«Demokratiepolitisch besonders bedenklich»
Die TX Group hat mit einer Onlinewerbung die Grenzen zwischen politischer Propaganda und redaktionellen Inhalten verwischt – und damit einmal mehr den Journalistenkodex verletzt. Trotz wiederholten Rügen des Presserats will der Verlag seine Methoden nicht überdenken.
Von Elia Blülle und Dennis Bühler, 13.07.2020
Leidet TX-Group-Verleger Pietro Supino an einer verzerrten Wahrnehmung?
Liest man die neueste Ausgabe des Branchenmagazins «Schweizer Journalist», könnte man das vermuten. Seit Jahren steht der grösste Medienkonzern des Landes wegen seines Umgangs mit Werbeformen in der Kritik, die Grenzen zwischen redaktionellen und bezahlten Inhalten verwischen – und trotzdem brüstet sich Verleger Supino noch immer mit dem angeblich besonders sauberen Umgang mit dem Thema. «Werbung, in welcher Form auch immer, wird klar als solche gekennzeichnet», sagt er. «Tamedia pflegt branchenweit die höchsten Standards und ist vorbildlich.»
Nicht als Vorbild taugt die TX Group (ehemals Tamedia AG) beim Schweizer Presserat: Vier der neun Beschwerden gegen verschleiernde Werbeformen, die seit 2017 eingereicht wurden, betrafen Medien dieses Konzerns. Drei Beschwerden wurden ganz und eine teilweise gutgeheissen.
Der Journalistenkodex des Presserats schreibt vor, dass Journalismus von Werbung getrennt werden muss. Doch in den vergangenen Monaten haben verschiedene Publikationen diesen Grundsatz wiederholt massiv verletzt. Immer wieder sieht sich der Presserat gezwungen, die Medienhäuser an ihre Verantwortung zu erinnern.
Das Eindringen kommerzieller Inhalte in den redaktionellen Teil einer Publikation zeuge von einem Mangel an Respekt gegenüber der Leserschaft, schreibt der Presserat in einer Stellungnahme. Und wird noch deutlicher: «Es untergräbt die Glaubwürdigkeit des Journalismus, eine Glaubwürdigkeit, ohne die er seinen Sinn verliert.»
Grund für diese klaren Worte war einmal mehr eine gutgeheissene Beschwerde gegen die TX Group. Im Januar hatte der Verlag neben redaktionellen Onlineartikeln über die Konzernverantwortungsinitiative eine politische Anzeige aufgeschaltet, die suggerierte, dass es sich dabei um eine Weiterleitung zu einem redaktionellen Faktencheck handelt.
Wer draufklickte, wurde aber nicht auf einen journalistischen Artikel geführt, sondern auf eine von der PR-Agentur Furrerhugi betriebene Website. Im Auftrag des Wirtschaftsdachverbands Economiesuisse bekämpft das Kampagnenbüro die Initiative mit einem Millionenbudget.
Noch im Januar stellte sich die TX Group auf den Standpunkt, dass in diesem Fall die Trennung zwischen kommerziellen und redaktionellen Inhalten für aufmerksame Leserinnen klar erkennbar sei. Nachdem interne Kritik laut geworden war und die Republik über den Fall berichtet hatte, kennzeichnete der Verlag die Anzeige als solche – wenn auch nur sehr klein und in einem kaum sichtbaren Hellgrau.
In seiner Stellungnahme stellt der Presserat zwar fest, dass die beanstandete Werbung zu einem späteren Zeitpunkt als solche deklariert wurde, sein Verdikt ist aber eindeutig: Die TX Group hat mit der Faktencheck-Anzeige den Journalistenkodex verletzt. Wenn die Werbung für durchschnittliche Leser nicht auf den ersten Blick als solche erkennbar sei, täusche die Redaktion ihr Publikum, schreibt der Presserat. Ausserdem sei die Verwischung von Grenzen zwischen redaktionellen Inhalten und politischer Werbung demokratiepolitisch besonders bedenklich: «Die mangelnde Transparenz schadet nicht nur der Glaubwürdigkeit des Mediums, sondern auch der demokratischen Willensbildung der Bürgerinnen und Bürger.»
Verschleierte Werbung ist inzwischen ein Politikum
Der Presserat steht mit seiner klaren Haltung bezüglich verschleierter Werbung nicht allein da. Ende Mai sagte auch Medienministerin Simonetta Sommaruga dieser Werbeform öffentlich den Kampf an.
«Redaktionen, die ihre Leser mit versteckter Werbung täuschen, beschädigen ihre Glaubwürdigkeit», sagte Sommaruga im Interview mit der Republik. Sie beobachte seit einiger Zeit, «dass Verlage redaktionelle Inhalte und Werbung vermischen und höchstens in ganz kleiner Schrift darauf hinweisen, wenn sie für einen Beitrag Geld erhalten». Diese Praxis widerspreche journalistischen Standards. Sollten sich die Verleger weiterhin um die medienethischen Gebote und die Rügen des Presserats foutieren, müsse der Bund «Verstösse eben sanktionieren», kündigte die Medienministerin an.
Auch als der Ständerat Mitte Juni das Bundesgesetz über die Förderung von Onlinemedien debattierte, waren die sogenannten Native Ads ein Thema. Im ersten Artikel der Vorlage werden die Kriterien aufgelistet, die eine Redaktion erfüllen muss, falls sie staatliche Medienförderung beanspruchen will. Unter anderem heisst es dort: «Der redaktionelle Teil des Angebots ist klar von der Werbung getrennt.»
Der politische Wind weht also in eine eindeutige Richtung. Weder der Bundesrat noch das Parlament wollen die Verschleierung von Werbung weiterhin hinnehmen – und auch die Journalistinnen wehren sich. In einem Protestbrief an den Verlegerverband betonte die Tamedia-Personalkommission im Januar, die Verschleierung von kommerziellen Inhalten schade der Glaubwürdigkeit der Medien, und die Leserschaft werde damit bewusst getäuscht.
Nur: Ist die Botschaft bei den Verlegern angekommen? Es bestehen Zweifel.
Verlegerverband schwächt seinen «Code of Conduct» ab
Im Januar 2020 trifft sich der Vorstand des Verlegerverbands zu einer Sitzung. Unter anderem geht es um die Anpassung des eigenen Code of Conduct, in dem der Verband Empfehlungen für den Umgang mit bezahlter Werbung abgibt. Das brisante Traktandum stammt von Pietro Supino. Er ist der mächtigste Medienmanager des Landes – und nicht nur Verwaltungsratspräsident der TX Group, sondern auch Präsident des Verlegerverbands.
Just in dem Monat, als die eigene Personalkommission harsche Kritik an seiner Werbepolitik übt und die Republik über die fragwürdige Faktencheck-Anzeige berichtet, wollen Supino und der Verlegerverband per Mehrheitsentscheid einen Satz ersatzlos aus dem Code of Conduct streichen. Seit der Einführung der Empfehlungen zuhanden der Branche im Jahr 2007 hiess es dort stets, Anzeigen dürften «durch ihre Gestaltung nicht den Eindruck erwecken, sie seien redaktioneller Bestandteil des Mediums».
Im aktualisierten Kodex ist die Gestaltung nun kein Thema mehr. Stattdessen heisst es nur noch, es müsse für den Medienkonsumenten immer klar erkennbar sein, ob die Inhalte redaktionellen Ursprungs oder kommerziell als Werbefläche platziert und von Dritten bezahlt seien. Und: «Werbemittel müssen klar und erkennbar gekennzeichnet werden. Jede Form von Sponsoring muss deklariert werden.»
Mit Verweis auf diese abgeänderte Verhaltensregel hat die TX Group dem Presserat wiederholt die Zuständigkeit abgesprochen, sich zu Fragen rund um Werbeformen zu äussern. Entgegen der Gepflogenheit haben die beiden Tamedia-Publikationen «Tages-Anzeiger» und «SonntagsZeitung» auch darauf verzichtet, über die Rügen des Presserats zu berichten, die verschleierte Werbung betreffen. Und auch über das jüngste Urteil zur Faktencheck-Anzeige wollte der Verlag nichts publizieren, wie die TX-Rechtskonsulentin dem Presserat noch am vergangenen Donnerstag per Mail mitteilte.
In einem Punkt hat die TX Group recht: Der Presserat ist nicht zuständig für die inhaltliche Beurteilung der Werbung. Aber weil die Richtlinien eine klare Trennung von Werbung und Journalismus vorschreiben, muss er sich auch zur Unterscheidbarkeit von Werbung und Journalismus äussern können – ansonsten wäre der Journalistenkodex eine Farce.
Darüber, dass der Presserat, der auch vom Verlegerverband getragen wird, als Selbstregulierungsinstanz für medienethische Fragen unverzichtbar ist, besteht unter Journalistinnen ein breiter Konsens. Und so verwundert es nicht, dass die Weigerung der TX Group, sich mit der Kritik auseinanderzusetzen, auch die eigenen Journalisten konsterniert. Andrea Fischer, «Tages-Anzeiger»-Redaktorin und Präsidentin der Personalkommission, schreibt auf Anfrage der Republik: «Wir sind natürlich der Ansicht, dass Stellungnahmen des Presserates zu publizieren sind. Denn der Presserat ist eine Beschwerdeinstanz für das Publikum: Dieses soll deshalb auch erfahren, wie der Rat entscheidet.»
Es scheint, als wäre diese Botschaft jetzt endlich angekommen. Trotz der anfänglichen Verweigerungshaltung berichteten die Tamedia-Zeitungen am Samstag doch noch über die Presseratsrüge gegen den eigenen Verlag. Entweder hat sich die Redaktion der Chefetage widersetzt – oder Pietro Supino ist zur späten Einsicht gelangt, dass sein Unternehmen mit der verschleierten Faktencheck-Anzeige endgültig die rote Linie überschritten hat. Es wäre vorbildlich.
Die Beschwerde gegen die verschleierte Faktencheck-Werbung vom 29. Januar 2020 hat Republik-Journalist Elia Blülle eingereicht, der zuvor über diesen Fall berichtet hat. Er sei befangen, behauptete deshalb die TX Group und forderte den Presserat dazu auf, nicht auf die Beschwerde einzutreten. In seiner Stellungnahme vom 26. Juni 2020 kam der Presserat allerdings zum Schluss, dass es für die Beschwerde unerheblich sei, ob der Beschwerdeführer direkt betroffen oder nicht in das Thema involviert sei. «Somit kann auch ein Journalist Beschwerden einreichen und über den Sachverhalt berichten.»
Co-Autor Dennis Bühler ist Mitglied des Presserats, war an allen erwähnten Native-Advertising-Stellungnahmen gegen Tamedia aber nicht beteiligt. Diese wurden von der deutschsprachigen 3. Kammer verabschiedet; Bühler sitzt in der deutsch-italienisch-sprachigen 1. Kammer.