Völlig losgelöst und komplett entgleist
Selten war eine Abstimmung so bitter umkämpft wie die zur Konzernverantwortung. Wie es kam, dass aus der Vorlage über Rechenschaftspflichten von Konzernen eine Debatte über Glaubwürdigkeit und Moral sogenannter Gutmenschen wurde.
Eine Recherche von Dennis Bühler und Carlos Hanimann, 19.11.2020
Normalerweise ist die grosse Politik hier weit, weit weg. Hergiswil, 6000-Seelen-Dorf, malerisch gelegen zwischen Vierwaldstättersee und Pilatus, überregional bekannt für seine mehr als 200 Jahre alte Glaserei, die «Glasi» Hergiswil.
Doch diesen Herbst ist das Nidwaldner Dorf Schauplatz einer Affäre, die zeigt, wie die Nerven blank liegen. Im Zentrum dieser Affäre steht der Hergiswiler Journalist Thomas Vaszary, Redaktionsleiter der «Kirchen-News», der Zeitung der Nidwaldner Reformierten. Das heisst: Er war Redaktionsleiter – bis er vor wenigen Tagen fristlos entlassen wurde.
Was ist geschehen?
Thomas Vaszary wollte in der Novemberausgabe seiner Zeitung über ein Thema berichten, das in kirchlichen Kreisen breite Unterstützung findet, diesen Herbst aber zu einigen Kontroversen führte: die Konzernverantwortungsinitiative.
Vaszary plante nichts Aussergewöhnliches, ein Pro und ein Kontra. Für die Initiative hätte eine Vertreterin der kirchlichen Plattform «Kirche für Konzernverantwortung» geworben, gegen die Initiative hätte Economiesuisse-Präsident Christoph Mäder geschrieben, der in Hergiswil wohnt. Ein hochkarätiger Schlagabtausch, dem man eines nicht hätte vorwerfen können: Einseitigkeit.
Aber dem Kirchenrat war das zu heiss. Nur drei Tage vor Redaktionsschluss intervenierte er bei der Redaktion und verbot per sofort alle Artikel mit politischem Inhalt. In einer E-Mail äusserte sich der Kirchenratspräsident besorgt: Artikel zu Abstimmungsvorlagen könnten Kirchenaustritte provozieren.
Diana Hartz, ehrenamtlich als Vizepräsidentin des Kirchenrats und beruflich als Leiterin der Wirtschaftsförderung Nidwalden tätig, sagt auf Anfrage der Republik, eine Zeitung, die mit Steuergeldern finanziert und allen Kirchenmitgliedern kostenlos zugestellt werde, müsse allen Leserinnen und Lesern eine Heimat bieten. «Eine solche Zeitung soll niemanden bevormunden.»
Journalist Vaszary sah in der Einmischung des Kirchenrats einen Zensurversuch. Tatsächlich verstiess die Intervention gegen das Redaktionsstatut, das explizit «die Berichterstattung über kontroverse Themen und deren Kommentierung» erlaubt. Entsprechend dachte Vaszary nicht im Traum daran, sich den Eingriff in die Redaktionsfreiheit gefallen zu lassen.
Die Sache eskalierte innert weniger Tage, wie Briefe und E-Mails zeigen, die der Republik vorliegen. Am Ende ging Vaszary auf Konfrontation. In einer E-Mail an alle Involvierten schrieb er: «Will der Kirchenrat künftig als oberste Medien-Zensurbehörde der Reformierten Kirche Nidwalden schalten und walten?»
Vaszary verzichtete in der Novemberausgabe der «Kirchen-News» zwar darauf, den Pro- und den Kontra-Beitrag zu veröffentlichen. Aber er machte die Auseinandersetzung mit dem Kirchenrat öffentlich und appellierte in einem Essay an die Verantwortung der Stimmbürgerinnen.
Ein Affront für den Kirchenrat. Er liess die bereits gedruckten 3500 Exemplare der «Kirchen-News» vernichten. Und entliess Vaszary fristlos.
Skandalisierungen, Fake-Videos und Diffamierungen
Der Fall Hergiswil mag ein aussergewöhnliches Ende genommen haben. Doch er zeigt beispielhaft, wie heftig die Auseinandersetzungen um die Konzernverantwortungsinitiative geführt werden. Keine Bewegung bleibt unbeobachtet, jedes Feld bitter umkämpft. So sehr, dass sich offenbar manch einer fürchtet, sich überhaupt zur Sache zu äussern.
Kein Wunder: Die Landeskirchen, bei denen die Initiative schon früh viel Unterstützung erfuhr, sahen sich diesen Herbst mit scharfer Kritik konfrontiert, wenn sie sich für die Initiative aussprachen. Im Kanton Aargau beispielsweise wollen die Jungfreisinnigen den Kirchen superprovisorisch verbieten, für die Initiative zu werben. Derzeit ist eine Beschwerde vor Bundesgericht hängig.
Eigentlich dreht sich die «Initiative für verantwortungsvolle Unternehmen» um Sorgfaltspflichten, Haftungsfragen und Verantwortlichkeiten in einer globalisierten Welt. Aber davon war in den letzten Wochen vor der Abstimmung kaum die Rede. Stattdessen: Diskreditierung, Empörung, vermeintliche Skandale. Im Zentrum der Kritik: die Moral der Initiantinnen.
Befeuert wurde diese Debatte zuletzt durch Fake-Videos, Angriffe auf Journalistinnen und die Diffamierung von NGOs. Der Abstimmungskampf wurde so irr, dass der «Tages-Anzeiger» titelte: «Bei der Konzernverantwortungsinitiative drehen gerade alle durch». Nun hat der «Tages-Anzeiger» enthüllt: Die übelsten Diffamierungsvideos gehen auf die Agentur Goal von SVP-Werber Alexander Segert zurück.
Wie kam es, dass aus einer Abstimmung über Rechenschaftspflichten von multinationalen Konzernen plötzlich eine Abstimmung über Glaubwürdigkeit und Moral sogenannter Gutmenschen wurde? Warum wird eine Vorlage, die strengere Regeln für wenige grosse Konzerne einführen und Menschenrechtsverletzungen sanktionieren will, zur Schicksalsfrage für die Schweiz?
Kurz: Warum ist dieser Abstimmungskampf derart entgleist?
«Falsch abgestimmt»
Um diese Fragen zu beantworten, muss man zunächst ein paar Jahre zurückgehen. Bis zum 11. März 2015 zum Beispiel, als der Nationalrat in seiner Sitzung an einem Mittwochnachmittag über eine Motion der Aussenpolitischen Kommission zu befinden hatte. Die Kommission wollte damals eine verbindliche Sorgfaltsprüfungspflicht für Unternehmen gesetzlich festschreiben. Die Motion war die Folge einer Petition, die die NGO-Allianz «Recht ohne Grenzen» mit mehr als 135’000 Unterschriften eingereicht hatte und die sozusagen eine Vorläuferin der Konzernverantwortungsinitiative war.
Die Motion an sich war bereits ein Etappensieg für die NGOs. Umso grösser war die Überraschung, als der Nationalrat die Motion mit Stichentscheid des Ratspräsidenten annahm.
Doch dann geschah etwas, was im Parlament äusserst selten vorkommt und bereits erahnen liess, mit welch harten Bandagen die Auseinandersetzungen zum Thema künftig geführt würden: Auf Antrag der CVP stimmte der Nationalrat eineinhalb Stunden nach dem ersten Entscheid nochmals ab.
Die Begründung: Mehrere Parlamentarier hätten vorhin falsch abgestimmt.
Tatsächlich hatten sich einige bürgerliche Politiker vor der Abstimmung schlecht informiert, Andrea Caroni (FDP) etwa oder Christophe Darbellay (CVP). Sie stimmten der Motion zu – trotz anderslautender Devise des Wirtschaftsdachverbands Economiesuisse, der die Interessen der Konzerne vertritt.
Als die Lobbyistin von Economiesuisse bemerkte, was geschehen war, stauchte sie laut Zeugen zunächst den Fraktionschef der SVP zusammen, bevor sie gemeinsam mit ihm CVP-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter zur Rede stellte. Diese stellte schliesslich einen Rückkommensantrag.
Bei der zweiten Abstimmung war der Rat anders zusammengesetzt, weil einige Parlamentarierinnen bereits nach Hause gegangen oder an Abendanlässe weitergezogen waren. Für Economiesuisse brachte sie den ersehnten Erfolg: Nun wurde die Motion mit 95 zu 86 Stimmen abgelehnt.
Einen Monat später lancierte eine Koalition von NGOs und Hilfswerken die Konzernverantwortungsinitiative.
Die Wiederholung der Abstimmung war eines der Schelmenstücke, von denen im Parlament später noch manche aufgeführt werden sollten: als der Ständerat wie ein unverrückbarer Fels einen konstruktiven Gegenvorschlag des Nationalrats verhinderte; als FDP-Bundesrätin Karin Keller-Sutter aus dem Nichts einen eigenen Gegenvorschlag aus dem Hut zauberte, der auf eine Initiative des Wirtschaftsverbands Swiss Holdings zurückging; als FDP-Ständerat Ruedi Noser kurz vor den Parlamentswahlen eine Abstimmung verhinderte; als FDP und SVP ihre eigenen Nationalräte ausbooteten und sich im letzten Moment der Nahrungsmittelkonzern Nestlé in den parlamentarischen Prozess einschaltete.
Die massive Gegenwehr der Wirtschaftsverbände Economiesuisse und Swiss Holdings hatte allerdings einen ungewollten Nebeneffekt: Die Initiantinnen hatten viel länger Zeit, für die Initiative zu werben.
So hängen fünf Jahre nach der Lancierung der Initiative heute schweizweit mehr als 80’000 orange Fahnen von Balkonen. Denn die Initianten glaubten seit 2018 gleich mehrmals, dass es nun demnächst zur Volksabstimmung kommen würde. Und jedes Mal bestellten die Unterstützerinnen noch mehr Fahnen.
Panik in den Konzernspitzen
Nun ist die Abstimmung noch zehn Tage entfernt. Das Ergebnis dürfte knapp ausfallen. Gestern publizierte letzte Umfragen deuten auf ein knappes Ja hin – einmal wird eine Zustimmung von 51 Prozent vorhergesagt, einmal eine von 57 Prozent. Allerdings sind Initiativen selten erfolgreich und können selbst dann scheitern, wenn sie von einer Mehrheit unterstützt werden: am Ständemehr. Das ist auch dieses Mal ein realistisches Szenario.
Wie auch immer die Abstimmung ausgeht, schon heute ist klar: Selten fiel ein Abstimmungskampf so heftig aus – nicht nur bei der reformierten Kirchgemeinde Nidwalden, sondern auch in den Headquarters der grossen Konzerne und der eng mit ihnen verflochtenen Wirtschaftsverbände.
Vermutlich sind noch nie so viele Interviews mit CEOs und Verwaltungsratspräsidenten von Grosskonzernen geführt worden wie in diesem Herbst: Novartis, Lafarge Holcim, Nestlé – alle stellten sie ihr Spitzenpersonal für Interviews zur Verfügung oder füllten die Zeitungsspalten gleich selber mit Meinungsbeiträgen, um vor einer Annahme der Initiative zu warnen. Hinzu kamen vertrauliche Hintergrundgespräche, wie sie beispielsweise Nestlé-Präsident Paul Bulcke oder die dossierverantwortliche Bundesrätin Karin Keller-Sutter letzte Woche mit den Ringier-Redaktionen führten.
Die plötzliche Redseligkeit der Topmanager zeigt vor allem eines: In den Konzernen herrscht nackte Panik. Selten zitterte die Wirtschaftselite dieses Landes so sehr vor einem Abstimmungssonntag. Und selten warf sie sich so sehr in die Schlacht wie in diesen Tagen.
Die Grossbank Credit Suisse, die in Moçambique einen der grössten Korruptionsskandale der jüngeren Geschichte Afrikas mitverantwortet, schaltete letzte Woche ganzseitige Inserate gegen die Initiative. Auch die UBS, die im letzten Jahrzehnt so viele Finanzskandale produzierte wie kaum ein anderer Konzern in der Schweiz, rief Anfang November alle Angestellten dazu auf, die Initiative abzulehnen.
Der Abstimmungsmonitor des Forschungszentrums Öffentlichkeit und Gesellschaft (Fög), der die Medienresonanz und die Tonalität der Berichterstattung misst, kam drei Wochen vor der Abstimmung zum Schluss, dass die Initiative nicht nur ausserordentlich häufig thematisiert wurde, sondern dass auch die Tonalität der Medien eher negativ ausfiel. Und das war noch, bevor die Sonntagszeitungen mit grossen Manager-Interviews gegen die Initiative aufwarteten.
Die hohe Resonanz führt das Fög unter anderem auf die «moralische Aufladung» des Themas zurück. Sie habe zur Folge, dass religiöse Akteure kritisiert und die Glaubwürdigkeit und die Moral von Hilfswerken und NGOs angezweifelt würden.
Ein Beispiel dafür ist die Skandalisierung des wichtigsten Werbesujets der Initiantinnen: Darauf blickt ein peruanisches Mädchen rotzverschmiert und traurig in die Kamera, im Hintergrund eine Zinkmine, die das Trinkwasser verseucht. Das Bild ist eine Fotomontage, von den Initianten als «Symbolbild» ausgewiesen. Dennoch dient es den Initiativgegnerinnen als Beleg für eine korrumpierte Moral der Initianten. «Moralapostel verbreiten Lügenpropaganda», twitterte FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen mit Ausrufezeichen.
Angriff auf das Selbstverständnis
Den vielleicht absurdesten Auftritt legt in diesen Wochen jedoch die grünliberale Nationalrätin Isabelle Chevalley hin, die – anders als ihre Partei – zu den Gegnerinnen der Initiative zählt. Sie vermittelte mehreren Medien Interviews mit Stimmen aus Burkina Faso, die sich gegen die Initiative stellten. Zuletzt liess sie zu diesem Zweck gemeinsam mit der PR-Agentur Furrerhugi den burkinischen Handelsminister nach Bern einfliegen, und sie konnte gar Bundesrat Ueli Maurer «spontan für ein gemeinsames Foto» einspannen, wie sein Kommunikationschef auf Anfrage erklärt.
Wohlwollend bezeichnete die NZZ die Waadtländerin als «die glaubwürdigste Gegnerin» der Konzern-Initiative. Eine Recherche des Westschweizer Onlinemagazins «Heidi News» zeichnete diese Woche allerdings ein ganz anderes Bild: Nationalrätin Chevalley, die mit Diplomatenpass und als enge Vertraute des burkinischen Parlamentspräsidenten Wahlkampf für die burkinische Regierungspartei macht und mit der Vermischung von privaten und parlamentarischen Auftritten die Schweizer Diplomatie immer wieder in Verlegenheit bringt. Gemäss dem Bericht von «Heidi News» scheint es Chevalley bei ihrem Engagement gegen die Initiative vor allem darum zu gehen, sich bei der burkinischen Machtelite beliebt zu machen und das vielfach dokumentierte Problem der Kinderarbeit in Burkina Faso kleinzureden. Chevalley hat «Heidi News» mit Klage gedroht.
Isabelle Chevalley ist zweifellos die Parlamentarierin, die sich öffentlich am stärksten gegen die Initiative ins Zeug legt. Die meisten anderen Politiker verhalten sich auffallend ruhig. Auch die Parteien spielen in diesem Abstimmungskampf eine kleinere Rolle als üblich. Angeführt wird der Widerstand gegen die Initiative stattdessen von den Wirtschaftsverbänden Economiesuisse und Swiss Holdings sowie von der PR-Agentur Furrerhugi. Aber warum so heftig?
Der 29. November steht nicht nur für ein Ja oder ein Nein zur Initiative. Es geht auch um die Frage, wer in Wirtschaftsfragen mitreden darf.
In diesem Sinne greift die Konzernverantwortungsinitiative ein tief verankertes Selbstverständnis der Schweizer Wirtschaft an: dass es die Unternehmen selbst sind, die den Rahmen für Schweizer Unternehmen definieren – und dass sich die Politik raushalten soll, wann immer es geht.
Urs Rybi von der NGO Public Eye sagt, er verstehe nicht, warum der Widerstand bei den Wirtschaftsverbänden so gross sei. «Bei den von der Initiative betroffenen Unternehmen kenne ich niemanden, der einen derart harten Oppositionskurs fährt.» Die Verbände hätten aber schon vor langem einen Kurs eingeschlagen, an dem sie jetzt offenbar festhalten müssten. Aus Angst, sonst nicht mehr ernst genommen zu werden, aus Angst vor einem Gesichtsverlust. «Sie ziehen das durch, um zu signalisieren: Wir sind der Herr im Haus», sagt Rybi.
Ganz anders beurteilt die Lage naturgemäss Adrian Michel, der bei Economiesuisse für die Kampagne gegen die Initiative zuständig ist. «Die Initianten gaukeln vor, es gehe nur um Glencore und Syngenta», sagt er. Tatsächlich aber sei die ganze Schweizer Wirtschaft betroffen. «Deshalb bekämpfen wir die Initiative seit Jahren mit voller Kraft.»
Der aufgeheizte Abstimmungskampf nütze den Initianten mehr, sagt Economiesuisse-Projektleiter Michel. «Wir hätten lieber, man spräche über die negativen Folgen der Initiative und den Gegenvorschlag, der automatisch in Kraft tritt, wenn die Initiative abgelehnt wird.» Das aber wollten die Initiantinnen nicht. Lieber würden sie emotionalisieren und personalisieren, etwa auf Bundesrätin Karin Keller-Sutter oder Ständerat Ruedi Noser.
Weil beim Lobbying im Parlament Sachargumente zählten, hätten sich die Initianten dort nicht durchsetzen können, sagt Michel. «Aber Kampagnen – das können sie.»
Rybi gibt den Vorwurf der Emotionalisierung zurück: Die Wirtschaftsverbände hätten eine unverhältnismässige Aggression in den Abstimmungskampf getragen.
Für die heisse Phase des Abstimmungskampfs jedenfalls haben die Initiativgegner noch einmal im grossen Stil Inserateplätze gebucht – etwa bei allen Tamedia-Artikeln, die die Konzernverantwortungsinitiative thematisieren.
Schon seit Anfang Jahr werden solche Artikel von einem sogenannten «Faktencheck» flankiert. Hinter den vermeintlich journalistischen Beiträgen versteckt sich eine Kampagne der PR-Agentur Furrerhugi und von Succèsuisse, einer Politgruppe um FDP-Ständerat Ruedi Noser. Das enthüllte die Republik im Januar. In der Folge stellte der Presserat fest, dass die Tamedia-Redaktion den Journalistenkodex verletzte, da die «Faktenchecks» nicht auf den ersten Blick als Anzeige erkennbar waren. Die Verwischung der Grenzen zwischen redaktionellen Inhalten und politischer Werbung sei demokratiepolitisch besonders bedenklich, hielt das Ethikgremium fest. «Die mangelnde Transparenz schadet nicht nur der Glaubwürdigkeit des Mediums, sondern auch der demokratischen Willensbildung der Bürgerinnen und Bürger.»
Furrerhugi liess sich von der Presseratsrüge nicht beeindrucken. Im Gegenteil. Die PR-Agentur hat die Kampagne im Herbst noch ausgebaut.
Gemäss Informationen der Republik haben sich die Initiativgegnerinnen mindestens für die letzten drei Monate der Kampagne bei allen Tamedia-Titeln das Exklusivrecht gesichert, Inserate zu allen Onlineartikeln zu schalten, die die Initiative betreffen. Aus einer Korrespondenz mit den Initianten, die ebenfalls Inserate bei Tamedia buchen wollten, geht hervor, dass Furrerhugi basierend auf einer Liste sämtliche Artikel definieren kann, die die PR-Agentur exklusiv bewerben will. «Ihr Konkurrent», heisst es in der Korrespondenz, die der Republik vorliegt, «operiert mit einem massiv höheren Budget.»
«Ich wollte weiterhin in den Spiegel schauen können»
In Nidwalden, dem erzkonservativen Innerschweizer Kanton mit seinen vielen Holdings, ist es im Zuge des Abstimmungskampfs derweil zu einer Premiere gekommen. Ende Oktober verschickte der Kirchenrat ein Schreiben an alle Gemeindemitglieder und entschuldigte sich: «Das ist das erste Mal», heisst es im Schreiben, «dass Sie kein gedrucktes Exemplar der ‹Kirchen-News› in Ihrem Briefkasten vorfinden.» Weil sich Redaktionsleiter Vaszary über einen Beschluss des Kirchenrats hinweggesetzt habe, sei der Behörde nichts anderes übrig geblieben, als «die Auslieferung der Zeitung zu stoppen».
Die bereits gedruckten Ausgaben wurden konfisziert, und der Kirchenrat drohte Vaszary bei dessen Entlassung wegen angeblich «vorsätzlichen Vertrauensmissbrauchs»: «Ihr eigenmächtiges, treue- und vertragswidriges Handeln hat Kosten verursacht, und diese werden wir bei Ihnen geltend machen.»
Rückblickend sagt Vaszary, er sei sich bewusst gewesen, dass er allenfalls entlassen werden könnte, wenn er den Befehl des Kirchenrats verweigere. «Aber ich wollte mir treu bleiben und morgens weiterhin in den Spiegel schauen können», sagt er. «Wir können doch nicht ständig über Putin, Erdoğan und Trump schnöden und dann die Augen verschliessen, wenn es im kleinen Nidwalden zu Pressezensur kommt.»