Militärhallen für Flüchtlinge, die Schweiz im Spionagestrudel und kein Beischlaf ohne Dusche
Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (123).
Von Philipp Albrecht, Reto Aschwanden, Dennis Bühler, Adrienne Fichter und Bettina Hamilton-Irvine, 12.11.2020
Im Oktober hatte der Bundesrat Arbeitgeber verpflichtet, die Empfehlungen des Bundesamts zum Thema Homeoffice zu beachten. «Aufgrund der hohen Fallzahlen sollen Mitarbeitende falls möglich wieder im Homeoffice arbeiten», heisst es da. Nicht möglich ist Homeoffice für das Schweizer Parlament. Die zuständige Kommission des Nationalrats wollte zwar, dass von Covid-19 betroffene Parlamentarierinnen virtuell von daheim aus abstimmen können, die ständerätliche Schwesterkommission lehnte das am Dienstag aber ab: Zum parlamentarischen Prozess gehöre nicht nur das Abstimmen, sondern auch die Debatte und der Austausch zwischen den Ratsmitgliedern. Und das erfordere physische Präsenz. Wir lernen: Nur weil der Bundesrat Homeoffice empfiehlt, ist das fürs Parlament noch lange nicht bindend. Und das beweist: Die Gewaltentrennung bleibt in der Schweiz auch in Pandemiezeiten intakt.
Und damit zum Briefing aus Bern.
Corona füllt die Asylzentren des Bundes
Worum es geht: Aufgrund der Schutzmassnahmen gegen die Ausbreitung der Corona-Pandemie hat sich die Kapazität der Bundesasylzentren halbiert. Die zur Verfügung stehenden Plätze sind nun zu über 90 Prozent belegt. Der Bund will darum weitere Unterkünfte in Betrieb nehmen, darunter auch eine Militärhalle in Brugg, deren Nutzung auf drei Jahre befristet ist.
Warum Sie das wissen müssen: Die Covid-19-Notverordnung des Bundesrats macht die Unterbringung von Asylsuchenden in Militäreinrichtungen möglich. Die Flüchtlingshilfe Schweiz hinterfragt, inwiefern die Unterbringung in einer Militärhalle längerfristig menschenwürdig erfolgen kann. Die Notverordnung erlaubt zudem ausnahmsweise Anhörungen ohne Rechtsbeistand, allerdings gilt dann eine längere Beschwerdefrist. Die Flüchtlingshilfe will, dass diese Ausnahmeregelung gestrichen wird. Eine Fristverlängerung ersetze keine Rechtsvertretung. Wie in Pandemiezeiten mit Flüchtlingen in der Schweiz umgegangen wird, haben wir bereits im Sommer am Beispiel des Kantons Zürich aufgezeigt.
Wie es weitergeht: Die Corona-Massnahmen des Bundes gelten sicher bis Juni nächsten Jahres. Rückführungen sind derzeit aufgrund der Pandemie erschwert. Weil aufgrund geschlossener Grenzen viele Fluchtrouten blockiert sind, dürften in den nächsten Monaten eher wenige Schutzsuchende in die Schweiz gelangen.
Crypto-Affäre: Die Schweiz als Komplizin der CIA
Worum es geht: Die Schweiz war bei den Spionageaktivitäten der Zuger Verschlüsselungsfirma Crypto AG nicht nur Trittbrettfahrerin, sondern auch Komplizin der CIA. Eingeweiht soll in «die grösste Spionageoperation des Jahrhunderts» (Zitat CIA) ein kleiner Kreis innerhalb des Strategischen Nachrichtendiensts SND gewesen sein, der Bundesrat hatte keine Kenntnis davon. Dies ist das Ergebnis eines Berichts der Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) der eidgenössischen Räte, der am Dienstag präsentiert worden ist.
Warum Sie das wissen müssen: Mit diesem Bericht wird der Mythos der neutralen Schweiz immer mehr zur Farce. Denn das Land diente in der Crypto-Affäre nicht nur als Drehscheibe für weltweite Spionage, es hat auch aktiv davon profitiert. Die GPDel hält die Operationen zwar für grundsätzlich gesetzlich zulässig, das Nachrichtendienstgesetz räume Spielraum ein. Das Versagen der Schweizer Behörden liege darin, dass die politische Führung des Nachrichtendiensts über die Operation nicht im Bild gewesen sein soll. GPDel-Präsident Alfred Heer sprach von einem «Geheimdienst im Geheimdienst». Mitwisser sollen etwa der langjährige stellvertretende Direktor des Nachrichtendiensts des Bundes Paul Zinniker sowie der ehemalige Chef des Nachrichtendiensts Markus Seiler gewesen sein. Erste Politiker wie Grünen-Präsident Balthasar Glättli halten Seiler deswegen als Generalsekretär von Aussenminister Ignazio Cassis für nicht mehr tragbar. Die GPDel hält weiter fest, dass Personen im Verteidigungsdepartement zwischen 2011 und 2014 Akten zur Crypto AG vernichtet hätten. Die Schweiz ihrerseits sei nicht ausspioniert worden. Eine Recherche von Republik und «Le Temps» förderte jedoch neue Erkenntnisse zutage: Infoguard, die Schwesterfirma der Crypto AG, stand ebenfalls unter Kontrolle ausländischer Geheimdienste. Mit dem Verkauf manipulierter Geräte zur Sprachverschlüsselung spionierten CIA und BND zumindest zwischen 1988 und 1992 die Schweizer Privatwirtschaft aus.
Wie es weitergeht: Balthasar Glättli titulierte die Machenschaften als «Bananenrepublik-Gebaren». Das eigenmächtige Handeln des Nachrichtendiensts und die Aktenvernichtung sind für die Grünen wie auch die SP Grund genug, eine parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) zu fordern. Verwickelt in die Affäre sind vor allem FDP-Politiker. Der Bundesrat hat bis Juni 2021 Zeit, zum Bericht der GPDel Stellung zu nehmen.
Medienförderung: Kommission verzögert Entscheidung
Worum es geht: Die vom Bundesrat geplante staatliche Medienförderung verzögert sich. Dies, weil die zuständige nationalrätliche Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen (KVF) an ihrer Sitzung von Anfang Woche bei der Verwaltung etliche zusätzliche Abklärungen in Auftrag gab.
Warum Sie das wissen müssen: Die Medien leiden unter den Begleiterscheinungen des Strukturwandels – sie erzielen bei weitem nicht die Werbeerlöse früherer Zeiten; zudem wächst die Zahlungsbereitschaft für digitalen Journalismus nur sehr langsam (von 10 Prozent im Jahr 2016 auf 13 Prozent im Jahr 2020). Die Politik möchte die Medien deshalb unterstützen. Doch nachdem der Ständerat die Pläne des Bundesrats im Juni weitestgehend gutgeheissen hat, verheddert sich der Nationalrat seit Monaten in Ränkespielen. Ende August trennte die zuständige Kommission die Onlineförderung aus dem bundesrätlichen Massnahmenpaket heraus und wollte nur die Förderung der Printzustellung ausbauen – was sich das Nationalratsplenum im September aber nicht bieten liess. Anfang dieser Woche hätte die Kommission nun Entscheide fällen sollen. Doch das tat sie nicht, weil nach Ansicht der bürgerlichen Mehrheit noch immer zu viele Fragen offen sind. Immerhin in einem Punkt herrscht nun Klarheit: Drei von der Kommission vorgeladene Rechtsprofessoren erklärten unisono, die heutige Verfassungsgrundlage genüge, um in Zukunft auch Onlinemedien zu fördern.
Wie es weitergeht: Das Bundesamt für Kommunikation muss bis zur nächsten KVF-Sitzung im Februar eine Vielzahl von Berichten schreiben. Sieht sich die Kommission dann imstande, über das Massnahmenpaket zu entscheiden, kommt es im März ins Nationalratsplenum. Danach geht es erneut in den Ständerat. Falls sich die beiden Kammern spätestens im Sommer einig werden, können die Fördermassnahmen per Anfang 2022 in Kraft treten – was auch deshalb sinnvoll wäre, weil die befristeten Corona-Unterstützungsmassnahmen zugunsten der Medien spätestens Ende 2021 auslaufen. Weitere Verzögerungen sind allerdings möglich.
Ehe für alle: Dubioses Störmanöver im Ständerat
Worum es geht: Im Juni stimmte der Nationalrat der gleichgeschlechtlichen Ehe und der Samenspende für Lesben zu. Doch dann trat die Rechtskommission des Ständerats auf die Bremse. Wie der «Blick» nun publik machte, spielte dabei ein Gutachten von einer Gruppe namens «Überparteiliches Komitee gegen die verfassungswidrige Einführung einer ‹Ehe für alle›» eine Rolle.
Warum Sie das wissen müssen: Die Ehe für alle hat in der Schweiz laut Umfragen viel Rückhalt. Darum organisieren rechtskonservative und evangelikale Kreise ihren Widerstand nun über formale Fragen. Zwar hat ein Rechtsgutachten des Bundesamts für Justiz bereits festgestellt, dass für die Einführung der Ehe für alle keine Verfassungsänderung nötig ist. Doch der Walliser Beat Rieder hat als Kommissionspräsident Vorbehalte, die er mit dem Gutachten untermauern will. Das Gutachten als solches wurde bisher nicht publik, auch Kommissionsmitglieder erhielten offenbar nur Auszüge. Das weckt den Verdacht, dass das Gutachten zu Schlüssen kommt, die den Gegnern der Ehe für alle nicht passen. So war es nämlich schon bei einem Gutachten, das ähnliche Kreise wie im aktuellen Fall 2019 zur Erweiterung der Antirassismusstrafnorm in Auftrag gegeben hatten.
Wie es weitergeht: Die Rechtskommission des Ständerats entscheidet heute Donnerstag über das Geschäft. Sollte sie auf einer Verfassungsänderung bestehen, geht die Debatte im Parlament von vorne los. Zudem bräuchte es dann in einer Volksabstimmung auch das Ständemehr.
Parlament will kürzere Leine für Bundesbetriebe
Worum es geht: Service-public-Betriebe wie Swisscom, Post und SBB sollen stärker von der Politik beaufsichtigt werden. Die Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen (KVF) des Ständerats fordert ein neues Gesetz, mit dem der Einfluss des Parlaments auf die Staatsbetriebe vergrössert wird.
Warum Sie das wissen müssen: Die wirtschaftlichen Aussichten waren für die Betriebe des Bundes auch schon besser. SBB, Post, Swisscom, SRG und Skyguide kämpfen mit Problemen. Während die SBB ihre Infrastruktur und den Lokführernachwuchs vernachlässigten, schwinden bei Post und Swisscom wegen neuer Technologien die einst gesicherten Einnahmen. Die Unternehmen betätigen sich darum zunehmend in branchenfremden Gebieten. Das birgt Risiken, die im Notfall mit Steuergeldern gedeckt werden müssen. Damit die Engagements der Unternehmensführungen nicht aus dem Ruder laufen und die Erwartungen von Bevölkerung und Behörden nicht vergessen gehen, will die verantwortliche Kommission des Ständerats die Betriebe an die kurze Leine nehmen. Das Parlament soll neu stärker bei den strategischen Zielen mitreden können. Diese werden bislang, relativ allgemein gehalten, vom Bundesrat definiert. Zudem soll im neuen Gesetz klarer definiert werden, in welchen Branchen die Staatsbetriebe mitmischen dürfen. Die Motion wurde bereits am 3. November verabschiedet, ging aber in der Berichterstattung über die US-Wahlen unter. Die NZZ hatte diese Woche ausführlich darüber berichtet.
Wie es weitergeht: Als Nächstes wird der Ständerat über die Motion abstimmen. Wenn sie eine Mehrheit findet, geht die Vorlage weiter in den Nationalrat. Experten rechnen mit einem starken Lobbying der Staatsbetriebe gegen das Anliegen.
Dating-Tipp der Woche
Im Zuge der zweiten Corona-Welle mischen sich erste Landesregierungen in das Paarungsverhalten der Bevölkerung ein: So hat Belgien beschlossen, es gelte, die Zahl von «Knuffelcontacten» zu reduzieren. «Knuffelen», was so viel bedeutet wie kuscheln oder schmusen, ist nun nur noch mit einer Person ausserhalb des Haushalts gestattet. Menschen, die allein leben, dürfen zwei Personen knuffelen, allerdings nicht gleichzeitig. In Grossbritannien hat die Regierung One-Night-Stands ganz verboten. Und was gilt in der Schweiz? Nun, das Bundesamt für Gesundheit empfiehlt einerseits, die Safer-Sex-Regeln einzuhalten. Die, damit das an dieser Stelle auch gesagt wäre, zwar vor sexuell übertragbaren Krankheiten schützen, aber nicht vor Covid-19. Andererseits schlägt das BAG vor, «die Sexualpartner sollen vorher duschen». Später präzisierte ein Sprecher, Duschen schütze nicht vor einer Ansteckung mit Covid-19. Der Ratschlag, dass man vor einem One-Night-Stand duschen solle, habe «mit der allgemeinen Hygiene zu tun». Um sich vor Corona zu schützen, seien Distanzhalten angezeigt, das Tragen einer Maske und regelmässiges Händewaschen. Was dann wiederum den One-Night-Stand erheblich erschweren dürfte.
Illustration: Till Lauer