Binswanger

Wer hat, dem wird gegeben

Die staatliche Medienförderung läuft Gefahr, zu einer wüsten Karikatur zu werden. Zur Gier der Verleger kommt das Versagen der Politik.

Von Daniel Binswanger, 29.08.2020

Mysteriöse Dinge spielen sich gerade ab in der Schweizer Medien­politik, und ein kurzer Blick zurück kann wohl am besten Aufschluss geben über schwer zu erklärende Vorgänge. Stetiger Auflagen­schwund im Print­bereich und durch Corona massiv beschleunigte Werbe­einbrüche lassen die Lage der meisten Verlags­häuser immer verzweifelter werden. Vor lauter Entlassungs­wellen und Redaktions­fusionen könnte man den Überblick verlieren, doch eines scheint gesichert: Gewisse Akteure auf dem Schweizer Medien­markt werden sich niemals ändern. Das ist schon beinahe beruhigend – aber nicht unbedingt eine gute Nachricht.

Am vergangenen Montag hat die national­rätliche Kommission für Verkehr und Fernmelde­wesen mit einem Überraschungsmehr beschlossen, dass künftig zwar die Post­subventionen für die Schweizer Medien­häuser stark erhöht werden sollen, die vom Bundesrat geplante Online­förderung aber auf Eis gelegt werden muss. Ein lehrbuch­würdiges Beispiel vollkommen absurder Förderungs­politik: Der Löwen­anteil der Subventionen soll nach dem Mehrheits­willen der Kommission neuerdings nicht mehr an die fragilen Verlage der Lokal- und Regional­presse gehen, sondern an die Gross­verlage und Monopolisten – an diejenigen Markt­teilnehmer, die mit Abstand am profitabelsten sind, denen es mit der asymmetrischen Unter­stützung noch leichter fallen wird, ihre Konkurrenten aus dem Markt zu drängen, und die die Macht haben, um skrupellos ihre pekuniären Sonder­interessen durchzusetzen. Zum Beispiel in der Nationalrats­kommission.

Auf dem Höhepunkt einer schweren Struktur­krise beschlossen also unsere Volks­vertreterinnen, eine im Grundsatz sinnvolle Förderungs­massnahme umzuwandeln in einen staatlichen Beitrag zu Medienkonzentration und Kartellisierung. Das muss man erst mal hinbekommen.

Und es wird noch besser: Satte 120 Millionen sollen eingesetzt werden, um die klassischen Print­medien, deren Auflagen seit langen Jahren unaufhaltsam sinken – ein Trend, der durch kein Geld der Welt zu drehen ist –, zu unterstützen und am Leben zu erhalten. Die neuen Online­medien hingegen, die das Feld für Innovationen darstellen und deren Bedeutung ständig zunimmt, sollen nach dem Willen unserer Fernmelde­kommission keinen Rappen erhalten. Der Markt soll gezielt zugunsten der Technologie von gestern verzerrt werden. Die Nationalrats­kommission beschloss, den Struktur­wandel im Medien­bereich nicht zu fördern, sondern aktiv zu behindern.

Man fragt sich etwas hilflos: Wie um Himmels willen kommt eine solche «Medienpolitik» zustande?

Ein entscheidender Faktor war, dass sich Peter Wanner, Mehrheits­aktionär und Verwaltungsrats­präsident der AZ Medien, am letzten Samstag urplötzlich in einem langen Beitrag der «Aargauer Zeitung» gegen die Online­förderung aussprach. Obwohl er selber zu den Haupt­profiteuren des Massnahmen­pakets zur Medien­förderung gehört und obwohl er sich damit gegen die offizielle Position seines eigenen Verbandes stellt – des Verleger­verbandes, als dessen Vizepräsident er amtiert –, will Wanner die Onlinemedien-Förderung in der vorliegenden Form um jeden Preis verhindern.

Wie schon gesagt: Nur wer sich auskennt in der jüngeren Geschichte der Schweizer Medien­kabalen, kann sich auf dieses erratische Verhalten einen Reim machen. Im September 2016 zum Beispiel, in einer anderen Sitzung der Fernmelde­kommission, die in die Geschichte eingehen sollte, machte ebenjener Peter Wanner Vorschläge, wie nach seiner Ansicht die audiovisuelle Medienförderung zu gestalten sei. Sein Vorschlag, der damals weitherum für Erheiterung sorgte: Ihm sollten doch aus den Fernseh­gebühren 100 Millionen zugeschanzt werden. Man könne, so der kreative Vorschlag des Aargauer Gross­verlegers, das Geld ja einfach dem Tessiner Rundfunk wegnehmen. 100 Millionen! Dann werde er einen nationalen Deutsch­schweizer Kanal betreiben, den Fernseh­markt mit dringend nötiger Konkurrenz beleben, das Fernsehen ins 21. Jahrhundert führen.

Zur Transparenz

Von der staatlichen Förderung würde auch die Republik profitieren. Wie viel Geld sie erhielte, ist derzeit unklar. Genauso, ob wir das Geld denn überhaupt annehmen würden. «Die ‹Republik› muss mindestens selbst­tragend werden, um unabhängig zu sein»: So steht es im ersten Newsletter zur Finanzierung des Unternehmens. Es gibt daher keinen Business­plan, der mit staatlichen Zuschüssen rechnet. Aktuell zählen wir rund 25’500 Mitgliedschaften und Abos, sind damit selbsttragend und sehen den Reibereien in Bern als Unter­nehmen so interessiert wie gelassen zu. Die Genossenschaft Project R und die Republik sind Mitglieder des Verbands «Medien mit Zukunft», der sich für Medien­vielfalt und eine sinnvolle Medien­förderung einsetzt. Wie es bei der Republik um die Zahlen steht, können Sie jederzeit in Echtzeit dem Cockpit entnehmen. Und hier finden Sie die sieben wichtigsten Statistiken zum Journalismus und zum Geschäft.

Für einen bestimmten Typus von Unter­nehmer ist die Welt nun einmal von biblischer Schlichtheit: Gute Medien­politik, das ist, wenn hohe Millionen­summen öffentlicher Gelder direkt in die Tasche von Peter Wanner fliessen. Schlechte Medien­politik, das ist, wenn auch seine Mitbewerber gefördert werden. Diese «Markt­verzerrungen» sollen mit aller Macht verhindert werden.

Beeindruckend ist die Unverfrorenheit der Selbst­bedienungs­mentalität. Von den Argumenten, die Wanner ins Feld führt, wirkt auch heute wieder eines absurder als das nächste. Obwohl der Ständerat (gegen den Willen des Bundes­rates) eine Sonder­subvention von 40 Millionen Franken für die sogenannte Früh­zustellung eingebaut hat, die fast ausschliesslich den Gross­verlagen zugutekommt, behauptet Wanner, die Grossverlage würden durch die Vorlage benachteiligt. 40 Millionen für die Player, die es am wenigsten brauchen? Offenbar ist das noch lange nicht genug.

Wanner stösst sich daran, dass die Online­förderung gegenüber unabhängigen Lokal­zeitungen grosszügiger sein soll als gegenüber Online­redaktionen, die zu einem Grossverlag gehören und ihre Lokal­nachrichten mit einem überregionalen Mantelteil veröffentlichen. Dass an Grossverlage angebundene Lokal­redaktionen viel billiger produzieren können, will er nicht gelten lassen. Die Skalen­effekte seien minim, denn schliesslich könnten unabhängige Kleinverlage ja SDA-Depeschen publizieren. Meldungen der nationalen Nachrichten­agentur als Äquivalent eines redaktionell gestalteten überregionalen Mantelteils? So etwas kann ein Verleger nicht im Ernst in seine Zeitung schreiben.

Aber es kommt noch viel besser: Ganz besonders erbittert Wanner, dass das vorliegende Gesetz die Förderung nur den Online­publikationen zukommen lassen will, die sich über Abonnentinnen oder Spenden finanzieren. Gratismedien, die ausschliesslich auf ihre Werbe­einnahmen setzen, sollen ausgeschlossen sein, so leider auch die zu den AZ Medien gehörende Gratis­website «Watson». Auch dies, so Wanner, sei ein völlig unzulässiger «Markteingriff».

Soll der Bund tatsächlich Gratismedien unterstützen? Kein Mensch käme darauf, das für Gratis-Printprodukte zu fordern. Eine staatliche Subvention für «20 Minuten»? Darüber müssen wir erst gar nicht diskutieren. Aus welchem Grund jedoch soll an Online­medien ein anderer Förderungs­massstab angelegt werden als an Printmedien? Unterstützt wird nicht Reichweite, sondern Qualität. Subventioniert wird nicht das Werbe­potenzial, sondern die publizistische Leistung. Blosse Werbe­einnahmen staatlich zu subventionieren, wäre grotesk. Daran ändert auch nichts, dass der Unter­nehmer Wanner leider Gottes für sein Online­newsportal auf Reichweite und Werbe­einnahmen setzt.

Nein, unsere Grossverleger kennen keine falsche Scham, aber immerhin: Ihr Verhalten gibt letztlich keine Rätsel auf. Etwas anders gelagert ist der Fall bei Parlamentariern, die sich von den Gross­verlegern einspannen lassen. Zum Beispiel bei FDP-Nationalrat und Fernmelde­kommissions-Mitglied Kurt Fluri, der eisern behauptete, für die Online­förderung einzutreten, in letzter Sekunde ganz überraschend die Seiten wechselte – und dessen Heimat­kanton Solothurn rein zufällig in den publizistischen Macht­bereich von Peter Wanner fällt. Wäre es theoretisch nicht die Aufgabe des Parlaments, Struktur­politik zu betreiben, anstatt Spezial­interessen zu verteidigen? Innovation zu fördern, anstatt die Geschäfts­modelle von gestern zu zementieren? Die Unabhängigkeit des Medien­systems zu garantieren, anstatt sich mächtigen Verlegern anzudienen?

Ordnungspolitik erfordert ein klitze­kleines Minimum an Rückgrat. Zur Gier der Verleger kommt das Versagen der Politik.

Immerhin: Der Abschuss der Online­förderung ist noch nicht definitiv. Der Kommissions­entscheid war mit 12 zu 13 Stimmen äusserst knapp, der Nationalrat kann die Auftrennung des Medien­förderungs­pakets auch wieder rückgängig machen. Die Ratslinke und die Grünliberalen sind für die Onlinemedien-Förderung. FDP und SVP lehnen einen solchen «Markteingriff» gross­mehrheitlich ab, obwohl die FDP bizarrer­weise mit der Subventionierung der Printmedien viel weniger Probleme zu haben scheint. Das Zünglein an der Waage dürfte wie so oft die Mittefraktion spielen. In medien­politischer Hinsicht wird jedoch immer unklarer, wofür diese eigentlich steht.

Im Ständerat, wo das Medienpaket bereits abgesegnet ist, war der CVP-Politiker Stefan Engler der entscheidende Drahtzieher und sorgte für die Inklusion der Online­förderung. Im Nationalrat haben nun die CVP-Politiker im Verhältnis 3:1 für den Abschuss der Online­förderung gestimmt. Für welche Medien­politik steht momentan gerade die CVP? Das weiss wieder mal kein Christ.

Die grosse Frage lautet: Wo versteckt sich Gerhard Pfister? Der CVP-Präsident gehört ja eigentlich zu den profiliertesten Medien­politikern des Landes. Hat er hier ein Wörtchen mitzureden? Hat er seine Truppen im Griff?

In den Abstimmungs­kämpfen um die SRG hat Gerhard Pfister sich immer wieder weit aus dem Fenster gelehnt und sich entgegen der offiziellen Partei­position den SRG-Gegnern bis zum Verwechseln angenähert. In einem anderen Bereich jedoch hat der CVP-Präsident gegen staatlich alimentierte Medien interessanter­weise wenig einzuwenden: Er war der erste Politiker von nationalem Gewicht, der sich schon am Dreikönigstagstreffen 2019 vor dem versammelten Schweizer Verleger­verband für Printmedien­förderung in Höhe von 120 Millionen Franken aussprach. Wollte er damals eine Lanze brechen für die gesamte Verlags­branche und für die zahlreichen Mitglieder des Verleger­verbandes, die ernsthaft vom Konkurs bedroht sind? Oder handelte es sich seit Anbeginn um einen präsidialen Liebes­dienst für ein paar Grossverleger mit einem langen Arm? Ist die Mitte­fraktion die bürgerliche Kraft, die fähig ist zu ausgewogener Förderungs­politik? Oder lässt auch sie sich vor sich hertreiben von ein paar klar identifizierbaren Sonderinteressen?

Man darf mit Spannung beobachten, wo Pfister sich wirklich positioniert. Antwort in dieser Herbstsession.

Illustration: Alex Solman