Über Lüge und Beischlaf, dritter Teil
Morden, Rauben oder Stehlen sind offenbar dasselbe – wenn sie professionell betrieben werden. Über die gar nicht harmonische Harmonisierung der Strafrahmen: dritter und letzter Teil.
Von Marcel Alexander Niggli, 27.06.2018
Der erste Teil dieses Beitrags hat sich mit den allgemeinen Unstimmigkeiten der Totalrevision des Besonderen Teiles des Strafgesetzbuches beschäftigt (irreführend «Harmonisierung der Strafrahmen» genannt). Der zweite Teil hat das am Beispiel der sexuellen Handlungen beziehungsweise der Unterscheidung von Beischlaf und beischlafähnlichen Handlungen veranschaulicht. Dieser dritte Teil soll belegen, dass die Unsauberkeit im Vorgehen keineswegs auf politisch gewinnbringende Delikte beschränkt ist, sondern das ganze Projekt durchzieht.
Zwei Beispiele zeigen das sehr anschaulich.
Da ist zum einen die Gewerbsmässigkeit, deren Bestrafung nach den Zielen des Bundesrats vereinheitlicht werden soll. Gewerbsmässige Begehung eines Deliktes führt meist zu einer schärferen Strafe. Gewerbsmässig handelt nach der Praxis des Bundesgerichts, wer aus dem deliktischen Verhalten quasi einen Beruf, ein Gewerbe macht. Das heisst: Er hat das Delikt mehrfach begangen, deckt damit einen erheblichen Teil seiner Lebenshaltungskosten und lässt eine Bereitschaft erkennen, in einer unbestimmten Vielzahl zukünftiger Fälle ebenso zu handeln.
Im Kernstrafrecht (also im Strafgesetzbuch) kann dies verschiedene Delikte betreffen: Diebstahl, Datenbeschädigung, Betrug und betrügerischer Missbrauch einer Datenverarbeitungsanlage, Check- und Kreditkartenmissbrauch, Erpressung, Wucher oder Hehlerei. In all diesen Fällen steigt bei Vorliegen von Gewerbsmässigkeit sowohl die Strafunter- als auch die Strafobergrenze. Die Strafrahmen dieser schärferen Strafen sind aus einsichtigen Gründen nicht überall identisch, sondern orientieren sich an den Strafrahmen der Grunddelikte. Neu aber sollen sie vereinheitlicht werden.
Heute liegt der ordentliche Strafrahmen der meisten betroffenen Delikte bei einer Freiheitsstrafe zwischen 3 Tagen und 5 Jahren beziehungsweise bei einer Geldstrafe zwischen 3 und höchstens 180 Tagessätzen. Das wird bei gewerbsmässigem Handeln zu einer Freiheitsstrafe von bis zu 10 Jahren, wobei die meisten Tatbestände auch die Untergrenze der Geldstrafe auf mindestens 90 Tagessätze anheben. Vereinzelt wird dafür überhaupt keine Möglichkeit einer Geldstrafe vorsehen, so etwa bei Datenbeschädigung, Erpressung und Wucher.
Zukünftig soll sich das wie folgt ändern: Die Strafuntergrenze für all diese Tatbestände wird angehoben und eine Freiheitsstrafe von mindestens 6 Monaten angedroht (die Obergrenze bleibt wie bisher bei 10 Jahren). Die Geldstrafe soll bei gewerbsmässigem Handeln eigentlich entfallen.
Seltsame Folgen
Dieser Pauschalschlag führt zu erstaunlichen Merkwürdigkeiten. Bei einer Datenbeschädigung lautet der Strafrahmen gegenwärtig auf Freiheitsstrafe (3 Tage bis 3 Jahre) oder Geldstrafe, bei grossem Schaden oder gewerbsmässigem Handeln ausschliesslich auf Freiheitsstrafe (von 1 bis 5 Jahren). Das soll sich neu also dahingehend ändern, dass
bei grossem Schaden die Strafuntergrenze von 1 Jahr auf 3 Tage sinkt, die Strafobergrenze bei 5 Jahren bleibt, neu aber die Möglichkeit einer Geldstrafe eingeführt wird, während
bei gewerbsmässigem Handeln neu die Strafuntergrenze der Freiheitsstrafe von 1 Jahr auf 6 Monate sinkt, ohne dass hier eine Geldstrafe eingeführt würde.
Interessanterweise wird dafür Menschenhandel vom Bundesrat überhaupt nicht erwähnt. Diese Norm sieht gegenwärtig eine Freiheitsstrafe (also 3 Tage bis 20 Jahre) oder eine Geldstrafe (3 bis 180 Tagessätze) vor, wobei mit der Freiheitsstrafe immer auch eine Geldstrafe zu verbinden ist. Bei gewerbsmässigem Handeln steigt die Strafuntergrenze von 3 Tagen auf 1 Jahr.
Die heute bestehende Geldstrafe soll zukünftig nicht etwa (wie es für die anderen, erwähnten Delikte geplant ist) gestrichen werden. Es soll nicht einmal eine Mindestuntergrenze von 90 Tagessätzen fixiert werden, wie sie die anderen Delikte gegenwärtig kennen. Nein: Der Menschenhandel (und damit auch dessen Regelung der Gewerbsmässigkeit) wird vom Bundesrat völlig ignoriert. Anders als bei den meisten Delikten dürfen also zukünftig die Gerichte bei gewerbsmässigem Menschenhandel eine Geldstrafe nicht nur weiterhin verhängen, sie müssen das sogar tun.
Ganz ähnlich soll im Nebenstrafrecht (Art. 24 Stammzellenforschungsgesetz) bei gewerbsmässigem Handeln zukünftig weiterhin eine Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren angedroht werden (was dem gegenwärtig häufigsten Mass im Kernstrafrecht entspräche, aber gerade abgeändert werden soll), wobei – anders als die geplante Regelung im Kernstrafrecht – auch keine Untergrenze gelten soll, weshalb das Minimum der Freiheitsstrafe also 3 Tage beträgt. Anders als die geplante Regelung im Kernstrafrecht soll auch die Geldstrafe nicht etwa abgeschafft, sondern vielmehr zwingend mit der Freiheitsstrafe kombiniert werden. Wenn das Vereinheitlichung sein soll, dann ist unklar, wieso überhaupt etwas geändert werden soll. Denn derart «vereinheitlicht» ist das Gesetz auch heute schon.
Gewerbsmässigkeit wird zum Strafgrund
Viel grundsätzlicher aber muss zu denken geben, dass eine Vereinheitlichung der Strafe für gewerbsmässiges Handeln fehlgehen muss: Denn natürlich ist es etwas ganz anderes, wenn jemand gewerbsmässig stiehlt, mordet oder raubt. Soll die Strafe für eine gewerbsmässige Begehung vereinheitlicht werden, so zeigt das nur, dass man die Gewerbsmässigkeit als Strafgrund sieht, nicht das Delikt selbst. Das aber ist alles andere als richtig.
Das zweite Beispiel bieten Gewaltdarstellungen. Gegenwärtig werden alle eindringlichen Darstellungen von grausamen «Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Tiere», die «die elementare Würde des Menschen in schwerer Weise verletzen» mit einer Freiheitsstrafe von bis zu 3 Jahren oder einer Geldstrafe bestraft, sofern sie nicht schutzwürdigen kulturellen Wert haben. (Geheimnisvoll bleibt heute schon, wie Grausamkeiten gegen Tiere die elementare Würde des Menschen verletzten können, aber sei’s drum.) Strafbar sind unter anderem Herstellen, Einführen, Anpreisen, Inverkehrbringen, Zeigen, Überlassen oder Zugänglichmachen. Strafbar ist auch, wenn auch weniger schwer, das blosse Erwerben, Beschaffen oder Besitzen, das heute mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bedroht wird.
Nun soll der Textumfang der Strafbestimmung neu – dem üblichen Trend folgend – massiv erweitert werden auf 150 Prozent seines gegenwärtigen Be-standes, indem der Tatbestand sich an der – selbst völlig missratenen – Strafbestimmung zu Pornografie orientiert. Wie bei dieser Strafbestimmung gilt auch hier: Längere und umfangreichere Bestimmungen sind keineswegs klarer oder deutlicher. Im Gegenteil.
Neu soll nun unterschieden werden zwischen «normaler» Gewaltdarstellung (Freiheitsstrafe bis 3 Jahre oder Geldstrafe) und Darstellungen von «tatsächlichen grausamen Gewalttätigkeiten gegen Minderjährige» (Freiheitsstrafe bis 5 Jahre oder Geldstrafe). Bereits das Abstellen auf «Minderjährige», das von der Pornografie-Bestimmung übernommen wird, stellt eine eigentliche Pervertierung des Schutzgedankens dar, weil sich die genannte Bestimmung den Jugendschutz natürlich nur auf Personen unter 16 bezieht, da ab 16 in der Schweiz jeder selbst über seine Sexualität bestimmen darf.
Die Unterscheidung von nichttatsächlichen und tatsächlichen Darstellungen entstammt der Pornografie-Bestimmung, ist aber bei den Gewaltdarstellungen nicht einsichtiger. Ist der Bundesrat sicher, dass er die Strafbarkeit von Gewaltdarstellungen an derjenigen der Pornografie orientieren will? Hat er je «Mortal Kombat X», «Doom» oder «Sniper Elite» gespielt? Hat er je einen Film der Reihe «Saw» gesehen? Oder irgendeinen Slasher- oder Splatter-Film? Hat er einmal mit seinen Kindern gesprochen? Die könnten ihm vielleicht einiges erklären.
Soll all das wirklich schutzwürdigen kulturellen Wert haben? Und sofern ja, was bleibt denn übrig, das keinen solchen Wert hätte? Denn die einzigen Darstellungen tatsächlicher Gewalt gegenüber Minderjährigen, die einigermassen geläufig sind, werden durch die Minderjährigen selbst hergestellt und als sogenanntes «happy slapping» verbreitet. Sollen diese minderjährigen Täter schwerer bestraft werden, weil ihre Opfer ebenfalls minderjährig sind? (Ganz abgesehen davon, dass für minderjährige Täter das Jugendstrafrecht gilt, das für solche Handlungen eine Obergrenze der Freiheitsstrafe von einem Jahr vorsieht.) Sollen also Täter härter bestraft werden, weil ihre Opfer minderjährig sind, aber milder, weil sie selbst auch minderjährig sind? Ist eine solche Übung wirklich sinnvoll?
Ergänzt wird diese Merkwürdigkeit durch die Einführung der Strafbarkeit des blossen Konsums. Strafbar ist also zukünftig nicht mehr nur – wie bisher – das Beschaffen oder Besitzen, sondern tatsächlich bereits der blosse Konsum. Von den bisher erfassten Formen unterscheidet sich der Konsum darin, dass strafbar auch wird, wer überhaupt nichts besitzt, sondern eben bloss zuschaut.
Ist es wirklich die Meinung des Bundesrates, dass, wer ein Gewaltvideo unverlangt gezeigt bekommt und sich nicht unmittelbar abwendet, mit einer Freiheitsstrafe von bis zu 5 Jahren bestraft werden kann? Innert wie vielen Sekunden muss er entscheiden, ob die Darstellung tatsächlich und nicht fiktiv ist, dass sie die elementare Würde des Menschen verletzt und dass sie künstlerisch nicht schützenswert ist? Wann setzt die Strafbarkeit ein, nach 5, 10, 15 oder 30 Sekunden? Viel Spass den Strafverfolgungsbehörden bei diesen Sachverhaltsermittlungen.
Hauptsache, man zwingt die Gerichte
Passend zu diesem Durcheinander, weil ebenfalls völlig inkonsistent, erscheint schliesslich die Regelung der Bereicherungsabsicht bei Gewaltdarstellungen und Pornografie: Mit einer Freiheitsstrafe nämlich soll zukünftig bei beiden Delikten zwingend eine Geldstrafe verbunden werden, sofern in Bereicherungsabsicht gehandelt wurde. Wer also in der Absicht handelt, sich zu bereichern, dem droht eine Freiheitsstrafe, die zwingend mit einer Geldstrafe verbunden werden muss.
In anderen Tatbeständen gilt das genaue Gegenteil, wie weiter oben ausgeführt: Wer sich nicht nur bereichern will, sondern darüber hinaus aus seinem kriminellen Verhalten sogar einen Beruf macht, wer also gewerbsmässig handelt, bei dem will die Vorlage die Geldstrafe neu zwingend ausschliessen. Einmal zwingend Ja, einmal zwingend Nein.
Hauptsache, man zwingt die Gerichte zu irgendetwas. Das beweist guten Willen und Handlungsbereitschaft. Sei es auch noch so sinnlos und kontraproduktiv.
Illustration Alex Solman