Wer hat Angst vor freien Medien?
Bald stimmt die Schweiz über ein Massnahmenpaket zur Förderung der Medien ab. Es geht dabei um Grundfragen von Aufklärung und Demokratie.
Von Daniel Binswanger, 18.12.2021
Eine politische Urangst ist im Nachgang zum Wahlsieg von Donald Trump 2016 erneut zur konkreten Bedrohung geworden: Können scheinbar solide demokratische Verfassungsstaaten von populistischen Bewegungen plötzlich weggefegt werden? Beantwortet ist diese Frage bis heute nicht. Nach seinem gescheiterten Putsch im letzten Januar ist Trump noch immer die Führungsfigur der Republikanischen Partei. In Europa erblüht derweil in der Gestalt von Eric Zemmour eine französische Spielart des Trumpismus, deren ideologisches Profil noch einiges radikaler sein dürfte.
Mit der Pandemie hat sich jedoch eine verschärfte Variante dieser Urangst in den Vordergrund geschoben: Kann in der digitalisierten Wissensgesellschaft ganz plötzlich die Gegenaufklärung die Oberhand gewinnen – ein antiwissenschaftlicher, destruktiver, gar tödlicher Irrationalismus? Während die Intensivstationen zum Bersten voll sind mit renitenten Impfskeptikerinnen – und auf der Nachrichten-App Telegram die Massnahmenkritiker und rechtsextreme Bubbles immer wildere Allianzen bilden –, beschleicht einen die Frage, ob das Ideal der Aufklärung, des wissenschaftlichen Fortschritts, der vernünftigen Debatte nicht definitiv an eine Grenze stösst. Ob radikalisierte Filterblasen und Youtube-Verschwörungserzählungen nicht irreversible gesellschaftliche Fakten schaffen.
Was könnte Abhilfe bringen? Wir müssen unter anderem dort ansetzen, wo der Kern des Projektes der Aufklärung liegt. Um wieder einmal Immanuel Kant und seinen Grundlagentext «Was ist Aufklärung?» zu zitieren: «Zu dieser Aufklärung aber wird nichts erfordert als Freiheit (…) nämlich die: von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlichen Gebrauch zu machen.» Der «öffentliche Gebrauch der Vernunft», die offene Auseinandersetzung und die freie, vernünftige Debatte sind die Grundlage und der Motor allen aufklärerischen Fortschritts. Um es etwas prosaischer und konkreter zu sagen: Aufgeklärte Gesellschaften sind angewiesen auf ein funktionierendes Mediensystem. Ein Mediensystem, das hinreichend leistungsfähig ist, um eine offene, informierte Debatte auch in Gang zu halten.
Die Pandemie hat in erschütternder Weise eine Aufklärungskrise an den Tag gebracht. Der Gedanke liegt nahe, dass sie eng verknüpft ist mit der Medienkrise, die nun schon seit über einem Jahrzehnt einen kontinuierlichen Schrumpfungs- und Niveauverlustprozess verursacht.
Deshalb ist das Referendum über das Massnahmenpaket zugunsten der Medien, über das wir im Februar entscheiden werden, nicht nur eine Abstimmung darüber, ob ein paar Dutzend Subventionsmillionen mehr oder weniger verteilt werden sollen und ob ein paar Grossverlage etwas mehr oder etwas weniger öffentliche Gelder abzweigen können. Es ist eine Abstimmung über die Grundlagen der Demokratie: darüber, ob wir einstehen für den «öffentlichen Gebrauch der Vernunft». Oder ob wir passiv hinnehmen, dass sich unsere Öffentlichkeit zunehmend in eine Einöde der ausgedünnten Informationsangebote verwandelt, in der finanzstarke Sonderinteressen nach Belieben und ohne nennenswerte Gegenmacht schalten und walten können, wie sie gerade wollen.
Die Debatte über das Medienpaket, so wie sie sich heute abzeichnet, erscheint selber wie ein Beispiel dafür, dass es mit dem öffentlichen Gebrauch der Vernunft allzu weit nicht mehr her ist: Die Einwände, die gemacht werden gegen das Medienförderungsgesetz, sind zum grössten Teil substanzlos. Doch die Gegnerinnen scheinen zu hoffen, dass sie damit durchkommen.
Das Hauptargument heisst einfach «Staat» – der ist ja schliesslich per se verdächtig. Wenn die Medien zu hohe Subventionen aus staatlichen Quellen erhalten, so lautet die Begründung, verlieren sie die Distanz gegenüber der Obrigkeit und damit auch ihre Kritikfähigkeit. Theoretisch könnten diese Bedenken legitim sein. Die Gegner der Vorlage sollten sich aber die Mühe machen, zu berücksichtigen, dass die Subventionszuteilung im neuen Medienförderungsgesetz sehr bewusst in einer Weise ausgestaltet wird, die genau diese Kritik entkräftet.
Es gibt nämlich keinerlei inhaltliche Kriterien, welche die Subventionszahlungen beeinflussen können, sie bemessen sich ausschliesslich an den auf dem Markt erzielten Einnahmen. Die Förderung der Onlinemedien ist proportional zu den Einnahmen aus Spenden und Abonnements, die Förderung der Printmedien ist proportional zur Zahl der ausgelieferten Abonnementzeitungen, die von der Postvergünstigung oder der neu eingeführten Förderung der Frühzustellung profitieren können. Es wird zwar als etatistisch denunziert – man darf schliesslich immer hoffen, dass das funktioniert –, aber nichts könnte marktwirtschaftlicher sein als das neue Medienförderungskonzept: Die ausgezahlten Summen orientieren sich ausschliesslich am Erfolg auf dem Lesermarkt, nicht am Inhalt oder an sonstigen Kriterien.
Es ist deshalb absurd, zu behaupten, die Medien würden Beisshemmungen entwickeln aufgrund der neuen Förderung. Im Gegenteil, sie werden weiterhin möglichst viele Leserinnen finden müssen, zum Beispiel durch scharfe Behördenkritik. Sie werden aber dank der Förderung mit ihren Erfolgen am Lesermarkt insgesamt höhere Einnahmen erzielen – Einnahmen, die angesichts dramatisch gesunkener Margen sehr willkommen und häufig auch überlebensnotwendig sind.
Etwas seltsam ist das Argument der Beeinflussbarkeit durch «Staatsnähe» auch deshalb, weil im Referendumskomitee Figuren wie Peter Weigelt und Konrad Hummler sitzen. Hummler ist Verwaltungsratspräsident des «Nebelspalters», Weigelt übt dieselbe Rolle bei der «Ostschweiz» aus. Beide Publikationen sind Kampfblätter mit klarer politischer Agenda und nicht ganz durchsichtiger privater Finanzierung. Der Eindruck dürfte nicht falsch sein, dass die Investoren diese Publikationen aufgrund ihrer Verpflichtung auf bestimmte ideologische Positionen unterstützen. Die staatliche Medienförderung fürchten diese Akteure nicht deshalb, weil sie die Medien abhängig machen würde. Im Gegenteil: Sie fürchten sie, weil die Medien durch inhaltlich ungebundene Förderungsmassnahmen viel unabhängiger würden. Und weil rechtsbürgerliches Kapital dann nicht mehr dieselbe mediale Dominanz aufbauen könnte.
Als weiteres Argument wird von den Mediengesetz-Gegnerinnen geltend gemacht, dass nun auch die Grossverlage mehr Subventionen bekommen sollen, und dies, obwohl Konzerne wie die TX Group und Ringier weiterhin sehr profitabel sind. Nicht zuletzt deshalb, weil sie ihr Geld immer mehr mit nicht publizistischen Tätigkeiten verdienen. Es trifft zu, dass die Grossverlage deutlich mehr Subventionen beziehen werden als zuvor, und man kann sich daran stossen. Doch die Behauptung, dass sie dadurch ihre Monopolstellung stärker ausbauen können, ist vollkommen unsinnig. Ein zentrales Element des neuen Massnahmenpakets ist nämlich die stark degressive Gestaltung der Subventionen, die genau das Gegenteil bewirken wird.
Die kleinen Verlage sollen bis zu 60 Prozent ihrer kommerziellen Einnahmen zusätzlich in Form von Subventionen vergütet bekommen können. Die Grossverlage hingegen sollen mit sehr viel niedrigeren Sätzen subventioniert werden. Quellen in der Bundesverwaltung sprechen von Grenzsätzen von nur 2,5 Prozent – sowohl für die Post- und die Frühzustellungsermässigung als auch für die Subventionen von Onlineangeboten. Die genaue Ausgestaltung des Modells müsste zwar vom Bundesrat noch vollzogen werden, aber das Prinzip der degressiven Subventionen ist festgeschrieben im Gesetz. Das bedeutet, dass Newcomer und Kleinverlage, etwa im Bereich der Lokalmedien, gegenüber den Grossverlagen massiv gestärkt würden.
Ein vollkommenes Fake-Narrativ entwickelt in diesem Zusammenhang das Referendumskomitee. Es scheint zu hoffen, dass es mit der Behauptung, die Grossverlage seien alleinige Nutzniesser des Medienpaketes, auch linke Wählerinnen abholen kann. Im Argumentarium der Gegner des Mediengesetzes heisst es: «Damit werden die Monopole der Konzernmedien zementiert. Innovative neue Medien und junge regionale Projekte bleiben chancenlos und werden abgewürgt – was zu noch mehr Einheitsbrei aus den Zentralredaktionen führt.» Das ist grotesker Nonsens.
Die grossen Verlagshäuser würden durch das Massnahmenpaket zwar ebenfalls von den erhöhten Subventionen profitieren, aber stark überproportional gefördert würden neue Start-ups und unabhängige regionale Medien. Genau dies aber wollen die Gegnerinnen des Gesetzes offensichtlich verhindern. Ihnen ist es viel lieber, wenn nur privates Grosskapital in der Medienförderung aktiv ist. Ein Mann wie Markus Somm, der ebenfalls zum Nein-Komitee gehört, hat seinen journalistischen Weg im Wesentlichen als Sondersubventionsprojekt von Christoph Blocher zurückgelegt. Medienförderung jedoch, die nicht an eine ideologische Agenda, sondern ausschliesslich an verlegerischen Erfolg gekoppelt ist, scheint er zu verabscheuen. So viel Unabhängigkeit darf nicht sein.
Es steht ganz Grundsätzliches auf dem Spiel bei der Abstimmung über das Mediengesetz. Nicht weniger als der Erhalt der Infrastruktur einer aufgeklärten Gesellschaft, die auch unter den erschwerten Bedingungen der Digitalisierung und des Medienwandels den öffentlichen Gebrauch der Vernunft gewährleisten muss. Nicht alle politischen Kräfte wünschen sich, um mit Kant zu sprechen, den «Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit». Es muss dafür gekämpft werden.
Illustration: Alex Solman
Bei einer Annahme des Medienförderungsgesetzes hätte voraussichtlich auch die Republik Anspruch auf Fördergelder. Ob sie davon Gebrauch machen würde, ist offen. Die Project R Genossenschaft als Herausgeberin der Republik hat noch keine Position zum Medienförderungsgesetz. Anfang Jahr wird die Verlegerschaft der Republik dazu befragt. Die Redaktion berichtet wie immer frei. Mehr dazu hier.