Schweizer Freiwild: Der Whistleblower
Die Europäische Union will Whistleblower besser schützen. Und die Schweiz? Hinkt hinterher. Wer hierzulande Missstände öffentlich macht, in der Firma oder in der Behörde, riskiert ernste Konsequenzen. Ein fiktives Interview.
Von Sylke Gruhnwald, 24.04.2018
Vorbemerkung: Regelmässig gehen bei uns E-Mails oder Telefonanrufe ein von Leuten, die auf Korruption hinweisen, auf Steuerhinterziehung oder Machtmissbrauch. Wir antworten dann. Und haben die Fragen und Antworten – beide echt – hier zu einem Interview montiert.
Guten Abend, Republikaner! Ich habe brisantes Material für euch. Interessiert?
Guten Abend, werte Dame, werter Herr, merci für Ihre Nachricht. Gerne möchten wir mit Ihnen Kontakt aufnehmen. Um was geht es?
Bevor ich Ihnen den grössten Skandal Ihrer Karriere auf den Tisch lege: Garantieren Sie mir Anonymität?
Wir versprechen, Sie bestmöglich zu schützen. Bitte verschlüsseln Sie Ihre E-Mail, benutzen Sie den verschlüsselten Messenger Signal, oder lassen Sie uns an einem neutralen Ort treffen. Wichtig ist, dass Sie wissen: Die grösste Gefahr für Whistleblower sind meist die Whistleblower selbst.
Was meinen Sie damit?
Viele Whistleblower machen den Fehler, dass sie sich nicht nur vertraulich an eine Journalistin wenden. Sondern sie erzählen herum, im Job oder im Freundeskreis, was sie anprangern wollen. Das ist riskant. Deshalb sind die obersten Gebote Verschwiegenheit und Vorsicht. Hilft Ihnen das weiter? Bitte fragen Sie jederzeit nach.
Schützen Sie mich als Person?
Ja, wir schützen unsere Informanten, auch vor Gericht. Journalistinnen können – ähnlich wie Pfarrer, Ärzte und Anwälte – von einem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen. Redaktionsräume dürfen nicht ohne weiteres durchsucht werden. Wir geben keine Informationen, Festplatten oder Dokumente an Dritte weiter. Veröffentlichen wir die Recherche, arbeiten wir so, dass möglichst keine Rückschlüsse auf den Informanten möglich sind.
Gibt es in der Schweiz einen offiziellen Status als Whistleblower, der mich vor Strafen schützt?
Nein. Ein solches Gesetz gibt es noch nicht. Die Schweiz tut sich schwer mit Whistleblowern, seit 15 Jahren dümpeln gesetzliche Vorstösse durch Bundesbern.
Was heisst das für mich?
Wenn Sie illegale Machenschaften anprangern und ertappt werden, droht Ihnen die Entlassung – selbst dann, wenn sich die Hinweise auf Straftaten als korrekt herausstellen. Auch können Sie strafrechtlich belangt werden. Wieder: Egal ob die Vorwürfe wahr sind oder nicht.
Die OECD hat Ende März einen Bericht veröffentlicht. Darin wird die Schweiz explizit dafür kritisiert, dass sie keinen ausreichenden Whistleblower-Schutz in Gesetzen verankert hat.
Anders in der EU. Wir haben letzte Woche die entsprechende Gesetzesvorlage aus Brüssel zugespielt bekommen, am gestrigen Montag wurde sie vorgestellt: Die EU-Kommission will Informanten, die mit ihren Hinweisen Enthüllungen wie die Panama Papers an die Öffentlichkeit bringen, künftig EU-weit schützen. Ganz gleich, ob sie aus Eigennutz handeln oder aus Zivilcourage. Oder, wie es Sven Giegold sagt, finanzpolitischer Sprecher der Grünen im EU-Parlament: «Eine Gesinnungsprüfung ist – zum Glück – nicht vorgesehen.»
Dürfen wir fragen, wo Sie wohnen?
In der Schweiz. Und ich will endlich auspacken.
Dann packen Sie aus – aber seien Sie vorsichtig. Wenn Sie den offiziellen Weg beschreiten wollen, müssen Sie derzeit ein dreistufiges Vorgehen einhalten:
Zuerst müssen Sie Ihren Arbeitgeber über den Missstand informieren.
Erst dann können Sie sich an eine Behörde wenden, zum Beispiel eine Staatsanwaltschaft informieren.
An Journalisten dürfen Sie sich nur dann wenden, wenn ein «überwiegendes öffentliches Interesse» besteht.
Aber dann wissen meine Vorgesetzten ja, wer da Missstände anprangert. Eben. Sie sagen es.
Wenn Sie mich fragen: Es wäre viel getan, wenn man Whistleblower nicht mehr bestrafen würde.
Das sehen wir auch so. 2015 haben Nationalrat und Ständerat die Vorlage zum Schutz von Arbeitnehmern, die auf Missstände hinweisen, ohne grosse Diskussion an den Bundesrat zurückgewiesen. Mit der Massgabe: Das Gesetz solle «verständlicher und einfacher» formuliert werden.
Nun soll der Bundesrat – noch im ersten Halbjahr 2018 – eine ergänzende Botschaft vorlegen, die dann wieder in die Parlamentsmühle kommt.
Ausserdem hat die Kommission für Rechtsfragen am 25. Januar 2018 auf einen parlamentarischen Vorstoss des damaligen FDP-Nationalrats Filippo Leutenegger reagiert. Er verlangt Straflosigkeit für Whistleblower bei «berechtigten öffentlichen Interessen». Er setzt also beim Strafgesetzbuch an. Die Kommission hat für eine Antwort Verlängerung bis 2020 verlangt.
Da läuft doch was gehörig schief. Es geht um einen Millionenbetrug, ich decke das auf, und der Richter bestraft mich?
Ein Richter kann nicht einfach von einer Strafe absehen, wenn Sie das Amtsgeheimnis verletzt haben. Deshalb braucht es einen Whistleblower-Schutz, der gesetzlich verankert ist.
Aber nicht nur Richter strafen, auch die Gesellschaft straft ab.
Das ist leider wahr. Dabei ist die Gesellschaft auf Whistleblower angewiesen. Ohne Edward Snowden wüssten wir nicht, wie uns die NSA ausspioniert. Ohne Julia und Witali Stepanow wüssten wir nicht, dass Russland systematisch seine Sportler dopt. Ohne einen deutschen Bankangestellten wüssten wir weniger über den wohl grössten Steuerbetrug aller Zeiten. Und, aktuelles Beispiel von heute: Ohne Adam Quadroni wüssten wir nichts vom Baukartell in Graubünden.
Der Umgang mit Whistleblowern ist scheinheilig. Sie werden als lebenswichtig für demokratische Gesellschaften angesehen, aber es gibt kaum Gesetze, um sie zu schützen. Oft verlieren sie alles. Sie werden eingeschüchtert, bedroht, verklagt, eingesperrt, geächtet. Im schlimmsten Fall müssen Sie fliehen, sich verstecken, um sich zu schützen. Wir lieben den Verrat – und hassen den Verräter.
Deshalb muss Whistleblowern der Gang an die Medien – unter Schutz – möglich sein. Dafür braucht es ein Gesetz. Und dann ändert sich auch die Wahrnehmung von Whistleblowerinnen in der Gesellschaft. Dann malen wir nicht mehr schwarzweiss, unterscheiden bei Hinweisgebern nicht mehr zwischen Helden und Verrätern.
Ich sollte belohnt werden dafür, dass ich Ihnen Informationen gebe!
Wir bei der Republik bezahlen nie für Informationen, die uns zugespielt werden.
Wo sind Sie angestellt? Beim Bund, einem Kanton oder einer Firma?
Was macht das für einen Unterschied? Wenn es kein Gesetz gibt, das mich schützt?
Der Bund, manche Kantone und grosse Unternehmen sind der Schweizer Gesetzgebung voraus. Sie haben sich selbst verpflichtet, «ordentlich» mit Whistleblowern umzugehen. Was immer das heisst. Und vor allem für grosse Konzerne gehören interne Meldesysteme inzwischen zum Standard, etwa bei ABB, Novartis oder Nestlé.
Übrigens: Solche internen Kanäle funktionieren. Gemäss einer Studie der HTW Chur komme es weder zu einer Schwemme von unbrauchbaren Meldungen, noch werde massenhaft denunziert.
Noch einmal die Frage: Wo arbeiten Sie? Beim Bund, bei einem Kanton oder einer Firma?
Ich bin Angestellter in einem Bundesdepartement.
Die Bundesverwaltung und bundesnahe Unternehmen – wie SBB, Post und Ruag – sind deutlich weiter als der Gesetzgeber punkto Whistleblower-Schutz in der Wirtschaft. Für die Bundesverwaltung betreibt die Eidgenössische Finanzkontrolle eine Whistleblowing-Plattform. Betreut wird sie von Eric-Serge Jeannet. Er sagt: «Alle Hinweise sind ein wertvoller Beitrag» – um die Verschwendung von Steuergeldern und Reputationsschäden zu vermeiden. Erreicht sie ein Hinweis, dann nimmt die Eidgenössische Finanzkontrolle Ermittlungen auf, wobei «wir selten sagen, dass uns ein Whistleblower informiert hat». Für die Meldung genügt ein begründeter Verdacht, Beweise braucht es nicht. Und Nachteile hat ein Whistleblower nicht zu befürchten. Im Bundespersonalgesetz heisst es: «Wer in guten Treuen eine Anzeige oder Meldung erstattet oder wer als Zeuge oder Zeugin ausgesagt hat, darf deswegen nicht in seiner beruflichen Stellung benachteiligt werden. Namentlich darf ihm deswegen nicht gekündigt werden.»
Liebe Republik, was würden Sie mir raten? Soll ich Ihnen die brisanten Informationen zukommen lassen?
Die Entscheidung können wir Ihnen nicht abnehmen. Wir dürfen Sie nicht anstiften – sonst machen wir uns strafbar.
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Illustration Friederike Hantel