Der Schattenmann der CIA

Der ehemalige Geheimdienstchef Peter Regli war eng mit der CIA verbandelt, seine Macht unkontrolliert. Ein Sittengemälde der Schweizer Geheimdienste in den 90er-Jahren, als nur ein kleiner Kreis in die Spionage der Crypto AG eingeweiht war.

Eine Recherche von Mehdi Atmani, Adrienne Fichter, Sylke Gruhnwald (Text) und Andrea Ventura (Illustration), 10.11.2020

Es ist kurz nach 8 Uhr am Mittwoch, dem 12. Februar 2020. Alt-Bundesrat Adolf Ogi liest die Zeitung, greift zum Telefon und wählt die Nummer seines früheren Informations­chefs. «Haben Sie die Nachrichten gesehen?», platzt er heraus. «Gibt es etwas, was ich wissen sollte?»

Anlass des Anrufs waren die sogenannten Cryptoleaks. «SRF-Rundschau», ZDF und die «Washington Post» hatten gezeigt, dass die Zuger Exportfirma Crypto AG im Dienste des amerikanischen und deutschen Geheimdiensts über lange Jahre hinweg manipulierte Verschlüsselungs­geräte verkauft hatte. Die Recherche brachte ganz Bundesbern ins Rotieren und führte dazu, dass die Geschäftsprüfungs­delegation des Parlaments eine Untersuchung startete. Deren Ergebnis wird voraussichtlich heute Dienstag publiziert.

Recherchen, die wir seither angestellt haben, zeigen jedoch: Die Crypto AG ist nur die Spitze des Eisbergs. Der gesamte Schweizer Nachrichten­dienst war in den 1990er-Jahren geprägt von Dünkel, Intrigen und informellen Beziehungen zu den westlichen Geheimdiensten. Es gab einen kleinen Zirkel von Insidern an der Spitze, der unbeaufsichtigt von Bundesrat und Parlament den persönlichen Austausch mit amerikanischen, südafrikanischen oder israelischen Spionen pflegte. Stets mit mündlichen Abmachungen, grosser Verschwiegenheit und, nach eigener Ansicht, nur «zum Wohl der Schweiz».

Viele Spuren unserer Recherche führen zu einer Person: Peter Regli.

Regli war in den 90er-Jahren Chef des Nachrichten­diensts – in jener Zeit also, als die Gerüchte rund um die Besitz­verhältnisse der Crypto AG zu brodeln begannen. Nach der Veröffentlichung der Cryptoleaks wurde Regli von Schweizer Medien kontaktiert und von der Geschäftsprüfungs­delegation befragt. Obwohl er offiziell wenig gewusst haben soll über die Crypto AG, ist er eine Schlüssel­figur, was die informellen geheim­dienstlichen Beziehungen der Schweiz in den 90er-Jahren angeht.

Unsere Recherchen zeigen, dass Regli enge Beziehungen zu ausländischen Geheimdiensten wie der CIA pflegte und nahezu unkontrollierte Macht innerhalb der Schweizer Geheimdienste besessen hat. Dies geht zurück auf:

  • Reglis (bisher wenig bekannte) Mitgliedschaft in informellen internationalen Geheimdienst­netzwerken wie dem Club de Berne

  • Zugeneigte und passive Bundesräte wie Kaspar Villiger

  • Strukturelle Gründe und die «Geheimhaltungs­kultur» im Schweizer Nachrichtendienst­wesen

  • Fehlendes Vertrauen gegenüber engsten Nachrichtendienst­funktionären, wie das gescheiterte und bisher unbekannte Abhörprojekt Nasys zeigt

Ein ehemaliger Mitarbeiter des Schweizer Geheimdiensts formuliert es so: «Peter Regli traute seinen eigenen internen Untergebenen nicht. Er hörte nur auf die CIA. Er war völlig unkontrolliert und unbeaufsichtigt.»

Alt-Bundesrat Adolf Ogi sagt: «Peter Regli war der richtige Mann für das Amt des Nachrichtendienst­chefs. Er wollte seinem Land dienen, aber er zog seine Grenzen beliebig. Und diese waren nicht immer kompatibel mit seinem Posten.»

Zu Cryptoleaks und dieser Recherche

Anlass für unsere Recherchen waren die Cryptoleaks, eine Enthüllung über die sogenannte Operation Rubikon. Ein investigatives Journalistenteam von SRF, ZDF und «Washington Post» konnte dank eines 280-seitigen Dokuments namens Minerva beweisen, dass der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) und die CIA zwischen 1970 und 1993 ein Geheimbündnis hatten, um rund 100 Staaten auszuspionieren. Seit vielen Monaten forschen wir – ein dreiköpfiges Reporte­rinnenteam der Republik und von «Le Temps» – in der Vergangenheit des Schweizer Geheimdiensts und untersuchen mehrere Schweizer Firmen, die ebenfalls im Dienste ausländischer Mächte handelten. Wir sind dafür durch die Schweiz gereist, um mit den Quellen und Akteuren von damals zu sprechen, die heute noch leben. Eine Reise, die uns aufgrund der Pandemie digital auch nach Deutschland, Schweden, in die Niederlande, in die USA und nach Südafrika führte. Einige Quellen aus dem Umfeld des NDB und der Firmen waren im Nachgang der Cryptoleaks sehr auskunftsbereit. Andere wollten nichts mehr damit zu tun haben. Viele Quellen und Dokumente sind noch im Bundesarchiv klassifiziert oder – im Fall von Peter Regli – vernichtet worden. Dennoch ist es uns gelungen, an Kopien der unveröffentlichten Dokumente zu kommen.

Die Mitwisser

Bereits die Cryptoleaks-Enthüllung im Februar deutete darauf hin, dass der Schweizer Geheimdienst involviert war: «Hohe Beamte der Organisation hatten generell Kenntnis von der Rolle Deutschlands und der USA im Zusammenhang mit der Crypto AG und trugen dazu bei, diese Beziehung zu schützen», heisst es dort.

Vor wenigen Tagen schrieb der «Tages-Anzeiger», der Nachrichtendienst des Bundes NDB habe die Ermittlungen der Bundespolizei zu den Besitz­verhältnissen der Crypto AG torpediert, «indem er den Berner Kollegen seine Erkenntnisse verschwieg oder sie bewusst in die Irre führte. Das Verfahren musste ergebnislos eingestellt werden».

Welche «hohen Beamten» wussten also die Wahrheit über die Crypto AG?

In den Medien sind diverse Namen aus dem bürgerlichen Lager aufgetaucht. Der geheime CIA-Bericht «Minerva» nannte als Mitwisser beispielsweise den Zuger FDP-Parlamentarier Georg Stucky, ein Mitglied des Verwaltungsrats von Crypto AG. Erwähnt wird auch Alt-Bundesrat Kaspar Villiger.

Und wie viel wusste Peter Regli über die Crypto-Affäre? War er gar eine treibende Kraft für den Deal mit den Geheimdiensten?

Eine erste Antwort findet man in «Operation Crypto», einem Buch des Journalisten Res Strehle, das im Sommer 2020 veröffentlicht wurde und an dessen Recherchen zur Bühler-Affäre in den 90er-Jahren anknüpft.

Zur Bühler-Affäre

Bereits in den 90er-Jahren schrieb der Zürcher Journalist Res Strehle ein Buch über die Bühler-Affäre, benannt nach dem ehemaligen Ingenieur von Crypto AG, der 1992 beim Verkauf von Verschlüsselungsgeräten an das iranische Verteidigungsministerium verhaftet wurde. Bühler wurde der Spionage verdächtigt und sass neun Monate lang in einem iranischen Gefängnis. Der Fall Bühler zwang die Bundesanwaltschaft, eine Untersuchung zur Crypto AG durchzuführen. Diese kam fälschlicherweise zum Schluss, dass es keine Manipulation an Geräten gab.

Im aktuellen Buch wird Bruno von Ah erwähnt, ein langjähriger Verkaufs­ingenieur der Crypto AG. Er hatte Anfang der 90er-Jahre Verdacht geschöpft, dass Geräte manipuliert waren. Von Ah erzählt von seiner Begegnung mit Regli im Jahr 1995: «Wir trafen uns in einem Café in Zug. Er wollte herausfinden, ob es Gerüchte über das Unternehmen gibt und ob es Beweise dafür gibt.» Er habe sich gefragt, warum Regli allein gekommen sei, so von Ah im Buch, «sagte ihm aber, dass ich Beweise hätte».

Es gab also mindestens einen Hinweis, dass Regli über die Crypto AG im Bild war. Wie die NZZ schreibt, wird Regli im Bericht der Geschäfts­prüfungs­delegation nur marginal belastet. Regli selbst sagt, er habe nichts von der Crypto AG gewusst. Im geheimen CIA-Bericht «Minerva» wird er nicht namentlich erwähnt.

Das ist erklärungsbedürftig.

Der Allwissende

Denn mehrere Quellen aus dem NDB-Umfeld bezeugen, wie eng der Ex-Chef des Strategischen Nachrichten­diensts mit den Amerikanern zusammenarbeitete. Sie nennen den heute 76-Jährigen «den Souffleur», mit engem Draht zum damaligen CIA-Direktor William H. Webster, dem israelischen Geheimdienst Mossad oder dem südafrikanischen Geheim­dienst – alles Protagonisten aus dem Club de Berne. Doch dazu später mehr.

«Der Regli» oder «der Pietro» wird als gekonnter Redner bezeichnet, aber auch als manipulativ. Fast alle Quellen, mit denen wir sprachen, sagen, Peter Regli habe über mächtige informelle Netzwerke verfügt. Ein ehemaliger Angestellter der Bundes­verwaltung mit Archivaufgaben – wir nennen ihn Georg Brohn – sagt: «Es gab in den 90er-Jahren einen Obskurantismus im Nachrichten­dienst. Davon fühlten sich so undurchsichtige Leute wie Regli sehr angezogen, sie konnten dann informell ihr eigenes Ding durchziehen.»

Wie kam Regli zu diesem prestigeträchtigen Posten?

Peter Regli wurde 1944 in Airolo im Tessin geboren und schloss 1969 sein Studium an der ETH Zürich ab. Im selben Jahr trat er als Projekt­ingenieur in die Armaments Services Group ein. Von 1974 bis 1977 war Regli Militärattaché an der Schweizer Botschaft in Stockholm. Als neutrales Land ist Schweden, wie auch die Schweiz, ein wichtiger strategischer Standort für Nachrichten­dienste wie den CIA und den Mossad.

Zurück in der Schweiz, wurde Regli 1981 Chef des Nachrichten­diensts der Luftwaffe und der Luftverteidigungs­kräfte. 1991 machte ihn Bundesrat Kaspar Villiger zum Stabschef des Schweizerischen Nachrichten­diensts und zum Divisions­kommandeur.

«Die Firma»

Regli, militärisch sozialisiert, war geprägt vom typischen Freund-Feind-Denken des Kalten Kriegs. Um seine Rolle besser zu verstehen, müssen wir einen Blick auf das Organigramm des Schweizer Nachrichten­diensts werfen. Dieser war damals zweigeteilt:

  • Auf der anderen Seite existierte der interne Nachrichten­dienst: der Dienst für Analyse und Prävention (DAP). Dieser wurde nach der Fichenaffäre 1989 gegründet und war beim Eidgenössischen Justiz- und Polizei­departement angesiedelt.

Diese komplizierte Struktur mit unterschiedlichen Vorgesetzten führte zu Kompetenz­gerangel, Informations­defiziten und fehlender Aufsicht.

Regli war von 1991 bis 1999 an der Spitze des SND. In dieser Zeit prägte er die geheim­dienstlichen Beziehungen der Schweiz entscheidend, ohne dass er je auf dem Radar des Bundesrats auftauchte, wie eine unabhängige administrative Untersuchung des Professors Rainer Schweizer über Reglis Beziehungen zu Südafrika umfangreich belegt. Die Untersuchung, beauftragt von SVP-Bundesrat Samuel Schmid im November 2001, ist ein klassifiziertes Dokument, das bis jetzt nicht veröffentlicht war und der Republik vorliegt.

Schweizer stellt darin fest, «dass bis Mitte der 90er-Jahre die Leiter des SND offensichtlich die Auffassung hatten, sie müssten ihre Aufgabe weitestgehend in Eigenverantwortung wahrnehmen». Während der Befragung zu seinen Südafrika-Kontakten nannte sich Peter Regli selbst einen «Aussenminister» in Militär- und Sicherheits­fragen. Weiter steht im Bericht: «Eine Konsequenz dieser im ND geltenden Auffassung war z. B., dass die Kontakte ausländischer Nachrichten­dienste mit dem Schweizerischen Nachrichten­dienst nicht über das Militär­protokoll abgewickelt wurden, sondern direkt aufgenommen wurden.» Das Geheimhaltungs­prinzip führe «zu zahlreichen Abschottungen innerhalb des Diensts», nach dem Prinzip «need to know» (Kenntnis nur soweit nötig).

Wegen seiner besonderen Mission verstand sich der Schweizer Geheimdienst laut dem Untersuchungs­bericht «als eine von der übrigen Verwaltung der Armee und des Departements weitgehend abgetrennte, eigenständige Einheit». Seine Akteure – ohne Namen zu nennen – gingen sogar so weit, sich als «die Firma» zu bezeichnen: «in vielen administrativen Belangen frei von manchen ‹Reglementierungen› der übrigen Bundesverwaltung und des Departements».

Regli selbst bezeichnete sich als glühenden Patrioten, dem es immer um das Wohl der Schweiz gehe, wie seine untergebenen Offiziere beteuerten. Der Autor des Berichts stellte jedoch fest, dass Regli immer nach eigenen Massstäben entscheide, was für die Schweiz gut oder schlecht sei, wie er uns im persönlichen Gespräch sagt. Reglis Sichtweise über seine Aussage in der Untersuchung veranschaulicht dies: «Woher soll denn der Nachrichtendienst die Informationen erhalten, wenn nicht von den Leuten, die an der Front sind? […] Der Zweck heiligte die Mittel. Wir hofften, damit zu wertvollen Angaben zu kommen.»

Ein hochrangiger Schweizer Nachrichten­offizier, der nicht namentlich genannt werden will – nennen wir ihn Noah Bruchez – und der ein Jahrzehnt lang mit Regli gearbeitet hat, sagt bei einem Treffen mit uns, er sei in dieser Zeit Zeuge «der umstrittenen Freiheiten» Reglis geworden. Dieser sei ein begnadeter Redner, sehr gewinnend für seine Anliegen, sagt Bruchez. «Aber in Wirklichkeit, und innerhalb der Abteilung, ist Regli eine Figur, die eindeutig von seinen ausländischen Partnern beeinflusst wurde. Konkret: als Partner des Direktors des BND, also des deutschen Geheimdiensts, und des Direktors des CIA.»

Der informelle Club

Wie kam Regli zu diesen hochrangigen ausländischen Kontakten? Und was war daran problematisch?

Bruchez und andere Quellen aus dem NDB-Umfeld bezeugen, dass der ehemalige Geheimdienst­chef stets an den geheimen Sitzungen des Club de Berne teilnahm. Diese informelle Organisation wurde während des Kalten Kriegs 1971 in Bern gegründet. Sie vereinigt die Chefs aller Geheimdienste und der Bundespolizeien aus etwa zehn Ländern wie Deutschland, den USA, Grossbritannien und der Schweiz. Die WOZ enthüllte im März dieses Jahres, dass dieser informelle Club bis heute noch operiert. Ziel ist der regelmässige Informations­austausch zwischen den westlichen Geheim­diensten und den jeweiligen Bundespolizei­korps über aktuelle Bedrohungen.

Die Schweiz spielte dabei eine wesentliche Rolle. Ein Archivar, der nicht namentlich genannt werden will, weiss: Die Schweiz verfasste 1982 etwa einen Bericht namens «Groupe de Travail» mit, der Spionage­aktivitäten der Ostblock­staaten und den heimlichen Transfer von westlicher Technologie in den Osten dokumentiert. Die Mitgliedschaft im Club de Berne war vorteilhaft: Ohne EU-Mitglied sein zu müssen, erhielt die Schweiz direkten Zugang zu einzelnen europäischen Geheimdiensten, wie die Bundeshaus-Journalistin Eva Novak 2004 in einem Artikel schrieb.

Die Dokumentation zu diesem informellen Netzwerk ist spärlich. Oft werden bei Treffen nur die Abkürzungen oder Pseudonyme der Nachrichten­dienstchefs festgehalten. Ein Dokument aus dem Bundesarchiv zu einem Club-de-Berne-Treffen in den 90er-Jahren ist beispielsweise mit «Kz, G, Cr, Schi, Reg» unterschrieben. Ob es sich bei «Reg» um Regli handelt? Wir wissen es nicht.

Aviva Guttmann, Historikerin am King’s College in London, ist eine der wenigen Forscherinnen mit Zugang zu den Club-de-Berne-Aufzeichnungen der 80er- und 90er-Jahren, die in ausländischen Archiven gelagert sind. Sie geht davon aus, dass Regli Kraft seines Amts Mitglied gewesen sein muss: Als Chef des Nachrichten­diensts habe er die Schweiz sehr wahrscheinlich im Club de Berne vertreten.

Alt-Bundesrat Adolf Ogi sagt: «Ich wusste, dass Peter Regli diese Kontakte zur CIA hatte, aber ich kannte die Details nicht.» Er habe damals gedacht, dass dieser informelle Austausch zum Pflichtenheft eines Geheimdienst­chefs gehöre.

Die Nähe zu den «befreundeten Geheimdiensten» beeinflusste Regli, denn er vertraute ihnen mehr als den Recherchen und Analysen der eigenen Offiziere. «Peter Regli verfügte stets über Wissen, das weit über seinen Dienstgrad hinausging», sagt eine andere Quelle. Durch die Teilnahme am Club de Berne erhielt Regli Informationen der CIA und des israelischen Mossad. Und flüsterte diese dem Bundesrat ein.

Der verspielte Ruf

Zwar sei die Pflege ausländischer Kontakte klassischer Modus Operandi für jeden Nachrichtendienst­chef, sagt der hochrangige Nachrichten­offizier Bruchez. Doch Regli sei dabei zu weit gegangen, «indem er das Risiko einging, die Sicherheit des Landes zu gefährden». Bruchez meint damit die Gefährdung der internationalen Verpflichtungen und der Neutralität der politischen Schweiz. Auch die Untersuchung von Professor Schweizer belegt diesen aussenpolitischen Konflikt: «Einzelne wenige Vertreter des Nachrichten­diensts (…) äusserten sich selbst schriftlich in einer Art und Weise, die eine erstaunlich geringe politische Sensibilität zeigte.»

Diese sich selbst eingeräumten Freiheiten im Umgang mit ausländischen Geheimdienst­offizieren kostete Regli später seinen Job. Und er verärgerte viele ihm eigentlich wohlgesinnte Funktionäre. «Er selbst hat kein Projekt zu Ende gekriegt», erinnert sich ein Offizier, der heute noch im Dienst ist.

Regli verspielte seinen zu Beginn sehr guten Ruf. Einer seiner teuersten Fehler war das Computer­system­projekt Nasys, das Regli 1990 initiierte. Es hätte den digitalen Informations­fluss in Echtzeit abfangen sollen. In der Medienmitteilung von 1997 hiess es dazu: «Das EDV-System Nasys hätte verschiedene Datenbanken vernetzen und die Darstellung der nachrichten­dienstlichen Gesamtlage ermöglichen sollen.»

Ziel war es, mit Nasys die elektronische Überwachung der Schweiz stark auszubauen und das Onyx-Satelliten­abhörsystem technologisch zu ergänzen. Regli verlangte vom VBS ein Budget von über 15 Millionen Franken. Doch das Projekt scheiterte. In der internen Untersuchung des Juristen Hanspeter Rentsch sind die Gründe dafür aufgelistet: «Fehlendes systematisches Projekt­controlling, ungenügende Projektaufsicht, Unterschätzung der Komplexität des Projekts, mangelhafte Kommunikation zwischen den mitinvolvierten EMD-Stellen.»

Die ehemaligen Kollegen sagen dazu: Regli war zwar an der Spitze des Nachrichten­diensts, vom Rest des Apparats aber völlig entkoppelt, weil er nur ganz wenigen Leuten vertraute. «Er war weit weg von uns, denjenigen, die die Drecksarbeit erledigen mussten», sagt auch Funktionär Bruchez. Das Projekt Nasys wurde 1996 abgebrochen.

Die Schutzmauer

Dass Regli sich autonom mit dem CIA und Mossad austauschen konnte, hat auch mit einer anderen Person zu tun, die ihm stets den Rücken frei hielt und Türen öffnete: dem Leiter des internen Nachrichten­diensts DAP. Urs von Daeniken, ebenfalls Club-de-Berne-Mitglied, umtriebig und ambitioniert, war in der Bundespolizei schnell aufgestiegen. Regli, mit dem ihn eine tiefe Freundschaft verband, verhalf er zu regelmässigen Treffen mit den Chefs der CIA.

Von Daenikens Vorgesetzter, Peter Huber, gemäss unseren Dokumenten ebenfalls Mitglied im Club de Berne, wurde nach der Fichenaffäre 1989 aufgrund von öffentlichem Druck entlassen. Von Daeniken kam aber unbescholten davon und wurde 1993 unter Bundesrat Arnold Koller als Leiter des internen Nachrichten­diensts bestätigt. Er präsentierte sich als «Mann der Stunde», für Innovation und Veränderungen, wie Bruchez sagt.

Regli und von Daeniken an den Spitzen der beiden Geheimdienste verfügten über ein Wissensmonopol: «Zusammen bildeten sie schnell ein verschworenes, eingespieltes Duo», sagt Bruchez. Sie rapportierten dem Bundesrat direkt und filterten Informationen von ihren internationalen Geheimdienst­netzwerken, teilten dieses Wissen aber kaum mit anderen Generälen und Beamten des Nachrichtendiensts. «Sie gaben nach oben und unten das weiter, was sie wollten und wem sie wollten», so Bruchez.

Auch Schweizers Untersuchung bestätigt dies: «Diese begrenzte Informations­vermittlung entsprach wohl den gängigen Vorstellungen des Auftrags des Nachrichten­diensts in den 80er- und 90er-Jahren.» Die meisten ehemaligen Kollegen von Regli bezweifeln, dass diese international beeinflussten Lageeinschätzungen der beiden Geheimdienst­chefs wirklich im Interesse der Schweiz gewesen seien.

Das Duo profitierte ausserdem von einer kaum existenten Aufsicht durch den Bundesrat. Doch warum wurden ihre Chefs – die Vorsteher des Verteidigungs­departements – nicht stutzig ob der Machtfülle der Geheimdienst­leiter?

Die vergebliche Hoffnung

Alt-Bundesrat Adolf Ogi erinnert sich gut an diese Zeit zurück. Er sei zwar kein nachtragender Mensch, aber er vergesse nichts, sagt er. Wenn er über Regli spricht, wählt er seine Worte mit Bedacht.

Enge Mitarbeitende des ehemaligen SVP-Bundesrats sagen, der Geheim­dienstchef sei für Ogi immer mehr zum «Problemdossier» geworden. Denn Regli war zum einen eng mit Personen aus der Apartheid verbandelt, die ein chemisch-biologisches Waffenprogramm aufgebaut hatten. Und dann war da noch die Bellasi-Affäre, benannt nach dem ehemaligen Geheimdienst­buchhalter Dino Bellasi, der von Regli mit 8,9 Millionen Franken beauftragt wurde, ein geheimes Waffenarsenal aufzubauen. Doch dazu später mehr.

Als Ogi im November 1995 die Leitung des Militär­departements übernahm, traf er das erste Mal auf Regli. Ogi war von seiner Eloquenz beeindruckt: «Er kam in mein Büro. Er ist ein kluger Kerl, der mehrere Sprachen spricht. Und ein sehr guter Redner. Er gewinnt das Publikum schon nach fünf Minuten.» Regli sei immer bestens informiert gewesen, habe Beurteilungen und Empfehlungen abgegeben. «Der richtige Mann für den Posten des Geheimdiensts.» Doch etwas verwunderte Ogi ein wenig: Die Gespräche durften nie protokolliert werden. «Es war immer unter vier Augen. Niemals eine Papierspur, kein Memo, nichts. Wegen seiner Position als Geheimdienst­chef wollte er mir nicht alles erzählen.»

Als Ogi sich 1995 in sein Amt einarbeitete, hoffte er, von seinem Vorgänger Informationen zu erhalten, dem FDP-Bundesrat Kaspar Villiger. Dieser hatte soeben neu das Finanz­departement übernommen – und er war es gewesen, der Regli 1991 zum Geheimdienst­chef befördert hatte. Doch ehemalige Mitarbeiter von Ogi sagen heute, Villiger habe seinen Nachfolger auflaufen lassen. «Er gab ihm keine Informationen über die Abläufe des SND oder über die Amtsführung von Peter Regli. Es gab keine Übertragung von Dossiers und Protokollen. Das war für ihn enttäuschend.»

So kam es, dass Ogi bis zum 12. Februar 2020 nichts von der Kontrolle des CIA und BND über Crypto AG wusste, wie er selber sagt. Und dies, obwohl er in der entscheidenden Zeit Chef des Verteidigungs­departements war.

Ehemalige Mitarbeiter von Ogi erinnern sich an eine ausserordentliche Bundesrats­sitzung am Murtensee im Jahr 1999: «Mitten in einer Diskussion klingelte das Telefon von Ogi. Carla Del Ponte war am Apparat.» Die ehemalige Bundesanwältin wollte sich dringend mit dem Bundesrat treffen. «Carla Del Ponte wollte Regli wegen seiner damals bekannt gewordenen Südafrika-Affäre verhaften lassen.» Doch so weit kam es nicht.

Wir haben Carla Del Ponte kontaktiert und wollten mehr über diese Episode wissen. Doch sie will sich dazu nicht mehr äussern.

Es war schliesslich das Südafrika-Kapitel, das dem Geheimdienst­chef politisch das Genick brach und ihn zum Rücktritt zwang.

«Doktor Tod»

Gehen wir dafür nochmals ein paar Jahre zurück, in die dunkle Zeit der Apartheid in Südafrika: in die 80er-Jahre. Regli, damals Chef der Luftwaffe, organisierte einen geheimen, fast unprotokollierten Austausch von Piloten mit Südafrika. Laut Aussage von Chris Thirion, dem ehemaligen Chef des südafrikanischen Geheimdiensts, pflegten die schweizerischen und südafrikanischen Dienste einen jahrelangen Informations­austausch über chemische Waffen. Damals war Wouter Basson Leiter des südafrikanischen Chemiewaffen­programms. Die südafrikanischen Medien gaben ihm den Übernamen «Doktor Tod». Er leitete die Operation Coast.

Dieses streng geheime und tödliche Programm der Apartheid­regierung sollte an politischen Gegnern und an Schwarz­afrikanern getestet werden. All das ist im klassifizierten Bericht von Professor Schweizer und in der Studie «Mit der Apartheidregierung gegen den Kommunismus» von Peter Hug festgehalten.

Anfang 1988 trafen sich also Wouter Basson und der südafrikanische General Lothar Neethling in Bern mit Vertretern des AC-Labors Spiez. Gemäss den Aussagen von Basson wurde das Treffen von Jürg Jacomet arrangiert. Der ominöse Waffenhändler wurde Reglis «Agent» in Südafrika.

1991, ein Jahr nach dem Sturz des Apartheid­regimes, statteten Basson und Neethling Bern einen weiteren Besuch ab, diesmal direkt im Büro von Regli. 1992 half Jacomet Basson, eine halbe Tonne Mandrax zu beschaffen, ein extrem giftiges Lähmungsmittel. Regli fädelte diesen Deal ein. Zwei Jahre später konnte Peter Regli im Gegenzug auf Jacomets Unterstützung beim Kauf von zwei russischen SA-18-Boden-Luft-Raketen zählen. Das Projekt Coast wurde 1992 abgebrochen.

Die parlamentarische Aufarbeitung dieser problematischen Beziehung begann spät, ausgelöst durch Medienberichte. Der Bundesrat war kaum informiert über die engen Verflechtungen Reglis mit Südafrika. Die Wahrheit kam Stück für Stück ans Licht. «Wir konnten kaum Fragen stellen, weil wir sehr wenig wussten damals», sagte Pia Hollenstein, ehemalige Nationalrätin der Grünen, die 1998 eine parlamentarische Initiative über die Aufarbeitung der Beziehung zwischen der Schweiz und Südafrika einreichte.

Nur ein Mitglied des Bundesrats wusste von Reglis Deals, gemäss der parlamentarischen Untersuchung von 2003: Kaspar Villiger. Professor Schweizer, der Villiger ebenfalls befragt hat, zweifelt heute an der Kooperations­bereitschaft des ehemaligen FDP-Bundesrats: «Es ist sicher, dass er mir gegenüber nicht alles gesagt hat. Kaspar Villiger hat kaum etwas Konkretes erzählt, obwohl er zum Zeitpunkt der Ereignisse von 1990 bis 1994 an vorderster politischer Front stand. Er ist ein politischer Opportunist.»

Für den emeritierten Professor ist der Fall Regli und Südafrika immer noch nicht abgeschlossen.

Vernichtete Akten

Reglis Beziehungen zu Südafrika sind zwar offiziell geklärt und führten 2007 zu seiner Rehabilitation. Trotz eindeutiger Kontakte, problematischer Kontakte, privater Geschäfte und mehrerer Kompetenz­überschreitungen konnte ihm schwarz auf weiss keine direkte Beteiligung am Projekt Coast nachgewiesen werden. Immerhin hat Regli in Gegenwart von seinem Anwalt zugegeben, er habe Wouter Basson, den Leiter des Chemiewaffen­programms, mindestens sechs Mal getroffen und mit ihm Geschäftliches besprochen. Von den verbrecherischen Forschungen dieses Arztes hatte er also Kenntnis, sagt Schweizer.

Aber diese gut dokumentierten Befunde blieben für Regli bisher folgenlos.

Das lag vor allem daran, dass Regli sämtliche Akten und Memos über seine Besuche im September 1999 vernichtet hatte. Wenige Monate bevor er vom Bundesrat wegen der laufenden Untersuchung in Frühpension gedrängt wurde, wird Regli ins Armeearchiv versetzt. Dort nutzte er die Gelegenheit, alle Dokumente im Zusammenhang mit seinen Aktivitäten in Südafrika zu vernichten. Er berief sich dabei – ironischerweise – auf den Datenschutz, seine Persönlichkeits­rechte und den Fichenskandal der damaligen Bundespolizei.

Die Aktenvernichtung sei in den 70er- bis 90er-Jahren eine typische schweizerische Eigenheit gewesen, sagt Geheimdienst­historiker Adrian Hänni. Vor allem zu den Kooperationen mit ausländischen Intelligence Services seien Dokumente geschreddert worden, sofern überhaupt etwas schriftlich festgehalten worden sei. «Die Geheimdienste in den USA, Deutschland und England haben das nicht in diesem Ausmass gemacht.»

Doch weshalb stoppte niemand Regli, obwohl er in den Schlagzeilen stand?

Wir telefonieren mit Archivar Brohn. Seine Stimme am Telefon ist ängstlich, brüchig. Brohn war damals von Regli getäuscht worden: «Die Vernichtung der Archive war ein klarer Verstoss gegen das Bundesrecht.» Regli sagte Brohn damals, Generalstabs­chef Häsler habe ihm die Erlaubnis gegeben.

Häsler dementierte dies, aber er äusserte sich nie öffentlich dazu, um Regli nicht zu belasten. Im Bericht von Rainer Schweizer steht, Regli habe keine Anordnung erhalten: «Die Generalstabs­chefs H. Häsler, A. Liener und U. Schener haben bestritten, entsprechende Anordnungen gegeben zu haben. Solche liegen erst recht nicht vor von den Bundesräten Villiger und Ogi und deren persönlichen Referenten.»

Die Aktenvernichtung behinderte die Ermittlungs­arbeit von Rainer Schweizer und dem Parlament in den Neunziger- und Nullerjahren. In Schweizers Untersuchung steht: «In der Chef­korrespondenz von Divisionär Regli zeigen sich mit Südafrika einzelne klar belegbare Lücken, etwa dass in Briefen der einen oder anderen Seite auf ein vorangehendes oder ein nachfolgendes Schreiben verwiesen wird, das fehlt.» Dennoch wollte der damals zuständige SVP-Bundesrat Samuel Schmid die Sache ruhen lassen. Es ist diese Passivität der bürgerlichen Entscheidungs­träger, die Schweizer heute noch ärgert: «Bundesrat Schmid wich den politischen Konflikten aus, und er hat wohl die grosse Tragweite dieses Falls nie verstanden.»

Private Deals

Acht Jahre nach seiner Entlassung wurde Peter Regli 2007 vom Bundesrat rehabilitiert. Aber er will nicht vergessen werden. Seit zwanzig Jahren hält er Vorträge, tingelt durchs ganze Land, um über Verteidigung und Sicherheit zu referieren. Er ist omnipräsent in den Medien, wie etwa bei der Abstimmung übers Nachrichtendienst­gesetz 2015. Nur über seine Amtszeit als Geheimdienst­chef will er mit niemandem reden. Auch nicht mit uns.

Damit kommen wir zurück zum Ausgangspunkt unserer Recherche. Heute sollen Namen von Mitwissern im Nachrichtendienst und in Bundesbern genannt werden. Der Untersuchungs­bericht zur Crypto AG wird über ein entscheidendes Kapitel der aussenpolitischen Beziehungen der Schweiz der 90er-Jahre aufklären. Peter Regli hat dabei dem Vernehmen nach nur eine marginale Rolle gespielt. Zumindest schaffte er es, sich nicht belastbar zu machen. Doch hatte er die aussenpolitischen Beziehungen der Schweiz stärker geprägt, als bisher bekannt war. Und war damit immer schlechter kontrollierbar geworden. Während er in seinem Amt schlecht vernetzt war, seinen Mitarbeitern misstraute und den Bundesrat im Dunkeln liess, ging Regli stets auf Tuchfühlung mit CIA- und Mossad-Chefs und verstrickte sich in private Deals mit höchst umstrittenen Personen wie dem «Doktor Tod». Dabei blieb er verschwiegen und hinterliess kaum Spuren.

Der ehemalige Archivar Georg Brohn bezeichnet sich selbst als Patriot und Verfechter eines starken Nachrichtendiensts. Doch habe er bei Regli trotz der engen Zusammenarbeit immer ein schlechtes Gefühl gehabt. «Ich habe ihm nie wirklich vertraut. Es gibt zehn Personen, die ich nie in mein Haus einladen würde. Regli ist einer von ihnen.»

In einer früheren Version haben wir von einem Ort namens «Heimatschwand» geschrieben, richtig ist «Heimenschwand». Wir entschuldigen uns für den Fehler.

Zum Autorenteam

Mehdi Atmani arbeitet als freier Journalist. Für seine Videoserie «La Suisse sous couverture» auf RTS erhielt er beim Swiss Press Award die Auszeichnung «Journalist of the Year». Sylke Gruhnwald ist freie Journalistin und hat zuletzt für das dokumentarische Theaterstück «Whistleblowerin Elektra» recherchiert. Adrienne Fichter ist Redaktorin der Republik.