Green! New! Deal! – Aber welcher?
Es ist der Herbst der grossen Klima-Bücher. Besonders laut wird die Forderung nach einem Green New Deal. Nur: Darunter verstehen die Autoren Naomi Klein, Jeremy Rifkin oder Jonathan Safran Foer durchaus Unterschiedliches.
Von Daniel Graf (Text) und Jack Richardson (Illustration), 04.12.2019
Jahrelang gab es für Sachbuchautorinnen einen sicheren Weg, ihren Verlegern die Laune zu verderben. Sie mussten, wenn sie von ihrem nächsten Themenwunsch erzählten, nur eines der drei grossen Zauberwörter aussprechen, und die Mundwinkel des Gegenübers wurden blitzartig von der Schwerkraft erfasst. Diese Wörter hiessen «Digitalisierung», «Europa» oder «Klimawandel». Verlässliche Stimmungskiller, auf die in der Regel ein Einheitsrefrain erklang: Ungeheuer wichtig, sicherlich – aber der Leser …
«Aber der Leser …» ist auf dem Buchmarkt das Codewort für «unverkäuflich», und die unverbesserlichen Idealisten in Lektorat und Chefetage, die sich den drei Ladenhüter-Themen dann doch intellektuell und moralisch verpflichtet fühlten, also hin und wieder einen Titel ins Programm hievten, zogen mit Blick auf die nächste Jahresabrechnung schon mal vorsorglich die Köpfe ein.
Das war vor 2019.
Und während das Schicksal von Büchern über Europa und die Digitalisierung noch ungeklärt ist, hat die Gegenwart das Branchennarrativ über «den Leser», dieses ominöse Kollektiv-Individuum, augenscheinlich kräftig umgeschrieben. Nie war so viel Klima auf dem Buchmarkt wie diesen Herbst (hier finden Sie eine ausführliche Übersicht).
Jonathan Safran Foer: «Wir sind das Klima! Wie wir unseren Planeten schon beim Frühstück retten können». Aus dem Englischen von Stefanie Jacobs und Jan Schönherr. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2019. 336 Seiten, ca. 32 Franken. Der Verlag bietet eine Leseprobe.
Naomi Klein: «Warum nur ein Green New Deal unseren Planeten retten kann». Aus dem Englischen von Gabriele Gockel, Sonja Schuhmacher und Barbara Steckhan. Hoffmann und Campe, Hamburg 2019. 352 Seiten, ca. 35 Franken.
Jeremy Rifkin: «Der globale Green New Deal. Warum die fossil befeuerte Zivilisation um 2028 kollabiert – und ein kühner ökonomischer Plan das Leben auf der Erde retten kann». Aus dem Englischen von Bernhard Schmid. Campus, Frankfurt am Main 2019. 319 Seiten, ca. 39 Franken. Der Verlag bietet eine Leseprobe.
Beat Ringger: «Das System Change Klimaprogramm». Edition 8, Zürich 2019. 216 Seiten, ca. 20 Franken. Die Organisation Denknetz, in deren Geschäftsleitung Ringger ist, bietet die E-Book-Fassung kostenlos zum Download an.
Mit Jonathan Safran Foer, Jeremy Rifkin und Naomi Klein haben gleich drei internationale Bestseller-Autorinnen neue Bücher zum Thema vorgelegt. Sie alle – und auch wichtige Stimmen aus dem deutschsprachigen Raum – fordern mit grösstem Nachdruck eine grüne Transformation und rufen Roosevelts einschneidende Reformpolitik der 1930er-Jahre in Erinnerung. Das Schlagwort der Stunde: der Green New Deal, wie er seit einer entsprechenden Resolution von US-Demokraten, namentlich Alexandria Ocasio-Cortez und Edward Markey, auch in der Politik heftig diskutiert wird.
Nun gilt für die Debatte wie für die einzelnen Autoren, dass ein gleicher Name noch nicht dasselbe Konzept bedeuten muss. Die Bücher zum Green New Deal unterscheiden sich nicht nur signifikant in Tonlage, Zielgruppe und Überzeugungsstrategie; auch die Argumentation, ja sogar die jeweils dahinterstehende Vision sind verschieden.
Dennoch lassen sich weitreichende programmatische Gemeinsamkeiten erkennen. Was Green New Deal heissen und was ihn, trotz aller Herausforderungen, möglich machen kann, zeigt sich am klarsten in der kritischen Zusammenschau. Und weil es dabei immer auch um die Frage geht, wie sich überhaupt von der Klimakrise erzählen lässt, bietet es sich an, mit dem ungewöhnlichsten, erzählerisch komplexesten der Klima-Bücher anzufangen. Ein Buch, das im Gegensatz zu den anderen den Begriff Green New Deal gar nicht verwendet. Und trotzdem in genau diesen Kontext gehört.
Nicht zuletzt, weil es die Frage nach unserer eigenen Rolle in dem Ganzen besonders dringlich stellt.
1 – Du bist, was du isst
Jonathan Safran Foer: «Wir sind das Klima!»
Vielleicht war das mit dem Holocaust dann doch ein bisschen viel für die hiesige Literaturkritik. Foer habe ein Buch über Klimawandel und Ernährung angekündigt, und nun bekomme man darin ständig Geschichten aus dem Zweiten Weltkrieg vorgesetzt. Diese falschen Parallelen!, beschwerte sich die «Süddeutsche Zeitung» und fragte gereizt: Wenn man den Holocaust und den Klimawandel vergleiche, «sind dann die CO2-Moleküle die Nazis oder was?»
Die «NZZ am Sonntag» riet explizit von der Lektüre ab und kommentierte polemisch: «Holocaust, Rassenfrage oder Klimaschutz – ist ja alles dasselbe, oder?» Der Autor habe «schweres rhetorisches Geschütz» aufgefahren und in «diesem aufgeplusterten Buch» selbst noch die Lebensgeschichte seiner 1941 aus Polen geflohenen Grossmutter «der blossen Illustration» geopfert.
Mancher Berufsleser war offenkundig schwer irritiert: Ausgerechnet der Überzeugungskünstler Jonathan Safran Foer, der mit seinem Buch «Tiere essen» Unzählige für Vegetarismus und Veganismus begeisterte und das Thema Tierethik grossmachte, legt jetzt ein Buch über den Zusammenhang von Klimakrise, Ernährung und Massentierhaltung vor – und erzählt dann erst mal Geschichten aus der Geschichte?
Was also macht Foer da? Was haben die 1930er- und 1940er-Jahre mit der Klimakrise von heute zu tun? Und wozu all die historischen Umwege, wenn uns der Untertitel des Buches doch nonchalant die Klimarettung beim Frühstück verspricht?
Dass der Autor seiner Hauptfrage ausweichen und vor klaren Botschaften zurückschrecken würde, kann man kaum behaupten. Im Gegenteil, selten bekam man die Fakten zum Thema Ernährung als Klimatreiber so klar und unmissverständlich aufs Brot geschmiert wie im zweitem Kapitel, das aus lauter Bulletpoints besteht.
Als Quintessenz akribischer Recherchen serviert uns Foer zum Beispiel:
Methan hat 34-mal so viel Treibhauspotenzial wie CO2.
Nutzvieh ist die grösste Methanquelle überhaupt.
Stickoxide haben 310-mal so viel Treibhauspotenzial wie CO2.
Nutzvieh ist der grösste Verursacher des Stickstoffausstosses.
Wären die Rinder der Erde eine Nation, stünden sie beim Treibhausgasausstoss an dritter Stelle hinter China und den USA.
Menschen nutzen 59 Prozent des auf der Erde verfügbaren Landes zum Anbau von Tierfutter.
60 Prozent aller Säugetiere auf der Welt werden nur gezüchtet, um sie aufzuessen.
Können Sie noch? Wieder Foer:
Menschen essen jährlich 65 Milliarden Hühner.
2018 stammten über 99 Prozent der in Amerika verzehrten Tiere aus Massentierhaltung.
Nutztierhaltung ist verantwortlich für 91 Prozent der Rodungen im Amazonas.
Die Wissenschaft streitet nicht über die Frage, ob Nutztierhaltung einer der Hauptverursacher des Klimawandels ist. Sondern ob sie der Hauptverursacher ist.
Und dann, ganz nüchtern, das Fazit: «Unsere Ernährung umzustellen, wird nicht ausreichen, um die Erde zu retten, aber wir können sie nicht retten, ohne uns anders zu ernähren.»
Das ist, so konziliant es daherkommt, schwer verdauliche Kost. Denn war es nicht eine bequeme Ausrede, dass die Klimakrise ein viel zu komplexes Problem ist, bei dem der Einzelne sowieso nichts ausrichten kann? Und jetzt sagt uns einer, wir könnten sehr wohl etwas tun, sehr konkret und mehrmals täglich?
Vielleicht schlimmer noch: Da spricht kein jakobinischer Eiferer mit kategorischen Verbotsforderungen, der so radikal auftritt, dass wir nur mal eben zu unserem alten Trick greifen und ihn einfach als Moralapostel diskreditieren können, um nicht weiter nachdenken zu müssen. Weder behauptet Foer, unsere Ernährung sei das alleinige Rezept für die Klimakrise. Noch fordert er, dass wir ab sofort alle strikt vegan leben müssen.
Nein, sein Vorschlag lautet: «Keine tierischen Produkte vor dem Abend.» Denn: «Wenn wir den Planeten retten wollen, müssen wir deutlich weniger Tierprodukte konsumieren.»
Eine Botschaft, so simpel wie schnörkellos. Kann es sein, dass wir sie gerade darum nicht hören wollen? Dass wir deshalb so gerne Innovation und neue Erfindungen fordern, weil uns nicht so recht in den Kram passt, dass sehr wirkungsvolle längst da sind: Veggie-Burger zum Beispiel, vegane Milchersatzprodukte, ganze Ladenketten voller alternativer Nahrungsmittel? Und was, wenn wir zwar fleissig Grün wählen, weil es doch «eine politische Lösung braucht» – wir aber dann beim nächsten Einkauf genauso weitermachen wie bisher, schliesslich ist jetzt doch die Politik an der Reihe, endlich mal zu handeln?
Regelrecht apolitisch sei Foers Buch, hiess es von Kritikerseite, weil es die Verantwortung dem Einzelnen, dem Kunden aufhalse, statt die Fragen politisch zu stellen. Auch wenn es leider sehr beliebt geworden ist, in falschen Alternativen die eine Sache gegen eine andere auszuspielen: Tatsächlich weist «Wir sind das Klima!» ein paar erstaunliche blinde Flecken auf. Foer verliert kein Wort zu «Fridays for Future», einen Katalog politischer Forderungen sucht man vergebens, Verweise auf aktuelle politische Debatten fehlen. Doch man muss schon sehr missgünstig lesen, um die politischen Implikationen in diesem Buch zu übersehen.
Und hier kommt Foers Rückgriff auf die Historie, sein so vehement gescholtener Rekurs auf die Zeit des Nationalsozialismus wieder ins Spiel.
Foer erzählt nämlich nicht wirklich vom Holocaust – sondern vom Kampf gegen die Nazis. Von Aufklärern, denen nicht geglaubt wurde. Aber zuallererst von dem, was in den USA den Sieg gegen Nazi-Deutschland möglich machte.
Die Protagonisten seiner Geschichte: die gesamte US-Bevölkerung. Foer erzählt von Millionen Menschen im ganzen Land, die allabendlich das Licht ausmachten: zunächst nur an der Küste, um deutschen U-Booten die Sicht zu erschweren, bald aber schon, um ganze Städte im Binnenland zu verdunkeln, was militärisch nutzlos war, aber, ausser dass es Strom sparte, einen gigantischen Solidarisierungseffekt hatte. Man machte die Ausnahmesituation sichtbar, aber eben auch den Zusammenhalt.
Das ist die eine, die Bürgerseite.
Die andere: eine Politik, die auf die Ausnahmesituation mit entschlossenen Massnahmen reagierte. Man strich Steuerschlupflöcher und senkte den Freibetrag, den Spitzensteuersatz erhöhte man auf 94 Prozent. Der Benzinverbrauch wurde streng reguliert, Essen rationiert, eine staatliche Kampagne bewarb Fahrgemeinschaften – und die Bevölkerung trug all das mit. Weil klar war, dass jede und jeder Einzelne gefragt ist; und dass stärkere Schultern mehr zu tragen hatten.
Worauf will Foer hinaus? Und warum handeln die nächsten Geschichten zum Beispiel von der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung oder einer unwahrscheinlichen Unfallrettung in Tucson?
Weil es Foer nicht darum geht, den Holocaust und die Klimakrise miteinander zu vergleichen. Sondern um ganz reale Erzählungen von erfolgreichem kollektivem Handeln. «Geschichten des Gelingens» hiesse das bei der von Harald Welzer initiierten Futurzwei-Stiftung, die seit Jahren ökologisch engagierte Menschen mit ihren Innovationen porträtiert. Ihren Namen hat die Stiftung der Grammatik entliehen. Und der Idee, dass Menschen ethisch dann besonders verantwortungsvoll handeln, wenn sie sich selbst von der Zukunft her denken: Wer werde ich gewesen sein? Wie möchte ich gelebt haben? Oder vulgo: Kann ich, so wie ich jetzt handle, später noch in den Spiegel schauen? Das sind die Leitfragen von Futurzwei. Es sind die Leitfragen bei Foer. Es sind die Leitfragen bei – Roosevelt, dem Erfinder des New Deal.
Gleich am Anfang seines Buches zitiert Foer aus Roosevelts Kamingespräch vom 28. April 1942, in dem der Präsident versucht, Millionen von Bürgern vor ihren Radios für all die Entbehrungen mit einem Gegenversprechen zu motivieren. Sein Fazit lautet (man achte aufs grammatische Tempus): «Wenn wir am Ende dieses grossen Kampfes unsere freiheitliche Art zu leben gerettet haben, wird all das kein ‹Opfer› gewesen sein.»
Was Foer mit seiner langen, für manche Leserinnen enervierenden Einleitung unternimmt, ist Futurzwei-Prinzip im grossen Massstab. Er erzählt nicht von einzelnen kleinen Initiativen. Sondern von einer enormen kollektiven Anstrengung, die ohne all die individuellen nicht zu denken ist.
Es geht deshalb vollkommen fehl, ihm einen apolitischen Rückzug ins Private vorzuwerfen. Was Foer erzählend skizziert, ist ein Zusammenspiel von Politik und Zivilgesellschaft. Weil er an realen Beispielen erzählt – solchen des Gelingens und des Scheiterns –, sendet er die eminent politische Botschaft, dass politisches und ethisches Handeln immer eine Frage von Entscheidungen ist. Und Foer zeigt am historischen Grossbeispiel, dass es selbst für massivste Einschnitte breiten gesellschaftlichen Zuspruch geben kann, wenn sie überzeugend begründet, fair auf sämtliche Gesellschaftsschichten verteilt und mit einem Zukunftsversprechen für alle verbunden sind.
Roosevelt und seine Politik des New Deal also bilden den Hintergrund, vor dem Foer eine grüne Transformation heute und eine radikale Umstellung unserer Ernährung fordert. Den politischen Slogan vom Green New Deal hingegen vermeidet er. Ganz anders seine Fellows Naomi Klein und Jeremy Rifkin, die ihn gleich prominent im Titel platzieren. Um Ernährung geht es bei ihnen nur sehr am Rand. Denn sie ist – das würde auch Foer unterschreiben – ein wesentlicher, aber keineswegs ausreichender Teil der Antwort.
Weiter also zu Jeremy Rifkin. Was auch bedeutet: zu einem völlig anderen Sound und einem ganz anderen Argument.
2 – Vom Platzen der Kohlenstoffblase
Jeremy Rifkin: «Der globale Green New Deal»
Jeremy Rifkin ist eine Art Diskurs-Turbine. Wo immer die aktuelle Grosswetterlage der globalen Debatte in enger Verbindung zu ökonomischen Fragen steht, lässt ein selbstbewusstes Rifkin-Buch nicht lange auf sich warten. Und von dem rhetorischen Wind, den er dabei macht, würde man sich wünschen, er liesse sich direkt ins Energienetz einspeisen.
Im Schulterschluss mit der Politik haucht er jetzt dem schon gut zehn Jahre alten Schlagwort Green New Deal neues Leben ein. Und auch die lange Zeit fast nur in Fachkreisen stattfindende Diskussion um das baldige Platzen der Kohlenstoffblase bekommt nun durch den global agierenden Consulter kräftig Auftrieb.
Die Grundidee: Erneuerbare Energie wird in so rasantem Tempo billiger, dass fossile Energie schon in wenigen Jahren rein ökonomisch nicht mehr mithalten kann. Die Folge sind eine rasant einbrechende Nachfrage im fossilen Energiesektor – und die Gefahr gestrandeter Anlagewerte in Billionenhöhe. Das prophezeit nicht eine Gruppe radikaler Ökoaktivistinnen, sondern der Londoner Thinktank Carbon Tracker. Und die Finanzinstitute von der Weltbank bis zu den Versicherungsunternehmen, so Rifkin, schlügen bereits Alarm.
«Die Kohlenstoffblase verspricht die grösste ökonomische Blase aller Zeiten zu werden», warnt er und sagt das Platzen der carbon bubble etwa um das Jahr 2028 voraus. Die einzige Möglichkeit, eine wirtschaftliche Katastrophe zu verhindern, sei, das Geld rechtzeitig aus der Ölindustrie abzuziehen und in Erneuerbare sowie die dazugehörige grüne Infrastruktur zu investieren. Nicht aus ökologischem Bewusstsein, sondern aus blankem wirtschaftlichem Eigeninteresse.
Leider beschwert Rifkin über eine halbe Buchlänge hinweg seine interessantesten Ideen mit ständigen Was-bin-ich-wichtig!-Anekdoten und kaum kaschierter PR für die eigenen Beraterbüros. Die Sharing Economy und das Internet der Dinge preist er, als wäre er Pressesprecher des Silicon Valley. Einschränkungslos singt er Lobeshymnen auf die Regierungen, die er selbst berät, feiert die Klimapolitik der EU, der deutschen Kanzlerin und Chinas – als würde nicht auch die deutsche Bundesregierung die Klimaschutzziele reissen. Und als sei nicht China mit seinen 1000 Kohlekraftwerken und den Kohle-Investments im Ausland einer der Haupttreiber der noch immer zunehmenden CO2-Emissionen.
Dann wird es inspirierend.
Rifkin lüftet, wie er sagt, das «bestgehütete Geheimnis der modernen Geschichte des Kapitalismus». Die unerwartete Hauptrolle darin spielen Pensionsfonds. Sie wären, so Rifkin, der grösste Investmentpool der Welt. Und sie sind auch seine Hauptantwort auf die Frage, wo das Geld für die Umstellung auf möglichst 100 Prozent erneuerbare Energie herkommen soll.
In einer fulminanten Episode erzählt Rifkin, wie die US-Politik seit 1946 sukzessive für die Umstellung von der Gemeinwohlorientierung auf die Interessen der Wall Street gesorgt hat – auch unter Mitwirkung führender Demokraten. Statt dass die Gewerkschaften, wie ursprünglich vorgesehen, die ausgehandelten Pensionsmittel ihrer Mitglieder selbst verwalten konnten (was Präsident Truman höchstpersönlich verhinderte), setzte man ein Gremium von Treuhändern ein. Der Haken: Die Grundregel, dass die Gelder nur kaufmännisch umsichtig eingesetzt werden durften, wurde immer stärker der Definitionsmacht des Kapitalmarktes unterworfen. De facto bestimmte die Finanzwelt, «was eine kaufmännisch umsichtige Investition darstellt und was nicht». Das Ergebnis: eine vollkommene Pervertierung des Ausgangsgedankens.
O-Ton Rifkin:
Es waren also (…) die aufgeschobenen Löhne und Gehälter von Millionen gewerkschaftlich organisierter Arbeitnehmer im Norden der USA, mit denen Banken und Finanzwelt US-amerikanische Grosskonzerne finanzierten, die dann wiederum ihre organisierte Arbeiterschaft im Stich liessen und in die gewerkschaftsfeindlichen Staaten im Süden umzogen. Die Ersparnisse von Millionen von Gewerkschaftlern waren in Konzerne investiert, deren Unternehmenspolitik ganz explizit die Vernichtung ihrer Arbeitsplätze umfasst. Und kein Mensch schien sich dessen bewusst zu sein.
So also gehen die Pointen des Turbokapitalismus. Wie lässt sich darauf heute antworten?
Rifkins Vision: Aus der doppelten Sorge vor der Klimakrise und vor der Gefahr gigantischer gestrandeter Anlagewerte werden die öffentlichen Pensionskassen zu Vorreitern für Investitionen in einen Green New Deal. Sie ziehen die öffentlichen Mittel aus dem fossilen Sektor ab und investieren in grüne Infrastruktur; private Pensionsfonds folgen schliesslich nach.
Das aber ist keine Zukunftsmusik, die Kehrtwende hat schon eingesetzt. «Insgesamt 150 Städte und Regionen auf allen Kontinenten» haben Rifkin zufolge bereits konkrete Schritte in diese Richtung unternommen. New York City und London sind nur die prominentesten Beispiele. Ihre Bürgermeister verkündeten ihren Schritt gemeinsam im «Guardian» und begründeten ihn sowohl moralisch als auch finanziell. Mit Irland hat das erste Land angekündigt, bis 2023 alle Pensionsgelder des öffentlichen Dienstes aus dem fossilen Sektor abzuziehen, Norwegen hat mit Blick auf seinen Staatsfonds Ähnliches annonciert. Erste Versicherungsunternehmen haben mit der Devestition aus dem fossilen Sektor begonnen und die Versicherung von Kohleprojekten eingestellt.
Übrigens: Auch das Bundesamt für Umwelt in der Schweiz, wo die verwalteten Vermögen Ende 2018 rund sieben Billionen (oder 7000 Milliarden) Franken betrugen, betont seit Jahren, das «heutige Investitionsverhalten unterstützt eine globale Erwärmung von 4–6 Grad Celsius». Noch setzt man auf freiwillige Massnahmen der Finanzbranche, doch hat die Diskussion begonnen, «ob und wie der Finanzmarkt reguliert werden soll».
Rifkins Hoffnung mit Blick auf ein ganz neues Investitionsverhalten weltweit ist jedenfalls diese: Die fossilen Energieträger bleiben im Boden zugunsten einer dritten industriellen Revolution, die unzählige Arbeitsplätze beim «Ausbau und Scale-up» einer grünen Infrastruktur schafft. Der Übergang zu 100 Prozent erneuerbarer Energie, so Rifkin im Anschluss an eine aktuelle Studie der Energy Watch Group, sei sowohl technisch möglich als auch wirtschaftlich rentabel.
Vor dem Hintergrund seiner eigenen Argumentation mutet es dann umso seltsamer an, wenn Rifkin am Ende im neoliberalen Manager-Sprech den Markt als «Schutzengel» preist, «der über die Menschheit wacht». Oder ist das eine besonders raffinierte Taktik, auch die Wirtschaftsliberalen hinter dem Green New Deal zu versammeln?
Für die entscheidende Rolle der Politik ist Rifkin jedenfalls alles andere als blind. Schliesslich gilt es, einen geordneten Übergang zu einer grünen Infrastruktur zu schaffen – und deren Aufbau zu finanzieren. Zu Rifkins Forderungen gehören deshalb:
eine komplett neue Steuerpolitik, inklusive Reichen-, Kapitalertrags- und Nachlasssteuer;
eine deutlich höhere CO2-Bepreisung;
ein Ende der Privatisierung von Infrastruktur sowie
die Streichung von Subventionen im fossilen Sektor.
All dies würde auch Naomi Klein unterschreiben. Und den Akzent dennoch ganz anders setzen.
3 - Klimagerechtigkeit, nicht Klimaschutz
Naomi Klein: «Warum nur ein Green New Deal unseren Planeten retten kann»
Mit dem Markt als Schutzengel braucht man Naomi Klein sicher nicht zu kommen. Märkte, so schreibt sie, spielen zwar auch in ihrem Green-New-Deal-Konzept eine Rolle; «sie sind aber nicht die Hauptakteure dieser Geschichte – das sind die Menschen.» Und das bedeutet ein klares Primat gemeinwohlorientierter Politik.
Wie kaum jemand sonst hat Naomi Klein in den vergangenen Jahren mit internationalen Bestsellern den Zusammenhang von Klimakrise und Turbokapitalismus thematisiert. Ihr neues Buch ist eine Sammlung von Essays und Reden, was zwangsläufig ein paar Redundanzen und eine gewisse Heterogenität der Sprechweisen mit sich bringt.
Dennoch lässt sich daraus eine sehr klare Grundthese ableiten: Wer die gewaltige Herausforderung der Klimakrise bewältigen will, braucht zunächst eine angemessene Erzählung vom Entstehen der Gegenwart – und die richtigen Begriffe.
«Die führenden fünf Erdölkonzerne», schreibt Klein, «haben in den letzten zehn Jahren 900 Milliarden Dollar Profit gemacht – ExxonMobil allein kommt im Quartal auf einen Gewinn von 10 Milliarden Dollar.» Seit Jahren höre man das Mantra, die Profite würden in erneuerbare Energien gesteckt. Stattdessen flössen sie an Aktionäre, in horrende Managergehälter, in die Entwicklung von Technologien wie Fracking, die den CO2-Ausstoss weiter in die Höhe treiben – und in das Sponsoring sogenannter Thinktanks, deren Denkanstrengung dem Verhindern klimapolitischer Massnahmen und der Leugnung wissenschaftlicher Erkenntnisse gilt.
Trotz alledem, so würde Klein Rifkins Lobeshymnen entgegnen, führt bisher keine Regierung eines reichen Landes eine Debatte darüber, die Unternehmen aus dem Fossilsektor für die von ihnen verursachten Schäden zur Kasse zu bitten.
Und wie sollte es auch anders sein? In den vergangenen vierzig Jahren Wirtschaftsgeschichte wurde die Macht der Öffentlichkeit systematisch geschmälert, wurden Aufsichtsbehörden geschwächt, Steuern für die Reichen gesenkt und zentrale Dienstleistungen an den Privatsektor verscherbelt. Unterdessen ist die Schlagkraft der Gewerkschaften dramatisch geschwunden, und die Öffentlichkeit erstarrt in erlernter Hilflosigkeit (…).
Das ist, auf engstem Raum, ziemlich präzise die Geschichte der neoliberalen Ära, die Entwicklungen sind in unzähligen Büchern ausführlich beschrieben. Nur, und darauf verweist etwa der Schweizer Beat Ringger in seinem ausgesprochen lesenswerten Buch «Das System Change Klimaprogramm»: So skandalös uns das Handeln etwa der Exxon-Bosse erscheinen mag, so sehr folgt es einer unternehmerischen Rationalität.
Es wäre deshalb naiv, auf den Goodwill der Unternehmen zu vertrauen. Und allein mit der Verteufelung der Unternehmen zur moralischen Selbsterbauung ist es ebenfalls nicht getan. Es braucht politische Gestaltung.
Und hier stellen nicht nur Klein und Ringger, sondern auch die Klimaaktivistinnen Carola Rackete (Extinction Rebellion) und Luisa Neubauer (Fridays for Future) mit ihren soeben erschienenen Büchern den entscheidenden Begriff ins Zentrum ihrer Überlegungen: Klimagerechtigkeit. Die enorme ökologische Transformation, die durch die Versäumnisse der vergangenen Jahrzehnte nun in beängstigend kurzer Zeit bewältigt werden muss, wird nur als sozial-ökologische Transformation gelingen. Denn der Gelbwesten-Aufruhr nach Macrons Benzinpreiserhöhung ebenso wie die aktuellen Proteste von Lateinamerika bis zum Iran zeigen unmissverständlich: Wo Einschnitte bei den Bedürfnissen des täglichen Lebens einseitig zulasten der ohnehin Schlechtergestellten gehen, regt sich massiver Widerstand. Die Bewältigung der Klimakrise aber braucht das Gegenteil: die breitestmögliche Mitwirkung und Identifikation.
Das geht, man denke an Jonathan Safran Foers historischen Rekurs, nur in einem Wechselspiel aus entschlossenem politischem Handeln und dem solidarischen Grundkonsens, dass die finanziell Stärksten auch am stärksten in der Pflicht stehen. Erstens, ganz pragmatisch, weil sie es können. Und zweitens aus Gründen der Gerechtigkeit, weil sie auch die hauptsächlichen Profiteure jener wirtschaftlichen Verhältnisse sind, die uns das Problem erst eingebrockt haben. Einer gerechteren Steuerpolitik wird hier eine Schlüsselrolle zukommen.
Soziale Verträglichkeit bedeutet aber auch die Sicherung von Arbeitsplätzen, konkret: die Überführung von Jobs im fossilen Sektor in solche einer grünen Industrie, wo Experten wie Rifkin Millionen neuer Arbeitsplätze erwarten. Weil den Betroffenen aber mit einem systemischen Argument nicht gedient ist, da es um ihre jeweils realen individuellen Arbeitsplätze geht, wird die Politik zwangsläufig Übergangs- und Umschulungskonzepte finanzieren müssen.
Das Green-New-Deal-Konzept von Naomi Klein sieht deshalb Arbeitsplatzgarantien für Angestellte des fossilen Sektors vor, die bereit sind, in den grünen Sektor zu wechseln. Das ist, selbstredend, eine immense Herausforderung. Aber Gesellschaften, die zig Milliarden zur Rettung von Banken aufgebracht haben, sind vielleicht auch in der Lage, ihre Kumpel zu retten, wenn der politische Wille vorhanden ist – und dahinter die Interessen der grösstmöglichen Allgemeinheit, nämlich der Weltbevölkerung, stehen.
Damit ist die globale Dimension von Klimagerechtigkeit aber noch gar nicht berührt.
Denn die bereits heute spürbaren Folgen des Klimawandels bedrohen die Ärmsten der Welt, die nicht in die (noch) sicheren Weltregionen flüchten können, ungleich stärker und existenzieller. Auch das folgt der Externalisierungslogik des Spätkapitalismus: Die Folgeschäden für die eigene Wohlstandsgewinnung fallen anderswo an. Nämlich überproportional bei jenen, die von der westlichen Wohlstandsgewinnung am wenigstens abbekommen haben. Daraus erwächst den reichen Ländern eine mehrfache Verpflichtung: zu einer konsequenten Eindämmung der für ihre Lebensweise anfallenden Emissionen. Und zu einer Kompensation der Klimaschäden in den Ländern des globalen Südens.
Dafür, so schreibt Beat Ringger, muss die Klimapolitik insbesondere auch diejenigen in die Verantwortung nehmen, die in dieser Gesellschaft «über die meisten materiellen Ressourcen verfügen. Alle Versuche, die Kosten des Klimaschutzes auf die breite Bevölkerung abzuwälzen und gleichzeitig grosse Vermögen vor dem Zugriff zu bewahren (…), werden scheitern – zu Recht.» Naomi Klein formuliert denselben Gedanken weniger diplomatisch: «Die marktliberale Ideologie muss geschreddert werden.»
Und nun: Was heisst Green New Deal?
Auf den ersten Blick scheinen die Positionen der genannten Autorinnen kaum vereinbar.
Jonathan Safran Foer propagiert eine grundlegend neue Ernährung.
Jeremy Rifkin setzt auf den Sieg der grünen Energie am Markt.
Naomi Klein und andere beharren auf dem Primat der Politik und üben fundamentale Kritik am gegenwärtigen Kapitalismus.
Trotzdem herrscht unter ihnen allen breiter Konsens bei den zentralen Sachfragen:
Es braucht eine völlig neue Steuerpolitik.
Es braucht eine nachhaltige Subventionspolitik.
Es braucht ein Ende der Privatisierung.
Es ist jetzt Zeit zu handeln – für alle.
Die Klimakrise verlangt unabdingbar nach einer politischen Antwort. Aber die Forderung nach «einer politischen Lösung» darf nicht zu einer neuen Form der Ausrede werden. Zu lange haben wir gewartet, um das Problem noch delegieren zu können. Wir sind Bürgerin und Kundin, Wähler und Konsument. Der Frage nach der eigenen Verantwortung entkommen wir nicht durch ein Wahlkreuz.
Wer willst du gewesen sein?
Zur Debatte: Braucht die Schweiz einen «Green New Deal»?
Wäre so ein Grossprojekt in der Schweiz überhaupt denkbar? Und wenn ja: Wie könnte das aussehen? Eine Revision der Verfassung, die den Klimaschutz als Leitstern hat? Ein achter Bundesrat mit Klimadepartement? Ganz etwas anderes? Hier gehts zur Debatte.