Diplomatie im Dienst des Weltkonzerns
Das Schweizer Aussendepartement bietet dem weltgrössten Tabakmulti nicht nur einen Imagetransfer, sondern auch politische Unterstützung. Wie das EDA im Interesse von Philip Morris in Moldau intervenierte.
Eine Recherche von Elia Blülle und Dennis Bühler, 31.07.2019
Vor gut zwei Wochen. Die Schweizer Botschaft in Kiew wendet sich an die Präsidentin des moldauischen Parlaments. Im Brief, datiert auf den 13. Juli 2019, wird Parlamentspräsidentin Zinaida Greceanîi nicht etwa zu ihrer Wahl gratuliert, die fünf Wochen zuvor erfolgte. Auch pocht die offizielle Schweiz nicht auf die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien im osteuropäischen Staat, der von politischen und wirtschaftlichen Krisen gebeutelt und oft als «Armenhaus» Europas bezeichnet wird.
Nein, im Brief geht es um einen Hilfsdienst für den grössten Zigarettenhersteller der Welt: Philip Morris International.
Der Tabakkonzern sorgt derzeit in Verbindung mit dem Eidgenössischen Aussendepartement EDA für Schlagzeilen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die Schweizer Lungenliga und das Bundesamt für Gesundheit sind empört, Teile der Öffentlichkeit ebenfalls. Zuerst wird bekannt, dass Philip Morris den Schweizer Pavillon an der Weltausstellung 2020 in Dubai mit 1,8 Millionen Franken unterstützen will. Das Departement von FDP-Bundesrat Ignazio Cassis verspricht dem treuen Sponsor im Gegenzug einen «Imagetransfer». Sprich: Der Tabakkonzern soll auf dem internationalen Parkett vom guten Ruf der Schweiz profitieren können.
Dann wird publik, dass Philip Morris die Eröffnung der Schweizer Botschaft in Moskau mit 45’000 Franken sponserte.
Wegen des immer grösser werdenden öffentlichen Drucks zieht Bundesrat Cassis gestern Nachmittag die Reissleine: Er entscheidet, die Verhandlungen mit Philip Morris über das Expo-Sponsoring abzubrechen. Gleichentags erlässt der Aussenminister den Auftrag, die bestehende Sponsoring Policy des EDA bis Ende Jahr zu überarbeiten.
Doch jetzt zeigen Recherchen der Republik: Das EDA war nicht nur bereit, seinem grosszügigen Sponsor einen «Imagetransfer» zu offerieren – sondern auch politische Unterstützung.
Als sich das Parlament der Republik Moldau vor rund zwei Monaten an eine Verschärfung des Tabakgesetzes macht, bittet Philip Morris die Schweizer Botschaft um Unterstützung. Cassis’ Departement eilt seinem regelmässigen Sponsor umgehend zu Hilfe – und interveniert mit dem Brief vom 13. Juli.
Heikle Intervention – oder diplomatischer Courant normal?
Die Recherchen zeigen weiter: Das EDA läuft mit seiner Diplomatie im Dienst von Philip Morris den Zielen der Schweizer Gesundheits- und der eigenen Entwicklungspolitik zuwider.
Moldau – ein Traum für Philip Morris
Rückblende ins Jahr 2016: Moldau führt verhältnismässig strenge Anti-Tabak-Gesetze ein. Rauchen wird auf allen geschlossenen und halbgeschlossenen öffentlichen Plätzen und an sämtlichen Arbeitsorten verboten, irreführende Labels wie «light» oder «medium» auf Zigarettenpackungen untersagt. Und Tabakfirmen dürfen weder direkt noch indirekt werben und auch keine Anlässe sponsern. So hofft der Staat, die Zahl der Raucher zu reduzieren. Der WHO zufolge greift immer noch fast die Hälfte der Männer im Land regelmässig zu Zigaretten.
Die verschärften Anti-Tabak-Gesetze sind eine direkte Folge des Beitritts der Moldau zum Rahmenübereinkommen der WHO zur Eindämmung des Tabakgebrauchs vor zehn Jahren. Ein Vertragswerk, das die Schweiz im Gegensatz zu weltweit 181 Staaten und als einziges europäisches Land bis heute nicht ratifiziert hat.
Weit weniger reguliert sind in Moldau bisher die neuartigen Alternativen zu herkömmlichen Zigaretten. Insbesondere das Tabakheizsystem IQOS, das Philip Morris als Weltinnovation preist und das bereits gut 13 Prozent des globalen Konzernumsatzes ausmacht.
Während bei E-Zigaretten nikotinhaltige Flüssigkeit verdampft wird, werden bei IQOS Mini-Zigaretten, «Heets» genannt, auf etwa 300 Grad erhitzt. Obwohl der Tabak dabei nicht verbrannt wird, entsteht Rauch. Philip Morris behauptet, dieser Rauch sei weit weniger schädlich als jener von herkömmlichen Zigaretten. Unabhängige Wissenschaftler hingegen weisen darauf hin, dass die Auswirkungen von IQOS noch viel zu wenig erforscht seien. Und insbesondere über Langzeitrisiken so gut wie alles unbekannt sei.
Seit rund einem Jahr sind IQOS in Moldau erhältlich. Nach Angaben von Philip Morris sind bereits 20’000 Raucher auf das neuartige Produkt umgestiegen. Dem Geschäft hilft der Umstand, dass IQOS im Unterschied zu Zigaretten keinen Werbebeschränkungen unterliegen. Populär sind die «Heets» zudem wegen ihres geringen Preises. Und das ist nicht überraschend: Besteuert werden «Heets» in Moldau 11-mal tiefer als herkömmliche Zigaretten.
Die Gewinnmargen sind entsprechend hoch. Ein Traum für Philip Morris. Und es kommt noch besser: Im Sommer 2017 nimmt das Parlament IQOS und andere nicht zum Rauchen erfundene Tabakprodukte explizit aus dem Gesetz zur Tabakkontrolle aus.
Der abtretende Generalsekretär des Gesundheitsministeriums sagte jüngst in einem Interview, Philip Morris habe IQOS damals mit einer aufwendigen Kampagne beworben. Und er könne mit absoluter Gewissheit sagen: «Um ihren Sitz zu erhalten, musste die damalige Gesundheitsministerin Silvia Radu dieses Tabakprodukt unterstützen. Das war eine Bedingung.»
«Donald Trump der Moldau»
Gedrängt auf die Gesetzesänderung hatte Vlad Plahotniuc, ein Mann mit – vorsichtig ausgedrückt – zweifelhaftem Ruf. Während Jahrzehnten ist er in Moldau der mit Abstand mächtigste Politiker und Wirtschaftsführer. «Donald Trump der Moldau» nennt das US-Nachrichtenportal «The Daily Beast» den Besitzer von vier nationalen TV- und drei Radiostationen, mehrerer Luxushotels, eines privaten Sicherheitstrupps und eines 26-Millionen-Anwesens am Genfersee. Sein ältester Sohn studiert in Genf, wo er einen spezialgefertigten Mercedes fährt, der mehr als eine Million Franken wert sein soll.
Vlad Plahotniuc, der bei sämtlichen Bevölkerungsumfragen der letzten Jahre zum unbeliebtesten Politiker der Moldau gewählt wurde, gilt als Drahtzieher eines Verbrechens, das als «Raub des Jahrhunderts» in die moldauischen Geschichtsbücher eingegangen ist: Kurz vor den Wahlen 2014 werden mittels eines undurchsichtigen Kredit- und Beteiligungsmodells innerhalb von drei Tagen von drei moldauischen Banken insgesamt 750 Millionen Dollar über lettische Banken und Konten von Offshore-Firmen an bis heute unbekannte Empfänger transferiert.
Als die Banken kurze Zeit später unter staatliche Aufsicht gestellt wurden, fehlten insgesamt 1,3 Milliarden Dollar – eine astronomisch hohe Summe für eines der ärmsten Länder Europas, dessen Bevölkerungszahl seit Jahren schwindet und inzwischen noch 2,68 Millionen beträgt. Genau genommen entspricht sie einem Sechstel des damaligen moldauischen Bruttosozialprodukts.
Gelungen sein soll Vlad Plahotniuc der Aufstieg zum alles dominierenden Oligarchen in seinem Land dank einer ebenso cleveren wie skrupellosen Idee: In den Neunzigerjahren besass der Finanzhai und spätere Erdölhändler eine Sauna, in der er wohlhabende und aufstrebende Geschäftsleute genauso mit jungen Prostituierten in Kontakt brachte wie einheimische und ausländische Diplomaten. Im Geheimen liess Plahotniuc Videokameras mitlaufen. Und mit den Aufnahmen erpresste er seither jeden, der ihm gefährlich werden konnte.
Daher sein Spitzname «Plaha» – eine russische Bezeichnung für den Holzblock, der bei Exekutionen verwendet wird.
Zum Vorsitzenden der Demokratischen Partei der Moldau (PDM) und damit mächtigsten Mann des Landes aufgestiegen, bleibt Vlad «Plaha» Plahotniuc seinen Mitteln treu: Als ihn eine bekannte Investigativjournalistin 2016 in einem auf Social Media verbreiteten offenen Brief als illegitimen Anführer der Moldau bezeichnet, lässt er einen seiner Anwälte bei ihr anrufen und mit der Veröffentlichung eines Sexvideos drohen – aufgenommen angeblich in ihrer eigenen Wohnung.
Total überrumpelte Tabaklobby
Doch dann geschieht das lange völlig Undenkbare: Vlad Plahotniuc verliert seine politische Macht. Bei den Parlamentswahlen vom 24. Februar 2019 erreicht die von ihm kontrollierte PDM immerhin den zweiten Rang. Nach einer monatelangen politischen Krise mit vorübergehend zwei amtierenden Regierungen und stetig steigendem internationalen Druck verkündet Plahotniucs Partei am 14. Juni jedoch den Schritt in die Opposition. Unverzüglich setzen sich ihr Anführer und seine engsten Mitstreiter mit Privatjets ins Ausland ab. Seither wird über ihren Aufenthaltsort gerätselt.
Regiert wird das Land nach dem Umsturz von einer überraschend zustande gekommenen Koalition der prorussischen Sozialistischen Partei und des prowestlichen Acum-Blocks («Jetzt»). Die neue Ministerpräsidentin Maia Sandu (Acum) hat grosses «Ausmisten» angekündigt, hunderte mutmasslich korrupte Beamte wurden bereits aus dem Dienst entlassen.
Der erste Politikbereich, in dem der Wind unter der neuen Führung dreht, ist jener der Tabakgesetzgebung: Plötzlich gerät der lasche Umgang mit IQOS und ähnlichen Produkten unter Druck. Ende Mai fordern neun Acum-Abgeordnete in einem Vorstoss, sämtliche Tabakprodukte seien gleich zu behandeln. Hauptzweck der vorgeschlagenen Gesetzesvorlage sei der Schutz der jüngeren Generation, sagt Parlamentarier Radu Marian: «In einem armen Land wie Moldau müssen wir uns auf die Prävention von Krankheiten konzentrieren und die Menschen zu einem gesünderen Lebensstil ermutigen, um den Druck auf das Gesundheitssystem zu senken.»
Gegenüber dem moldauischen Nachrichtenportal Agora ergänzt Marian: «Solange die Tabakindustrie nicht nachweisen kann, dass nicht brennende Tabakerzeugnisse weniger riskant sind, haben wir keinen Grund, sie diese Produkte wie warme Brötchen verkaufen zu lassen.»
Die Tabaklobby wird vom politischen Umsturz total überrumpelt.
Ein nicht namentlich genannter Vertreter von Philip Morris zeigte sich «besorgt, dass weder Branchenvertreter noch externe Experten an den Gesprächen für das neue Gesetz beteiligt gewesen sind», und forderte im Mindesten ein deutlich langsameres Vorgehen. Und der Geschäftsführer von Philip Morris für die Ukraine, den Kaukasus und Moldau warnte, im Falle einer Gesetzesverschärfung müssten die Preise erhöht werden, womit sich ärmere Schichten keine IQOS mehr leisten könnten.
Die Intervention der Botschaft in Kiew
Es ist der Moment, in dem die Schweizer Diplomatie ins Spiel kommt.
Und sich die Schweizer Botschaft in der ukrainischen Hauptstadt Kiew für «demokratische Konsultationsprozesse» im Nachbarstaat Moldau einsetzt. Auf Bitten des globalen Tabakmultis Philip Morris.
Anfang Juli wird Philip Morris bei der Eidgenossenschaft vorstellig, wie die Recherchen der Republik zeigen. Sowohl in der Bundesverwaltung wie auch beim Tabakkonzern wird der Vorgang auf Anfrage bestätigt.
Das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco in Bern teilt der Republik mit, es sei von Philip Morris am 4. Juli gebeten worden, «bei den moldauischen Behörden zu intervenieren, damit das Unternehmen die Möglichkeit erhalte, während des öffentlichen Konsultationsverfahrens im Parlament und während der Debatten zu einem Gesetzesentwurf Stellung zu nehmen, der die Arbeit des Unternehmens tangieren könnte».
Fünf Tage später wandte sich der Generaldirektor von Philip Morris für die Ukraine an die Schweizer Botschaft in Kiew, die mangels Vertretung in der Hauptstadt Chisinau auch für das Nachbarland zuständig ist. «Die Schweizer Botschaft in der Ukraine wurde von Philip Morris kontaktiert, um auf das Fehlen eines öffentlichen Konsultationsverfahrens hinzuweisen», sagt ein Sprecher des Tabakkonzerns.
Die Schweizer Botschaft kam der Bitte von Philip Morris umgehend nach – und übermittelt der moldauischen Parlamentspräsidentin Zinaida Greceanîi am 13. Juli in einem Brief eine unmissverständliche Aufforderung. Im Brief werde erwähnt, so ein Sprecher des EDA, «dass Philip Morris in das öffentliche Konsultationsverfahren zu einem Gesetzesentwurf einbezogen werden sollte, der die Arbeit des Unternehmens tangieren könnte».
Auf die Bitte der Republik, das Dokument einsehen zu können, ging der EDA-Sprecher nicht ein. Gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz verlangt die Republik nun beim Aussendepartement Einsicht – das Gesuch ist hängig.
Philip Morris, das Schweizer Unternehmen
Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten – eine Dienstleistungsabteilung der Schweizer Wirtschaft? Für Weltkonzerne? Einen Tabakmulti sogar?
Der Brief habe einzig den Konsultationsprozess betroffen, hält das EDA fest: «Zum Inhalt des Gesetzesentwurfs hat sich die Botschaft nicht geäussert, dies ist eine Angelegenheit des moldauischen Parlaments.» Von moldauischer Seite habe man bis anhin keine Antwort auf das Schreiben erhalten. Und: Bundesrat Ignazio Cassis sei über die Intervention nicht informiert worden.
Eine Einmischung in den moldauischen Gesetzgebungsprozess will das EDA nicht erkennen. «Es gehört zu den Aufgaben der Schweizer Botschaften, in ihrem Gastland auch die Interessen der Schweizer Wirtschaft zu vertreten», sagt der EDA-Sprecher. Deshalb sei es nicht unüblich, dass die Botschaften von Schweizer Unternehmen im Ausland direkt kontaktiert werden.
Bloss: Philip Morris, ein Schweizer Unternehmen? Wohl kümmern sich im weltweit agierenden Operationszentrum in Lausanne 1500 Mitarbeiter um den Produktvertrieb in den über 180 Ländern, in denen der Tabakmulti tätig ist. In einem weiteren Zentrum in Neuenburg wird die Wirkung von IQOS erforscht. Ein Schweizer Unternehmen ist Philip Morris dennoch nicht: Der Hauptsitz befindet sich in New York.
Einen direkten Draht ins EDA hat also offenbar auch ein US-Konzern, der von Bundesrat Cassis’ Departement zur Schweizer Firma umgedeutet wird.
Ist das Courant normal in der Schweizer Diplomatie?
«In der Kompetenz der Botschaft»
Mit Tim Guldimann bestätigt ein ausgewiesener Kenner der Diplomatie, dass Botschaften im Ausland generell damit beauftragt seien, Wirtschaftsinteressen zu verteidigen. So schreibt es die Verfassung dem Bund vor. Dass sich Schweizer Firmen bei der eidgenössischen Vertretung melden, um ein Anliegen gegenüber dem Gastland zu deponieren, sei üblich, so der ehemalige Schweizer Botschafter in Teheran und Berlin, der für die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) einst in Tschetschenien und der Ukraine tätig war und daher Osteuropa gut kennt.
Aufgrund dessen, was er über den Fall wisse, habe die Schweizer Botschaft in Kiew wohl nicht gegen interne Vorschriften verstossen, er erkenne in ihrem Vorgehen keine Regelwidrigkeiten und auch keine Einmischung in den moldauischen Gesetzgebungsprozess, so Guldimann. Es sei aber eine ganz andere – eine moralische – Frage, ob man es für gut und legitim hält, dass eine Schweizer Vertretung im Interesse der Tabakindustrie handle: «Ich persönlich finde von meinem politischen Standpunkt aus, dass Tabakfirmen in keiner Form staatliche Unterstützung erhalten sollten.»
Der ehemalige SP-Nationalrat sagt, dass er in einer solchen Situation als Botschafter wohl in Bern nachgefragt hätte, ob er im Gegensatz zu seiner Haltung hier aktiv werden müsse. Früher gab es zum Beispiel eine klare Weisung, dass eine Botschaft sich nicht für Waffenexporte einsetzen soll. «Ohne klare Direktiven aus Bern liegt es im Ermessen des Botschafters zu entscheiden, mit wem man kooperiert – und mit wem nicht. Für solche Abwägungen wird er schliesslich bezahlt.»
Und tatsächlich: Die Botschafterinnen dürfen eigenmächtig entscheiden, welche Anliegen sie im jeweiligen Gastland vertreten. Das EDA schreibt: «Wünscht eine Schweizer Firma eine Unterstützung für die Wahrung ihrer Interessen im Ausland, liegt es in der Kompetenz der Botschaft zu entscheiden, ob und in welcher Form solche Unterstützung opportun ist.»
Die Antwort des EDA auf die Frage der Republik, aus welchen Gründen die Unterstützung von Philip Morris als opportun erachtetet worden sei, fällt vage aus: «Ein wichtiges Kriterium bei der Entscheidung war, dass es aus Schweizer Sicht wünschenswert ist, dass bei offenen Konsultationen alle betroffenen Akteure in den Gesetzgebungsprozess involviert werden.»
Das EDA macht Wirtschaftspolitik gegen die eigene Entwicklungspolitik
Umso deutlicher wird dafür Professor Nino Künzli, Direktor der universitären Stiftung «Swiss School of Public Health». Er verurteilte letzte Woche bereits die vertraglich vereinbarte Zusammenarbeit zwischen Philip Morris und dem EDA an der Weltausstellung in Dubai in aller Deutlichkeit. Konfrontiert mit den neuen Enthüllungen sagt er jetzt: «Dass sich die offizielle Schweiz nun in Moldau für Philip Morris einsetzt, ist absolut inakzeptabel.»
Er verstehe zwar, dass die Schweizer Botschaft die Interessen der Wirtschaft zu vertreten habe. Es könne aber nicht im Sinne des Landes sein, indirekt das Lobbying einer Industrie zu unterstützen, die im Widerspruch zur Prävention und Gesundheitspolitik stehe: «Das unterwandert ja auch die Ziele der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit.»
Und tatsächlich: Das Engagement der Schweizer Botschaft in Kiew zugunsten von Philip Morris steht in eklatantem Widerspruch zu den Bemühungen einer anderen Abteilung des Aussendepartements: der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza).
Die Deza, die in Moldau seit der Jahrtausendwende aktiv ist, hat zu Beginn der laufenden Kooperationsstrategie 2018 bis 2021 drei Schwerpunkte gesetzt: Migration, Entwicklung – und Gesundheit. Auf der Website schreibt das Deza: «Der Gesundheitszustand der Bevölkerung liegt in der Republik Moldova deutlich unter dem europäischen Durchschnitt.»
Ein Fokus des Schweizer Engagements liege daher auf der Sensibilisierung, um «die Vorteile eines gesunden Lebensstils zu veranschaulichen».
In der ausführlichen Beschreibung der Kooperationsstrategie 2018 bis 2021, die Zahlungen von gesamthaft 47 Millionen Franken vorsieht, wird das Deza noch deutlicher. Man wolle den Erfolg des Programms unter anderem daran messen, ob es gelinge, den Prozentsatz der Bevölkerung zu steigern, der sich verschiedener Gesundheitsrisiken bewusst sei.
Dazu gehören laut Deza: «Drogenkonsum und massloser Alkohol-/Tabakkonsum».
Darauf angesprochen, sagt ein Sprecher des Aussendepartements: «Die bilateralen Beziehungen zwischen der Schweiz und der Republik Moldau sind zu einem wichtigen Teil von der langjährigen Entwicklungszusammenarbeit definiert. Sie umfassen jedoch auch andere Bereiche, wie zum Beispiel die wirtschaftliche Zusammenarbeit.» Die Schweizer Botschaft in Kiew habe die Aufgabe, in allen Themenbereichen der bilateralen Beziehungen die Interessen der Schweiz zu wahren: «Ihre Arbeit ist damit ein Spiegel der Interessen der Schweiz im Gastland.»
An der Stossrichtung der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit hat sich durch den Machtwechsel in Moldau im Übrigen nichts geändert. Zuletzt traf sich das Schweizerische Koordinationsbüro in Moldau am 27. Juni mit der neuen Gesundheitsministerin. Tags darauf postete das Deza-Büro auf Facebook: «Die Schweiz, der grösste bilaterale Geldgeber für Gesundheit, wird weiterhin Reformen in diesem Sektor unterstützen.»
Das verschärfte Tabakgesetz kommt durch
Am vergangenen Freitag, 26. Juli, hiess das moldauische Parlament die Gesetzesvorlage gut, Anfang 2020 wird sie in Kraft treten. Ein Präzedenzfall: Moldau ist nach Georgien erst das zweite europäische Land, das IQOS-Zigaretten gleich hoch besteuern wird wie herkömmliche Tabakprodukte.
Entgegen den Befürchtungen von Philip Morris führte Moldau zur Ausarbeitung des Gesetzes ein öffentliches Konsultationsverfahren durch. Vier Tage, bevor die Schweizerische Botschaft schriftlich intervenierte, hatte die Gesundheitskommission des moldauischen Parlaments zu einer öffentlichen Anhörung eingeladen, die sogar live übertragen wurde. Aus den Aufnahmen geht hervor, dass der lokale Philip-Morris-Vertreter Denis Zhogolev daran teilnahm – und sich sogar mehrmals zu Wort meldete.
Der 28-jährige Parlamentarier Radu Marian, auf den die Gesetzesänderung zurückgeht, sagt gegenüber der Republik: «Zur früheren Regierung hatten die Tabakfirmen eine sehr enge Verbindung. Nun hat die Tabaklobby auf einmal keinen Zugriff mehr auf die moldauische Politik.»
Laut Marian unternimmt die Tabaklobby seit je grosse Anstrengungen, um die Öffentlichkeit zu beeinflussen. So sponsere sie Influencer, Thinktanks – und Pressetitel. Und das führt zu Abhängigkeiten: Als die Republik mit einem Journalisten in Kontakt tritt, will er zur Macht der Tabaklobby in seinem Land keine Fragen auf Band beantworten. Er fürchte Konsequenzen, schreibt er: Philip Morris sponsere auch seinen Arbeitgeber.
Der weltgrösste Tabakkonzern ist bekannt für sein aggressives Lobbying. Die exorbitant hohen Umsätze wurden immer wieder dazu genutzt, auf Gesetze und Politiker Einfluss auszuüben. Über Jahrzehnte hat die Tabaklobby vor allem in den USA mit Lügen und falschen Studien strenge Regulationen zur Suchtprävention verzögert und die Wissenschaft unterwandert.
Seit der Absatz von Raucherwaren in den westlichen Wirtschaftsnationen zurückgeht, konzentrieren sich die Tabakfirmen auf die aufstrebenden, weniger regulierten Entwicklungsregionen in Osteuropa, Südamerika und Asien, wo sie mit fragwürdigen Methoden die dortige Präventionspolitik untergraben. So hat Philip Morris etwa den Staat Uruguay unter Druck gesetzt und ihn 2012 vergeblich auf 25 Millionen Dollar Schadenersatz verklagt und 40 Mitarbeiter entlassen, nachdem das Land ausgesprochen rigide Anti-Tabak-Gesetze verabschiedet hatte.
Je tiefer die Einblicke in den fliessenden Übergang von Schweizer Diplomatie und Privatwirtschaft, desto schummriger werden die Interessen, die die offizielle Schweiz vertritt, desto stärker verschwimmen die Grenzen zwischen dem Departement für auswärtige Angelegenheiten und dem weltweit grössten Zigarettenhersteller.
Und umso grösser wird das Fragezeichen: Ist das wirklich die Aussenpolitik, die wir wollen?