Das Lügen-Curry
Manche meiden Poulet aus ideologischen Gründen, andere, weil sie mal an einer Charcuterie-Theke gearbeitet haben. Doch an diesem veganen Mahl dürften auch alle anderen ihre helle Freude haben. «Geschmacksache», Folge 22.
Von Michael Rüegg (Text) und Reinhard Hunger (Bild), 13.07.2021
Meine Schwester ist Vegetarierin, seit sie drei Jahre alt ist. Ich möchte ihr wahres Alter nicht verraten, aber noch in diesem Jahrzehnt kann sie ein halbes Jahrhundert Vegetarismus feiern.
Ich erinnere mich, wie meine Mutter in den ersten Jahren für sie Sonderlösungen auf den Teller zauberte. Mit der Zeit merkte Mami, dass niemand von uns das Fleisch sofort vermisste, wenn es mal nicht da war. So kam es, dass wir immer häufiger und ohne zu murren den Fleischverzicht hinnahmen. Ausserdem war Rezession, und Verzicht stand etwas weiter oben auf der Liste als in den Jahren davor.
Auswärts essen gehen war für meine Schwester während der Achtzigerjahre in der Regel eine langweilige Angelegenheit. Sie konnte zwischen einem Salat und einem Gemüseteller wählen. Während ihres halben Lebens musste sie sich entweder erklären oder entschuldigen. Es war für meine Eltern ein bisschen, als würde man der Kellnerin mitteilen, das Kind habe eben eine psychische Behinderung.
Heute verstehen viele Lokale, dass interessante fleisch- und fischlose Optionen ihre Beliebtheit nicht mindern, sondern erhöhen. Und es müssen ja nicht immer Grünkornpuffer sein. Ich kenne Leute, die lieben es, im Herbst in Landgasthöfe zu pilgern. Dort bestellen sie dann den vegetarischen Wildteller. Begründung: «Ich liebe die Beilagen, das Fleisch weniger.» Was sie betrifft, könnten die Jäger im Herbst getrost Preiselbeeren pflücken, Pilze sammeln und Marroni aufheben.
Doch, ich bin lernfähig
Seit ich diese Kochkolumne schreibe, wird mir in den Kommentaren immer wieder mal in schwer beleidigtem Ton vorgeworfen, ich würde nie, nie, nie, fast gar nie oder praktisch nie etwas Veganes kochen. Das stimmt insofern, als ich halt am Ende über meine Pasta etwas Käse reibe. Damit erfülle ich die Denunziationskriterien eingefleischter Veganerinnen bereits. Dass ich zu Weihnachten 2019 einen veganen Mehrgänger publizierte, wird mir hingegen kaum zugutegehalten.
Aber man soll nicht seine Kritiker kritisieren, sondern aus dem Gesagten lernen. Weswegen ich hoch und heilig verspreche, dass für das heutige Curry kein Lebewesen zu Schaden gekommen ist. Es sei denn, im Koriander lebte eine Raupe (ich fand tatsächlich mal eine Raupe im Kräuterbüschel, nicht aber dieses Mal).
Ich stehe dazu, ich liebe Käse, Rahm, Butter und Eier. Natürlich könnte ich ohne leben, aber ich habe entschieden, das nicht zu tun. Ich mag auch gewisse Fleischsorten sehr gern. Und Rohschinken. (Neulich sagte ich im Gespräch mit einem Rabbiner, dass ein guter Rohschinken der grösste Hinderungsgrund für mich wäre, zum Judentum zu konvertieren.) Und gebratener Speck. Auch Fisch gelegentlich mal, solange er einigermassen roh ist. Auf all dies kann ich verzichten, tue es oft auch – vor allem während Auslandreisen. Andererseits bewundere ich Menschen, die sich bewusst für den Veganismus entscheiden. Und ich verachte solche, die anderen vorwerfen, dies nicht zu tun. Militanz war nie meins, schon gar nicht am Herd.
Item, lassen wir die Ideologie im Kühlschrank und reden wir über die Praxis: Die asiatische Küche eignet sich meines Erachtens am besten für veganes Kochen, da Käse und Co. hier sowieso selten sind. Und weil Fleischersatzprodukte dort am schönsten singen, wo sie von tanzenden Aromen umgeben sind. Fürs Malay-Curry etwa habe ich als vegane Variante Tofu vorgeschlagen. Heute gehen wir noch einen Schritt weiter in Richtung Viech und verarbeiten «Planted Chicken». Dieses gepflanzte Huhn kroch nie aus einem Ei, zupfte nirgendwo Würmer aus dem Boden und wurde am Ende seiner Mast nicht maschinell geköpft.
Stattdessen wurde Planted Chicken an der ETH Zürich aus Erbsenproteinen gezimmert. Ein künstliches Produkt, das einigermassen wie Huhn schmeckt. Ich selber verzichte auf den Verzehr von Hühnern. Als 15-Jähriger jobbte ich in der Migros an der Charcuterie-Theke. Jeden Morgen musste ich in die Aufbahrungshalle, wo die toten und marinierten Poulets lagen. Ich holte Dutzende der Viecher raus und schob sie in den Grill, wo sie vor sich hin garten und mir später beim Herausfischen ihr Fett auf meine neuen Reebok-Sneaker ergossen.
Vegetarisches mit Krabben?
Daher also: Planted Chicken. Weil Huhn eben doch die ideale Hauptzutat für grüne Currys ist, wir aber Huhn nicht essen wollen.
Doch das ist noch nicht alles. Ich führe nämlich einen kleinen Krieg gegen Thai-Currys. Dies, weil zwei ihrer traditionellen Zutaten Garnelenpaste und Fischsauce sind. Beides Ingredienzien, mit denen ich grösstmögliche Mühe bekunde. Der Mist ist, dass die beiden in vielen Lokalen sogar ein Tofu-Curry würzen. Da bestellt man Tofu und bekommt Schalentiere und vergorene Fischabfälle. Das ist ärgerlich.
Ich habe mir daher angewöhnt, meine Currypasten selber herzustellen. Es gibt zwar in guten Thai-Shops meist auch vegane Pasten, aber Selbermachen bereitet mehr Freude. Und man kann bei den Tischgenossinnen damit angeben. Von einer Kochlehrerin in Bangkok habe ich anno dazumal gelernt, dass man die shrimp paste durch Schwarzbohnenpaste ersetzen kann. Die ist ähnlich salzig-umami und falls Sie vor ein paar Monaten Mapo-Tofu mit mir und meinem Bekannten Shen zubereitet haben, liegt von dem Zeug noch immer etwas im Kühlschrank. Anstelle der Fischsauce nehmen wir einfach eine helle Sojasauce. All die restlichen prägenden Zutaten wie Zitronengras, Galangal, Koriander, Knoblauch, Schalotten – an denen ist nichts Tierisches.
Das Wichtigste für die Zubereitung ist jedoch ein grosser steinerner Mörser. Mörser können nie zu gross sein. Es ist schlicht unmöglich, einen zu grossen Mörser zu besitzen. Einzige Einschränkung: Der Stössel ist zu schwer, Sie können ihn nicht mehr hochheben.
Das Rezept: Veganes grünes Curry
Für die Paste: 1 TL Koriandersamen, 1 TL Kreuzkümmel, ein paar weisse Pfefferkörner, 1–2 Schalotten, 5–10 kleine grüne Chilischoten, 1 daumengrosses Stück Galangal, 2 Stangen Zitronengras, 1 Bund Koriander (inklusive seiner Wurzeln), 2 Knoblauchzehen, 2–3 Kaffirlimonenblätter, 1 EL Schwarzbohnenpaste, 1 EL neutrales Öl.
Für den Rest: 2 Packungen Planted Chicken à je 400 g, 0,5 kg weisse Thai-Auberginen, 1 Bund Thai-Basilikum, 3 Kaffirlimonenblätter, 0,5 l Kokosmilch oder 0,4 l Kokoscreme, helle Sojasauce, Rohrzucker, Saft einer halben Limette. Optional: Baby-Maiskölbchen, kleine grüne (bittere) Mini-Auberginen, weiteres Zeug, das man im Shop gefunden hat und als passend erachtet.
Für die Paste Koriandersamen, Kreuzkümmel und Pfeffer kurz in der Pfanne etwas anrösten und anschliessend mörsern. Dann Schalotten, die entkernten Chilischoten und den geschälten Galangal in den Mörser geben.
Beim Zitronengras nur die feuchten Teile verwenden, also äussere Schicht und Stroh weg, in dünne Rädchen schneiden und ab in den Mörser.
Wenn Ihr Koriander noch Würzelchen hat, diese waschen, klein schneiden und dazugeben. Andernfalls halt nur die Blätter verwenden.
Nun noch Knoblauch und Kaffirlimonenblätter ohne Stiel dazu und sich die Seele aus dem Leib mörsern, bis alles Mus ist, der Arm schmerzt und die Nachbarn wegen Lärmbelästigung die Polizei gerufen haben.
Nun die Schwarzbohnenpaste und das Öl dazugeben und die Aromen der Paste erschnuppern.
In einer Bratpfanne mit hohem Rand mit etwas Öl das Fake-Chicken ziemlich kurz anbraten, damit es ganz leicht Farbe nimmt. Rausnehmen und beiseitestellen. (Planted Chicken wird zäh, wenn es zu lange gekocht wird.)
Die Paste in die Pfanne geben und anbraten. Auberginen, die Blätter des Thai-Basilikums, Kaffirlimonenblätter und allfälliges weiteres Gemüse-Zeugs dazugeben und bei mittlerer Hitze etwas in der Paste wenden. Dann die Kokosmilch oder Kokoscreme dazugeben. Bei mittlerer Hitze ein paar Minuten unter gelegentlichem Wenden eins werden lassen. Das Curry sollte nicht kochen, damit das Gemüse noch etwas knackig bleibt.
Mit der hellen Sojasauce, Rohrzucker und Limettensaft abschmecken. Am besten tastet man sich langsam an den Geschmack heran. Ein gutes Curry ist etwas salzig, ein bisschen süss, leicht sauer und hat eine schöne Schärfe. Falls die Sache zu dick wird, mit etwas Wasser verdünnen.
Zum Schluss das Pseudohuhn hineingeben und warm werden lassen. Mit Reis servieren, falls noch Koriander übrig ist, ein paar Blättchen drüberstreuen. Wir assen dazu einen ungeschälten Jasmin-Reis aus Thailand, aus einem Projekt zur Umstellung auf biologische Landwirtschaft. Der hat echt gut gepasst.
Was dazu?
Analog zu meinen veganen Kritikerinnen zieht ein alter Schulfreund auf Facebook regelmässig meine Weinempfehlungen in Zweifel. Das Problem ist, dass er wesentlich mehr von Wein versteht als ich. Doch ich habe unterdessen akzeptiert, dass ich nicht allwissend sein kann. Seither geht es mir besser. Vielleicht hat Thomas P. also auch hier eine bessere Idee, aber solange Ihnen das einigermassen egal ist, können Sie anstelle eines Biers oder Tees gerne einen Riesling Kabinett aufmachen. Das sind leichte Rieslinge aus deutschen Landen, die mitunter nur 8 Prozent Alkohol aufweisen. Auch Gewürztraminer mit leichter Restsüsse bieten sich an, etwa aus dem Elsass oder von den Kolleginnen im Südtirol, woher der Traminer eigentlich stammen soll. Die machen dort im Gegensatz zum restlichen Italien auch sehr trinkbare Pinot Grigios. Und sonst halt weg mit dem Sake, der seit dem letzten Sushi-Versuch im Kühlschrank vor sich hin dümpelt.