jeden, der ihm gefährlich werden konnte.

Daher sein Spitzname «Plaha» – eine russische Bezeichnung für den Holzblock, der bei Exekutionen verwendet wird.

Zum Vorsitzenden der Demokratischen Partei der Moldau (PDM) und damit mächtigsten Mann des Landes aufgestiegen, bleibt Vlad «Plaha» Plahotniuc seinen Mitteln treu: Als ihn eine bekannte Investigativ­journalistin 2016 in einem auf Social Media verbreiteten offenen Brief als illegitimen Anführer der Moldau bezeichnet, lässt er einen seiner Anwälte bei ihr anrufen und mit der Veröffentlichung eines Sexvideos drohen – aufgenommen angeblich in ihrer eigenen Wohnung.

Total überrumpelte Tabaklobby

Doch dann geschieht das lange völlig Undenkbare: Vlad Plahotniuc verliert seine politische Macht. Bei den Parlaments­wahlen vom 24. Februar 2019 erreicht die von ihm kontrollierte PDM immerhin den zweiten Rang. Nach einer monatelangen politischen Krise mit vorübergehend zwei amtierenden Regierungen und stetig steigendem internationalen Druck verkündet Plahotniucs Partei am 14. Juni jedoch den Schritt in die Opposition. Unverzüglich setzen sich ihr Anführer und seine engsten Mitstreiter mit Privat­jets ins Ausland ab. Seither wird über ihren Aufenthalts­ort gerätselt.

Regiert wird das Land nach dem Umsturz von einer überraschend zustande gekommenen Koalition der prorussischen Sozialistischen Partei und des prowestlichen Acum-Blocks («Jetzt»). Die neue Minister­präsidentin Maia Sandu (Acum) hat grosses «Ausmisten» angekündigt, hunderte mutmasslich korrupte Beamte wurden bereits aus dem Dienst entlassen.

Der Kampf gegen Korruption als grosse Aufgabe: Die Präsidentin der Moldau Maia Sandu. Roveliu Buga/AP/Keystone

Der erste Politikbereich, in dem der Wind unter der neuen Führung dreht, ist jener der Tabak­gesetzgebung: Plötzlich gerät der lasche Umgang mit IQOS und ähnlichen Produkten unter Druck. Ende Mai fordern neun Acum-Abgeordnete in einem Vorstoss, sämtliche Tabakprodukte seien gleich zu behandeln. Hauptzweck der vorgeschlagenen Gesetzes­vorlage sei der Schutz der jüngeren Generation, sagt Parlamentarier Radu Marian: «In einem armen Land wie Moldau müssen wir uns auf die Prävention von Krank­heiten konzentrieren und die Menschen zu einem gesünderen Lebens­stil ermutigen, um den Druck auf das Gesundheits­system zu senken.»

Gegenüber dem moldauischen Nachrichtenportal Agora ergänzt Marian: «Solange die Tabak­industrie nicht nachweisen kann, dass nicht brennende Tabak­erzeugnisse weniger riskant sind, haben wir keinen Grund, sie diese Produkte wie warme Brötchen verkaufen zu lassen.»

Die Tabaklobby wird vom politischen Umsturz total überrumpelt.

Ein nicht namentlich genannter Vertreter von Philip Morris zeigte sich «besorgt, dass weder Branchenvertreter noch externe Experten an den Gesprächen für das neue Gesetz beteiligt gewesen sind», und forderte im Mindesten ein deutlich langsameres Vorgehen. Und der Geschäfts­führer von Philip Morris für die Ukraine, den Kaukasus und Moldau warnte, im Falle einer Gesetzesverschärfung müssten die Preise erhöht werden, womit sich ärmere Schichten keine IQOS mehr leisten könnten.

Die Intervention der Botschaft in Kiew

Es ist der Moment, in dem die Schweizer Diplomatie ins Spiel kommt.

Und sich die Schweizer Botschaft in der ukrainischen Hauptstadt Kiew für «demokratische Konsultations­prozesse» im Nachbar­staat Moldau einsetzt. Auf Bitten des globalen Tabak­multis Philip Morris.

Anfang Juli wird Philip Morris bei der Eidgenossenschaft vorstellig, wie die Recherchen der Republik zeigen. Sowohl in der Bundes­verwaltung wie auch beim Tabak­konzern wird der Vorgang auf Anfrage bestätigt.

Das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco in Bern teilt der Republik mit, es sei von Philip Morris am 4. Juli gebeten worden, «bei den moldauischen Behörden zu intervenieren, damit das Unternehmen die Möglich­keit erhalte, während des öffentlichen Konsultations­verfahrens im Parlament und während der Debatten zu einem Gesetzes­entwurf Stellung zu nehmen, der die Arbeit des Unternehmens tangieren könnte».

Fünf Tage später wandte sich der General­direktor von Philip Morris für die Ukraine an die Schweizer Botschaft in Kiew, die mangels Vertretung in der Hauptstadt Chisinau auch für das Nachbar­land zuständig ist. «Die Schweizer Botschaft in der Ukraine wurde von Philip Morris kontaktiert, um auf das Fehlen eines öffentlichen Konsultations­verfahrens hinzuweisen», sagt ein Sprecher des Tabakkonzerns.

Die Schweizer Botschaft kam der Bitte von Philip Morris umgehend nach – und übermittelt der moldauischen Parlaments­präsidentin Zinaida Greceanîi am 13. Juli in einem Brief eine unmissverständliche Aufforderung. Im Brief werde erwähnt, so ein Sprecher des EDA, «dass Philip Morris in das öffentliche Konsultations­verfahren zu einem Gesetzes­entwurf einbezogen werden sollte, der die Arbeit des Unternehmens tangieren könnte».

Auf die Bitte der Republik, das Dokument einsehen zu können, ging der EDA-Sprecher nicht ein. Gestützt auf das Öffentlichkeits­gesetz verlangt die Republik nun beim Aussen­departement Einsicht – das Gesuch ist hängig.

Philip Morris, das Schweizer Unternehmen

Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten – eine Dienstleistungs­abteilung der Schweizer Wirtschaft? Für Weltkonzerne? Einen Tabakmulti sogar?

Der Brief habe einzig den Konsultations­prozess betroffen, hält das EDA fest: «Zum Inhalt des Gesetzes­entwurfs hat sich die Botschaft nicht geäussert, dies ist eine Angelegenheit des moldauischen Parlaments.» Von moldauischer Seite habe man bis anhin keine Antwort auf das Schreiben erhalten. Und: Bundesrat Ignazio Cassis sei über die Intervention nicht informiert worden.

Eine Einmischung in den moldauischen Gesetzgebungs­prozess will das EDA nicht erkennen. «Es gehört zu den Aufgaben der Schweizer Botschaften, in ihrem Gastland auch die Interessen der Schweizer Wirtschaft zu vertreten», sagt der EDA-Sprecher. Deshalb sei es nicht unüblich, dass die Botschaften von Schweizer Unternehmen im Ausland direkt kontaktiert werden.

Bloss: Philip Morris, ein Schweizer Unternehmen? Wohl kümmern sich im weltweit agierenden Operationszentrum in Lausanne 1500 Mitarbeiter um den Produkt­vertrieb in den über 180 Ländern, in denen der Tabak­multi tätig ist. In einem weiteren Zentrum in Neuenburg wird die Wirkung von IQOS erforscht. Ein Schweizer Unternehmen ist Philip Morris dennoch nicht: Der Hauptsitz befindet sich in New York.

Einen direkten Draht ins EDA hat also offenbar auch ein US-Konzern, der von Bundesrat Cassis’ Departement zur Schweizer Firma umgedeutet wird.

Ist das Courant normal in der Schweizer Diplomatie?

«In der Kompetenz der Botschaft»

Mit Tim Guldimann bestätigt ein ausgewiesener Kenner der Diplomatie, dass Botschaften im Ausland generell damit beauftragt seien, Wirtschafts­interessen zu verteidigen. So schreibt es die Verfassung dem Bund vor. Dass sich Schweizer Firmen bei der eidgenössischen Vertretung melden, um ein Anliegen gegenüber dem Gastland zu deponieren, sei üblich, so der ehemalige Schweizer Botschafter in Teheran und Berlin, der für die Organisation für Sicherheit und Zusammen­arbeit in Europa (OSZE) einst in Tschetschenien und der Ukraine tätig war und daher Osteuropa gut kennt.

Aufgrund dessen, was er über den Fall wisse, habe die Schweizer Botschaft in Kiew wohl nicht gegen interne Vorschriften verstossen, er erkenne in ihrem Vorgehen keine Regel­widrigkeiten und auch keine Einmischung in den moldauischen Gesetzgebungs­prozess, so Guldimann. Es sei aber eine ganz andere – eine moralische – Frage, ob man es für gut und legitim hält, dass eine Schweizer Vertretung im Interesse der Tabak­industrie handle: «Ich persönlich finde von meinem politischen Stand­punkt aus, dass Tabak­firmen in keiner Form staatliche Unter­stützung erhalten sollten.»

Der ehemalige SP-Nationalrat sagt, dass er in einer solchen Situation als Botschafter wohl in Bern nachgefragt hätte, ob er im Gegensatz zu seiner Haltung hier aktiv werden müsse. Früher gab es zum Beispiel eine klare Weisung, dass eine Botschaft sich nicht für Waffen­exporte einsetzen soll. «Ohne klare Direktiven aus Bern liegt es im Ermessen des Botschafters zu entscheiden, mit wem man kooperiert – und mit wem nicht. Für solche Abwägungen wird er schliesslich bezahlt.»

Und tatsächlich: Die Botschafterinnen dürfen eigenmächtig entscheiden, welche Anliegen sie im jeweiligen Gastland vertreten. Das EDA schreibt: «Wünscht eine Schweizer Firma eine Unterstützung für die Wahrung ihrer Interessen im Ausland, liegt es in der Kompetenz der Botschaft zu entscheiden, ob und in welcher Form solche Unterstützung opportun ist.»

Die Antwort des EDA auf die Frage der Republik, aus welchen Gründen die Unterstützung von Philip Morris als opportun erachtetet worden sei, fällt vage aus: «Ein wichtiges Kriterium bei der Entscheidung war, dass es aus Schweizer Sicht wünschenswert ist, dass bei offenen Konsultationen alle betroffenen Akteure in den Gesetzgebungsprozess involviert werden.»

Das EDA macht Wirtschaftspolitik gegen die eigene Entwicklungspolitik

Umso deutlicher wird dafür Professor Nino Künzli, Direktor der universitären Stiftung «Swiss School of Public Health». Er verurteilte letzte Woche bereits die vertraglich vereinbarte Zusammen­arbeit zwischen Philip Morris und dem EDA an der Welt­ausstellung in Dubai in aller Deutlichkeit. Konfrontiert mit den neuen Enthüllungen sagt er jetzt: «Dass sich die offizielle Schweiz nun in Moldau für Philip Morris einsetzt, ist absolut inakzeptabel.»

Er verstehe zwar, dass die Schweizer Botschaft die Interessen der Wirtschaft zu vertreten habe. Es könne aber nicht im Sinne des Landes sein, indirekt das Lobbying einer Industrie zu unterstützen, die im Widerspruch zur Prävention und Gesundheits­politik stehe: «Das unterwandert ja auch die Ziele der Schweizer Entwicklungs­zusammenarbeit.»

Und tatsächlich: Das Engagement der Schweizer Botschaft in Kiew zugunsten von Philip Morris steht in eklatantem Widerspruch zu den Bemühungen einer anderen Abteilung des Aussen­departements: der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza).

Die Deza, die in Moldau seit der Jahrtausend­wende aktiv ist, hat zu Beginn der laufenden Kooperations­strategie 2018 bis 2021 drei Schwer­punkte gesetzt: Migration, Entwicklung – und Gesundheit. Auf der Website schreibt das Deza: «Der Gesundheits­zustand der Bevölkerung liegt in der Republik Moldova deutlich unter dem europäischen Durchschnitt.»

Ein Fokus des Schweizer Engagements liege daher auf der Sensibilisierung, um «die Vorteile eines gesunden Lebensstils zu veranschaulichen».

In der ausführlichen Beschreibung der Kooperationsstrategie 2018 bis 2021, die Zahlungen von gesamthaft 47 Millionen Franken vorsieht, wird das Deza noch deutlicher. Man wolle den Erfolg des Programms unter anderem daran messen, ob es gelinge, den Prozent­satz der Bevölkerung zu steigern, der sich verschiedener Gesundheits­risiken bewusst sei.

Dazu gehören laut Deza: «Drogenkonsum und massloser Alkohol-/Tabak­konsum».

Darauf angesprochen, sagt ein Sprecher des Aussendepartements: «Die bilateralen Beziehungen zwischen der Schweiz und der Republik Moldau sind zu einem wichtigen Teil von der langjährigen Entwicklungs­zusammenarbeit definiert. Sie umfassen jedoch auch andere Bereiche, wie zum Beispiel die wirtschaftliche Zusammenarbeit.» Die Schweizer Botschaft in Kiew habe die Aufgabe, in allen Themenbereichen der bilateralen Beziehungen die Interessen der Schweiz zu wahren: «Ihre Arbeit ist damit ein Spiegel der Interessen der Schweiz im Gastland.»

An der Stossrichtung der Schweizer Entwicklungs­zusammenarbeit hat sich durch den Machtwechsel in Moldau im Übrigen nichts geändert. Zuletzt traf sich das Schweizerische Koordinations­büro in Moldau am 27. Juni mit der neuen Gesundheits­ministerin. Tags darauf postete das Deza-Büro auf Facebook: «Die Schweiz, der grösste bilaterale Geldgeber für Gesundheit, wird weiterhin Reformen in diesem Sektor unterstützen.»

Das verschärfte Tabakgesetz kommt durch

Am vergangenen Freitag, 26. Juli, hiess das moldauische Parlament die Gesetzes­vorlage gut, Anfang 2020 wird sie in Kraft treten. Ein Präzedenzfall: Moldau ist nach Georgien erst das zweite europäische Land, das IQOS-Zigaretten gleich hoch besteuern wird wie herkömmliche Tabakprodukte.

Entgegen den Befürchtungen von Philip Morris führte Moldau zur Ausarbeitung des Gesetzes ein öffentliches Konsultations­verfahren durch. Vier Tage, bevor die Schweizerische Botschaft schriftlich intervenierte, hatte die Gesundheitskommission des moldauischen Parlaments zu einer öffentlichen Anhörung eingeladen, die sogar live übertragen wurde. Aus den Aufnahmen geht hervor, dass der lokale Philip-Morris-Vertreter Denis Zhogolev daran teilnahm – und sich sogar mehrmals zu Wort meldete.

Der 28-jährige Parlamentarier Radu Marian, auf den die Gesetzes­änderung zurückgeht, sagt gegenüber der Republik: «Zur früheren Regierung hatten die Tabak­firmen eine sehr enge Verbindung. Nun hat die Tabak­lobby auf einmal keinen Zugriff mehr auf die moldauische Politik.»

Laut Marian unternimmt die Tabak­lobby seit je grosse Anstrengungen, um die Öffentlich­keit zu beeinflussen. So sponsere sie Influencer, Think­tanks – und Pressetitel. Und das führt zu Abhängig­keiten: Als die Republik mit einem Journalisten in Kontakt tritt, will er zur Macht der Tabak­lobby in seinem Land keine Fragen auf Band beantworten. Er fürchte Konsequenzen, schreibt er: Philip Morris sponsere auch seinen Arbeitgeber.

Der weltgrösste Tabakkonzern ist bekannt für sein aggressives Lobbying. Die exorbitant hohen Umsätze wurden immer wieder dazu genutzt, auf Gesetze und Politiker Einfluss auszuüben. Über Jahrzehnte hat die Tabak­lobby vor allem in den USA mit Lügen und falschen Studien strenge Regulationen zur Sucht­prävention verzögert und die Wissen­schaft unterwandert.

Seit der Absatz von Raucherwaren in den westlichen Wirtschafts­nationen zurückgeht, konzentrieren sich die Tabak­firmen auf die aufstrebenden, weniger regulierten Entwicklungs­regionen in Osteuropa, Südamerika und Asien, wo sie mit fragwürdigen Methoden die dortige Präventions­politik untergraben. So hat Philip Morris etwa den Staat Uruguay unter Druck gesetzt und ihn 2012 vergeblich auf 25 Millionen Dollar Schaden­ersatz verklagt und 40 Mitarbeiter entlassen, nachdem das Land ausgesprochen rigide Anti-Tabak-Gesetze verabschiedet hatte.

Je tiefer die Einblicke in den fliessenden Übergang von Schweizer Diplomatie und Privat­wirtschaft, desto schummriger werden die Interessen, die die offizielle Schweiz vertritt, desto stärker verschwimmen die Grenzen zwischen dem Departement für auswärtige Angelegen­heiten und dem weltweit grössten Zigaretten­hersteller.

Und umso grösser wird das Fragezeichen: Ist das wirklich die Aussen­politik, die wir wollen?