EDA-Intervention für Tabaklobby ritzte internationales Recht
Der Hilfsdienst der Schweizer Diplomatie für Philip Morris in Moldau ist fragwürdiger als vom EDA dargestellt. Ein internes Papier zeigt zudem: Auch Leitlinien des Bundes wurden verletzt. Die Affäre lässt erahnen, wie Bundesrat Ignazio Cassis die Schweizer Aussenpolitik in eine neue Richtung lenkt.
Von Dennis Bühler, 13.08.2019
Die Verstrickungen zwischen dem Tabakkonzern Philip Morris und dem Schweizer Aussendepartement EDA werden immer fragwürdiger.
Vor zwei Wochen berichtete die Republik von einer Intervention der für die Republik Moldau zuständigen Schweizer Botschaft in Kiew, die im Interesse des weltgrössten Zigarettenherstellers erfolgte: Am 13. Juli 2019 forderte die offizielle Schweizer Vertretung die Parlamentspräsidentin des Kleinstaates in Osteuropa brieflich auf, den Tabakmulti Philip Morris in ein öffentliches Konsultationsverfahren einzubeziehen.
Mit ihrer Einmischung auf höchster Ebene machten sich die Schweizer Diplomaten zu Handlangern des Tabakkonzerns. Im Kampf gegen das Ansinnen der neuen moldauischen Regierung, das als Weltinnovation beworbene Tabakheizsystem IQOS künftig gleich hoch zu besteuern wie herkömmliche Zigaretten, kam die Schweizer Hilfe wie gerufen.
Diplomatischer courant normal oder ein heikler Freundschaftsdienst für den umstrittenen Sponsor des Aussendepartements?
Tabaklobby nicht erwünscht
Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) wie auch das EDA argumentierten, die Schweiz habe sich nur dafür eingesetzt, «dass Philip Morris in das öffentliche Konsultationsverfahren zu einem Gesetzesentwurf einbezogen werden sollte, der die Arbeit des Unternehmens tangieren könnte».
Das klingt nach guten Diensten, nach demokratischen Prozessen, nach gutschweizerischer Einbindung aller Interessen und Perspektiven.
Doch die Recherchen der Republik zeigen: Moldau war nicht verpflichtet, dem Tabakmulti im Gesetzgebungsprozess Gehör einzuräumen. Ganz im Gegenteil: Der vom osteuropäischen Staat ratifizierte Rahmenvertrag der Weltgesundheitsorganisation (WHO) schreibt klar vor, dass die Vertragspartner dazu angehalten sind, den Gesetzgebungsprozess vor jeglichen Einflüssen der Tabaklobby zu schützen.
Das betrifft auch ein Konsultationsverfahren. Ein Pressesprecher der WHO sagt gegenüber der Republik, dass die Vertragsländer die Tabakindustrie von öffentlichen Anhörungen ausschliessen können, um das Gesetzgebungsverfahren zu schützen. Zudem sei die Schweiz als Mitunterzeichnerin des Vertrages dazu verpflichtet, Handlungen zu unterlassen, «die dem Ziel und dem Zweck des Vertrages zuwiderlaufen».
Brisantes Papier
Mit ihrer Parteinahme für Philip Morris ritzte die Schweiz jedoch nicht nur den WHO-Rahmenvertrag, den sie zwar unterschrieben, aber als einziges Land in Europa nicht ratifiziert hat – sie verstösst auch gegen die eigenen Regeln.
Gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz hat die Republik Einblick in die Leitlinien «zur Interessenwahrung von schweizerischen Unternehmen im Ausland» erwirkt, die das Seco im Oktober 2017 unter dem damaligen Bundesrat Johann Schneider-Ammann erstellte.
Die Leitlinien sollen den Botschaften bei der Beurteilung helfen, ob sie sich für ein privatwirtschaftliches Interesse starkmachen sollen oder nicht.
Das fünfseitige Papier ist brisant. Denn es offenbart: Die Intervention der Schweizer Botschaft zugunsten von Philip Morris steht nicht nur im eklatanten Widerspruch zum Engagement der schweizerischen Entwicklungspolitik. Sie erscheint auch im Licht der ebenfalls zu berücksichtigenden Gesundheitsaussenpolitik fragwürdig.
Entsprechend erzürnt reagiert man im Bundesamt für Gesundheit (BAG).
«Im Widerspruch zur Präventionsstrategie»
Die schweizerische Gesundheitsaussenpolitik muss laut den Leitlinien des Wirtschaftsdepartements gegebenenfalls in die Analyse eines Firmenanliegens miteinbezogen werden, bevor der Bund tätig wird. Denn: «Die Schweiz bekennt sich zu einer liberalen Wirtschaftsordnung, möchte diese aber in Einklang mit den Interessen der Solidarität und der globalen Gesundheit bringen.»
Die vom Bundesrat im Mai 2019 aktualisierte Gesundheitsaussenpolitik soll garantieren, dass die verschiedenen Schweizer Akteure auf internationaler Ebene kohärente Positionen vertreten. Koordiniert wird sie von der Abteilung Internationales des Bundesamts für Gesundheit.
Pikant: Wie Recherchen der Republik zeigen, hat das Aussendepartement das BAG gar nicht konsultiert, bevor es seine Botschaft in Kiew einen Brief nach Moldau schicken liess – die Gesundheitsaussenpolitik blieb somit aussen vor.
Im Bundesamt für Gesundheit reagiert man entsprechend verschnupft. «Die Schweiz setzt sich im Rahmen der Gesundheitsaussenpolitik in der Prävention im Bereich der nicht übertragbaren Krankheiten ein», schreibt Sprecher Daniel Dauwalder auf Anfrage. «Vor diesem Hintergrund bedauern wir es, dass in diesem Fall die Einschätzung des BAG im Rahmen der Interessenabwägung nicht berücksichtigt worden ist.»
Die Gesundheitsexperten des Bundes lassen keinen Zweifel daran, was sie von der in letzter Zeit wiederholt festgestellten Nähe des Aussendepartements zu Philip Morris halten. Dauwalder: «Die Zusammenarbeit mit der Tabakindustrie steht im Widerspruch zur Präventionsstrategie des BAG.»
Cassis’ Paradigmenwechsel
Im Widerspruch zum Bundesamt für Gesundheit vielleicht – doch perfekt passend zu den Prioritäten von Aussenminister Ignazio Cassis.
Seit seiner Wahl vor bald zwei Jahren wiederholt der FDP-Minister sein Mantra bei jeder Gelegenheit: «Aussenpolitik ist Innenpolitik.»
Und je länger, desto mehr treibt er die offizielle Politik der Schweiz in diese Richtung. Die im Mai in die Vernehmlassung geschickte Botschaft 2021 bis 2024 will einen Paradigmenwechsel in der schweizerischen Aussenpolitik: Von der Förderung von Menschenrechten und der Stärkung des Rechtsstaates verlagert Cassis den Schwerpunkt hin zur Schaffung von Arbeitsplätzen und Wirtschaftswachstum, wovon insbesondere die Schweiz profitieren soll.
Und auch in der jüngst vorgestellten Vision 2028, die Cassis bei einer aus Diplomaten und Wirtschaftsvertretern bestehenden Arbeitsgruppe bestellte, heisst es, die Schweizer Wirtschaft sei eine anerkannte Stärke der Aussenpolitik: «Aussen- und Handelspolitik funktionieren als homogenes Ganzes. Der Marktzugang für Schweizer Unternehmen hat hohe Priorität.»
Dass sich die Schweizer Aussenpolitik unter Bundesrat Ignazio Cassis verändert, zeigt sich in der jüngsten EDA-Affäre rund um die Verbandelung mit der Tabaklobby exemplarisch. Noch vor zwei Jahren agierte man im Aussendepartement bedeutend vorsichtiger. Unmittelbar nach dem Amtsantritt von Cassis war man sich im Herbst 2017 in der Schweizer Botschaft in Kiew der Tatsache bewusst, dass ein allzu freundschaftliches Verhältnis zu Philip Morris für den Bund ein Reputationsrisiko darstellt.
Jedenfalls ging man damals gerade noch rechtzeitig auf Distanz, wie neue Recherchen der Republik zeigen.
Zwar begleitete der für Wirtschaftsfragen zuständige stellvertretende Missionschef eine Delegation von Philip Morris am 10. November 2017 ins ukrainische Finanzministerium, wo man sich über steuerliche Streitigkeiten unterhielt – unter anderem hielt der Tabakkonzern der ukrainischen Regierung damals eine Verletzung des Investitionsschutzabkommens zwischen der Schweiz und der Ukraine vor.
Doch als der Tabakkonzern die Schweizer Botschaft danach zur Teilnahme an einer Arbeitsgruppe einlud, in der Lösungen erarbeitet werden sollten, lehnte die Botschaft ab. Ein Sprecher des EDA bestätigt den Sachverhalt.
Auf die Frage, warum man im Konflikt überhaupt für den Tabakmulti Partei ergriffen habe, antwortet er ausweichend: Philip Morris sei wie auch andere multinationale Unternehmen Teil des schweizerischen Wirtschaftsgefüges, leite seine Operationen für die osteuropäischen Märkte hauptsächlich von der Schweiz aus und sei zudem einer der grossen Investoren und Steuerzahler in der Ukraine und ein wichtiger Arbeitgeber in der Schweiz.
Warum wollte die Schweizer Botschaft dann nicht in der Arbeitsgruppe vertreten sein?
Die Antwort aus der Berner Zentrale fällt lapidar aus: «Das EDA macht keine Angaben zu internen Diskussionen.»