Geht es in der Kunst nicht sowieso meistens um Frauen?
Das Aargauer Kunsthaus stellt in «Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau …» nur Künstlerinnen aus. Warum solche Ausstellungen nötig, aber noch lange nicht genug sind.
Von Vera Sacchetti (Text) und Theresa Hein (Übersetzung), 22.09.2022
Ein Raster aus zwölf Quadraten, es überwuchert den Raum geradezu. Aus einem von ihnen starrt ein Frauengesicht die Betrachterin an; ein anderes zeigt einen grossen Hintern in leuchtend roten Hosen; einen geschlossenen Mund, der von einem Faden durchschnitten wird; Hände, die sich an einem dunklen Hintergrund festhalten.
Das hier könnte der kunstvolle Instagram-Feed einer Influencerin sein. Ist es aber nicht. Es handelt sich um ein Wandbild der Schweizer Fotografin Hannah Villiger aus den Jahren 1980/81, das die Ausstellung «Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau ... Eine Geschichte der Künstlerinnen» eröffnet, die derzeit im Aargauer Kunsthaus zu sehen ist. Wie der Name schon sagt, geht es hier um Frauen.
Aber geht es in der Kunst nicht sowieso meistens um Frauen?
Viele Frauen auf der Leinwand, wenige dahinter
1989 fragte das feministische Künstlerkollektiv Guerrilla Girls auf einem provokanten Plakat, das einen klassischen Akt mit Gorillakopf zeigte: «Müssen Frauen nackt sein, um ins Metropolitan Museum zu kommen?» Der Text wies sachlich darauf hin, dass Frauen zwar damals 85 Prozent der dargestellten Akte im Metropolitan Museum in New York ausmachten, aber lediglich 5 Prozent der ausgestellten Künstler.
Eine Menge Kunst über Frauen also, aber nicht gerade viel Kunst von Frauen. Dieses Missverhältnis besteht bis heute, auch wenn sich in den letzten Jahren viele Museen bemüht haben, Künstlerinnen stärker in den Blick zu nehmen, und ihre Arbeit mit Gruppenausstellungen oder einzelnen Retrospektiven würdigen.
Auch in der Schweiz ist eine (überfällige) Aufwertung von Künstlerinnen im Gange: mit Einzelausstellungen, die Frauen wie Lee Krasner, Miriam Cahn oder Sophie Taeuber-Arp gewidmet sind; oder Sammelausstellungen wie «Close-Up» in der Fondation Beyeler und «Here We Are!» im Vitra Design Museum vom vergangenen Jahr.
Die Grundlage für die Ausstellung «Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau …» im Aargauer Kunsthaus bilden, genau wie in der Fondation Beyeler, die Bestände des Museums. Namentlich die Dauerleihgaben des Schweizer Fotografen und Kunstsammlers Andreas Züst. Kuratiert hat die Ausstellung die Anglistikprofessorin und bekennende Feministin Elisabeth Bronfen.
«Ich hätte vieles anstellen können», erzählt mir Bronfen, als ich sie anrufe. «Aber als ich das Material durchging, beeindruckte mich die schiere Zahl an Künstlerinnen, von denen ich grösstenteils noch nie etwas gehört hatte. Ich dachte also, warum nicht auf die Frauen fokussieren?»
Die Ausstellung umfasst nun Werke von mehr als 40 Künstlerinnen, von bekannten Ikonen bis zu beinahe in Vergessenheit geratenen Namen. Zeitlich reicht sie vom frühen bis ins späte 20. Jahrhundert, mit einem Schwerpunkt um die Zeit nach 1960. «Dies ist die erste Generation Schweizer Künstlerinnen, die von Akademien kommen», sagt Bronfen. Ein grosser Teil der in der Ausstellung vertretenen Frauen habe gemeinsam studiert, erzählt sie, in Basel, Zürich oder in Bern; das erkläre, weshalb viele der Werke spürbar einen Bezug zueinander haben oder sich zu ergänzen scheinen.
Vera Sacchetti, geboren in Lissabon 1983, ist eine Designkritikerin und Kuratorin mit den Schwerpunkten Architektur und zeitgenössisches Design. Sacchetti lehrt an der Hochschule für Kunst und Design (HEAD) in Genf. Seit 2020 ist sie Mitglied der Eidgenössischen Designkommission. Sie lebt in Basel.
«Rückblickend betrachtet war dies der Beginn von etwas Neuem», sagt die Kuratorin. Die Frauen hätten in den 1960er- und 1970er-Jahren ihre Abschlüsse gemacht, als die zweite Welle des Feminismus in Europa und Nordamerika in vollem Gange war. Bronfen nahm diese Künstlerinnen als Ausgangspunkt für die Ausstellung, wollte dann aber wissen, was diese Künstlerinnen beeinflusst hatte, und bemühte sich, auch Frauen aus der Vorgängergeneration mit einzuschliessen: «Wer waren ihre Mütter oder Grossmütter?»
Der Museumsbesuch als Lektüre
Die Ausstellung erstreckt sich über einen Grossteil des Erdgeschosses des Aargauer Kunsthauses und ist in fünf Teile gegliedert. Ausgehend von konkreten Darstellungen des weiblichen Körpers oder von privaten Einrichtungsgegenständen, arbeitet sie sich vor zu abstrakteren Ideen wie Humor oder Pop. Zugleich begeben wir uns auf eine Zeitreise, vom Ende des 20. Jahrhunderts zurück in die frühe Moderne.
Als Literaturprofessorin hat Bronfen die Ausstellung nach einer literarischen Struktur organisiert. Nicht nur bezieht sie sich ausdrücklich auf einflussreiche Autorinnen wie Virginia Woolf und Gertrude Stein, sondern sie nennt die einzelnen Abschnitte der Ausstellung «Kapitel» und versucht, eine Erzählung zu entwickeln, die am Ende der Ausstellung auf ihren Höhepunkt zusteuert. Immer wieder gelingt es Bronfen tatsächlich, dieses erzählerische Moment in den Ausstellungsräumen lebendig werden zu lassen.
Das erste «Kapitel» konzentriert sich auf ganz unterschiedliche Darstellungen des weiblichen Körpers. Es beginnt bei nüchternen Fotografien von Frauen, die klassischen Schönheitsidealen trotzen, entweder durch ihre Pose oder durch die Proportionen: Nein, diese Frauen sind nicht die «Venus von Milo» oder Ingres’ «Badende».
Dann treten die Körper in den Hintergrund, verschwinden, werden in Einzelteile zersetzt oder verpuffen ganz, wie in den heftigen und nachdenklichen Zeichnungen von Miriam Cahn, Gabrielle Grässle und Leiko Ikemura. Die Künstlerinnen tragen den weiblichen Körper in kleinen, einzelnen Stücken ab, löschen ihn vollends vom Papier oder üben Zensur mit breiten Pinselstrichen. Was vom Körper übrig bleibt, wabert geisterhaft um die Besucherinnen herum und begleitet sie zum Ende des «Kapitels».
Hier wartet eine Vielzahl von Memento mori, die uns an den Tod und die Vergänglichkeit des Lebens erinnern. Zum Beispiel ein eindringliches Porträt von Garance Grenacher, das eine Frau zeigt, die auf einem Stuhl sitzt – oder ist sie daran gefesselt? –, und das flankiert wird von Alis Guggenheims rauem Gemälde «Die tote Freundin», einer märchenhaft-manischen Darstellung von der Beerdigung eines Mädchens. Der abscheuliche Kontrast zwischen Thema und Technik trifft die Besucher mit voller Wucht.
Von den Körpern geht es weiter zu den Innenräumen, in denen diese Frauen lebten, schliefen, träumten und arbeiteten. Bilder von ungemachten Betten und gepolsterten Sofas erinnern auf fast unheimliche Weise an die Zimmer, in denen wir Betrachterinnen leben.
Die darauffolgenden Räume gehören Künstlerinnen, die die Form des Porträts für sich nutzten, um ihr Selbst- und Fremdbild zu erkunden. Nebenbei hinterfragen sie Reinheitsideale oder die Idee von der perfekten Hausfrau und Mutter.
Einige der bekanntesten Künstlerinnen der Ausstellung sind in diesem, dem zweiten «Kapitel» zu sehen, darunter Manon mit der dramatischen und facettenreichen Selbstporträtserie «Die graue Wand oder 36 schlaflose Nächte» (1979). Die Künstlerin verkörpert in jedem der Bilder eine andere Kunstfigur, verwischt binäre Genderidentitäten genauso wie formale Kontraste zwischen «weichen» und «harten» Formen.
Oder Dorothy Iannone, die in «A Cookbook (1998 Portfolio)» auf Rezeptseiten ihre Gedanken über Häuslichkeit und Frausein zu Papier bringt und das Objekt besser im Museum aufgehoben weiss als in der Küche. Gleichzeitig sind auch herausragende Werke von nicht ganz so bekannten Künstlerinnen zu sehen, wie die humorvolle LED-Tafel «Maria Himmelfahrt» von Muda Mathis oder ein leuchtendes Mural von Donatella Maranta.
An dieser Stelle gerät die Erzählung trotz der Qualität der einzelnen Werke allerdings etwas ins Stocken. Zu vieles buhlt um die Aufmerksamkeit der Besucherinnen, zu vollgestopft wirken die Räume. Es sind die schwächsten Passagen der Ausstellung.
Es könnte natürlich auch Methode haben, eine Hinführung sein auf das letzte «Kapitel», das stärkste Werkensemble von allen. Es trägt den Alles-und-nichts-Titel «Ver-rücktes Sehen: Witz und visuelle Experimente». Die Sektion ist stark von surrealistischen Künstlerinnen geprägt; gleich am Eingang wartet Meret Oppenheims berühmter absurder Tisch mit Vogelfüssen.
Dann folgt eine Reihe leuchtender Zeichnungen von Künstlerinnen wie Ilse Weber und Louise Bourgeois, mit deren Werk Bronfen seit ihrem Aufenthalt im Studio der Künstlerin sehr gut vertraut ist. Sie füllen die Wände mit traumhaften Landschaften, sinnlosen Objekten und skurrilen Collagen. Grosse monochrome Skulpturen aus Messing oder Gold unterbrechen den Raum, wie die «Gottesanbeterin» von Olivia Etter. In ihrer Zusammenstellung bilden sie ein raffiniertes, aber auch düsteres Ensemble.
Im folgenden Raum, dem fulminanten Finale der Ausstellung, setzt sich das gelungene Spiel mit den Kontrasten zwischen Licht und Dunkelheit fort: dunkle und ruhelose Collagen auf Papier von Sonja Sekula, kombiniert mit hellen, bunten Arbeiten von Sophie Taeuber-Arp, von geometrischen Gouachen über Farb- und Formstudien bis hin zu kleinen, hölzernen Skulpturen, die an Spielzeuge erinnern.
Es ist nicht das erste Mal, dass die beiden Frauen gemeinsam ausgestellt werden, auch wenn ihre Lebensgeschichten weit auseinandergehen. «Eine sehr junge Sonja Sekula wurde zusammen mit Taeuber-Arp und Meret Oppenheim in New York ausgestellt», erzählt Bronfen. Während Taeuber-Arp in den Dreissigerjahren in Frankreich und der Schweiz von einem reichen Austausch mit Künstlern ihrer Zeit profitierte – obwohl sie lange verkannt wurde –, kehrte Sekula nach einiger Zeit in den USA (in die ihre Familie noch vor dem Zweiten Weltkrieg emigriert war) in die Schweiz zurück. Es gelang ihr nicht mehr, in der Szene Fuss zu fassen, und sie starb 1963 durch Suizid.
Die Überarbeitung der Kunstgeschichte
Dieser Mangel an Anerkennung, Gemeinschaft und Raum zur Entfaltung ist es, der Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts oftmals verbindet. Allzu häufig wurde junges Talent unterdrückt, Ambitionen mussten der praktischen, von Ehe und Kindererziehung geprägten Realität weichen. Frauen, die mit ihren Partnern zusammenarbeiteten, haben erlebt, wie die gemeinsame Arbeit einzig dem Mann zugeschrieben wurde. Geld und soziale Stellung verhalfen zwar einigen wenigen Frauen zur nötigen Unabhängigkeit, machten Reisen und künstlerische Arbeit möglich. Aber selbst wenn diese Frauen Teil einer Avantgarde-Bewegung waren – zum Beispiel der Surrealisten –, zeigten die männlichen Kollegen wenig Bereitschaft, das Rampenlicht mit ihnen zu teilen.
Und da die Mehrheit der Kunstkritiker, Journalisten und Historiker männlich war, spielten Bias und Sexismus eine Rolle dabei, wer in die Geschichte eingehen durfte und wer nicht.
Der Aufwand, mit dem die Neubetrachtung in «Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau …» betrieben wird, ist aus all diesen Gründen in der heutigen Zeit geradezu verpflichtend. Die Parallelen zwischen der Zeit der ausgestellten Künstlerinnen und heute werden ebenfalls schmerzlich deutlich – denn ganz ähnlich, wie diese Frauen ausgelöscht und vergessen wurden, ist es weiterhin möglich, dass eine zeitgenössische Generation von Künstlerinnen ausgelöscht und vergessen wird. Wie aber können wir Mechanismen schaffen, die garantieren, dass das nicht geschieht? Und wie stellen wir sicher, dass eine Ausstellung wie diese keine punktuelle Bejubelung bleibt?
Die Fragen sind essenziell, und nur wer über sie nachdenkt, ist fähig, die Notwendigkeit solcher Ausstellungen zu erfassen.
Statt gefällig Beifall für Projekte wie dieses zu klatschen, müssen Institutionen neu über die Art nachdenken, wie sie Künstlerinnen fördern und unterstützen. Tun sie das nicht, werden sich die Mechanismen der Auslöschung, die in der Kunstgeschichte eine Konstante sind, unweigerlich wiederholen. Vielleicht könnte schon der Prozess der Arbeit an einer Ausstellung wie «Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau …» eine Möglichkeit für Institutionen sein, Haltungen zu hinterfragen und ein Bewusstsein dafür zu schaffen, wie und wo Frauen in nationalen Sammlungen, der Kunstgeschichte und im künstlerischen Diskurs stattfinden – und wo nicht.
Ein wichtiger Teil dieser Bemühungen liegt, das zeigt dieser Besuch, im geschriebenen Wort, und damit wären wir wieder bei der Romanstruktur, die dann doch noch zum Clou der Ausstellung wird. Denn was bleibt nach einem Museumsbesuch?
Kataloge und Schriftstücke können einen wichtigen Beitrag zur Aufzeichnung einer Geschichte leisten, die unsichtbar und scheinbar vergessen ist. Auf diese Weise ist das vielleicht wirkungsvollste Vermächtnis von «Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau …» die kleine Broschüre, die als Ausstellungskatalog dient. Sie fasst alle Biografien der vertretenen Frauen zusammen. Der Text geht offen damit um, dass es Wissenslücken gibt – zu einigen der Künstlerinnen gaben die Recherchen schlicht nicht mehr her. Doch dieses kleine Glossar könnte der Anfang von etwas Grösserem sein.
Es ist ein Sprungbrett, ein Anhalts- und Ausgangspunkt für all jene, die den Text ergänzen und weiterschreiben möchten und die ihn für die Überarbeitung einer Kunstgeschichte nutzen wollen, die vor allem eins ist: entsetzlich unvollständig.
«Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau … Eine Geschichte der Künstlerinnen». Noch bis Mitte Januar 2023 im Aargauer Kunsthaus. Kuratiert von Elisabeth Bronfen, mit Werken von Silvia Bächli, Pipilotti Rist, Heidi Bucher, Sophie Taeuber-Arp und anderen.