Insel des Schweigens
Die Ermordung der maltesischen Journalistin Daphne Caruana Galizia löste Empörung aus. Trotz internationaler Ermittlungen ist der Fall bis heute ungeklärt. Was ist auf Malta los? Republik-Reporter stossen auf etliche Mordmotive, seltsame Zufälle – und Verbindungen in die Schweiz. «Mord auf Malta», Teil eins.
Von Nina Fargahi, Sylke Gruhnwald, Ariel Hauptmeier, Tim Röhn (Text) und Pietro Masturzo (Bilder), 09.04.2018
Wer hat Daphne Caruana Galizia ermordet?
Auf den ersten Blick scheint der Fall so gut wie geklärt: Im Dezember 2017, zwei Monate nach dem Mord, werden drei mutmassliche Bombenleger gefasst.
Doch selbst die Polizei glaubt nicht, dass diese ohne Auftrag handelten. Bei der Frage nach dem Motiv und den Hintermännern haben sich in den letzten Monaten die Ereignisse überschlagen.
Das letzte Mal vor weniger als zwei Wochen. Ende März werden innert weniger Stunden auf zwei Kontinenten zwei Personen verhaftet: in den USA ein iranischer Bankier, in Athen eine russische Whistleblowerin. Beiden war seit Monaten auch ein Team der Republik auf den Spuren. Denn sowohl der Bankier wie die Whistleblowerin sind die Schlüsselfiguren in der letzten, grossen Story der ermordeten Journalistin. Die Whistleblowerin war ihre Informantin, der Bankier ihr Feind.
Zudem führen Verbindungen auch in die Schweiz. Vergangene Woche veröffentlicht das maltesische Nachrichtenportal «The Shift News» in Zusammenarbeit mit der Republik, dass zwischen der Bank des verhafteten iranischen Bankiers und der auf Pässe spezialisierten Kanzlei Henley & Partners eine Verbindung besteht.
A collaboration between The Shift News and Swiss portal @RepublikMagazin reveals links between Pilatus Bank and Henley&Partners theshiftnews.com/2018/04/05/swiss-connections-pilatus-bank-and-henley-partners
Es ist nur eine von vielen verwickelten Spuren, die teils zusammenhängen, teils nicht. Denn die Geschichte Daphne Caruana Galizias ist mehr als nur die Geschichte einer ermordeten Journalistin. Es ist die Geschichte einer Insel – von Malta, auf der jeder jeden kennt. Und die in den letzten Jahren in Schnellzugtempo umgebaut wurde: vom Feriendomizil am Rande Europas zu einer der zentralen Drehscheiben für Steuerflucht und Schwarzgeld.
Der Auftakt zur dreiteiligen Serie «Mord auf Malta» erzählt die Geschichte eines Mordes. Und was Geld, Tricks, Korruption bei den Bewohnern eines kleinen Landes anrichten.
1. Ali Sadr
Vor fast einem Jahr, am 20. April 2017, um exakt 19.59 Uhr, veröffentlicht Daphne Caruana Galizia auf ihrem Blog einen Text, der lauter knallt als alle vorherigen. «Treuhanderklärungen im Pilatus-Bank-Tresor», lautet die Überschrift. Seit Jahren berichtet sie über Korruption und Geldwäsche auf Malta, nun deutet sie an, dass die Ehefrau des Premierministers eine Million Dollar Schwarzgeld aus Aserbaidschan erhalten habe. Eine Whistleblowerin aus der Pilatus-Bank habe ihr zwei Treuhanderklärungen zugespielt.
Sofort springt Maltas Presse auf die Meldung an, noch am gleichen Abend tritt Premierminister Joseph Muscat vor die Kameras, ein Mann mit jugendlich rundem Gesicht trotz beginnender Glatze. Und Muscat sagt überdeutlich, mit unbewegter Miene, so, wie er immer spricht: «Das ist die grösste Lüge, die jemals in diesem Land erzählt worden ist.»
Kurz darauf erhalten Journalisten einen Tipp: In der Pilatus-Bank brenne noch Licht. Ein Reporterteam der Nachrichtenagentur Net News fährt hin und postiert sich vor der Tür. Und tatsächlich: Sie sehen, wie ein Mann und eine Frau das Gebäude durch den Hinterausgang verlassen. Die Frau trägt ein dunkles Business-Kostüm, der Mann Jeans und einen dunkelblauen Blouson. In den Händen hält er eine braune Reisetasche und eine schwarze Aktentasche.
Mord auf Malta
Am 16. Oktober 2017 wurde die maltesische Journalistin Daphne Caruana Galizia ermordet: Eine Autobombe hatte ihren Wagen in Stücke gerissen. Gemeinsam mit «The Shift News» will die Republik den Fall aufarbeiten. Was als Spurensuche auf einer Mittelmeerinsel begann, mündete in einer länderumspannenden Kriminalgeschichte, die wir in drei Teilen erzählen.
Schnellen Schrittes gehen die beiden die Strasse hinunter. Das Kamerateam verfolgt sie. Der Reporter redet minutenlang auf die beiden ein und stellt ihnen auf Maltesisch Fragen. Einmal bleibt der Mann kurz stehen und verwandelt eine der beiden Taschen in einen Trolley. Auf einem Parkplatz am Meer steht ihr Wagen, ein blauer VW Beetle. Die Frau öffnet den Kofferraum, der Mann verstaut die Taschen. Erst jetzt wendet er sich an den Reporter.
Auf Englisch sagt er: «Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden. Es wäre besser, Sie würden Englisch lernen.»
Darauf der Journalist auf Englisch: «Sind Sie ein Angestellter der Pilatus-Bank? Was machen Sie hier so spät in der Nacht?»
Der Mann sagt: «Ich komme gerade vom Flughafen.» Dann steigt er ins Auto, schlägt die Tür zu, die Frau startet den Wagen.
Der Mann ist der Gründer der Pilatus-Bank: Ali Sadr Hasheminejad, mal 1971, mal 1980 geboren, die Angaben schwanken. Er ist der Sohn eines iranischen Milliardärs und dürfte wegen der internationalen Sanktionen eigentlich keine Geldgeschäfte in Europa tätigen. Doch er hat einen zweiten Pass. Von einem Steuerparadies in der Karibik, vermittelt von einem Schweizer Passhändler – aber dazu später mehr.
Einige Stunden nach der Szene am Sitz der Pilatus-Bank, kurz vor vier Uhr nachts, hebt auf Malta ein Privatjet ab. Er trägt die Registrierungsnummer 9H-ILZ und nimmt Kurs auf Baku, die Hauptstadt Aserbaidschans. Von dort aus fliegt die Bombardier Challenger 850 einige Stunden später weiter nach Dubai. Maltesische Journalisten tracken den Flug und publizieren die Flugrouten.
Auf Malta wird Bankdirektor Ali Sadr um die Mittagszeit vor dem Hotel Intercontinental erneut von Reportern abgefangen. Und erneut fragen sie ihn, was er zu nächtlicher Stunde in der Bank gemacht habe. Wieder weicht er aus und verweist auf eine Pressemitteilung der Bank. Darin heisst es knapp: In der Nacht seien «keine Dokumente entwendet» worden. Und weiter: Medienberichte hätten «die Integrität der Bank, ihre Reputation, ihren guten Namen sowie den guten Namen ihres Vorsitzenden persönlich» beschädigt.
Wochenlang sorgt der Skandal um das vermeintliche Schwarzgeldkonto der First Lady für Schlagzeilen. Doch Premierminister Joseph Muscat lächelt alle Vorwürfe mit versteinerter Mimik weg. Er kündigt eine grosse Untersuchung an, die so nie stattfinden wird. Stattdessen setzt Muscat Neuwahlen an.
Es ist ein cleverer Schachzug. Seit Muscat an der Macht ist, boomt die Wirtschaft, den Wählern geht es jedes Jahr besser. Der Premierminister verspricht den Maltesern höhere Renten, glattere Strassen, mehr Feiertage – und schafft die Wiederwahl.
Am 8. Mai 2017, zwei Wochen nach Erscheinen des Artikels von Daphne Caruana Galizia, verklagen die Anwälte der Pilatus-Bank die Bloggerin. Eingereicht wird die Klage in Arizona. Offiziell, weil dort der Provider ihres Blogs steht, tatsächlich wohl, weil in den USA Geldbussen ungleich höher sein können als in Europa. Seit Jahren wird Caruana Galizia mit Klagen überzogen, dieses Mal soll die Strafe vernichtend ausfallen: Auf 40 Millionen US-Dollar beziffern die Pilatus-Anwälte den Reputationsschaden durch ihren Artikel.
Am 17. Oktober 2017 zieht die Bank die Klage zurück.
Am Tag zuvor ist Daphne Caruana Galizia getötet worden. Um drei Uhr nachmittags zerreisst eine Autobombe ihren Mietwagen. Die umstrittenste, lauteste, unerbittlichste Stimme des kleinen Landes ist verstummt.
Der internationale Aufschrei ist riesig. Papst Franziskus betet für die Angehörigen. Wikileaks-Gründer Julian Assange setzt 20’000 Euro Kopfgeld auf die Täter aus. EU-Ratspräsident Donald Tusk kniet an ihrem Grab.
Maltas Polizei erhält Unterstützung von Ermittlern aus Finnland, den Niederlanden, den USA, von Europol. Nicht lange, da haben die Fahnder aus Handydaten Bewegungsprofile erstellt – und sind den Tätern auf der Spur.
Im Morgengrauen des 4. Dezembers rücken Spezialkräfte von Polizei, Militär und Geheimdienst aus; über Valletta kreist ein Helikopter. Zehn Männer werden an diesem Tag festgenommen, drei bleiben in Haft. Es sind schwere Jungs. Einer von ihnen hatte mal Streit mit einem Komplizen, der flog per Autobombe in die Luft; der Täter wurde nie ermittelt. Einem wurde dreimal in den Hals geschossen, er lieferte sich selbst ins Krankenhaus ein, später wurde der Schütze hingerichtet, als er Freigang hatte, der Täter wurde nie ermittelt. Nun sollen diese drei Männer eine Bombe unter Caruana Galizias Fahrersitz deponiert haben. Einer von ihnen zündete sie vom Hafen aus per SMS. Danach schrieb er eine zweite SMS an seine Frau: «Open a bottle of wine for me, baby.»
Premierminister Muscat verkündet im Fernsehen die Festnahme der drei Männer. Seither sitzen sie in Haft. Und schweigen. Und alle Welt fragt sich: Wer waren die Hintermänner? Warum wurden sie, fast ein halbes Jahr nach dem Mord, noch immer nicht gefasst?
Da läuft am 20. März 2018 folgende Meldung über den Ticker: Ali Sadr, der Gründer der Pilatus-Bank, ist im US-Bundesstaat Virginia verhaftet worden. Der Vorwurf: Er habe insgesamt 115 Millionen US-Dollar von Venezuela in den Iran geschleust, über eine amerikanische und drei Schweizer Banken, und damit die Sanktionen gegen Teheran verletzt. Die Anklage lautet unter anderem auf Geldwäsche und Betrug. Rechnet man alle Vorwürfe zusammen, drohen Ali Sadr 125 Jahre Haft.
Es ist ein Fall, in dem die Staatsanwaltschaft im New Yorker Stadtteil Manhattan seit Jahren ermittelt. Ali Sadr schien sich nicht zu sorgen. Er wirkte nicht so, als müsse er sich vor den amerikanischen Behörden verstecken. Warum wurde er jetzt verhaftet?
Vielleicht ist das alles ja tatsächlich ein einziger, grosser Zufall. Dass ein Bankdirektor seine Bank ausgerechnet in jener Nacht aufsucht, in der eine Journalistin publik macht, dass im Banksafe brisante Treuhanderklärungen liegen. Dass nur Stunden später ein Privatjet Richtung Baku, Aserbaidschan, abhebt. Dass ein halbes Jahr nach Muscats erstem Wahlsieg auf Malta ein Iraner auf der Insel eine Bank eröffnet – hauptsächlich für Kunden aus Aserbaidschan. Und dass der Bankdirektor jetzt verhaftet wurde.
Seit drei Monaten recherchiert ein Team der Republik im Mordfall Daphne Caruana Galizia. Nein, auch wir haben die Mörder nicht gefunden. Aber wir können Ihnen einen Krimi erzählen. Er spielt auf einer kleinen Insel am Rande Europas, auf der sich zwei Clans bekriegen, Bombenleger frei herumlaufen, die Polizei unfähig ist und die Regierung korrupt.
Malta ist ein Mafia-Staat, schrieb Daphne Caruana Galizia. Das war nicht fern der Wahrheit.
2. Maria Efimowa
Wenige Stunden, bevor Bankdirektor Ali Sadr in den USA verhaftet wird, betritt eine Frau mit langen blonden Haaren ein Polizeirevier im Zentrum von Athen, unweit des griechischen Parlaments. Sie heisst Maria Efimowa, hat einen russischen Pass und wird mit europäischem Haftbefehl gesucht. Sie kommt allein, ohne Anwalt. Ein griechischer Europaabgeordneter, den sie später anruft, wird weitergeben, was sie ihm gesagt hat: Sie stelle sich der Polizei, weil sie «um ihr Leben fürchtet», auch ihr Vater in Moskau werde bedroht. Efimowas Ehemann ruft den Abgeordneten ebenfalls an: Seine Frau sei «terrorisiert worden, sie hatte Angst, sie würde sterben».
Maria Efimowa ist auf Malta eine Berühmtheit: Sie ist die Whistleblowerin aus der Pilatus-Bank. Sie war es, die Daphne Caruana Galizia mit den brisanten Dokumenten versorgt haben will. Jenen Treuhanderklärungen, die belegen sollen, dass die First Lady Begünstigte der Briefkastenfirma Egrant ist, an die rund eine Million Dollar aus Aserbaidschan überwiesen wurden.
Was die Whistleblowerin erzählt, ist verblüffend plausibel: Ende 2014 hat sich Premierminister Muscat mit seinen Ministern in aller Stille nach Aserbaidschan aufgemacht, ohne Fachbeamte oder Journalisten. Dort haben sie einen Energiedeal unterzeichnet. Zwei Monate später erlässt Muscat einen neuen Ethikkodex, der die Regierenden davon entbindet, das Vermögen ihrer Ehegatten offenzulegen. Und dann die mögliche Zahlung zugunsten seiner Frau. War sie der Dank für einen guten Deal?
Maria Efimowas Geschichte – so, wie sie sie erzählt, die Bank bestreitet so gut wie jede Einzelheit davon – beginnt am 15. Januar 2016. Da heuert sie bei der Pilatus-Bank an, als Assistentin von Ali Sadr. Pilatus ist ein kleines Institut mit einer Bilanz von 300 Millionen Euro. Anfangs hat Efimowa noch keine Arbeitserlaubnis auf Malta, ihre Vorgesetzten halten ihren Lohn zurück.
Efimowa merkt mit jedem Tag mehr, dass in der Bank ziemlich viel faul ist. Sie muss Bargeld in Briefumschlägen in Luxushotels abgeben, sieht, dass bei Kontoeröffnungen Unterschriften fehlen, wundert sich über die grosse Zahl an Konten von Aserbaidschanern.
Im März 2016 – noch immer hat Efimowa kein Gehalt bekommen – wird die Bank von der FIAU überprüft, der Finanzermittlungsbehörde Maltas. Efimowa erlebt, wie man den Ermittlern Dokumente vorenthält. Sie wird angewiesen, Dossiers zu manipulieren, und fürchtet, zum Sündenbock für Unregelmässigkeiten gemacht zu werden.
Da fordert die Chefjuristin der Bank sie eines Tages auf, aus einem Tresor Unterlagen zu holen. Der hatte zuvor im Büro von Ali Sadr gestanden, dann hat man ihn in die Küche gerückt, weil es dort keine Videoüberwachung gibt. Efimowa öffnet den Tresor, blättert durch einige Aktenordner – und sieht den Namen Muscat, im Zusammenhang mit einer Firma namens Egrant.
Sie beschliesst, die Papiere aus dem Safe zu nehmen und zu scannen. Als eine Art Versicherungspolice. «Ich wusste, dass ich etwas in der Hand haben will», sagt sie.
Nach zwei Monaten wird Efimowa fristlos gekündigt – ihrer Darstellung nach, weil sie zu oft auf Unregelmässigkeiten hingewiesen habe. Man verklagt einander: Sie, um endlich ihr Gehalt zu bekommen, die Bank, weil sie angeblich rund 2000 Euro unterschlagen habe. Einen ganzen Tag lang verhört die Polizei sie und nimmt ihr den Reisepass ab.
Efimowa ist wütend. Inzwischen wurden die «Panama Papers» veröffentlicht, darin taucht der Name Egrant auf, der Eigentümer bleibt anonym.
Efimowa glaubt ihn zu kennen. Im Oktober 2016 schreibt sie eine E-Mail an Daphne Caruana Galizia. Erst im Februar antwortet Caruana Galizia, im März treffen sich die beiden – wobei ihr die Journalistin sagt, von den Treuhanderklärungen bereits aus anderer Quelle zu wissen. Damit hat Caruana Galizia, noch immer laut Efimowa, zwei Quellen – und damit auch die Voraussetzung für die Publikation der Recherchen.
Am 20. April 2017 veröffentlicht Daphne Caruana Galizia ihre Story: dass Michelle Muscat die Besitzerin von Egrant sei und über die Firma 1,017 Millionen US-Dollar aus Aserbaidschan erhalten habe.
Bald darauf verrät jemand Maria Efimowas Namen an eine Zeitung. Sie ist enttarnt, erhält Drohungen, fürchtet um ihre Sicherheit – und flieht im Sommer 2017 aus Malta. Zuletzt lebte die Familie auf Kreta, der Heimat ihres Mannes. Und in Griechenland haben wir sie vor einigen Wochen per Skype erreicht. Dazu später mehr.
3. Joseph Muscat
Montag, 11. März 2013, Zehntausende sind auf den Beinen. In der Auberge de Castille, dem Präsidentenpalast in der Altstadt von Valletta, wird an diesem verregneten Morgen der neue Premierminister vereidigt. Die Labour-Partei hat die Wahl mit 55 Prozent der Stimmen gewonnen. Der erste Regierungswechsel seit 15 Jahren.
Malta ist eine gespaltene Gesellschaft – und stockkonservativ. Noch 1940 verbot der Erzbischof von Valletta, Labour-Politiker auf Gottesäckern zu bestatten. Zum Jahrtausendwechsel war Malta eines von weltweit drei Ländern, in denen man sich nicht scheiden lassen durfte. Und nun wird ein 39 Jahre junger Premierminister vereidigt, der für die Homo-Ehe eintritt. Aufbruch und Versöhnung verspricht Joseph Muscat an seinem ersten Tag. Und einen neuen Stil von Politik. Er sagt: «Für alle geht die Sonne auf.»
Und wirklich, der Mann hält Wort. Schon bald steigen Löhne und Renten, sinkt die Arbeitslosigkeit, boomt die Bauwirtschaft, überholt der Finanzplatz Malta den Finanzplatz Zypern. Nicht lange, da wächst die Wirtschaft in Malta doppelt so schnell wie im Rest der EU. Der Staat erwirtschaftet Überschüsse.
Doch das Wirtschaftswunder hat einen Preis.
Seit 2004, seit dem EU-Beitritt, gilt Malta als das schwarze Loch Europas. Wer Steuern «optimieren» oder Geld verstecken möchte, fährt immer seltener in die Schweiz, nach Liechtenstein oder Luxemburg, sondern eröffnet ein Büro in der maltesischen Stadt St. Julians. Nur knapp sechs Prozent Ertragssteuer müssen Unternehmen in Malta zahlen. Rund 5000 Firmen lassen sich seitdem pro Jahr auf der Insel nieder.
Das Prozedere ist unbürokratisch: ein Büro mieten, eine einheimische Sekretärin anstellen, einige Formulare ausfüllen, fertig ist die Tochterfirma eines börsenkotierten Konzerns.
Die Tochterfirma kann nun hohe Rechnungen schreiben, für allerlei Leistungen. Etwa für die Nutzung von Lizenzen. Und schon sinkt die Steuerlast im Heimatland der Mutterfirma. Mehr als 70’000 Firmen und 580 Investmentfonds geben inzwischen an, sie operierten von Malta aus. Geschätzte 250 Millionen Euro Steuern pro Jahr kassiert die Insel über die Briefkastenfirmen – während im Rest der EU so rund anderthalb Milliarden Euro an Steuern flöten gehen.
Ein weiterer Missstand ist die lasche Bankenaufsicht. Dass ausgerechnet der oberste Chef der Regulierungsbehörde MFSA zugleich Partner eines Investmentfonds auf den Cayman-Islands sein soll? Das zeigt zumindest Kundennähe.
In Malta haben solche Offshore-Geschäfte durchaus Tradition. Doch nach seinem Wahlsieg zündet Premierminister Muscat den Turbo. Er kurbelt die Glücksspielindustrie an, eine ideale Branche, um Geld zu waschen. Er beginnt, Pässe an Superreiche zu verkaufen. Er toleriert Korruption. Unter Muscat verwandelt sich Malta vollends in das «Panama Europas». So nennt es der Finanzminister eines deutschen Bundeslandes.
Ausgerechnet ein Sozialdemokrat macht die Insel zu einem Paradies für Trickser. Muscats radikal antimoralische Politik ist zwar lukrativ, hat aber Nebenwirkungen: Die Steuermoral auf Malta sinkt. Und damit die Moral an und für sich. Nicht zuletzt in der Auberge de Castille, dem Präsidentenpalast in der Altstadt von Valletta.
Da ist dieser merkwürdige Energie-Deal mit Aserbaidschan.
Da ist die Enthüllung in den «Panama Papers» 2016, dass zwei amtierende Minister Briefkastenfirmen besitzen – einzigartig in der EU. Die beiden haben sie vier Monate nach ihrer Amtseinführung aufgesetzt, zeitgleich mit der mysteriösen Offshore-Firma Egrant – deren Eigentümer so geheim ist, dass es darüber nicht einmal bei der panamaischen Kanzlei Mossack Fonseca Unterlagen gibt. Nur über Skype identifiziert sich der Eigentümer. Oder die Eigentümerin.
Einer der beiden Minister mit Offshore-Konto heisst Keith Schembri. Er ist Kabinettschef und – wie es heisst – Muscats Mann fürs Grobe. Er erinnert an den jungen Anthony Hopkins: spitz zulaufendes Kinn, dunkle, nach hinten gegelte Haare. Schembri steht im Zentrum etlicher Skandale. Er hat offenbar nachgeholfen, dass die Pilatus-Bank rasch ihre Lizenz erhalten hat. Er wird beschuldigt, illegale Provisionen aus dem Passhandel kassiert zu haben – über ein Konto bei Pilatus.
Premier Muscat sieht in Offshore-Konten kein Problem. Schembri ist bis heute im Amt.
Und dann der grösste aller Skandale, der Skandal, bei dem die Welt auf Malta blickt: Am 16. Oktober 2017 wird Daphne Caruana Galizia ermordet. Muscat kündigte zwar eine rücksichtslose Aufklärung an, aber mit der Verhaftung der mutmasslichen Bombenleger ist der Fall für ihn erledigt. Im Gegensatz zur Slowakei. Dort traten nach dem Mord an dem Investigativjournalisten Ján Kuciak nach Massenprotesten innert weniger Wochen der Kulturminister, der Innenminister und der Premierminister zurück.
Nicht so auf Malta. Da ist es bald wieder still, auch auf der Strasse. Und der Premierminister bleibt im Amt.
4. Christian Kälin
Niemand hat je erzählt, wie es anfing. Wer die Idee hatte. Waren es die Politiker – oder die Passhändler? Ist Premierminister Muscat eines Tages aufgefallen, dass sein kleines Land absurd viel Geld verdienen kann, wenn es maltesische Pässe an Superreiche verkauft? Welche Rolle spielt dabei die Kanzlei Henley & Partners und deren Verwaltungsratspräsident, der Zürcher Jurist Christian Kälin?
Wie erwähnt: Man weiss es nicht, weil niemand redet.
Fest steht nur: Kaum ein halbes Jahr im Amt, peitscht Muscats Regierung ein Gesetz durchs Parlament, das den Handel mit Pässen erlaubt. Im November 2013 wird es mit 37 zu 30 Stimmen verabschiedet. «Ein schwarzer Tag für die Demokratie», sagt der Oppositionsführer, Leserbriefschreiber schimpfen, dass sich Malta nun für russische Geschäftsleute prostituiere. Und die Insel zu einem «Magneten für die Mafia» werde.
Auch in Brüssel ist man nicht glücklich. «Eine Staatsbürgerschaft sollte nicht verkauft werden», kritisiert die damalige EU-Justizkommissarin Viviane Reding. «Staatsbürgerschaft gegen Geld ist zynisch», kommentiert man in Berlin. Doch wie so oft schert man sich in Malta nicht übermässig darum. Sollen doch die EU-Delegationen nach Malta fliegen. Sanktionen werden ohnehin nicht verhängt.
Henley & Partners, Marktführer im weltweiten Passhandel, gewinnt Maltas Ausschreibung für das Geschäft und kann loslegen. Die Spielregeln: Wer 650’000 Euro in einen Staatsfonds einzahlt, 350’000 Euro in eine Immobilie und 150’000 Euro in Staatsanleihen investiert, einen Eid auf die Verfassung schwört und – in der Theorie – ein Jahr auf der Insel lebt, darf Malteser werden. Inklusive Wahlrecht, freier Bewegung im Schengen-Raum, ungehinderten Zugangs zu Europas Bankensystem sowie Visumsfreiheit in 168 Ländern.
Im Jahr 2016 werden unter anderem eingebürgert: Roman Ewgeniewitsch Truschew, Chef der russischen Ölfirma Petroneft, Sheikh Ibrahim Waleed Al Ibrahim, Milliardär und Medienmogul aus Saudiarabien, Alexander Natanowitsch Nesis, gemäss «Forbes» einer der tausend reichsten Menschen der Welt, ein ehemaliger philippinischer Verteidigungsminister, ein pakistanischer Mogul. Und auch: Boris Mints und Arkadi Wolosch, zwei Russen, die später auf einer Sanktionsliste der USA für russische Industrielle auftauchen. Die EU-Kommission hatte verlangt, dass Malta höchstens 1800 Pässe verkauft. Doch darüber setzt sich die Insel hinweg. Mit den Pässen fliessen Milliarden. In den Staatshaushalt, die Baubranche, die Banken.
Auch die Firma Henley & Partners kassiert: Pro verkauften Pass rund 70’000 Euro Provision von den Neubürgern und dann nochmals 4 Prozent Provision von der Regierung. In der Öffentlichkeit lobt Christian Kälin das unerbittliche Screening der Kandidaten. Es sei das weltweit strengste, bis zurück in die Schulzeit überprüfe man die Antragsteller. Aber auch Vorbestrafte bekommen den EU-Pass – solange «der Antragsteller aufgrund besonderer Umstände noch infrage kommt». Was immer das heisst.
Christian Kälin ist ein schlanker Mann mit dünnem Lächeln. Seine gewellten Haare tendieren ins Grau. Wie viele Pässe er persönlich hat, sagt er nicht. Dafür erzählt er, er sei ständig unterwegs, bis zu drei Monate im Jahr verbringe er in der Karibik, dort hat seine Firma mehrere Länder im Angebot. Frau und Kinder nehme er dann manchmal mit, dazu eine Lehrerin. Einst sei sein Grossvater aus der Innerschweiz als Wanderarbeiter nach Zürich gezogen, weil er den Bauernhof seiner Eltern nicht übernehmen konnte, erzählte Kälin einmal einem Journalisten und fragte rhetorisch: «Sind wir nicht alle Flüchtlinge?»
Mit der Republik wollte Christian Kälin nicht sprechen.
Seine Karriere beginnt auf St. Kitts und Nevis, einer Zuckerrohrinsel in der Karibik. Viele Arbeitslose, eine hohe Mordrate, eigentlich war man pleite. 2007 taucht der Retter auf: Christian Kälin, der mit der Regierung vereinbart, den vernachlässigten Passhandel neu zu organisieren. Das ist Schritt eins. Schritt zwei: In Brüssel zu erreichen, dass man mit einem Pass aus St. Kitts visumsfrei in die EU reisen darf. 2009 ist es so weit. Die Nachfrage explodiert. Heute lebt die Insel vom Passhandel.
Auch ein Iraner namens Ali Sadr wird einen Pass aus St. Kitts und Nevis erwerben – und ihn benutzen, damit er auf Malta eine Bank eröffnen kann.
Aber das Programm hat Kinderkrankheiten. Zu den Passkäufern auf St. Kitts gehören schnell ein Börsenmanipulator aus Kanada und ein Russe, der wegen Bestechung zur Fahndung ausgeschrieben ist, ein Kasache, gesucht wegen Untreue, zwei Ukrainer, die Uno-Beschäftigte bestochen haben sollen, zwei Chinesinnen, auf der Fahndungsliste wegen Finanzvergehen. St. Kitts muss die erste Generation Pässe zurückrufen – und in die zweite den echten Geburtsort, den echten, bislang geführten Namen eintragen.
Nicht lange, da ist Henley & Partners, eben noch eine unbekannte Vermögensverwaltung, die Nummer eins im weltweiten Passhandel – mit heute dreissig Büros weltweit. Sie vermitteln Pässe von Antigua bis Zypern gegen Spenden über 200’000 Euro (Antigua) oder Investitionen über zwei Millionen Euro (Zypern). Christian Kälin macht Karriere, wird Partner, wird Chef von Henley & Partners und gilt bald als Mastermind der Branche. Dass er sich 2013 Malta angelt und damit nun auch den EU-Pass im Angebot hat, ist sein Meisterstück.
Doch dann kreuzt eine unversöhnliche Journalistin seinen Weg und bombardiert Kälin mit Kritik. Immer wieder attackiert Daphne Caruana Galizia das Passprogramm. Sie sieht darin ein Einfallstor für Geldwäscherei, Korruption und Steuerhinterziehung. Und ist damit nicht allein. Für John Christensen von «Tax Justice Network» ist der Passhandel nichts anderes als ein besonders smartes Steuervermeidungswerkzeug. Warum denn Geld mit Briefkastenfirmen über die Welt verschieben – wenn man Bürger einer Steueroase werden kann?
Daniel Thelesklaf, Vorsitzender des Geldwäscherei-Ausschusses des Europarats, geht davon aus, dass ein sorgloser Passhandel das «Risiko der Geldwäscherei und der Terrorismusbekämpfung» erhöht. Auch OECD-Steuerchef Pascal Saint-Amans findet diese Programme problematisch. In einem Interview mit der «Wochenzeitung» sagt er: «Sie erleichtern es, die Tür zum Steuerbetrug aufzustossen.»
Caruana Galizia schreibt: «Dunkle Gestalten aus Russland und dem Mittleren Osten profitieren von diesem Geschäft.»
Christian Kälin will die Vorwürfe nicht auf sich sitzen lassen. Er kündigt ihr an, man werde sie in London verklagen, sollte sie «diffamierende Behauptungen» in ihren Artikeln nicht löschen.
Darauf Caruana Galizia: «Malta ist nicht St. Kitts und Nevis. Dort können Sie sich wie ein Kolonialist aufführen, gegen die Presse vorgehen und legitime Kritik unterdrücken, aber hier geht das nicht.»
Anfang Juni 2017 veröffentlicht Caruana Galizia geleakte E-Mails zwischen Maltas Regierung und Passhändler Kälin. Darin erklärt Kälin, wie er juristisch gegen die Bloggerin vorgehen wolle.
Der Premierminister antwortet darauf: «Ich habe nichts dagegen.»
Der Kabinettschef: «Danke, Chris. Sieht gut aus. Schöne Grüsse.»
Caruana Galizia schäumt – und wittert ein Komplott. Sie schreibt über Kälin.
Kälin reagiert: «Die Art und Weise, wie Sie unsere Geschäfte und die Kommunikation mit der maltesischen Regierung missdeuten, ist boshaft und falsch und dient allein dem Zweck, Ihre eigenen politischen Ziele zu erreichen.»
Darauf Caruana Galizia: «Mr. Kälin, Sie und die Haie, die Sie Keith und Joseph nennen, können sich Ihre Briefe und E-Mails in den Arsch stecken.»
Bis hierhin dreht sich diese Geschichte um einen umstrittenen Passhandel, um eine wenig höfliche Bloggerin und um einen kontrollierten Juristen, die sich mit Worten und mit Anwälten bekriegen. Doch dann läuft etwas aus dem Ruder.
Daphne Caruana Galizia wird ermordet. Ihr Sohn schreibt am Tag darauf auf Facebook: «Eine Bande von Betrügern hat sich in Malta zusammen mit Politikern gegen meine Mutter verschworen, um sie finanziell trockenzulegen und mit Prozessen zu schikanieren.» Und er verlinkt zum Artikel, in dem sich Caruana Galizia und Kälin den Schlagabtausch lieferten.
Seither tauchen Kälin und Henley & Partners immer wieder auf in Texten, in denen es um den Mordfall geht. Die Kanzlei geht immer wieder gegen Gerüchte vor, an dem Facebook-Eintrag des Sohnes könnte etwas dran sein.
Doch es bleibt ein schaler Nachgeschmack. Am neunten Tag nach dem Tod Caruana Galizias tritt Premier Muscat in Dubai auf einem «Global Citizenship»-Seminar auf. Malta hat sich verpflichtet, für die Road Shows von Henley & Partners «hochrangige Regierungsvertreter» abzustellen, «jedes Mal, wenn einer angefordert wird». Auch Muscat ist etliche Male unter den Rednern. Nun, in Dubai, spricht er darüber, welche Vorteile «alternative Wohnorte und Staatsbürgerschaften» den Eliten bieten.
Und die Regierung wird weiter auf das Geschäft mit den Staatsbürgerschaften setzen. Demnächst lädt man gemeinsam mit Henley & Partners zu einem «klassischen Abend» mit Konzert und Galadinner in London. Dass dort Maltas beliebter Opernsänger Joseph Calleja auftritt, sorgt auf der Insel seit Monaten für Diskussionen.
5. Maria Efimowa
Maria Efimowa, die Whistleblowerin. Maria Efimowa, das Phantom. Inzwischen weiss man, dass sie aus Malta nach Griechenland geflohen war. Manchmal, selten, gab sie per Skype ein Interview. Sagte aus vor EU-Parlamentariern, die Malta besucht hatten. Dann war sie wieder abgetaucht. Auch wir haben uns wochenlang darum bemüht, sie zu erreichen. Und dann endlich hat es geklappt. Zunächst kommunizierten wir über Whatsapp.
Ob es möglich sei, sie zu zu besuchen?
Nein, schrieb Maria Efimowa zurück. «Leider nicht, da die Situation für mich und meine Familie weiterhin sehr gefährlich ist. Wäre stattdessen ein Gespräch über Skype in Ordnung?»
Wenige Tage später, pünktlich um neun, geht ein Videoanruf ein. Bislang war Maria Efimowa unsichtbar, es gab nur ein paar gepixelte Fotos von ihr. Nun erscheint auf dem Bildschirm eine Frau Mitte dreissig, mit langen blonden Haaren und kleinen müden Augen. Hinter ihr: eine weisse Wand, zwei Gemälde, ein Stapel Bücher.
Sie lächelt milde: «Guten Morgen.»
Wir erzählen ihr von unseren Recherchen. Fragen, wie ihre aktuelle Situation sei.
Efimowa: «Ich muss extrem vorsichtig sein und Sicherheitsmassnahmen für mich und meine Familie treffen. Ich habe kleine Kinder.»
Republik: «Warum glauben Sie, dass Sie in Gefahr sind?»
Efimowa: «Das ist offensichtlich. Daphne wurde getötet. Und ich war eine ihrer Quellen. Die Leute, die hinter Daphne her waren, könnten auch hinter mir her sein. Es ist immer besser, deinen Feind zu überschätzen als zu unterschätzen.»
Republik: «Glauben Sie, dass der Mord mit Daphnes Enthüllungen zu Pilatus und Egrant zu tun hat?»
Efimowa: «Ich kann das nicht ausschliessen. Ich kann aber auch niemanden beschuldigen. Bis jetzt haben wir keine gesicherten Beweise.»
Republik: «Könnten Sie bitte rekapitulieren, was in jenen Minuten im März 2016 geschah, in denen Sie in der Pilatus-Bank die Treuhanderklärung gesehen haben?»
Die Whistleblowerin wiederholt, was sie damals der Zeitung «The Malta Independent» gesagt hat: Sie habe Dokumente holen müssen, aus dem Tresor in der Küche, da habe sie die Treuhanderklärungen gesehen.
Republik: «Und dann stiessen Sie auf den Namen Muscat?»
Efimowa: «Ja. Ich bin durch alle Ordner gegangen, weil ich neugierig war. Da waren viele Namen, vor allem russische Namen. Aber die im Zusammenhang mit Muscat waren am Anfang. Also habe ich eine Schlussfolgerung gemacht. Ich wusste, dass der Nachname des Premierministers Muscat war. Aber ich wusste auch, dass es auf Malta viele Menschen mit diesem Nachnamen gibt. Daher habe ich eine Art geistige Notiz gemacht, dass ich diese Firma in Verbindung mit diesem Namen gesehen habe.»
Republik: «Haben Sie ein Foto von der Treuhanderklärung gemacht? Oder eine Kopie?»
Efimowa: «Schauen Sie, der Richter, der zu diesem Fall ermittelt, hat mich gebeten, diesen Teil nicht mit Journalisten zu diskutieren. Ich habe noch die Hoffnung, dass er alles angemessen untersuchen wird. Lassen wir ihn zu seinen Schlussfolgerungen kommen, und danach werde ich diese Information vielleicht offenlegen.»
Republik: «Zwei weitere Bankmitarbeiter sind zur gleichen Zeit wie Sie entlassen worden. Können Sie uns ihre Namen nennen?»
Efimowa: «Nein, leider nicht.»
Ende des Gesprächs.
Maria Efimowa wirkt durchaus glaubwürdig. Im Dezember 2017 schrieb sie einen Brief an die Europäische Zentralbank und schilderte darin die Praktiken der Pilatus-Bank. Das Dokument ist professionell.
Doch ein Zweifel bleibt. Wo sind die Treuhanderklärungen zu Egrant? Warum zeigt die Russin niemandem die Dokumente – sie wären der Beweis, dass sie die Wahrheit sagt. Warum hat auch Daphne Caruana Galizia die Dokumente nie veröffentlicht? Warum haben sie es der Gegenseite einfach gemacht? So steht Aussage gegen Aussage, bis heute.
Wir versuchen es noch einmal – und schreiben Maria Efimowa einige Tage später eine Nachricht wegen der Treuhandkonten.
Vier Tage später kommt die Antwort: «Ich bitte um Entschuldigung für die späte Antwort. Die Treuhanderklärungen wurden im vergangenen Juni an den Richter Aaron Bugeja gegeben. Deswegen dürfen sie nicht veröffentlicht werden, bis die Ermittlung abgeschlossen ist.»
Es gibt einen zweiten Menschen, der die Treuhanderklärung gesehen haben will. Er heisst Pierre Portelli, ist Journalist auf Malta. Wir rufen ihn an.
Portelli: «Mir fehlten die Möglichkeiten, zu überprüfen, ob die Dokumente echt sind und die Besitzerschaft von Michelle Muscat belegen. Deswegen habe ich sie an Richter Aaron Bugeja weitergegeben.» Herausgeben dürfe auch er nichts, der Richter habe es ihm verboten.
Wir schreiben eine Mail an Richter Aaron Bugeja. Wir rufen in seinem Büro an. Er reagiert nicht.
Vor einigen Wochen muss irgendwer herausgefunden haben, wo die Whistleblowerin wohnt. Muss Maria Efimowa aufgestöbert und bedroht haben. Sodass sie sich am 19. März 2018 in Athen der Polizei stellt.
Innert Tagen wird ihre Verhaftung zum Politikum. EU-Parlamentarier appellieren an die griechischen Behörden, sie nicht nach Malta auszuliefern, sie sei «eine wichtige Zeugin in Fällen von Korruption und Geldwäscherei». Man solle «ihr und ihrer Familie Schutz und Asyl gewähren».
Auch die drei Söhne von Daphne Caruana Galizia, die Malta aus Sicherheitsgründen verlassen haben und sich an einem geheimen Ort aufhalten, melden sich zu Wort: «Die europäischen Institutionen haben beim Schutz unserer Mutter versagt. Jetzt müssen sie die Informanten mit der gleichen Kraft schützen, mit der sie das Leben unserer Mutter hätten schützen sollen.»
Weshalb Efimowa per europäischen Haftbefehl gesucht wurde? Wegen der angeblichen Unterschlagung von 2000 Euro. Maltas Justizbehörden hatten sich an die Arbeit gemacht und sie zur Fahndung ausgeschrieben.
6. Geht doch einen trinken
Oft läuft das so: Wenn ein Dominostein kippt, kippen alle. Wie lange dauert es, bis in diesem Mordfall der erste Stein kippt?
Ali Sadr, der Gründer der Pilatus-Bank, ist in Haft. Ihm droht eine schier endlose Strafe. Will er wieder freikommen, muss er mit den Strafverfolgern kooperieren. Packt er aus, dann könnte Licht in einen Sumpf kommen, der mit aller Wahrscheinlichkeit bis ins Regierungsviertel von Valletta reicht.
Der zweite Stein, der jederzeit kippen könnte – das sind die drei Bombenleger. Bisher haben sie geschwiegen. Man kann davon ausgehen, dass sie ihren Auftraggeber kennen. Ihr Wissen ist ihr Faustpfand. Auch sie werden mit ihren Anwälten überlegen, was das Günstigste für sie ist. Unter welchen Umständen sie auspacken, wann sie auspacken. Einmal geisterte die Meldung herum, Premier Muscat habe ihnen einen «Presidential Pardon» angeboten, wenn sie kooperieren. Sogleich liess der Premier das Gerücht dementieren. Nein, kein Begnadigungsangebot.
Im «Magazin» war kürzlich zu lesen, dass der Mord «eine Schockwelle durch den kleinen Staat im Mittelmeer» sandte. Das wäre erfreulich. Doch die Schockwelle verebbte rasch wieder. Kaum grössere Demonstrationen, keine Rücktritte, keine professionelle Aufklärung.
Achtmal haben die Behörden den kleinen improvisierten Gedenkschrein für Caruana Galizia in der Hauptstadt Valletta abgeräumt – und achtmal wurde er wieder aufgebaut. Doch die Mehrheit schweigt. Es bleibt still. Was wollt ihr denn? Es geht uns doch gut. Schweigen.
Im März war St. Patrick’s Day. Aus diesem Anlass postete Neville Gafa, ein Mitarbeiter des maltesischen Premierministers, zwei Fotos auf Twitter. Eines zeigte eine Handvoll Menschen, die um Daphne Caruana Galizia trauern. Das andere einen Pulk fröhlich angetrunkener Menschen, die auf der Strasse feiern. Darunter der Text: «Spot the difference; the few negative vs reality. #Getalife».
So sieht man es hier. Hört auf, so negativ zu sein. Geht doch einen trinken.
Die Serie «Mord auf Malta» wurde aus dem Etat für grosse Recherchen, grosse Geschichten und grosse Ideen der Project R Genossenschaft realisiert.
Ein Team von Reportern der Nachrichtenplattform «The Shift News» und der Republik haben gemeinsam zu «Mord auf Malta» recherchiert – vor Ort, in London und Zug, in Catania und Strassburg. Die maltesischen Journalisten Caroline Muscat und Jurgen Balzan gründeten «The Shift News» im November 2017.