Bye-bye, Erdöl. Tschüss, Kohle. Adios, Erdgas?
Um den Klimawandel zu stoppen, muss sich die Menschheit von fossilen Rohstoffen verabschieden. Kann das gelingen? Wenn ja, wie? Zweiter Teil der Serie «Energie der Zukunft».
Von Simon Schmid (Text) und Kwennie Cheng (Illustration), 23.10.2019
Meter für Meter, Tonne für Tonne, Schicht für Schicht. Im rheinländischen Tagebau von Hambach frisst sich der grösste Schaufelradbagger der Welt durch die Landschaft. Das Stahlmonster ist 225 Meter lang und gräbt bei Volllast pro Tag bis zu 240’000 Tonnen Braunkohle ab. Wird die gesamte Kohle von Hambach in den nahe gelegenen Stromkraftwerken verfeuert, gelangt so viel Treibhausgas in die Luft, wie die ganze Schweiz emittiert.
«Bagger 293» ist jedoch nicht der einzige seiner Art. Rund um den Globus wird trotz steigender Temperaturen in Tausenden von Minen massenweise Kohle gefördert. Aller guten Klimaabsichten zum Trotz ist die Nachfrage nach fossilen Treibstoffen ungebrochen. Fast alle Autos der Welt fahren mit Benzin oder Diesel; der gesamte Flugverkehr basiert auf Kerosinverbrennung.
Das ist ein Riesenproblem. Wie im ersten Teil dieser Serie deutlich wurde, sind die fossilen CO2-Emissionen nach wie vor im Steigen begriffen. Um das Klima vor dem Kollaps zu bewahren, wäre jedoch eine Abkehr nötig. Und zwar eine schnelle: Drei Jahrzehnte bleiben, um auf null zu kommen.
Wie stehen die Chancen dafür? Kann die Dekarbonisierung gelingen?
Auf unserer Suche nach Antworten wenden wir uns im zweiten Teil den fossilen Energieträgern zu: Kohle, Erdöl, Erdgas. Wir beleuchten deren Entwicklung und analysieren, was es für wirtschaftliche und politische Massnahmen braucht, damit die Welt künftig auf sie verzichten kann.
Serie «Energie der Zukunft»
Wie schaffen wir es, unseren CO₂-Ausstoss in den nächsten drei Jahrzehnten auf null zu senken? Womit ersetzen wir die fossilen Energieträger, die heute drei Viertel der Energie liefern? Welche erneuerbaren Energien haben Potenzial? Welche Rolle spielt die Atomenergie? Diesen Fragen geht die Serie nach – auf globaler Ebene sowie für die Schweiz.
Sie lesen: Teil 2
Verbrannte Erde
Teil 3
Erneuerbare Energien
Teil 4
Atomkraft
Teil 5
E-Strategie Schweiz
Bonusteil
Warum CO₂ wieder eingefangen werden kann
Dieser Beitrag startet mit einer Bestandesaufnahme des potenziellen Schadens. Wie viele fossile Rohstoffe stecken überhaupt noch in der Erde?
1. Reserven
Das Fazit ist schnell gezogen. Es gibt noch sehr umfangreiche Reserven. Zum Beispiel in Russland mit seinen Kohle- und Gasvorkommen, in Saudiarabien und Venezuela – den weltgrössten Erdöllagerstätten – oder auch in China, den USA, Iran, Australien, Kanada, Kasachstan, Libyen, Deutschland.
Die Vorräte sind so gross, dass sie bei konstanten Förderraten noch weit in die Zukunft reichen: beim Erdöl für 50 Jahre, beim Erdgas für 51 und bei der Kohle sogar für 132 Jahre. Das ist viel länger, als das Klima warten kann.
Ein Grossteil der fossilen Reserven darf also niemals ans Tageslicht kommen. Man erkennt dies auch, wenn man sich das globale Kohlenstoffbudget anschaut – also die verbleibende Menge an CO2, die noch in die Luft gepustet werden darf, wenn die globale Erwärmung auf 1,5 Grad beschränkt werden soll. Sie beträgt nach Schätzungen des Weltklimarats rund 400 Gigatonnen (für das 2-Grad-Ziel ist das verbleibende Budget ungefähr doppelt so gross).
Allein schon das Erdöl würde dieses Budget sprengen: Die Verfeuerung der bekannten Reserven würde 500 Gigatonnen an CO2-Emissionen verursachen. Kämen dazu noch 1800 Gigatonnen durch Kohle und weitere 300 Gigatonnen durch Erdgas, so liefe die planetare Erwärmung vollends aus dem Ruder.
85 Prozent der fossilen Reserven müssen also als «unverbrennbar» eingestuft werden. Zu diesem Schluss kommt die NGO Oil Change International, die sich dem Kampf gegen den Klimawandel verschrieben hat, in einer Studie.
Dass diese Reserven tatsächlich nicht verbrannt werden, dafür gibt es je nach Energieträger – Kohle, Erdöl, Gas – unterschiedlich ermutigende Anzeichen.
2. Verbrauch
Die konkretesten Hinweise gibt es bei der Kohle, dem dreckigsten aller fossilen Energieträger. Ihr Verbrauch hat seit der Jahrtausendwende stark zugenommen, stagnierte dann aber – und soll, wenn es nach Marktstudien wie dem Bloomberg New Energy Report geht, ab 2026 wieder schrumpfen.
Kohle
Dies wäre ein gutes Zeichen. Denn Kohle ist mit einem Anteil von 40 Prozent aller weltweiten CO2-Emissionen der grösste Klimakiller. Pro Kilowattstunde Strom, die in einem Steinkohlekraftwerk produziert wird, werden rund 800 Gramm CO2-Äquivalente an Treibhausgasen in die Atmosphäre gepustet. Das ist etwa doppelt so viel wie bei Gaskraftwerken, etwa fünfzigmal so viel wie bei Kernkraftwerken und etwa hundertmal so viel wie bei der Wasserkraft.
Allerdings verläuft der Kohletrend je nach Erdteil höchst unterschiedlich.
In den Industrieländern sinkt der Verbrauch bereits: In den USA nahm er seit 2008 um 40 Prozent ab – unter anderem, weil Kohle- durch Gaskraftwerke verdrängt wurden –, und in Europa ist er heute nur noch halb so gross wie 1990. Polen und Tschechien sträuben sich noch; aber Frankreich will sein letztes Kraftwerk 2021 ausschalten, Schweden 2022, Italien 2025, und selbst Deutschland scheint sich zum Ausstieg bis spätestens 2038 durchzuringen.
In ihrem optimistischen Szenario geht die Internationale Energieagentur davon aus, dass die westliche Welt bis 2040 praktisch aus Kohle draussen ist.
Anders sieht es in den Schwellenländern aus. In China stehen derzeit über 1000 Kohlekraftwerke. Zahlreiche wurden seit der Jahrtausendwende im eigenen Land gebaut und in anderen Ländern finanziert. Zwar hat sich der Zubau etwas verlangsamt, doch ein baldiger Rückbau ist nicht in Sicht.
Auch Indien baut in unvermindertem Tempo neue Kraftwerke – sie werden drei bis vier Jahrzehnte in Betrieb sein. Reissen die beiden Staaten das Steuer nicht bald herum, wird es eng mit der Dekarbonisierung: Der Höhepunkt des Kohleverbrauchs dürfte in China erst 2027 und in Indien 2038 erreicht sein. Das ist einige Jahre zu spät: Um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, müssten auch in den Schwellenländern die letzten Kohlemeiler bis 2050 vom Netz gehen.
Der Schlüssel für eine kohlefreie Zukunft liegt also nicht nur in Deutschland, wo Klimaaktivisten einen Rodungsstopp für ein Waldstück am Rande der Hambacher Kohlegrube erwirkt haben, sondern vor allem in Asien. Dort ist der Energiehunger am grössten – und der politische Wille, bereits gebaute Kohlekraftwerke vorzeitig abzuschalten, bis jetzt kaum vorhanden.
Erdöl
Hier sind die begrenzten Vorräte schon länger ein Thema. Bereits in den 1950er-Jahren dachten Forscher über «Peak Oil» nach, also über den Zeitpunkt, an dem das globale Ölfördermaximum erreicht sein könnte.
Allen Prognosen zum Trotz ist Peak Oil noch nicht eingetreten. Die globale Produktion steigt nach wie vor. Der Bedarf an Treibstoffen, aber auch an Erdöl für die chemische Industrie hat über die Jahre für steigende Preise gesorgt. Die hohen Preise wiederum machten Investitionen in neue Förderverfahren wie das Fracking aus Ölsand-Sedimentschichten attraktiv.
Die ölbedingten CO2-Emissionen nehmen deshalb nach wie vor zu. Und zwar auch im Westen: Sowohl in den USA als auch in Europa stiegen sie zuletzt.
Anlass zum Pessimismus ist also gegeben: In ihrer Analyse gehen etwa die Marktforscher von McKinsey davon aus, dass Peak Oil erst im Verlauf der frühen 2030er-Jahre eintreffen wird. Selbst im nachhaltigsten Szenario der IEA dürfte sich der globale Ölbedarf bis 2040 erst um 30 Prozent reduzieren.
Immerhin: Bei der Elektromobilität liegt etwas in der Luft. Die Autobranche rollt mehr und mehr Modelle aus, die preislich kompetitiv sind. Fahren mit Strom ist bereits heute günstiger als mit Benzin. Möglich, dass sämtliche Prognostiker das Tempo des anstehenden Wandels komplett unterschätzen.
Allerdings bleibt auch bei 100 Prozent Elektromobilität eine wichtige Frage: Woher kommt der saubere Strom, mit dem all die Autos fahren sollen?
Gas
Manche sagen: aus Erdgas. Sie sehen dieses als «Brückentreibstoff» an, der Kohle ersetzt, solange nicht genug erneuerbare Elektrizität vorhanden ist. Ihr Hauptargument ist: Gaskraftwerke stossen nur halb so viel CO2 aus. Unter anderem argumentiert die IEA so – was Klimaorganisationen bemängeln.
Sie verweisen darauf, dass auch die Gaskraft erheblichen Tribut fordert: Ihre CO2-Emissionen sind mit rund 350 Gramm pro Kilowattstunde immer noch zehn- bis zwanzigmal höher als jene von Solaranlagen und Windturbinen. Im Grunde dürfte kein einziges Gasfeld auf der Welt mehr erschlossen werden, besagt ein Bericht von Oil Change International. Denn bereits mit den heute fertig entwickelten Öl- und Gasfeldern würde das 1,5-Grad-Ziel überschossen.
Traurige Tatsache ist: Der Gasverbrauch nimmt zu. Aufgerüstet haben China, aber auch die USA. Hier gingen seit der Jahrtausendwende zahlreiche Gas- und Dampf-Kombikraftwerke ans Netz, um die Grundlast zu stemmen. Dazu wurden Gasturbinen gebaut, die zu Spitzenzeiten hochgefahren werden können. Damit decken die USA heute ein Drittel ihres Strombedarfs ab.
Die tiefen Preise haben für einen Boom der Gaskraft gesorgt. Nicht Öl, nicht Kohle, nicht Kernenergie und auch nicht die Erneuerbaren trugen letztes Jahr am meisten zum wachsenden Energieverbrauch bei. Nein, es war Gas.
Entsprechend skeptisch ist die Marktforschung. Gemäss McKinsey oder Bloomberg wird der Verbrauch von Gas bis 2050 weiter zunehmen. Gründe dafür sind die Ausweitung des Angebots (in den USA spricht man von einer Schiefergasrevolution, hinzu kommen neue Transportmöglichkeiten in Form von Flüssiggas), die Umweltpolitik (China setzt auf Gas, um den Smog zu bekämpfen) – und natürlich der Preis: Gas-Grundlaststrom ist gemäss dem Forschungsbüro Lazard in den USA nur etwa halb so teuer wie Kohlestrom.
Noch billiger als Gas sind allerdings erneuerbare Energien wie Wind und Sonne – und dies sogar wenn man deren Speicherung in Batterien und damit Aspekte wie die Netzstabilität berücksichtigt. Zusätzliche Gas-Förderanlagen zu erstellen, ergibt also je länger, je mehr auch ökonomisch keinen Sinn.
Trotzdem gehen in vielen Ländern weitere Gas- und Kohlekraftwerke in Betrieb. Und der Erdölverbrauch steigt über den Globus hinweg ebenfalls.
Warum ist das so? Und wie lässt sich diese fatale Entwicklung umkehren?
Um das zu verstehen, müssen wir uns der Politik zuwenden. Und den Finger auf die wunden Punkte legen: auf die Verzerrungen der Energiewirtschaft.
3. Politik
Entweicht Kohlendioxid in die Atmosphäre, richtet es dort einen Schaden an. Diesen adäquat zu beziffern und auf die Verursacher zu überwälzen, müsste ganz zuoberst auf der Prioritätenliste der Klimapolitik stehen. In der Realität erheben jedoch die wenigsten Länder einen angemessenen Preis auf CO2.
Preis
Zwar zählt die Weltbank auf ihrem «Carbon Pricing Dashboard» weltweit 57 verschiedene Mechanismen auf, über die Kohlendioxid bepreist wird. Dazu gehören etwa Steuern auf fossile Brennstoffe oder Emissionshandelssysteme, die Firmen dazu zwingen, Zertifikate für ihre CO2-Emissionen zu kaufen.
Allerdings decken diese Mechanismen bloss 15 Prozent des weltweiten CO2-Ausstosses ab. Und die Preise variieren stark: Nur gerade 6 der insgesamt 57 Mechanismen bewerten den Ausstoss einer Tonne CO2 mit 40 Dollar oder mehr. Kohlendioxid zu emittieren, bleibt in vielen Ländern sehr billig.
Die Bepreisung von CO2 ist inkonsistent. Das zeigt gerade die Schweiz: Die Abgabe, die auf Brennstoffe eingezogen wird, beträgt derzeit 96 Franken. Grosse Firmen sind allerdings davon befreit – und nehmen stattdessen am Emissionshandel teil. Dort kostete die Tonne CO2 zuletzt bloss 7.15 Franken. Die geplante Abgabe auf Treibstoffen, die den Liter Benzin um maximal 12 Rappen verteuert, kommt einem CO2-Preis von etwa 50 Franken gleich.
Je nach Anwendungsgebiet kommen also sehr unterschiedliche Tarife zur Anwendung. Das ist zwar ökonomisch unschön – aber zu einem gewissen Grad unvermeidbar. Wichtig ist, dass eine Lenkungswirkung entsteht.
International gelten folgende Richtwerte als anerkannt:
Ein Preis von 30 Euro pro Tonne ist das absolute Minimum. Ist der Ausstoss von CO2 günstiger, so heisst dies gemäss der OECD, dass die Konsumenten nicht die vollen Kosten tragen. Bis 2030 muss der Minimalpreis auf 60 Euro steigen, weil der Ausstieg aus fossilen Energien dringender wird und der Schaden zusätzlicher Emissionen steigt.
Für das 2-Grad-Ziel sollte der Preis bei 40 bis 80 Dollar liegen. Dies schreiben die Ökonomen Nicholas Stern und Joe Stiglitz zuhanden der Weltbank. Bis 2030 sollte der Preis gemäss ihnen auf 50 bis 100 Dollar steigen, um genug Anreiz zur Emissionsreduktion zu bieten.
Das Optimum wären jedoch 150 bis 300 Dollar. Diese Zahlen werden im neuesten Uno-Nachhaltigkeitsbericht genannt. So hoch müsse der CO2-Preis sein, um die Dekarbonisierung in der nötigen Zeit zu schaffen. Auch das deutsche Umweltbundesamt kommt bei seiner Bezifferung der CO2-Schadenskosten mit 180 bis 205 Euro auf eine ähnliche Grössenordnung.
Egal, welcher Organisation man folgt und wo man den CO2-Preis genau ansetzt: Klar ist, dass die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas in vielen Ländern zu billig ist. Verbraucher fossiler Rohstoffe zahlen zu wenig.
Ausgaben
Zahlen dazu liefert etwa die OECD. Ihr zufolge liegt der sogenannte «Carbon Pricing Gap» in den wichtigsten Volkswirtschaften bei 77 Prozent. Das heisst: Konsumenten tragen nur 23 Prozent der Kosten, die sie verursachen. Kohle, Öl und Gas müssten demnach etwa viermal teurer sein. Rechnet man statt mit 30 Euro mit einem CO2-Preis von 60 Euro, so erhöht sich der Gap sogar auf 83 Prozent. Fossile Rohstoffe müssten dann also sechsmal teurer werden, damit ihr Preis den effektiven Schadenskosten entspricht.
Zumindest in den Industrieländern bräuchte es also einen Konsens, den CO2-Ausstoss konsequent zu bepreisen. Das würde einerseits sicherstellen, dass neue fossile Kraftwerke – mit Kohle oder Gas – gar nicht erst gebaut würden.
Andererseits würden Steuern auf CO2 die Wirtschaftlichkeit bestehender Werke schmälern: Braunkohle könnte etwa in Deutschland nicht wie bisher zu 2 Cent, sondern müsste zu 11 Cent pro Kilowattstunde verstromt werden.
Die Tage von «Bagger 293», dem Stahlross im Tagebau von Hamberg, wären damit gezählt. Braunkohlestrom wäre gegenüber Wind und Sonne nicht mehr konkurrenzfähig – er würde bald zum Verlustgeschäft. Langwierige politische Verhandlungen über den Kohleausstieg würden sich so erübrigen: RWE, die Betreiberfirma in Hamberg, würde ihre Kohlegruben schon aus wirtschaftlichen Gründen viel früher als zum vereinbarten Datum stilllegen.
Die CO2-Kostenwahrheit ist fürs Klima also entscheidend. Das gilt nicht nur für die westlichen Industrienationen, sondern auch für die Schwellenländer.
Zusätzliche Abgaben sind hier jedoch nur der zweite Schritt. Zuerst müssten vielerorts die Subventionen abgebaut werden, die fossile Energien geniessen.
Subventionen
Diese Unterstützungsleistungen exakt zu beziffern, ist nicht ganz einfach:
Man kann entweder nur die direkten Kosten verbuchen, die den öffentlichen Haushalt belasten, wenn der Staat zum Beispiel Benzin verbilligt abgibt oder Kohleförderer mit Direktzahlungen unterstützt.
Oder man kann alle externen Kosten mit einbeziehen, die fossile Rohstoffe für die Gesellschaft verursachen. Dann werden neben den Klimakosten beispielsweise auch die Krankheitskosten, die durch verschmutzte Luft verursacht werden, als indirekte Subventionen taxiert.
Im ersten Fall landet man bei zwei- bis dreistelligen Milliardenbeträgen. Die NGO «Price of Oil» beziffert etwa die staatlichen Unterstützungsbeiträge für die Kohleindustrie in den G-20-Ländern auf insgesamt 64 Milliarden Dollar. Über sämtliche fossilen Energieträger und sämtliche Länder hinweg kommt die IEA sogar auf eine Subventionssumme von über 400 Milliarden Dollar.
Dieser Betrag schwankt von Jahr zu Jahr, weil auch die Energiepreise auf dem Weltmarkt schwanken: Gibt ein Staat etwa steigende Erdölpreise nicht an die Benzinkonsumenten weiter und hält den Benzinpreis an der Zapfsäule künstlich tief, so nehmen damit auch die Subventionsleistungen zu.
400 Milliarden Dollar klingen nach einer überschaubaren Summe. Doch die Subventionen konzentrieren sich auf einzelne Länder – und belaufen sich dort auf 5 bis 10 Prozent des BIP oder mehr. Das wiederum ist enorm viel.
Zu den grossen Unterstützern fossiler Emissionen gehören die ehemaligen Sowjetstaaten und auch die Golfstaaten. Sie werfen ihre Erdöl- oder Gasproduktion auf dem Heimmarkt zu Schleuderpreisen ab. Das kommt einer Subvention gleich, weil dem Staat dadurch Einnahmen entgehen. Im Iran, dem Land an der Spitze der weltweiten Subventionsrangliste, kostet ein Liter Benzin an der Zapfsäule etwa umgerechnet nur 7 Rappen. Gemessen an anderen Ländern in der Region müsste der Preis sechs- bis zehnmal höher liegen.
Noch viel teurer müssten Benzin und Co. allerdings sein, wenn man sämtliche externen Kosten berücksichtigt. Nach dieser zweiten Berechnungsmethode summieren sich die weltweiten Subventionen nicht auf 400 Milliarden, sondern auf auf über 5 Billionen Dollar – ein Unterschied von Faktor 10.
Als Subventionsweltmeister kristallisieren sich nun die Verbraucherländer heraus: China, die USA, Russland. Sie verfolgen eine Politik der billigen Energie. Dies schadet nicht nur dem Klima, sondern auch der Staatskasse: Würde der CO2-Ausstoss effizient bepreist, so wären nach Berechnungen des IWF nicht nur die weltweiten Emissionen um ein Viertel kleiner. Auch die Steuereinnahmen wären gemessen am globalen BIP um 3,8 Prozent grösser.
Schluss
Wir müssen uns nichts vormachen: Ohne einen höheren CO2-Preis wird die Klimawende nicht stattfinden. Ein Flug Basel–Berlin sollte nicht 30 Franken, sondern 100 Franken kosten. Benzin sollte nicht 12 Rappen, sondern 50 Rappen teurer werden (jeweils mit 210 Franken pro Tonne CO2 gerechnet).
Nur so entstehen die Preissignale, die Flugpassagiere und Automobilisten veranlassen, weniger Kilometer zurückzulegen oder Alternativen zu erwägen: den Zug, das Elektromobil. Nur so sehen sich Industriefirmen veranlasst, Investitionen zu tätigen und klimafreundlichere Produkte zu verkaufen.
Diese Zusammenhänge sind gut erforscht und wissenschaftlich anerkannt. CO2-Steuern müssen bei ihrer Einführung tief genug sein, damit sie politisch akzeptiert werden – dann aber sukzessive steigen, um eine Lenkungswirkung zu entfalten. Die Einnahmen sollten an Konsumenten rückvergütet oder für Klimaprojekte verwendet werden (etwa für den öffentlichen Verkehr). Sonst passiert, was in Frankreich, Argentinien oder Ecuador geschah. Dort brachen Proteste aus, weil Menschen mit bescheidenen Monatsbudgets den plötzlichen Anstieg der Benzin- und Gaspreise nicht verkraften konnten.
Die Korrektur von verzerrten CO2-Preisen ist demnach bloss ein Puzzlestein in der Klimapolitik. Auch darüber müssen wir uns im Klaren sein. Bloss die Subventionen abzuschaffen, reicht nicht: Dadurch ginge der globale Ausstoss höchstens um gut 10 Prozent zurück. Die Förderung grüner Technologien, die Raumplanung, Bildung und Ausbildung, Produkt- und Gebäudevorschriften, internationale Kooperation, soziale Abfederung – all dies ist ebenfalls nötig.
Denn schliesslich gibt es auch noch die Beschäftigten in Kohlegruben wie jener von Hambach. Sie haben – genau wie die Klimaaktivisten auch – Angst vor der Zukunft. «Bagger 293» kann man in die Luft sprengen, das Kohlerevier renaturieren – doch die Arbeiter brauchen neue Ausbildungen, neue Jobs, neue Perspektiven. Auch das gehört zu einer durchdachten Klimapolitik.
Der Clou ist: Genau für solche Aufgaben stünde den Staaten mehr Geld zur Verfügung – wenn sie auf fossile Subventionen verzichten und stattdessen den Ausstoss von Kohlendioxid durchs Band weg besteuern würden.