Das einzige bekannte Foto, das Ingeborg Bachmann und Max Frisch gemeinsam zeigt, entstand in der Wohnung des Paars in Rom, 1962. Aufgenommen wurde es für ein Porträt des Schriftstellers im «L’Espresso». Mario Dondero

«Warum zerstören wir einander?»

Die Liebes­beziehung zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch ist längst von Mythen umstellt. Nach jahrzehnte­langer Sperrung erscheint nun ihr Brief­wechsel. Eine Sensation – und ein Dokument gegen­seitiger Versehrung.

Von Daniel Graf, 19.11.2022

Vorgelesen von Egon Fässler
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Es beginnt schon mit einer Lücke. Brief 1, von Ingeborg Bachmann im Juni 1958 an Max Frisch geschrieben, ist in Wirklich­keit der zweite: die Antwort auf einen nicht überlieferten Brief von Frisch.

Bevor beide einander zum ersten Mal schreiben, haben sie bereits aus der Literatur ein Bild voneinander. «Verehrter, lieber Max Frisch», das gilt dem Autor des «Homo faber» – der sich seiner­seits schon Monate zuvor gegenüber dem israelischen Lyriker David Rokeah, einem gemeinsamen Bekannten, bewundernd über Bach­manns Gedichte geäussert hatte. Und ihr nun Ähnliches geschrieben haben dürfte.

Bachmann und Frisch: Die vielleicht am stärksten skandalisierte, von Legenden umraunte Paar­geschichte der deutsch­sprachigen Literatur ist von Anfang an selbst literarisch über­formt. Ihre rund vier Jahre andauernde Beziehung und mehr noch ihr Scheitern ist in eigene und fremde literarische Werke eingegangen. Die Versehrt­heit, mit der besonders Ingeborg Bach­mann aus dem Versuch eines gemein­samen Lebens hervor­ging, beschäftigt die Forschung und die literarische Öffentlich­keit seit Jahrzehnten, und dass die Korrespondenz der beiden nicht zur Veröffentlichung frei­gegeben war, nährte die Neugier und die Spekulation nur umso mehr.

In diesen Tagen erscheint nun der Brief­wechsel als eigenständige Publikation und zugleich im Rahmen der 2017 begonnenen Salzburger Bachmann Edition; die Geschwister von Ingeborg Bachmann haben der Veröffentlichung zugestimmt, die von Frisch verhängte Sperr­frist ist ohnehin 2011 abgelaufen.

Die Briefe selbst zeigen, dass Ingeborg Bachmann deren Veröffentlichung nicht gewollt hat, weil sie intimste Details preis­geben. Die Frage, ob man sie, knapp 50 Jahre nach dem Tod der Autorin, dennoch veröffentlichen darf, haben die Erben nun mit Ja beantwortet, womit die Briefe unwiderruflich in der Welt sind. Doch stellt sich die Legitimitäts­frage auch jeder Leserin. Auch wenn sich das Dilemma nicht auflösen lässt, vielleicht gehören zu den Grund­voraussetzungen des Lesens hier noch ungleich mehr als sonst: eine problem­bewusste Lektüre­haltung; Verzicht auf vorschnelles Urteilen; die Einsicht, dass sich auch in diesen Briefen nur ein fragmentarisches Bild zeigt. Nach Jahr­zehnten der Spekulation werden nun jedenfalls die Stimmen der Beteiligten selbst hörbar, und den Gerüchten wird eine fundierte wissenschaftliche Einordnung entgegen­gestellt.

Über 1000 Seiten stark ist der Band inklusive eines umfang­reichen wissen­schaftlichen Apparats. Trotzdem ist die Überlieferung nur unvollständig: Bach­mann hatte nach der endgültigen Trennung fast alle Briefe von Frisch vernichtet – die meisten der jetzt publizierten Frisch-Briefe sind nur aufgrund von Abschriften und Durch­schlägen in seinem eigenen Nachlass erhalten; insgesamt umfasst die Edition etwa doppelt so viele Briefe von Bach­mann wie von Frisch. Und wer sich nun fragt, warum zur Hölle Max Frisch von seinen eigenen Briefen Kopien erstellt hat, ist schon mitten­drin in dieser abgründigen Liebes­geschichte mit all ihren Extrem-, Kipp- und Wende­punkten, ihrer ständig ins Rote ausschlagenden Amplitude, ihren zahlreichen Neben­figuren, dem hochliterarischen Rosen­krieg schon zu Paar­zeiten und den verheerenden Nachwirkungen einer für beide heillosen Liebe.

Paris

Im ersten Brief an Max Frisch hatte Bach­mann noch ein Treffen in Zürich vorgeschlagen, was wegen eines Spanien­aufenthaltes von ihm nicht zustande kam. Gut drei Wochen später, am 3. Juli 1958, sehen sie einander tatsächlich das erste Mal – in Paris. Frisch ist dort, weil das Zürcher Schauspiel­haus mit zwei seiner Stücke am Théâtre des Nations gastiert. Als Bachmann aus der Presse von dem Gastspiel und Frischs Paris­reise erfährt, bemüht sie sich um seine Hotel­adresse. Sie ist schon seit Juni in der Stadt, unter speziellen Bedingungen. Ihre im vorherigen Jahr wieder aufgeflammte Beziehung zu Paul Celan, der in Paris lebt, ist seit Anfang Mai beendet; die Treffen mit ihm und erstmals auch mit seiner Frau Gisèle Celan-Lestrange stehen jetzt nur noch unter freund­schaftlichen Vorzeichen.

Die Begegnung mit Frisch führt direkt in eine Liebes­geschichte, die schon zu Beginn nichts Unbelastetes kennt. «Du willst, dass wir verschwunden sind füreinander. Ich werde weiter warten auf dich», schreibt Frisch noch in Paris. Er, der getrennt von seiner Frau und den drei Kindern lebte, war seit 1952 in einer Beziehung mit der Über­setzerin Madeleine Seigner. Die Fragen, wer sich wann für wen entscheidet, wer wann auf ein Wort und einen Entschluss des anderen wartet, das ständige Pendeln zwischen Sehnsuchts- und Vorwurfs­ton prägen die Briefe zwischen Frisch und Bach­mann vom ersten Moment an. Die häufige räumliche Distanz (Bachmann lebt zu der Zeit haupt­sächlich in Neapel) wirkt wie ein Verstärker von beidem, der Liebes­bekundung wie der Anklage.

Ihre Briefe waren geprägt von widersprüchlichen Signalen: Max Frisch ... Mario Dondero
... und Ingeborg Bachmann, hier 1962 in Rom, waren von 1958 bis 1963 ein Paar. Mario Dondero

Nicht nur in den ersten Wochen sind die Briefe geprägt von einem ständigen double bind: einem Sprechen in wider­sprüchlichen Signalen. Trennungs­absichten werden ausgesprochen und im nächsten Moment wieder untergraben, Entscheidungen getroffen und kurz darauf, wörtlich oder zwischen den Zeilen, widerrufen. «Ich fühle», schreibt Frisch, «mit leiblicher Deutlichkeit (…), wie der Abschied, den ich verhängt habe, noch geleistet werden muss von mir.» Und Bachmann: «Sag mir, ob ich Dich ganz befreien soll von mir.»

Frisch wird Madeleine Seigner schliesslich verlassen, um mit Bach­mann zu leben, in Zürich, in Uetikon am See, in Rom. Doch die Beziehung bleibt beider­seits von Affären begleitet, von wechselseitigen Miss­verständnissen und enttäuschten Hoffnungen auf klare Bekennt­nisse, von unzähligen Entfremdungen und Brüchen, auf die jeweils die Versöhnung folgt – bis das nicht mehr gelingt. Und Bach­mann in ihre schwerste Lebens- und Schreib­krise stürzt.

«Liebes Ungeheuer …»

So problematisch es allerdings wäre, die Beziehung teleologisch von ihrem Ende her als unentrinnbare Katastrophe zu deuten, so falsch wäre es, die Briefe zwischen Bach­mann und Frisch lediglich als Material zu begreifen, das der biografischen Neugier endlich Auskunft erteilt. Was das Erscheinen dieser Briefe zu einem Ereignis macht, ist nicht zuletzt ihr literarischer Rang. Hier versuchen zwei Schreibende, für die Dramen des eigenen Lebens einen sprachlichen Ausdruck zu finden – und nicht zuletzt wohl auch, vor dem literarischen Kenner­blick des anderen zu bestehen. So wie Ingeborg Bachmann in einem der aller­ersten Briefe, im Juli 1958:

Wenn ich schreiben könnte, wenn nicht alles hinginge in Kälte, wenn die Blätter wenigstens Feuer fingen, wenn man nicht nur inwendig und wortlos abbrennen müsste, dann …

Aber was ist das dann, wenn nicht eine alte travestierte Hoffnung auf Menschen?

Der Literatur­wissenschaftler Roland Berbig hat kürzlich überzeugend dargelegt, dass jeder von Bachmanns Brief­wechseln eine eigene «Präge­marke» aufweist.

Wenn das auch für die Korres­pondenz mit Frisch gilt, liesse sich vielleicht sagen: Das Wesentliche steht hier immer schon in der Anrede.

«Liebster», «Mein lieber Bär», «Liebstes Herz»: So lautet die Ansprache in den helleren Tagen. Und am Ende fehlt nicht viel, dass Bach­mann zum Sie übergeht.

Nur: Das Phänomen beschränkt sich nicht auf einen Kontrast zwischen Anfang und Ende dieser Liebes­geschichte. Vielmehr sind Bachmanns Anrede- und Schluss­formeln über die Jahre hinweg Indikatoren für die jeweils aktuelle Konjunktur der Beziehungs­dynamik und fein abgestufte Signale an Frisch. Das schliesst auch das Wider­sprüchliche mit ein. «Max», beginnt sie karg und unter­schreibt mit einem nüchternen «Ingeborg», als sie sich wegen Frischs Beziehung zu Madeleine Seigner zur Zurück­haltung zwingt. Und dann, in einem Nachtrag: «Noch nie habe ich so heftig an Dich gedacht, Dich mit allen Gedanken gesucht.» Später, 1961/62, nach wechsel­vollen Jahren, trägt auch die Sprache intimer Zuneigung Spuren der Ambivalenz:

Nun behalt mich lieb und schreibe mir doch auch einmal, Du Wüstbär.
Deine
Ingeborg

Oder:

Liebes Ungeheuer, ich umarme Dich!

Da sind dann, im scheinbar Harmlos-Spielerischen, das Liebevoll-Zugewandte und ein unter­schwelliges Gefühl der Gefährdung untrennbar ineinander verkeilt.

Frisch jedenfalls registriert bereits in der Anfangs­zeit genau, wenn Bachmanns Gruss- und Abschieds­formeln zurück­genommener daherkommen.

Ach Inge, Du meine Inge, die da mich anspricht: Lieber Max, und die da unterzeichnet: Ingeborg –

Und ich verzweifle, indem ich meine, nur mein Herz könne manchmal so versteinen, nur meine Sprache so kahl sein. Ich bin wirklich verzweifelt. Habe ich Dich so kahl gemacht?

Wenige Zeilen danach folgt dann die bange Frage: «Glaubst Du, Inge, dass Du mich liebst?»

Tatsächlich identifiziert Frisch in diesem Brief klarsichtig ein Grund­problem, das Bach­mann mit ihm hat: dass er zwar hin und wieder mit überschwänglichen Liebes­bekundungen aufwartet, im nächsten Moment aber unter­kühlt bleibt wie eine Schweizer Gletscher­landschaft. In den Worten ihres Antwort­briefs:

Ach, was bist Du bloss für ein Mensch, so unverständlich und steinig und dann wieder gar nicht. (…) Du bist so seltsam, und ich möchte alle Steine aus Dir heraus­operieren, damit Du lebendig wirst. Ich glaube wirklich, Du hast irgend­wann einen riesigen Stein verschluckt. Aber ich will Liebe, eine Unmasse Liebe, sonst kann ich nicht mit Dir leben, sonst bin ich lieber allein.

Im Brief­wechsel ist deutlich ablesbar, dass Frischs regelmässige Distanz­nahmen auch verunglückte Selbstschutz­manöver sind. Sie haben mit Selbst­zweifeln, tief sitzender Unsicherheit und wohl auch mit den Ängsten des 15 Jahre Älteren zu tun, der es um jeden Preis vermeidet, sich vor der jüngeren Partnerin in einer Position der Schwäche zu zeigen.

Als er im Früh­sommer 1959 an Hepatitis erkrankt, weist er Bach­mann zurück und hüllt sich in Schweigen, ehe er in einem Brief bekennt:

Es war unmöglich für mich, meine liebe Inge, mich Dir mitzuteilen; drum habe ich Dich zum Weggehen überredet.

Lange Briefe voll gegen­seitiger Vorwürfe folgen. Bachmann fühlt sich verstossen, zumal er in der Zeit den Kontakt zu Madeleine Seigner wieder aufnimmt. Frisch hingegen spricht von Notwehr, die Krankheit sei nur der Ausdruck eines längst eingetretenen Allein­seins gewesen. Und dann, in einem durchaus perfiden Satz: «Du wirst mich aber immer allein lassen, Inge, nicht nur mich.» Sie müssten zu einer alten Erkenntnis zurück: «Wir sollten nicht zusammen wohnen.» Worauf Bachmann klar­stellt, er sei es doch, der sie fortgeschickt habe und ihr keine Rück­kehr erlaube: «Alles kommt mir so verdreht vor, was Du sagst.»

In den aufgeladenen Brief­passagen jener Tage sollte man einen vermeintlichen Neben­satz aus Frischs erstem Krankheits­brief nicht überlesen. Friedrich Dürren­matt, so schreibt Frisch kurz vor der Entlassung aus dem Spital, sei neulich zu Besuch gekommen, «sehr lieb», und habe ihn «zu sich eingeladen». Aber, fügt Frisch an, «seine Potenz würde mich zermalmen».

Auch in den Freundschaften gab es kein Ausserhalb der Literatur: Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt in der Zürcher «Kronenhalle», 1963. Jack Metzger/ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv

Es ist ein viel­sagender Satz über fragile Freund­schaften in einem Literatur­betrieb der Konkurrenz­verhältnisse und der ständigen Vergleiche. Was Frisch hier über sein Verhältnis zu Dürren­matt bekennt (oder besser: an psychologischer Selbst­erkenntnis vorträgt), lässt sich in gesteigerter Weise auf die Beziehung zu Bach­mann übertragen: Es gibt darin kein Ausserhalb der Literatur.

«Wir sind halt ein berühmtes Paar gewesen, leider»

Auf mindestens drei­fache Weise wirken die Literatur und ihr Betrieb in die Liebes­beziehung zwischen Bachmann und Frisch hinein.

Erstens: durch Klatsch und Tratsch. Und die Furcht vor Klatsch und Tratsch.

Gerüchte und Spekulationen um ihren Beziehungs­status, später sogar um eine angebliche Schwanger­schaft Bachmanns, begleiten das Paar in allen Phasen der Partner­schaft. Zu einem Beschleuniger ihrer Konflikte wird das vor allem deshalb, weil zwar beide ihre Affären haben, jene von Bach­mann aber regelmässig zum Gegenstand des Betriebs­geflüsters werden. Das hat einerseits mit dem simplen Umstand zu tun, dass etwa ihre im Sommer 1959 während Frischs Krankheit beginnende Affäre mit Hans Magnus Enzensberger ebenfalls eine Liaison zwischen zwei literarischen Promis war. Anderer­seits drängt sich der Eindruck auf, dass hier ein sexistischer Bias greift: Das Liebes­leben von Frauen ist im männer­dominierten Literatur­betrieb schon immer stärker thematisiert und wesentlich schneller skandalisiert worden. Was ironischer­weise nicht nur für die Frauen ein Problem ist.

Aus den Briefen von Max Frisch jedenfalls spricht deutlich, dass er nicht bloss einen Umgang mit der eigenen Eifer­sucht finden muss. Auch die Sorge, der halbe Betrieb könnte sich über eine neue Affäre das Maul zerreissen und er der einzige Unwissende sein, scheint ihn all die Jahre umgetrieben zu haben. «Ich gelte als grosser Trottel», schreibt er an Bach­mann 1963 bereits im Rückblick, nach der endgültigen Trennung. Und an anderer Stelle: «Wir sind halt ein berühmtes Paar gewesen, leider.» Bach­mann, die sich fortan umso vehementer gegen Indiskretionen und die Preis­gabe von Privatem verwahrt, antwortet: «Meine Gefühle gehen niemanden mehr etwas an.» Drei Monate zuvor hatte sie Frischs Krankheits­tagebuch von 1959 in einem Schrank gefunden, es gelesen, an sich genommen und vernichtet, «denn ich muss verhindern, dass je ein andres Auge darauf fällt».

Zweiter Punkt: die schrift­stellerische Konkurrenz.

Mehrfach bekundet Frisch gegenüber Bach­mann, sie sei ihm intellek­tuell überlegen – und trotzdem äussere sie ihm gegen­über das Gefühl, er schüchtere sie ein. Tatsächlich scheint auf beiden Seiten die Bewunderung des Gegenübers in Hemmungen, Selbst­zweifel und Schreib­krisen umzuschlagen. Die Arbeit an zwei benachbarten Schreib­tischen scheint eine Unmöglichkeit. Das vorüber­gehende Ausweichen auf Zweit­wohnungen und Ateliers bleibt ein Dauer­thema, in wechselnden Konjunkturen fürchten beide ebenso um ihre Produktivität wie um ihre Freiheit.

Doch kommt zu dieser Ausgangs­lage eine ungleich brisantere Frage hinzu: die nach dem Verhältnis von Privat­leben und literarischen Inhalten. Schon früh geht Frisch dazu über, von seinen Briefen an Bachmann Durch­schläge oder (Teil-)Abschriften aufzubewahren, was er ihr gegenüber im Februar 1961 auch erstmals erklärt. Er müsse wissen, auch mit Blick auf künftige Antworten von ihr, was er ihr geschrieben habe. Frischs Bedürfnis, gegebenen­falls Beweise für seine Aussagen zu haben, verrät viel über sein Misstrauen und bereits eingetretene Irritationen. Und doch dürften Hans Höller und Renate Langer, Mitheraus­geberinnen des Brief­wechsels, richtig liegen mit ihrer Vermutung im Nach­wort, Frisch habe von Anfang an auch die Möglichkeit einer literarischen Verarbeitung in Betracht gezogen – ein Thema, das später entscheidend zum grossen Zerwürfnis zwischen Frisch und Bachmann beiträgt und schliesslich auch zu den heftigen Stellvertreter­kämpfen in der Forschung.

«Wir werden einander nicht mehr sehen. Ich kann nicht weiter»: Ingeborg Bachmann an der Schreibmaschine in ihrer Berliner Wohnung, 1964. Keystone

Was in gewisser Weise schon zum dritten Punkt führt. Denn es gehört zur Dialektik dieses literarischen Brief­wechsels, dass die beiden Schreibenden ihre Sprach­virtuosität nicht allein für überschwängliche Liebes­bekundungen und unkonventionelle Bilder nutzen – sondern auch zum Ausfechten ihres Beziehungs­kampfes. Sprach­macht kann auch Waffe sein; zur Selbst­verteidigung – oder zu Angriffs­zwecken. Das gilt nicht erst für die Verletzungen, die sich beide nach dem endgültigen Bruch zufügen werden. Sondern für die vorher schon einsetzenden, vermeintlich kleinen Sticheleien, die passiv-aggressiven Anklagen im Kleid der Selbst­kritik. So wie bei Frisch, wenn er im paternalistischen Ton die angebliche Belanglosig­keit, das zwischen Tür und Angel Hingehuschte von Bachmanns Briefen beklagt und das Vorwurfs­volle so notdürftig wie durch­schaubar mit einem «Wir» kaschiert:

Ich frage mich dann: Was ist das soviel Wesentlichere, das uns keine Zeit lässt, uns hinzusetzen, um einen Brief zu schreiben?

Bach­manns Antwort ist so diplomatisch und zugewandt, dass sich die Kritik darin vielleicht erst auf den zweiten Blick erschliesst – und dem Empfänger immer noch den Ausweg einer positiven Deutung lässt:

Vielleicht liegt es daran, dass ich nicht wie Du das Bedürfnis habe, in Briefen und mit Briefen das Gespräch anders fortzusetzen, sondern es aufheben will, darum nur die Zeichen gebe.

Auch hier scheint ein Muster für Grund­sätzlicheres auf: Er verlangt immer wieder ein Bekenntnis schwarz auf weiss; sie verspürt «kein Bedürfnis, unsere Situation zu befragen», hofft vielmehr, «dass wir einfach leben in einer Wolke von Zärtlichkeit und geschützt sind, auch voreinander». Als er ihr, ebenfalls in einem Brief, die Ehe anträgt, lehnt sie ab und wieder­holt ihre Haltung auch bei späteren vorsichtigen Neu­anläufen, weil sie im Heiraten «nur etwas Äusser­liches» sieht und «von innen nur das Ja zu Dir kommt, aber nicht zugleich das Ja zu der Forma­lität».

Nahe Ferne

Was hier alles im Modus der Brief­form verhandelt wird; was die Langsam­keit des Mediums für das Warten auf Antwort heisst; welche Auswirkungen verspätet Abgeschicktes und sich kreuzende Briefe in angespannten Situationen haben; wie es sein muss, ein Tele­gramm zu bekommen; was sich vom anderen bereits aus der Hand­schrift mitteilt (oder in Kaffeesatz­lesereien endet); was in den Briefen, die Bach­mann und Frisch untereinander und mit anderen tauschen, alles auf dem Spiel steht. Es gehört zu den frappierendsten Eindrücken beim Lesen dieser Korres­pondenz, wie weit weg diese Kommunikations­form von unserer digitalen Wirklichkeit scheint. Aus welcher historischen Ferne diese doch gerade erst der Sperr­frist enthobenen Briefe einem entgegen­treten, gelegentlich schon durch die Wort­wahl.

Und dann wieder erscheint, was Frisch und Bach­mann da versuchen, so heutig, dass es geradezu als zeitgeistig durch­gehen könnte.

Nach dem Krisen­jahr 1959 lebt das Paar eine offene Beziehung. Und Frisch bekommt zwar keine Ehe, aber eine Vereinbarung. Mit dem sogenannten Venedig-Vertrag beschliessen beide: Affären sind erlaubt, solange sie nichts Ernsthaftes bedeuten. Zum Schutz des anderen herrscht ein Schweige­gebot. Wenn allerdings echte Gefühle für eine dritte Person ins Spiel kommen, muss Schluss sein mit dem Schweigen.

So kommt es dann auch.

Im Frühjahr 1962 geht Bach­mann eine tiefer­gehende Liaison mit dem italienischen Germanisten Paolo Chiarini ein, der zuvor über ihr Werk publiziert hatte. Frisch bemüht sich um Fairness – und um Fassung:

Nicht ein Flirt, nicht eine Nacht, sondern Du hast einen Menschen sehr lieb. Dass dir das zusteht, ist ausser Frage. Es fragt sich nur, wie ich im besten Fall damit fertig­werde; das aber ist meine Sache. (…) Du musst, wenn Du mir Gekränktheit vorwirfst, mich gütig verstehen; dein Hinwelken zu sehen neben mir, dann dein Erblühen zu verstehen aus der Nach­richt, dass Du einen andern Menschen sehr lieb hast, ist für mich wie ein Todes­urteil, natürlich, begreiflich, aber schwer für den, der in meiner Rolle ist.

Schliesslich nimmt Frisch Kontakt zu Chiarini auf, will ihn treffen, doch dieser entzieht sich – nicht nur dem Kontra­henten, sondern auch Bach­mann, kehrt reuig zu Frau und Kindern zurück und veröffentlicht ein Viertel­jahrhundert später einen Bachmann-Aufsatz inklusive Seiten­hieb gegen Max Frisch. (Ein kleiner Vorgeschmack auf die Schar­mützel, die in der Forschung bis heute ausgetragen werden.)

Den folgenden Sommer über scheint es, als hätten sich mit Chiarini auch die Wolken verzogen. Das Paar verbringt einen gemeinsamen Urlaub in St. Moritz, die Briefe zwischen Uetikon (Bachmann) und Rom (Frisch) klingen jetzt so:

Schreibst Du mir bald, mein lieber Bär?

Ich leg Dir hier noch einen Zettel mit Merk­sätzen dazu, damit Du ausser arbeiten und Dumm­heiten machen nicht vergisst, weltlich zu sein.

Viele zärtliche Küsse auf das braune Sommer­fell. Und nimm doch die Pfeife aus dem Mund.

Deine
Ingeborg

Dann lernt Frisch die 23-jährige Marianne Oellers kennen, die spätere Marianne Frisch.

Und Bachmann? Schickt emphatische Liebes­briefe mit der Versicherung: «Ich bin für alles, was gut für Dich ist.» Schreibt: «Du sollst Marianne sehen oder reisen mit ihr, und ich verlange keine Rechenschaft.» Drängt schliesslich sogar – Poly­amorie avant la lettre – auf ein gemeinsames Leben aller drei. Worauf Frisch entgegnet: «Ach Ingeborg! Man umarmt sich nicht zu Dritt.»

Trotz allem: Im Spät­herbst 1962 scheint es noch einmal, als sei auch dies nur eine weitere Affäre, die die beiden als Paar über­stehen. Dass Bach­mann und Frisch sich getrennt hätten – vorerst ist es, wieder mal, nur ein Gerücht.

Bis zum Jahres­ende. Vom 10. bis 30. Dezember ist Bach­mann wegen einer psychischen Notlage zur stationären Behandlung in der Zürcher Bircher-Benner-Klinik. Ihrem Freund Hans Werner Henze wird sie später schreiben, sie habe versucht, sich umzu­bringen. Frisch besucht sie am 19. Dezember. Sie bestellt Rosen­sträusse, um den Anschein zu erwecken, einen Verehrer zu haben.

In der Silvester­nacht 1962/63 schreibt sie an Frisch:

Es ist unausweichlich. Wir müssen uns trennen. (…) In wenigen Tagen wirst Du erleichtert und froh sein, dass ich es ausgesprochen habe. (…)

Dass Du mich jetzt nicht liebst, weiss ich, (…) und ich glaube nicht einmal mehr, dass Du je ein wirkliches Gefühl für mich gehabt hast.

Sie liebe ihn noch immer, aber wolle «jetzt dieses Gefühl bald, bald zu einem Ende bringen und nie mehr für einen Menschen etwas dergleichen fühlen». Im selben, langen Brief geht sie auf Frischs Manuskript zum «Gantenbein»-Roman ein, das er ihr auch deshalb zum Lesen gegeben hat, weil darin die Jahre ihrer Beziehung in literarisch verfremdeter Weise verarbeitet sind. «Es wird wirklich ein epochales Buch werden», schreibt Bachmann:

Du bist wirklich ein ganz ganz grosser Schrift­steller, das musst Du noch wissen, wenn Du es manchmal nicht weisst, und darum musst Du Dich aufs Äusserste anstrengen. Du darfst nicht nachgeben und bequem werden.

Noch mehr steht in diesem denk­würdigen Brief.

Er möge Marianne «alles Liebe von mir» sagen «und wie gern ich sie habe». Und um für die Trennung möglichst alles zu vermeiden, «was da an Verletzungen passieren kann», wolle sie eine Forderung stellen: «dass alle Regelungen von mir allein getroffen werden», denn «beim Entscheiden zu zweit oder durch Besprechungen oder beim gegenseitigen Sich­überbieten­wollen an Edelmut» komme man «unweigerlich ins Straucheln. Ich verlange also von Dir, dass Du alles mir überlässt und Dich kein einziges Mal äusserst.» PS: «Das Wägeli steht in der Kölliker­strasse.»

Frisch antwortet: «ich erkenne in diesem schweren Brief deine ganze Grossartigkeit». Und dann, als wenig später die Töne wieder etwas schärfer werden: «Warum zerstören wir einander?»

Dieser Satz wird noch ungleich stärker zutreffen, als Frisch in diesem Moment ahnen kann. Aber die Anfangs­zeit der Trennung ist geprägt vom beidseitigen Versuch, das Ende möglichst ohne weitere Verheerungen zu bestehen. Bach­mann begleitet weiter die Arbeit am «Gantenbein» mit konstruktiver Kritik und dem Ausdruck grosser Wert­schätzung. Vorüber­gehende Bitten, ihr keine Briefe mehr zu schreiben, hebt sie wieder auf.

Aber sie befindet sich längst in einer existenziellen Krise, die noch lange andauern wird. Seit Monaten schon: Klinik­aufenthalte, ein schwer­wiegender medizinischer Eingriff (eine Gebärmutter­entfernung), psychologische Therapien. Ihre Medikamenten­abhängigkeit verschlimmert sich massiv aufgrund einer «unverantwortlichen Verschreibungs­praxis» der Ärzte (so Höller/Langer im Nachwort). Die tiefgreifende gesundheitliche Krise wird zunehmend zu einer umfassenden Lebens- und einschneidenden Schreib­krise.

Als ab Mai 1963 die Auflösung der gemeinsamen Wohnung in Rom vorbereitet wird, bleibt Bach­mann, bevor sie nach Berlin geht, zunächst die Unterkunft in Uetikon. Dennoch befällt sie zunehmend ein Gefühl der Heimat­losigkeit und des Ausgestossen­seins. Im Juni 1963 kommt es zu einem unerwarteten Aufeinander­treffen mit Frisch und Marianne Oellers in Rom, das in einen Disput mündet. «Wir werden einander nicht mehr sehen», schreibt Bach­mann an Frisch: «Ich kann nicht weiter.»

Der Ton verschärft sich. Auf den Vorwurf, sie nie geliebt zu haben, reagiert Frisch erbost und mit eigenen Vorwürfen. Das Aufrechnen, das Hervor­kramen alter Geschichten beginnt – der ganz gewöhnliche Rosen­krieg, den beide hatten vermeiden wollen.

Anfang 1964 kommt es zum endgültigen Bruch. Bach­mann hatte Frisch bereits erfolglos gebeten, ihre Briefe zu verbrennen, «damit niemand ein Schauspiel hat eines Tags». Nun will sie ihre Briefe von Frisch zurück­haben und kündigt an, dass sie von seinen «nichts aufbewahren werde». Frisch antwortet, auch er sei «nicht unverletzbar». Ihre Notizen zum «Gantenbein» gibt er ihr zurück, den Wunsch mit den Briefen aber werde er ihr nicht erfüllen:

Deine Briefe gehören mir, so wie meine Briefe Dir gehören.

Eine Veröffentlichung der Korres­pondenz brauche sie nicht zu fürchten, er habe «jede Veröffentlichung testamentarisch verboten» – was stimmt. 1985 wird er allerdings das Testament ändern und eine Sperr­frist von 20 Jahren nach seinem Tod verfügen.

Im Herbst 1964 erscheint «Mein Name sei Gantenbein». Wie der Brief­wechsel nun, nach jahrzehnte­langen Mutmassungen, erstmals zeigt, hatte Bach­mann den Roman in seinen Entstehungs­phasen begleitet, all ihre Änderungs­wünsche an Frisch kommuniziert und die Fahnen vor dem Druck zur Durch­sicht bekommen. Allem Anschein nach hat Frisch sämtliche Änderungs­wünsche berück­sichtigt. Aber nun, in einer Phase anhaltender Krank­heit, hat sich Bach­manns Blick auf die Vergangen­heit verändert. Sie fühlt sich in der Figur der Lila öffentlich bloss­gestellt. Adolf Opel, mit dem sie Anfang 1964 eine legendäre Prag- und später eine ebenfalls literarisch verarbeitete Ägypten­reise unternimmt, sowie ihr Vater Matthias Bachmann schreiben an Frisch und konfrontieren ihn mit Vorwürfen.

Zwischen Ingeborg Bach­mann und Max Frisch hingegen bricht der Brief­kontakt quasi ab. Im Oktober 1964 gratuliert er ihr zum Büchner-Preis, ansonsten korrespondieren sie allenfalls noch zu Eigentums­fragen und juristischen Angelegenheiten miteinander.

Die Verarbeitung der gemeinsamen Vergangenheit hat sich jetzt für beide, in unterschiedlicher Weise, auf die Literatur verschoben.

Und dort, in der wissenschaftlichen Rezeption der biografischen Dokumente und literarischen Texte, setzen nach Bachmanns Tod 1973 die Stellvertreter­kämpfe ein. Mit Auswirkungen bis hinein in die jetzige Brief­edition.

Nachspiel

Es gehört zu den unrühmlichen Pointen der Rezeptions­geschichte, dass in Teilen der Forschung die destruktive Dynamik zwischen Frisch und Bachmann eher fortgesetzt als wissenschaftlich analysiert wurde.

Unter Rekurs auf den berühmten Schluss­satz von Bachmanns Roman «Malina» – «Es war Mord» – und unter Verweis auf andere Prosa ihres «Todes­arten»-Projekts wurde Frisch von einigen Bachmann-Verehrern zum monströsen Bachmann-Zerstörer stilisiert; manche trieben die Dämonisierung so weit, dass sie Frisch kurzer­hand aus Bach­manns Biografie tilgten. In der Frisch-Forschung hingegen meinte man, den Autor dadurch verteidigen zu müssen, dass man auf das misogyne Klischee von Bach­manns sexueller Freizügigkeit abhob, die zur Zerrüttung der Beziehung geführt habe.

Die Germanistin Renate Langer hat diese problematischen Entwicklungen und die Fallen einer über­identifikatorischen, anwaltschaftlichen Herangehens­weise bereits 2011 in einem bis heute einschlägigen Text luzide beschrieben. Und Langer ist nun auch eine der Heraus­geberinnen des Brief­wechsels Bachmann/Frisch, zusammen mit Hans Höller, dem Doyen der Bachmann-Forschung; mit Thomas Strässle, dem Präsidenten der Max-Frisch-Stiftung; sowie der Celan-Spezialistin Barbara Wiedemann, die sich mit zahlreichen vorbildlichen (Brief-)Editionen einen Namen gemacht und auch hier die Koordination übernommen hat.

Wie gehen nun die Editorinnen mit der aufgeladenen Vorgeschichte um?

Hier wird es noch einmal kompliziert. Denn die neue Ausgabe resümiert und reflektiert die Proble­matik einer feindbild­lastigen Rezeptions­geschichte – und ist dennoch nicht vollkommen frei davon.

Das zeigt am deutlichsten der Blick auf die Nach­worte (es sind zwei). Auch wenn die Zuordnung, allein schon wegen Barbara Wiede­mann, so schwarz-weiss nicht aufgeht: Zwangs­läufig versteht man den Text der Salzburger Bachmann-Forscher Höller/Langer als Nachwort der Bachmann-Seite, jenes von Strässle/Wiedemann tendenziell als Vertretung der Frisch-Fraktion. Und so sehr sich einige zentrale Schilderungen decken, so augen­fällig sind auch die Unterschiede.

Ihrer Grund­these nach lesen Thomas Strässle und Barbara Wiede­mann die Liebes­geschichte Bachmann/Frisch als «gegenseitiges Verhängnis». Als «besonders wichtiges Ergebnis» der Edition sehen sie die «Neubewertung des ‹Gantenbein›» aufgrund von Bachmanns genauer Begleitung der Entstehung und verwahren sich gegen die Lektüre des Textes als Schlüssel­roman.

«Wir sind halt ein berühmtes Paar gewesen, leider»: Max Frisch an seinem Schreibtisch in Berzona TI, 1966. Henri Cartier-Bresson/Fondati/Magnum Photos/Keystone

Hans Höller und Renate Langer teilen den Befund, dass Lila, die Protagonistin des Romans, «nicht einfach eine entlarvende Kopie Bach­manns» sei, sondern der gesamte Text ein komplexes literarisches Spiel. Trotzdem lautet ihre Diagnose, Frischs «Weiter­verarbeitung der Briefe für den entstehenden Roman» sei «die Sünde wider den freien Geist der Literatur, ein Verrat an dem ihm am nächsten stehenden Menschen». Und Frischs Wissen um diese «Sünde» mache den Roman, im Sinne von Bach­manns Lob, «zu einem grossen Buch». Ob man dieser Argumentation folgen kann, sei dahin­gestellt. Auf die moralischen Fragen um Frischs Roman jedenfalls kann man sehr unterschiedliche Antworten geben. Aber wenn Höller/Langer «die wichtigste Legitimation» für die Veröffentlichung des Brief­wechsels in der Zustimmung von Bach­manns Geschwistern sehen («Niemandem hat Bachmann mehr vertraut»), verwundert im Vergleich ein wenig das Sünden­vokabular zum «Ganten­bein»; schliesslich hatte hier Bach­mann selbst im Vorfeld ihr Einverständnis gegeben.

Angesichts von Renate Langers Aufsatz 2011 mag es ausser­dem überraschen, dass der Ton im gemeinsamen Nach­wort mit Hans Höller von Anfang an unverkennbar von Abneigung gegen Max Frisch geprägt ist. Das beschränkt sich nicht auf eine – nachvoll­ziehbare – Partei­nahme für Bachmann, sondern äussert sich auch in Sticheleien gegen seine Qualitäten als Autor und seine Charakter­eigenschaften als Mensch. «Er war selbst überrascht, als er sich beim Schreiben des ‹Ganten­bein› als potenter Autor erlebte», heisst es da. Und weiter: «Frisch beschreibt sich hier als der Lieb­haber PS-starker Autos, der er war.» Höller/Langer lassen es sich nicht nehmen, noch eine Fuss­note anzubringen: «Ein Jahr zuvor hatte er einen Unfall mit einem geliehenen Porsche und bald darauf, noch während seiner Beziehung mit Bach­mann, fuhr er sein Fiat-Cabrio zu Schrott, wobei auch sein Bei­fahrer, Gustav René Hocke, verletzt wurde.»

Es menschelt ein wenig mehr als nötig in diesem Nach­wort einer ansonsten hervor­ragenden Edition. Man kann der Frisch-Seite zugute­halten, dass sie in ihren Noten zur Bach­mann-Philologie etwas subtiler zu Werke geht.

Letzter Punkt dazu (falls der Eindruck entstanden sein sollte, es seien sich zumindest in der Bach­mann-Forschung alle grün): Höller und Langer äussern im Nach­wort auch harsche Kritik an der Bach­mann-Forscherin und früheren Zürcher Professorin Sigrid Weigel. Der Briefwechsel zeige, «wie abwegig der rigorose Anti-Biographismus» sei, den Weigel propagiere.

Dazu muss man wissen: Seit den 1980ern und bis heute gilt Hans Höller als wichtigster Bachmann-Forscher, seit vielen Jahren ist die Salzburger Germanistik insgesamt ton­angebend auf diesem Gebiet. Als Weigel 1999 ihr Bachmann-Buch inklusive mancher Polemik gegen Höller publizierte, prägte ihre Studie eine Zeit lang die Forschung, zog aller­dings auch ihrerseits teilweise heftige Kritik auf sich – unter anderem von Höller und Langer.

Das Interesse an solchen Schar­mützeln dürfte ausserhalb von Germanisten­kreisen überschaubar sein. (Sonst müsste man laut­stark versichern: Es ist nicht immer so, wirklich nicht.) Im Kontext dieser Brief­ausgabe aber verdient die Aburteilung von Weigel einen näheren Blick.

Zum einen, weil Weigels Position keines­wegs so radikal anti­biografisch ist, wie Höller/Langer suggerieren. Viel­mehr war der Grund­gedanke ihrer «intellektuellen Biografie» gegen einen Reduktionismus gerichtet, der literarische Texte kurz­schlüssig auf ihren biografischen Aussage­wert abklopft (eine Gefahr, die auch Höller/Langer laufen, wenn sie im Nach­wort Verse aus Bach­manns bekanntestem Gedicht «Böhmen liegt am Meer» recht umstandslos als Resümee der Beziehung zu Frisch verstehen).

Zum anderen, und das ist wichtiger: Wenn die Salzburger Bach­mann Edition als massgebliche Neu­ausgabe die wichtigste Gegen­position zum eigenen Forschungs­ansatz in harschen Worten abtut, dann ist sie weniger ein Ort, das wissen­schaftliche Ringen um Deutungen abzubilden, als vielmehr das Mittel, Deutungs­hoheit durch­zusetzen – und das eigene Bach­mann-Bild zu kanonisieren. Auch das mag legitim, in der Tendenz vielleicht sogar unvermeidlich sein. Man sollte es nur nicht für die unumstössliche Wahr­heit halten.

Postskriptum

Im März 1972, nach Jahren der Funk­stille, schreibt Max Frisch noch einmal an Ingeborg Bachmann. Er soll für ein amerikanisches Publikum eine Anthologie zur deutsch­sprachigen Gegenwarts­literatur zusammen­stellen und bittet Bach­mann, fünf Gedichte beizusteuern, unbedingt auch ihr wichtigstes «Böhmen liegt am Meer».

Bachmann trifft ihre Auswahl, antwortet mit «Lieber Max Frisch» und mit «freundlichem Gruss». Frisch schreibt im Dankes­brief:

Liebe Ingeborg Bachmann
aber Liebe Ingeborg kommt mir richtiger vor

Ein Jahr später meldet er sich erneut. Aus der Anthologie ist nichts geworden.

Zur Transparenz

Unser Autor, Republik-Feuilleton-Redaktor Daniel Graf, hat selbst eine Zeit lang zu Ingeborg Bachmann geforscht und über ihre Lyrik seine Dissertation geschrieben.

Zum Weiterlesen (und zum Schauen):

Die Edition des Briefwechsels zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch entstand in Kooperation zwischen dem Max-Frisch-Archiv Zürich und der Ingeborg-Bachmann-Forschungs­stelle im Literatur­archiv Salzburg. Zugleich ist das Buch Teil der auf 30 Bände angelegten Ingeborg-Bachmann-Gesamt­ausgabe. Den Titel des Bandes liefert ein Zitat von Max Frisch: «Wir haben es nicht gut gemacht». Herausgegeben von Hans Höller, Renate Langer, Thomas Strässle und Barbara Wiedemann. Piper/Suhrkamp, München/Berlin 2022. 1039 Seiten, ca. 40 Franken.

Am 15. Dezember 2022 findet im Max-Frisch-Archiv an der ETH Zürich ein Gespräch mit Barbara Wiedemann statt, bei dem auch ausgewählte Original­briefe zu sehen sein werden. An den Literatur­häusern in Basel (13. Dezember 2022) und Zürich (14. Dezember 2022) sind ebenfalls Veranstaltungen mit Heraus­geberinnen des Briefwechsels geplant.

Anlässlich einer soeben eröffneten Bachmann-Ausstellung in der Österreichischen National­bibliothek zum 50. Todestag 2023 erschien kürzlich auch der Sammel­band «Ingeborg Bachmann. Eine Hommage». Ausserdem gibt es neue fiktionale Auseinander­setzungen mit der Beziehung Bachmann/Frisch. In der Reihe «Berühmte Paare – grosse Geschichten» ist im Aufbau-Verlag der Roman «Die Poesie der Liebe. Ingeborg Bachmann & Max Frisch» von Bettina Storks erschienen, die auch Autorin einer Doktor­arbeit zu Ingeborg Bachmann ist. Die Regisseurin Margarethe von Trotta hat von Frühjahr bis Sommer 2022 einen Spielfilm über Bachmann und Frisch gedreht, 2023 kommt er in die Kinos. Ursprünglich war als Filmtitel «Bachmann & Frisch» vorgesehen, nun soll er «Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste» heissen.