Aus der Redaktion

Die Redaktion ist nicht unabhängig, aber frei

Ende November steht eine Volksabstimmung an, die ein Unternehmer lanciert hat, der in die Republik investiert. Warum wir auch darüber kritisch berichten können – und Sie uns dabei nicht einfach blind vertrauen müssen.

Von Elia Blülle, 09.11.2021

Unabhängige Medien gibt es nicht, sie sind eine schöne Fiktion. Irgend­jemand bezahlt immer für Journalismus: Mäzene, Spenderinnen, Werbe­kunden, Aktionäre, die Leserschaft.

In jedem Unternehmen gilt: Wer zahlt, befiehlt. Auch in der Republik AG.

Warum, fragen Sie sich jetzt vielleicht, nennen die sich dann trotzdem «unabhängiges Magazin»?

Die Abhängigkeit von möglichst vielen

Als die Republik erst als Idee auf dem Papier existierte, floss am meisten Energie in eine entscheidende Frage: Wie schaffen wir eine Redaktion, die möglichst frei von Einflüssen so unabhängig wie möglich berichten kann?

Unsere Lösung: Wir sind von so vielen wie möglich abhängig – also von Ihnen, den inzwischen über 29’000 Mitgliedern und Abonnentinnen. Das führte zu einem hoch­komplexen Firmen­konstrukt der austarierten Macht, das heute noch Anwälten die Tränen in die Augen treibt. Und dazu, dass Sie in der Verlags­etage 46,4 Prozent der Stimmen am Unter­nehmen Republik besitzen – und die Investoren, die den Anschub finanzierten (und ihre Investitionen irgendwann zurück­erhalten), gerade einmal 5,3 Prozent.

Die Republik ist als leserfinanziertes Medium ohne Werbung also von so vielen abhängig, dass sie das schon wieder unabhängig macht. In diesen Wochen kommt uns diese breit verteilte Abhängigkeit besonders zugute.

Denn es steht eine Abstimmung an, bei der die Interessen eines Geldgebers direkt tangiert sind. Die Justiz­initiative, über die am 28. November entschieden wird, hat der Unternehmer Adrian Gasser lanciert. Er investierte 2019 in die Republik AG. Als Aktionär gehören ihm 0,5 Prozent der Stimmen.

Selbstverständlich berichtet die Republik auch über diese Initiative, ebenso wie über andere politische Themen. Wie aber stellen die Redaktion und das Unter­nehmen sicher, dass dabei Interessen­konflikte keine Rolle spielen?

Um diese Frage zu beantworten, muss man wissen: Interessen­konflikte gehören im Journalismus eigentlich immer dazu. Medien­unternehmen agieren in umkämpften Märkten, verfolgen deswegen auch politische und wirtschaftliche Partikular­interessen. Auch Journalistinnen sind Mitglieder bei Vereinen und Verbänden, wir haben Freunde, Bekannte, Verwandte, die in Parteien, politischen Organisationen oder anderen Unter­nehmen arbeiten.

Solche Verbindungen sind vielfältig und per se harmlos, solange sie in relevanten Fällen transparent gemacht werden und betroffene Redaktionen nicht davon abhalten, über bestimmte Themen, Personen, Unter­nehmen und Parteien zu berichten oder Kritik zu üben.

Wie wichtig es ist, offen über die Unabhängigkeit von Medien und Journalisten zu sprechen, zeigte kürzlich ein Skandal in Deutschland: Der Verleger Dirk Ippen verhinderte in seiner gleichnamigen Verlags­gruppe die Veröffentlichung einer Recherche über die «Bild»-Zeitung und deren Chef Julian Reichelt mit der Begründung, er wolle nicht, dass der Eindruck entstehe, sein Verlag wolle einem Wettbewerber wirtschaftlich schaden.

Das Investigativteam des Ippen-Verlags zeigte sich daraufhin in einem Protestbrief «schockiert von dieser Entscheidung» und beschwerte sich beim Verleger und der Geschäfts­leitung. Von einem «Eingriff nach Gutsherrenart» sprach der Deutsche Journalisten-Verband. «Verleger haben grundsätzlich die Finger von redaktionellen Entscheidungen zu lassen», schrieb sein Bundes­vorsitzender Frank Überall in einer Presse­mitteilung.

Der Ippen-Skandal ist ein Parade­beispiel für einen Eingriff eines Verlegers in die innere Presse­freiheit: die Zensur der eigenen Redaktion.

Wie wir uns gegen Eingriffe schützen

Damit Aktionäre, Investorinnen, aber auch Lobbys, Interessen­gruppen oder politische Parteien keinen Einfluss auf die Redaktion ausüben können, hat die Republik wie bereits erwähnt viel Zeit und Geld in den Aufbau ihrer Firmen­struktur gesteckt. So sollen Eingriffe in die innere Presse­freiheit und Selbst­zensur bestmöglich verhindert werden. Die relevanten Aspekte sind:

  • Werbefreiheit: Die Republik ist werbefrei. Und geht keine Kooperationen ein – bezahlt oder nicht –, die unsere Unabhängigkeit beeinflussen könnten. Wir geben oder verkaufen Daten unserer Leserinnen an niemanden weiter.

  • Keine Recherchefinanzierung: Die Republik lässt sich keine Reisespesen oder Recherchen von Unternehmen oder Stiftungen finanzieren. Wenn sich etwa ein Rohstoff­unternehmen bei uns melden und anbieten würde, sämtliche Spesen für eine Reportage im Kongo zu übernehmen, würden wir ablehnen. Als einzige Ausnahme gilt, wenn sich Republik-Journalistinnen selbst aktiv für Recherche­stipendien bewerben, die von unabhängigen Organisationen wie etwa Investigativ.ch vergeben werden.

  • Finanzierung: Im abgeschlossenen Geschäfts­jahr hat die Republik erstmals 100 Prozent ihrer Einnahmen aus dem Lesermarkt generiert. Das Schlimmste, was der Republik passieren könnte, wäre der Verlust von Mitgliedern und Abonnenten – zum Beispiel, weil sie das Vertrauen in unsere Publikation verlieren. Sprich: Ein «Fall Ippen» bei der Republik wäre unser Ruin. Die redaktionelle Unabhängigkeit ist geschäfts­relevant.

  • Aktionariat: Die Republik AG gehört keinem Mehrheits­aktionär. Alle Aktionäre und ihre Stimmen­anteile werden transparent ausgewiesen. Die Investoren kontrollieren rund 20 Prozent des Aktienkapitals. Sie haben am wenigsten zu sagen, werden dafür aber im Fall eines Gewinns bei der Ausschüttung finanziell bevorzugt. Die Project R Genossenschaft und das Gründer­team besitzen die restlichen 80 Prozent der Aktien. Mit diesem Modell ist garantiert, dass ein Gleich­gewicht zwischen Publikum, Mitarbeitenden und Investorinnen besteht – mindestens zwei von drei Parteien müssen hinter Firmen­entscheidungen stehen. Zusätzlich verpflichten sich alle Aktionäre über den Aktionärs­bindungs­vertrag (ABV), «die Unabhängigkeit der Redaktion in jeder Hinsicht» zu wahren.

Diese Hürden sollen es den Investorinnen und Aktionären verunmöglichen, substanziellen Druck auf die Redaktion auszuüben, und garantieren die innere Presse­freiheit der Republik-Redaktion. Dementsprechend wird die Redaktion auch die Justiz­initiative gleich behandeln wie alle anderen politischen Themen: Wir präsentieren die besten Argumente dafür und dagegen, ordnen die politische Vorlage ein, recherchieren dazu, berichten.

Die Arbeit von Journalistinnen kann aber nicht nur mit den Interessen von Investoren in Konflikt geraten, sondern auch mit jenen des persönlichen Umfelds. Bei der Republik, aber auch vielen anderen Redaktionen, gibt es dazu Regeln, die verhindern sollen, dass solche Interessen­bindungen in der Bericht­erstattung zu einem Problem werden:

  • Treu und Glauben: Von den Republik-Mitarbeiterinnen wird erwartet, dass sie persönliche Interessen­konflikte aktiv der Chef­redaktion melden.

  • Transparenz: Wir weisen in unseren Beiträgen in einer Transparenz­box darauf hin, wenn ein Autor eine Interessen­bindung hat, die im Konflikt steht mit der Bericht­erstattung (etwa in der Serie «Tamedia-Papers»).

  • Ausschluss: Ist der Interessen­konflikt unmittelbar und substanziell, darf die betroffene Journalistin bei der Republik nicht über das Thema berichten. Zum Beispiel darf ein Wirtschafts­redaktor nicht zur Firma recherchieren, bei der seine Partnerin oder sein Partner arbeitet. Das würde das Prinzip der Unabhängigkeit verletzen, weshalb er die Recherche einem Kollegen oder einer Kollegin überlassen müsste.

  • Pressekodex: Alle Journalistinnen und Journalisten, die bei der Republik arbeiten oder im Berufs­register der Medien­schaffenden eingetragen sind, unterwerfen sich dem Kodex des Schweizer Presse­rates. Dieser schreibt die berufliche Unabhängigkeit in der «Erklärung der Pflichten der Journalistinnen und Journalisten» als oberstes Prinzip vor. Wer dagegen verstösst, riskiert eine Rüge – und seine journalistische Integrität.

Bei allen Vorsichts­massnahmen lösen sich Interessen­konflikte nicht einfach in Luft auf. Niemand ist frei von äusseren Einflüssen. Die entscheidende Frage ist, wie transparent und ehrlich Journalistinnen und Journalisten damit umgehen. Im Journalismus unabhängig zu sein, bedeutet nicht, keine politische Haltung einzunehmen oder nach maximaler Objektivität und Ausgeglichenheit zu streben, sondern sich allen Einflüssen zu entziehen, die die Bericht­erstattung korrumpieren oder verfälschen könnten.

Wir versprechen als Redaktion der Republik, diese Unabhängigkeit jeden Tag, mit jeder Entscheidung und in jedem veröffentlichten Beitrag zu wahren.

Haben Sie Fragen? Die Redaktion antwortet Ihnen gerne im Dialog.