Die Linksteuer-Lobby
Nach dem Nein zum Mediengesetz wollen die grossen Schweizer Verlage eine neue Steuer für Tech-Konzerne wie Facebook und Google. Und sie werden dabei vom Bundesrat und von den bürgerlichen Parteien unterstützt. Dahinter steckt ein Jahrzehnt Lobbyarbeit.
Eine Recherche von Dennis Bühler und Adrienne Fichter, 18.02.2022; Update um 13.48 Uhr
Jetzt ist es Zeit für Plan B. Die Schweizer Stimmbevölkerung sagte am vergangenen Sonntag überraschend deutlich Nein zur neuen Medienförderung. Nun setzen die grossen Schweizer Medienverlage auf eine andere Strategie, die genau für diesen Fall bereits vorbereitet in der Schublade liegt: die Einführung des sogenannten Leistungsschutzrechts.
Statt die Schweizer Steuerzahlerinnen sollen jetzt die global operierenden Tech-Giganten die journalistischen Leistungen von TX Group, CH Media, Ringier und NZZ mitfinanzieren. Wann immer sie einen journalistischen Beitrag auf ihren Plattformen verlinken, sollen sie künftig dafür bezahlen – so sieht es das neue Leistungsschutzrecht vor. Und die Chancen, dass die Idee in Bundesbern durchkommt, stehen ausgezeichnet.
Medienministerin Simonetta Sommaruga bestätigte am Sonntagabend: «Der Bundesrat hat der Schaffung eines Leistungsschutzrechts im Grundsatz bereits zugestimmt.» Und auch die Spitzen der bürgerlichen Regierungsparteien sind Feuer und Flamme: In der «Elefantenrunde» des Schweizer Fernsehens bejahten FDP-Präsident Thierry Burkart, Mitte-Präsident Gerhard Pfister und SVP-Parteileitungsmitglied Manuel Strupler den Handlungsbedarf unisono.
Schon zehn Tage vor der Abstimmung über das Medienförderungsgesetz hatte Verlegerpräsident und TX-Group-Chef Pietro Supino das Leistungsschutzrecht in einem Interview mit der Republik als «essenziell» bezeichnet. «Der Austausch mit Google und Facebook findet nicht auf Augenhöhe statt», sagte er. «Wir sind ihrer Marktmacht ausgeliefert. Um unsere Inhalte zu finanzieren, müssen wir erreichen, dass die Plattformen, die damit ein grosses Geschäft machen, ihren Teil beitragen.»
Was hat es mit der Offensive der Grossverleger und der Begeisterung der Politik auf sich? Und weshalb ist diese alte, noch vor kurzem tot geglaubte Forderung auf einmal wieder so lebendig?
Millionen von Google
In Teil I dieser Recherche enthüllte die Republik Ende Dezember, dass etliche kleine und mittlere Schweizer Verlage während der Pandemie auf finanzielle Unterstützung von Google zurückgriffen, während die vier grossen Medienhäuser TX Group, CH Media, Ringier und NZZ seit 2019 nichts mehr vom Mäzenatentum des vermeintlich uneigennützigen Tech-Giganten wissen wollen. Dies nicht aus Selbstlosigkeit: sondern weil sie in Wartestellung ausharren, bis das Leistungsschutzrecht kommt.
Dieser zweite Teil rekonstruiert, wie das Leistungsschutzrecht in der Schweizer Politik erneut ganz oben auf der Agenda gelandet ist.
Die wichtigsten Ergebnisse dieser Recherche:
Seit Sommer 2021 diskutiert das Bundesamt für Kommunikation hinter den Kulissen in einem «Mediendialog» mit Vertretern von Medienverbänden über die Einführung eines Leistungsschutzrechts. Wichtige digitalpolitische Organisationen wie die Digitale Gesellschaft sind aussen vor. Vorwärtsgetrieben wird das Gesetzesvorhaben von Ringier und vom Verlegerverband, in dem die TX Group und CH Media den Ton angeben.
Der Bundesrat propagiert das Leistungsschutzrecht, obwohl sich Medienministerin Sommaruga bewusst ist, dass davon primär Grossverlage profitieren würden. Also jene Konzerne, die eine Mehrheit der Stimmbevölkerung am vergangenen Sonntag nicht mit staatlicher Medienförderung unterstützen wollte. Kleine und mittlere Verlage könnten leer ausgehen.
Nach mehr als zehn Jahre andauerndem Lobbying stehen die Grossverleger kurz davor, ihr Ziel zu erreichen – und sich ihr nicht mehr besonders lukratives journalistisches Geschäft von Google und Facebook mitfinanzieren zu lassen. Dabei hilft ihnen auch die Entwicklung auf EU-Ebene.
Win-win-Situation oder Urheberrechtsverletzung?
Das Verhältnis zwischen Verlagen und global tätigen Plattformen wie Google und Facebook ist kompliziert, seit sich Erstere wirtschaftlich betrachtet auf dem absteigenden Ast befinden und Letztere immer mächtiger werden. Fachleute sprechen von einer «Frenemy»-Beziehung – eine Wortschöpfung, die sich aus friend (Freund) und enemy (Feind) zusammensetzt.
Einerseits sehen die Verleger in den Big-Tech-Konzernen eine enorme Konkurrenz: weil sie seit Jahren in rasantem Tempo Werbeeinnahmen an sie verlieren und weil viele Nutzerinnen sehr viel Zeit auf Google, Instagram und Whatsapp verbringen, die ihnen dann für die Lektüre des «Tages-Anzeigers» oder der NZZ fehlt.
Andererseits haben die Verlage aber auch immer eng mit den globalen Plattformen kooperiert und ihnen ihre Inhalte bereitwillig zur Verfügung gestellt. Kein Wunder: Lange Zeit handelte es sich auch in ihren Augen um eine Win-win-Situation.
Ab dem Jahr 2013 entschieden mehrere Big-Tech-Chefs wie etwa Mark Zuckerberg, von Medien geschaffene Inhalte algorithmisch zu honorieren, weil solche Postings viele Reaktionen, Empörung und Kommentare – kurz: «Engagement» – erzielten. Da ihre Werbeeinnahmen direkt von der Anzahl Klicks abhängen, profitierten zahlreiche Gratis-Medienportale stark von der besseren Sichtbarkeit in den sozialen Netzwerken.
Dennoch kam es wegen der Linkvorschauen auf den grossen Plattformen mit der Zeit zum Streit. Die Verleger argumentieren, dass die Anrisse auf «Google News» oder Facebook einen derart hohen Informationsgehalt aufweisen, dass gar kein Klickanreiz mehr bestehe; immer mehr Nutzern genügten die Kürzestnews, weshalb sich für sie ein Besuch auf den Websites der Redaktionen erübrige.
Daraus leiteten die Verleger ihre finanzielle Forderung ab: Die Big-Tech-Konzerne sollen für die Linkvorschauen bezahlen, weil es sich um urheberrechtlich geschützte Inhalte handle.
Es ist eine Forderung mit einer langen Historie.
Als der Verlegerverband Google verklagen wollte
Bereits 2009 propagierten die Schweizer Verleger die Idee in einem «medienpolitischen Manifest». Angemessene Massnahmen hätten «sicherzustellen, dass journalistische Inhalte und verlegerische Produkte einen griffigen Schutz geniessen vor der Ausnutzung durch Trittbrettfahrer», hiess es darin.
Die Schweizer begaben sich damit früh in den Windschatten der deutschen Verleger Hubert Burda und Mathias Döpfner, die Google schon zuvor den Kampf angesagt hatten. In der NZZ veröffentlichte ebendieser Döpfner damals ein langatmiges Plädoyer für ein Leistungsschutzrecht: «Wer liberal ist, verteidigt geistiges Eigentum», schrieb der Chef von Axel Springer in seinem Text, der damit begann, wie sehr er die Schweiz und ihr «leidenschaftliches Verhältnis zur Freiheit» liebe.
2012 verstärkten die Schweizer Verleger sowohl ihr Wehklagen als auch ihre Drohgebärden. «Was Suchmaschinenbetreiber und Aggregatoren im Netz machen, ist eine moderne Art des Diebstahls in digitaler Form», schimpfte Ringier-Chef Marc Walder in einem Interview mit der «SonntagsZeitung», deren damaliger Chefredaktor Martin Spieler ihn im Editorial derselben Ausgabe unterstützte: «Freiheit darf nicht bedeuten, dass sich jeder einfach stiehlt, was andere mit Geist, Kreativität und Fleiss erarbeiten. (…) Wer ein verstärktes Leistungsschutzrecht für Presseerzeugnisse ablehnt, nimmt in Kauf, dass es immer weniger Zeitungen gibt.»
Auch der damalige Verlegerpräsident Hanspeter Lebrument warnte: «Wenn wir keinen stärkeren Schutz bekommen, sehe ich schwarz für die Schweizer Zeitungen.» Sein Verband prüfte in jener Zeit sogar eine Klage gegen Google wegen einer angeblichen Verletzung des Bundesgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb.
Die erste Kehrtwende des Verlegerverbands
Gleichzeitig passten sich die Verlage den Mechanismen der grossen Tech-Player allerdings auch immer weiter an: Sie begannen damit, ihre Artikel selbst auf Facebook und Twitter zu verlinken; sie optimierten ihre Beiträge so, dass sie bei Google-Suchen prominenter platziert wurden (Jahre später sollte das Schweizer Medien-Start-up «Nau.ch» dieses Vorgehen perfektionieren); und sie stellten Community-Managerinnen an – als eines der letzten grossen Medienhäuser tat dies die als «alte Tante» verschriene NZZ per 1. März 2011.
Im Kampf um Reichweite gaben die Verlage etwas auf, das eigentlich Gold wert ist: Daten. Sie nahmen in Kauf, dass ihre Leserinnen fortan auf Facebook und Twitter über ihre Artikel diskutierten und – viel gravierender – nicht mehr sie selbst, sondern die grossen Plattformen über die Profildaten der Nutzer verfügten. Diese Daten ermöglichen es ihnen, Werbebotschaften viel gezielter auszuspielen, als es die Verlage vermögen. Für die Internetriesen sind sie deshalb Gold wert.
Damit nahm eine Entwicklung Fahrt auf, die seither unaufhaltsam fortgeschritten ist: 2019 flossen 1,6 Milliarden Franken Werbegeld aus der Schweiz zu Google, Facebook und Co.; den Schweizer Zeitungen verblieb im Jahr 2020 ein Kuchen von 432 Millionen – ein Minus von 75 Prozent seit dem Jahr 2007, als die Inserate noch 1,76 Milliarden Franken eingebracht hatten.
Obwohl die Talfahrt schon damals absehbar war, vollzogen die Verleger 2013 eine spektakuläre Kehrtwende. «Ein Leistungsschutzrecht ist für den Verband kein Thema mehr», sagte der damalige Geschäftsführer Urs Meyer. Und Tamedia-Chef Pietro Supino, damals Präsidiumsmitglied und ab 2016 Verbandspräsident, sagte, im Gegensatz zu den deutschen Verlegern lehne man eine kollektive Verwertung von Urheber- oder verwandten Schutzrechten ab – «der Verwaltungsaufwand stünde in keinem Verhältnis zum Ertrag».
Es sollte nicht die letzte 180-Grad-Wende sein.
Im Ständerat aufgelaufen
Denn schon 2019 wagten die Verlage den nächsten Versuch. Unmittelbar bevor die zuständige Kommission über die Urheberrechtsreform beriet, lobbyierte die damalige Ständerätin (und spätere Chefredaktorin der Westschweizer Tamedia-Frauenzeitschrift «Femina») Géraldine Savary hinter den Kulissen eine Linksteuer ins Gesetz.
Einer ihrer Anträge wurde von Rechtsanwalt Kai-Peter Uhlig verfasst, einem Leistungsschutzrechts-Enthusiasten und Berater des Verlegerverbands. Wortreich hatte er zuvor in einem Lobbying-Papier begründet, weshalb die Linkvorschauen als journalistisches Erzeugnis zu werten seien.
Doch das Manöver scheiterte. Nachdem der Ständerat einem Leistungsschutzrecht im März 2019 eine vorläufige Absage erteilt hatte, begrub auch die Kommission ihre entsprechenden Pläne. Ausschlaggebend sei gewesen, dass sich zwei angehörte Experten dezidiert gegen die Linksteuer ausgesprochen hätten, hiess es im «Tages-Anzeiger».
Von diesem erneuten Rückschlag liessen sich die Verleger freilich nicht entmutigen. Als Strohhalm diente ihnen der vom Ständerat an den Bundesrat gerichtete Auftrag, die EU-weiten Entwicklungen zu beobachten und die Situation der Verleger zu analysieren.
Die vier Grossverlage machen gemeinsame Sache
Als sich abzeichnete, dass die Regierung den bestellten Bericht noch vor Weihnachten 2021 präsentieren würde, erhöhten die Verlage den Druck. Ihr Powerplay bestand aus denselben Argumenten wie zehn Jahre zuvor. Vorgetragen in demselben effekthascherischen Ton.
Das Leistungsschutzrecht sei «wahrscheinlich das wichtigste Thema überhaupt, wenn es um die Zukunft des Journalismus und der Medienvielfalt in der Schweiz geht», sagte TX-Group-Verwaltungsratspräsident Supino im vergangenen Oktober. Denn: «Ohne Leistungsschutzrecht wird es in der Schweiz langfristig keine unabhängigen privaten Medien mehr geben können.»
Anfang November doppelte Ringier-CEO Marc Walder nach. «Dies ist vielleicht die wichtigste Weichenstellung für die Medienindustrie überhaupt», sagte er. Er halte es für angemessen, wenn Tech-Konzerne künftig 10 Prozent des mit journalistischen Inhalten erzielten Umsatzes abgeben müssten (womit die Schweizer Verlage – so schätzte Walder – allein von Google mit rund 100 Millionen Franken alimentiert würden).
Supinos Interview erschien in der zum Verlag CH Media gehörenden «Schweiz am Wochenende», Walders Interview in der «NZZ am Sonntag» – die vier grossen Verlage des Landes machten gemeinsame Sache.
Die Gespräche der vier Leitungsgremien laufen inzwischen in einem institutionalisierten Rahmen ab, wie Ringier auf Anfrage der Republik bestätigt. Man stehe in engem Austausch mit der TX Group, der NZZ, CH Media und dem Verlegerverband. «Dieser Dialog ist wichtig, weil wir uns in dieser Sache bislang in einem eigentlich rechtsfreien Raum befinden.»
Die Attacke von Justizministerin Keller-Sutter
Unmissverständlich richteten die Grossverleger ihre Erwartungen an die Politik.
Und die Regierung lieferte.
Zuerst attackierte Karin Keller-Sutter Google und Facebook frontal. Die Justizministerin, vor ihrer Wahl in den Bundesrat jahrelang Verwaltungsrätin der NZZ-Mediengruppe, verglich die Tech-Konzerne Mitte November am «Digital Economy Award» im Zürcher Hallenstadion mit Velodieben. «Produkte, die man nicht selbst hergestellt hat, kann man nicht kostenfrei zur Verfügung stellen», sagte sie. «Das ist, wie wenn man mit einem gestohlenen Velo herumfährt.»
Dann sprach sich auch Medienministerin Simonetta Sommaruga dezidiert für die Einführung eines Leistungsschutzrechts aus. Auf eine entsprechende Frage der Republik antwortete sie im Dezember an einer Medienkonferenz, es sei störend, dass die grossen Internetkonzerne mit Leistungen Geld verdienen, die Redaktionen erbracht haben. «Ich bin deshalb schon lange der Meinung, dass Google und Co. die Leistungen der einheimischen Medien abgelten sollen.»
In ihrer Haltung bestärkt sah sich Sommaruga durch den von ihr im Sommer initiierten «Mediendialog», der der Branche helfen soll, gestärkt aus der Digitalisierung hervorzugehen. Alle relevanten Medienverbände sowie Ringier und die SRG treffen sich seither alle paar Wochen, um in Arbeitsgruppen nach Lösungen für die aktuellen Herausforderungen zu suchen.
Die entscheidende Sitzung der vom Verlegerverband geleiteten Arbeitsgruppe «Kooperationen und Wettbewerb» fand kurz vor der bundesrätlichen Beschlussfassung statt. Zum Leistungsschutzrecht angehört wurde an jenem 24. November 2021 ein alter Bekannter: Rechtsanwalt Kai-Peter Uhlig, seit Jahren Berater des Verlegerverbands und überzeugter Befürworter des Leistungsschutzrechts. Weitere Expertinnen wurden nicht hinzugezogen.
So fehlte an jener Sitzung auch die Digitale Gesellschaft – jene netzpolitische Organisation, die 2019 an vorderster Front gegen das Leistungsschutzrecht lobbyiert hatte. Für Geschäftsführer Erik Schönenberger ist das nicht nachvollziehbar: «Das Leistungsschutzrecht hat Auswirkungen für die Plattformen und auf die Art und Weise, wie wir kommunizieren», sagt er zur Republik. «Die Frage, ob ein Leistungsschutzrecht in der Schweiz eingeführt werden soll, betrifft somit nicht nur die Medienbranche, sondern die Gesellschaft als Ganzes.»
«Widerspricht dem Wesen des freien Internets»
Immerhin: Gemeinsam mit Vertretern von Google, Facebook und der Wissenschaft durfte die Digitale Gesellschaft am 31. Januar dieses Jahres bei der für Medienpolitik zuständigen nationalrätlichen Verkehrs- und Fernmeldekommission vorsprechen, die sich ebenfalls noch vor der Abstimmung über das Medienförderungsgesetz mit Alternativen befasste.
Noch wollen sich die Parlamentarierinnen nicht festlegen. «Es gibt verschiedene Optionen, wie die Big-Tech-Konzerne zur Kasse gebeten werden können», sagt der Bündner SP-Nationalrat und Kommissionspräsident Jon Pult. «Ob es das Leistungsschutzrecht wird, ist offen.»
Den Lead wird letztlich allerdings nicht die Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen haben, sondern die Rechtskommission, weil das Leistungsschutzrecht im Rahmen des Urheberrechts verhandelt wird und somit in die Domäne der Justizministerin Karin Keller-Sutter fällt.
Mit der grünliberalen Nationalrätin Judith Bellaiche steht dem Ansinnen der Verleger ein Mitglied der Rechtskommission äusserst kritisch gegenüber: «Die Verlinkung und die Nutzung von Inhalten machen das Internet so, wie wir es heute kennen, aus», sagt sie. «Wird nun eine Linksteuer eingeführt, widerspricht dies dem Wesen des freien Internets.»
Für den Vergleich Keller-Sutters mit Velodieben hat Bellaiche nichts übrig. «Das ist eine ziemlich unbedarfte Antwort auf den Strukturwandel», sagt sie. Von Diebstahl könne man nicht sprechen, weil die Verlage selbst entscheiden würden, ob und wie ihre Inhalte verlinkt würden und wie viel davon präsentiert werde.
Doch die FDP-Bundesrätin hat die Weichen bereits gestellt.
Auf ihren Antrag hin fällte der Bundesrat an seiner letzten Sitzung vor der Weihnachtspause den Grundsatzentscheid für ein Leistungsschutzrecht: Er erteilte dem Eidgenössischen Institut für geistiges Eigentum den Auftrag, bis Ende 2022 eine entsprechende Vernehmlassungsvorlage auszuarbeiten. Das Institut soll dabei verschiedene rechtliche Optionen prüfen, unter anderem eine Anpassung des Wettbewerbsrechts.
Ich will es genauer wissen: Argumente der Kritiker gegen das Leistungsschutzrecht
Es stimmt, dass Tech-Plattformen von den Medien als Content-Lieferanten profitieren. Journalistische Inhalte lösen oft reaktionsreiche Debatten aus, animieren zu längerer Verweildauer und sorgen damit für mehr Werbeeinnahmen. Trotzdem gibt es Argumente gegen das Leistungsschutzrecht.
Reduzierte Links
Im Kern geht es beim Streit um das Leistungsschutzrecht um die Bedeutung von Links auf journalistische Inhalte. Verlinkungen und Verweise sind urheberrechtlich erlaubt. Doch die Verlage werfen den Plattformen vor, zu viele Informationen in ihre Linkvorschau zu packen. Das stimmte eine gewisse Zeit lang. Doch die Linkvorschau machte in den letzten Jahren mehrere Schrumpfkuren durch. Zum Beispiel bei Facebook: Weil der immer wieder veränderte Newsfeed-Algorithmus inzwischen originär hochgeladene Katzen-Memes, Fake News und selbst produzierte Sensationsvideos bevorzugt, werden Links auf seriöse Medien immer unwichtiger und reduzierter – und damit eine Steuer schwieriger zu rechtfertigen.
Genauso verhält es sich mit der Spezialsparte «Google News», auf die insbesondere die Verlage schielen. Der Werbekonzern hat diese Snippets als Antwort auf die Regulierungen so sehr gekürzt, dass sie kaum mehr aussagekräftig sind. Dazu kommt, dass bei «Google News» gar keine Werbung angezeigt wird, Google also nicht sofort und nachweislich Geld damit verdient.
Inhalt von überall
Anders ist das natürlich bei der Google-Suche, für Google wegen der Anzeigen in den Suchtreffern eine ihrer Haupteinnahmequellen. Auch hier können journalistische Inhalte mit Titel, Vorschau und Quelle erscheinen. Doch nimmt man diese Tatsache als Basis für eine Linksteuer, müssten fortan nicht nur Medienverlage bezahlt werden – sondern alle Arten von Websites, etwa Portale mit Gesundheitsfachwissen oder Enzyklopädien wie Wikipedia. Die Übermacht von Google ist schlicht zu gross.
Denn der Suchmaschinenkonzern packt immer mehr Inhalte in die Suchergebnisse rein und bedient sich dabei allerlei Quellen, nicht nur der Medien. Diese Zeilen werden in prominenten Boxen platziert. Gibt man bei Google die Frage «Wie lange ansteckend bei Corona?» ein, werden die ersten drei Sätze des ersten Treffers angezeigt. Oftmals beantworten diese Zeilen bereits schon die Suchanfrage – Nutzerinnen müssen gar nicht erst weiterklicken.
Gegen die Grundidee des Netzes
Das Leistungsschutzrecht ritzt ausserdem an den Prinzipien des Web 2.0, des Mitmach-Webs und somit auch des Internets, wie wir es heute kennen. Dieses lebt von Inhalten seiner Nutzer, dem sogenannten user-generated content.
Es ist schwierig zu rechtfertigen, weshalb ausgerechnet Medienverlage eine Art «Artenschutz» erhalten und entschädigt werden sollen. Das zeigt sich beispielhaft bei der Frage der Blogs. Offiziell dürfen nur «journalistische Veröffentlichungen» von dem im Gesetz angedachten Verlegerschutz profitieren. So steht es in der EU-Urheberrechtsrichtlinie: «Auch sollte dieser Schutz nicht für Internetseiten wie etwa Blogs gelten, die im Rahmen einer Tätigkeit, die nicht auf Initiative sowie unter der redaktionellen Verantwortung und der Aufsicht eines Dienstleisters wie etwa eines Presseverlags stattfindet, Informationen zur Verfügung stellen.»
Was nun alles darunterfällt, ob qualitativ hochwertige Blogs gemeint sind, die von Journalistinnen betrieben werden und ebenfalls redaktionellen Kriterien standhalten, ist unklar. Das sagt auch Camille Roseau vom Verband Medien mit Zukunft: «Kleinere Verlage drohen auf der Strecke zu bleiben, ganz zu schweigen von anderen Inhaltsanbieterinnen wie Bloggern oder weiteren Anbieterinnen von Information.»
Auf der anderen Seite ist ebenso unklar, ob Blogs selber die Lizenzgebühr zahlen müssten. So steht etwa in der EU-Richtlinie: «Derartige Dienste sollten keine Dienste einschliessen, deren wichtigster Zweck ein anderer ist als der, Nutzern das Hochladen und Weiterleiten einer grossen Menge von urheberrechtlich geschützten Inhalten zu ermöglichen, um aus dieser Tätigkeit Gewinne zu ziehen.»
Doch ein Blog, der vor allem Inhalte kuratiert, lebt gewissermassen von fremden, urheberrechtlich geschützten Inhalten. Wenn die Bloggerin nun auch noch Werbung ausspielt auf ihrer Website, würde sie Gelder einnehmen und kommerziell arbeiten. Und könnte damit als Zahlerin unter das Leistungsschutzrecht fallen.
(Ein Beispiel, bei dem auch die Republik betroffen wäre, zeigt sich etwa in diesem Artikel, in dem wir die Verlegerinnen aufgefordert haben, ihre Lieblingslektüre zu teilen. Die Linkvorschau sieht sehr grosszügig aus. Es ist unklar, ob die Republik als Medienhaus bei einem solchen Beispiel auch an alle betroffenen Medienhäuser zahlen müsste.)
Insgesamt würde ein Leistungsschutzrecht viel mehr Fragen aufwerfen, als es auf den ersten Blick wirken mag. Wer nun begünstigt wird oder unter eine Zahlpflicht fällt beim Leistungsschutzrecht, sind Fragen, die von der EU entschieden werden und vermutlich vor einem Gericht verhandelt werden müssen. So sieht das auch Emanuel Meyer vom Institut für geistiges Eigentum (IGE) etwa bei den Blogs: «Ob die Verwendung von Adsense einen Blog zu einem ‹Dienst gegen Entgelt› macht, setzt eine Beurteilung voraus, die von einem Gericht in einem EU-Mitgliedsstaat vorgenommen werden kann, nicht aber vom IGE.»
Profitieren auch die kleineren Verlage?
Der Bundesrat sprach sich für das Leistungsschutzrecht aus, obwohl sich Medienministerin Sommaruga bewusst zu sein scheint, dass dieses primär den Grossverlagen zugutekäme. An einer Medienkonferenz von Anfang Dezember 2021 sagte sie: «Mit Blick auf die Abstimmung vom 13. Februar ist eines klar: Das Leistungsschutzrecht ist keine Alternative zum Medienpaket. Denn erstens dauert es Jahre, bis es überhaupt wirken könnte. Und zweitens profitieren von ihm nur die grossen Medienhäuser.» Am vergangenen Sonntag bekräftigte die SP-Bundesrätin erneut, dass die Frage, wie auch die kleinen und mittleren Verlage davon profitieren könnten, noch zu vertiefen sei.
Sommaruga bezieht sich damit auf eine Befürchtung, die im Rahmen des «Mediendialogs» vom Verband Medien mit Zukunft vorgebracht worden ist. Zu diesem Verband hatten sich kleine Verlage vor viereinhalb Jahren zusammengeschlossen, darunter auch die Republik respektive Project R. Co-Präsidentin Camille Roseau sagt: «Wir versprechen uns keinen Nutzen für kleinere Verlage. Es ist uns noch nicht einmal klar, ob die grossen Schweizer Verlage gemeinsam genügend Verhandlungsmacht aufbringen können, um von Google substanzielle Gegenleistungen zu erhalten.»
Roseaus Sorge ist berechtigt. Denn mit dem Leistungsschutzrecht fliesst kein Geld zum Staat, der dieses dann nach einem Verteilschlüssel unter den Verlagen aufteilen könnte. Der Mecano ist ein anderer: Das Leistungsschutzrecht verpflichtet Google und Co. lediglich, bilateral mit den Verlagen zu verhandeln. Ob sie sich einigen – und wenn ja, auf welchen Preis –, kann der Staat nicht beeinflussen.
In der EU scheiterten mehrere Versuche
Nicht nur in der Schweiz wird seit einem Jahrzehnt über eine Linksteuer gestritten. Sondern weltweit.
In den 2010er-Jahren sind Versuche mehrerer EU-Länder gescheitert, auf nationaler Ebene ein Leistungsschutzrecht umzusetzen – trotz entsprechender Gesetze floss bis vor kurzem kein einziger Euro zu den Verlagen. Der Grund war überall derselbe: Die Big-Tech-Konzerne liessen ihre Muskeln spielen.
So stellte Google seinen Dienst «Google News» in Spanien im Jahr 2014 schlicht und einfach ein, was die Zugriffe auf die nationalen Nachrichtenseiten unverzüglich markant sinken liess. Gemäss einer Studie einer spanischen Verlegervereinigung mussten die Medien des Landes einen Umsatzrückgang von rund 9 Millionen Euro hinnehmen. Analog war Google drei Jahre zuvor in Belgien vorgegangen.
In Deutschland genügte Google 2014 sogar eine Drohkulisse, damit die Verleger kalte Füsse bekamen: Der Suchmaschinenkonzern kündigte an, auf «Google News» nur noch die Überschriften der Medientexte darzustellen und auf Vorschaubilder und kurze Textanrisse zu verzichten. Aus Furcht, die Anzahl Klicks könnte einbrechen, stellten die deutschen Verlage Google und Facebook Gratislizenzen aus – was das gesamte im Jahr zuvor in Kraft getretene Gesetz ad absurdum führte. Endgültig Schiffbruch erlitten die Bemühungen der deutschen Politik 2019, als der Europäische Gerichtshof das Leistungsschutzrecht wegen einer Formalität für nicht anwendbar erklärte.
Trotz der gescheiterten nationalen Experimente machte sich die EU daran, das Urheberrecht gesamteuropäisch zugunsten der Medienwelt zu verändern. In der Hoffnung, gegenüber dem Silicon Valley mit mehr Gewicht auftreten zu können, als es ein Staat allein zu tun vermag. In anderen digitalpolitischen Bereichen hatte Brüssel mit einem solchen Vorgehen Erfolg gehabt: beim Datenschutzrecht etwa oder beim Kampf gegen Desinformation und Hatespeech.
Der Showdown in Australien
Während der EU-Verwaltungsapparat auf Hochtouren an der Revision des Urheberrechts arbeitete, kam es im Februar 2021 auf der anderen Seite der Erde zum Showdown: Facebook, Google und die dortigen Verlagshäuser stritten sich um den «News Media Bargaining Code», das australische Pendant zum Leistungsschutzrecht. Wie in Europa hielten alle Parteien an ihren Standpunkten fest. Doch anders als in Europa gaben die Verleger in Down Under nicht nach.
Die Antwort von Facebook?
Dasselbe Manöver, das Google im Jahrzehnt zuvor perfektioniert hatte: Facebook zog den Stecker. Australiens Medienlinks wurden kurzerhand von der Plattform entfernt. Keine Australierin konnte mehr via Facebook Medieninhalte lesen oder teilen.
Wochenlang stellte sich der Big-Tech-Konzern stur, schliesslich aber lenkte er – dank hartnäckigem Engagement der australischen Regierung – doch noch ein: Facebook und Google trafen mit dem grössten Medienkonzern des Landes, dem News-Corp-Imperium von Rupert Murdoch, eine Vereinbarung für drei Jahre.
Innert weniger Monate schwappte der Erfolg nach Europa über. Auf Basis eines bereits 2019 verabschiedeten nationalen Gesetzes einigten sich im Juli 2021 auch Frankreichs Verlage mit den Big-Tech-Konzernen. Und auch in Deutschland kam es zuletzt zu einer Annäherung: Während sich Google kompromissbereit zeigt, ziert sich Facebook nach wie vor.
Die jüngsten Erfahrungen in Australien und Frankreich zeigen, dass den globalen Plattformen beizukommen ist, wenn Verlage einen langen Atem haben und wenn sie von der Regierung unterstützt werden. Allerdings gelang dies bisher in beiden Staaten nur den Grossverlagen, die über eine passable Verhandlungsposition verfügen, weil Google, Facebook und Co. nicht auf ihre Inhalte verzichten wollen. Die geschlossenen bilateralen Verträge sind geheim und intransparent. Kleinere Verlage gingen leer aus.
Die Mindeststeuer als Alternative?
Tatsächlich haben Medienverlegerinnen Grund zur Empörung: Sie mussten zusehen, wie Giganten aus dem Silicon Valley ihren Werbekuchen zusammenschrumpfen liessen.
Genau für die Kompensation dieser Ausfälle war das Medienförderpaket gedacht, das die Stimmberechtigten am vergangenen Sonntag in Bausch und Bogen verwarfen.
Wie weiter?
Statt mit einem Leistungsschutzrecht könnte ein Teil der abgeflossenen Gelder auch durch die von der OECD und die G-20 geplante Mindeststeuer von 15 Prozent zurückgeholt werden, die vor allem auf global tätige Digitalkonzerne wie Google, Amazon etc. abzielt. Voraussichtlich wird sie auch in der Schweiz implementiert und sich auf alle Geschäftsfelder erstrecken, also auch auf den durch Datenbearbeitung und Werbung erzielten Gewinn (wobei auch hier viel politischer Widerstand droht).
Freilich müsste politisch verhandelt werden, dass die Einnahmen der Mindeststeuer nicht in den ordentlichen Staatshaushalt wandern, sondern an die Medienverlage ausbezahlt werden.
Doch wer die Historie des Leistungsschutzrechts kennt und weiss, wie stark die Branche der parlamentarischen Beratung des Medienförderpakets ihren Stempel aufgedrückt hat, ahnt: Den lobbyingerprobten Verlegern ist ein solcher Verhandlungserfolg ohne weiteres zuzutrauen.
Korrigendum: In einer ersten Version schrieben wir, Pietro Supino habe sich 2013 gegen die Einführung des Leistungsschutzrechts ausgesprochen. Das ist falsch. Er lehnte in seiner Rede am damaligen Verlegerkongress bloss eine kollektive Verwertung von Urheber- oder verwandten Schutzrechten ab. Wir entschuldigen uns für das Versehen.