Der gute Pfeffer von Szechuan
Wenn Schärfe schmerzt, warum dann nicht mit etwas Betäubendem kombinieren? Das Resultat heisst Mapo-Tofu (was das aus dem Chinesischen übersetzt heisst, wollen Sie nicht wirklich wissen). Geschmacksache, Folge 10.
Von Michael Rüegg (Text) und Silvio Knezevic (Bilder), 24.11.2020
Konfuzius sagt: «Gut ist, wenn man dem Taxifahrer in China die Adresse eines Hotels auf Chinesisch zeigen kann. Dumm ist hingegen, wenn das Hotel in der Buchungsbestätigung eine völlig falsche Adresse nennt und man mitsamt Gepäck inmitten eines ruhigen Wohnquartiers einer Millionenmetropole aussteigt, niemand ein Wort Englisch spricht und die staatliche Zensurbehörde Google Maps verboten hat.»
Der kluge Mann hat mit dieser zeitlosen Weisheit absolut recht, wie ich am eigenen Leib erfuhr, als ich vor wenigen Jahren aus einer Laune heraus entschied, während einer Asienreise einen Stopp in China einzulegen. Ich wählte als meinen Hub Chengdu, eine unbedeutende Siedlung mit lächerlichen 16 Millionen Einwohnerinnen. Die Stadt sieht aus, als ob sie mitten in China läge. Da westlich von Chengdu aber nur Tibet sowie eine riesige Wüste liegen, verorten wir die Provinzhauptstadt von Szechuan im Südwesten des Reichs der Mitte.
Die Region ist Heimat des Pandas. Man kann die Bären in einer Forschungsanstalt besuchen und ihnen dabei zuschauen, wie sie den ganzen Tag Bambus in sich hineinstopfen. Damit sind sie sinnbildlich. Denn Nahrungsaufnahme hat in der Provinz Szechuan generell einen hohen Stellenwert. Die Leute in Chengdu und Umgebung machen sich beispielsweise über die in ihren Augen erbärmliche Küche der Hauptstadt Peking lustig.
Zu den wichtigsten Zutaten der Szechuan-Kochkunst zählen Chilis und Szechuan-Pfeffer. Eigentlich handelt es sich dabei nicht um Pfeffer, sondern um die Fruchtschalen eines Gewächses, das mit Zitruspflanzen verwandt ist. Und Szechuan-Pfeffer ist auch nicht scharf, er ist betäubend. Auf Englisch würde ich das tingling nennen – zu Deutsch wird «kribbelnd» dem Gefühl auf der Zunge nicht ganz gerecht.
So für sich allein ist Szechuan-Pfeffer wie die meisten Gewürze keine Leckerei. Lustigerweise peppt er aber den Geschmackssinn auf. Wenn Sie irgendeine Speise probieren, dann ein Szechuan-Pfeffer-Korn zerkauen, kurz warten, bis das Schlimmste vorüber ist, und danach wieder von der Speise kosten, werden Sie vermutlich feststellen, dass der Geschmack beim zweiten Mal intensiver erscheint.
Wo bitte gibts hier Mapo?
China kann auf einen Alleinreisenden befremdend und einschüchternd wirken – insbesondere auf einen, welcher der Sprache mit Ausnahme von xiè xie (danke) nicht mächtig ist.
Mit anderen Worten: Ich war verdammt überfordert. Mein «Lonely Planet» war eher umfang- als hilfreich, und die Navigation mit dem Smartphone ohne Google praktisch unmöglich. Kein Wunder, fand ich das Restaurant nicht, in dem angeblich der beste Mapo-Tofu serviert wird. Ich entdeckte auch kein anderes Lokal, das Mapo-Tofu anbot, weil ich nicht wusste, wie Mapo-Tofu auf Chinesisch geschrieben wird.
Nach zwei Stunden Umherirren im subtropischen Abendklima Chengdus betrat ich etwas abgehubert ein ganz nett aussehendes Restaurant und richtete an die Dame am Empfang hoffnungsvoll die Worte «mápó dòufǔ?». Die Belegschaft lachte herzhaft und wies mir einen Tisch zu. Wie sich herausstellen sollte, servierte das Lokal das gewünschte Gericht nicht, stattdessen gab es Hotpot. Das ist eine Originalversion von Fondue chinoise, die hauptsächlich aus Chilischoten besteht.
Ein des Englischen mächtiger junger Mann half mir bei meiner Bestellung. Ich versicherte ihm, dass ich die scharfe Variante der Brühe vertragen würde. Als ich meinen ersten Bissen nahm, applaudierten die Leute um mich herum frenetisch. Der Hotpot war tatsächlich sowohl sehr gut als auch so ziemlich das Schärfste, was ich je gegessen hatte. (Bereits am Vormittag drauf schied ich das Gericht notfallmässig während eines Ausflugs in die Berge praktisch unverdaut wieder aus, Pardon.)
Nach zwei Tagen kehrte ich Chengdu, seinen Pandas und meinen 16 Millionen temporären Mitmenschen den Rücken, ohne Mapo-Tofu gekostet zu haben. Seither fehlte mir diese Erfahrung. Bis zu jenem Tag, als unlängst ein gewisser Shen in meiner Küche stand und mit meinem Messer Dinge zerhackte.
Die Sache mit den Windpocken
Shen ist ein junger Architekt aus Szechuan, der in Zürich seinen Master macht und grosses Interesse am Kochen zeigt. Ich lernte ihn zufälligerweise kennen, als ich via Facebook vietnamesisches Kunsthandwerk verschenkte. Ein älteres asiatisches Paar aus Kalifornien hatte das Gerümpel mal bei mir daheim liegen lassen, während ich in den Ferien war. Dies, nachdem ihnen mein Bekannter meine Wohnung ohne mein Wissen auf Airbnb vermietet hatte, statt meine Katze zu füttern. Ich war damals etwas verärgert über diese Vorgänge, aber im Nachhinein bin ich froh. Hätten sie nie bei mir gewohnt, hätten sie das Kunsthandwerk nicht bei mir vergessen – und ich hätte Shen nie kennengelernt und wüsste noch immer nicht, wie Mapo-Tofu schmeckt.
Das Geile an dem Gericht ist, dass es sowohl Tofu als auch Fleisch enthält. Es behandelt die Sojabohnenmasse nicht als halbbatzigen Fleischersatz, sondern als eine eigene Zutat, mehr noch, als die Hauptzutat. Und jetzt einfach mal Klappe halten, ihr Tofu-Haters da draussen! Das darf man erst dissen, wenn mans probiert hat.
Erfunden wurde Mapo-Tofu mutmasslich von einer Frau, die irgendwann in ihrem Leben eine unschöne Pockeninfektion gehabt haben muss. Denn der Name der Speise übersetzt sich ungefähr mit «Tofu nach Art der pockennarbigen Oma». Allerdings, sagt Shen, sei das Wort für Pocken dasselbe wie das für jenes tingling-Gefühl, das Szechuan-Pfeffer auslöse. Eine verstörende, aber dennoch nachvollziehbare Information.
Als Shen das vietnamesische Zeug holen kam, lud ich ihn ein, mit mir Mapo zu kochen, und bald darauf schickte er mich mit einer Einkaufsliste in den chinesischen Supermarkt. So richtig zufrieden war er mit mir nicht, denn ich versagte bei der Bohnenpaste und den fermentierten Schwarzbohnen und kaufte stattdessen Schwarzbohnenpaste. Ein unverzeihlicher Fehler.
Es schmeckte trotzdem gut. Sollten Sie also Mühe haben, Bohnenpaste und fermentierte Schwarze Bohnen zu finden, verwenden Sie einfach etwa drei Esslöffel Black Bean Sauce, die ist leichter zu finden. Shen würde das nicht gutheissen, aber damit müssen wir leben.
Mapo-Tofu à la mode de Shen
Zutaten für 4 Personen: 8–10 g getrocknete Chili, 3–4 g Szechuan-Pfeffer, 500 g chinesischer fester Tofu, 250 g Schweinehack, 3 EL helle Sojasauce, 3 EL Reiswein oder weisser Kochwein, 2 Knoblauchzehen, Bohnenpaste (辣豆瓣酱), fermentierte Schwarze Bohnen, 1 daumengrosses Stück Ingwer, 2–3 EL dunkle Sojasauce, 2 TL Zucker, 4 TL Maizena, Chinesischer Schnittlauch (chives)
Beilage: 8 Stück Baby-Pak-Choi oder 4 etwas ausgewachsenere Pak Choi, 4 Knoblauchzehen, gedämpfter Jasminreis
In einem Wok etwas neutrales Öl (etwa Sonnenblumen, Erdnuss, Kokos) erhitzen, wenn es heiss ist, Chilis und Szechuan-Pfeffer für 15 Sekunden hineingeben, herausfischen und ab damit in einen schweren, steinernen Mörser, wie wir ihn für Currypasten oder Pesto verwenden. Gut mörsern.
Tofu in Würfel von ca. 1 bis 1,5 cm schneiden und 3 Minuten in gesalzenenes kochendes Wasser geben. Vorsichtig herausfischen und bereitstellen.
Hackfleisch in eine Schüssel geben, dazu 3 EL helle Sojasauce und 3 EL Reiswein oder Weisswein geben, mischen.
Knoblauchzehen pressen und ins heisse Öl des Woks geben. Nach ein paar Sekunden Hackfleisch dazugeben, unter Rühren anbraten. Dabei nicht horizontal rühren, sondern vertikal, was oben ist, kommt nach unten.
Bohnenpaste und klein gehackten Ingwer dazugeben, rühren.
Gemörserte Chilis und Szechuan-Pfeffer hineingeben, rühren.
Mit einem Gutsch Wasser ablöschen.
2–3 EL dunkle Sojasauce und 2 EL Zucker dazugeben.
Tofu beigeben, von nun an vorsichtig untereinandermischen, damit der delikate Tofu nicht kaputtgeht.
3 Minuten köcheln lassen.
Ca. 4 TL Maizena mit rund 1,5 dl Wasser vermischen, gut rühren. Rund ein Viertel der Maizena-Wasser-Mischung in den Wok geben, Wok vom Feuer nehmen, vorsichtig rühren. Den Wok zurück auf den Herd stellen, Vorgang dreimal wiederholen.
Tofu und Fleisch sollten nun von einer dicklichen Sauce umgeben sein. Falls die Konsistenz überzeugt, so lassen. Ansonsten den Rest des Maizena-Wassers hinzugeben.
Probieren und allenfalls mit Salz abschmecken. Zerkleinerten Chinesischen Schnittlauch dazugeben, vorsichtig umrühren. Aus dem Wok nehmen und warm halten.
Im kurz ausgewaschenen und ausgeriebenen Wok etwas Öl heiss werden lassen.
Für die Beilage: den gewaschenen und abgetropften Pak Choi unten abschneiden, damit wir einzelne Blätter erhalten.
Knoblauchzehen pressen, ins heisse Öl geben, rühren und Pak Choi beigeben. Falls die Temperatur nicht hoch genug ist, zwei Minuten Deckel auf den Wok. Ein paarmal rühren, mit Salz und Zucker abschmecken.
Tofu Mapo und Pak Choi mit gedämpftem Reis servieren.
Wichtig: Das sollte man nicht nur aus Gründen der cultural appropriation mit Stäbchen essen. Mapo kann für einige Mitmenschen sehr scharf sein, wir möchten nicht zu viel aufs Mal im Mund.
Die asiatische Küche und der Wein
Die lokale Biermarke in Chengdu heisst Snow, doch nichts spricht dagegen, zum Mapo-Tofu ein Tsingtao zu trinken. Das Bier aus der ostchinesischen Stadt Qingdao stammt aus einer über hundertjährigen, von Deutschen gegründeten Brauerei. Ebenfalls empfehlenswert ist jede Art von Tee, von besonderer Güte ist der erdige Pu-Erh-Tee aus Yunnan. Er wurde während Jahrhunderten via Szechuan nach Tibet exportiert, wo die Menschen ihn brauchten, weil ihre traditionelle Fleisch- und Milchprodukte-Diät für die Verdauung eine gewisse Herausforderung darstellte.
Wir haben zu unserem Mapo einen Riesling Kabinett aus der Pfalz getrunken. Das ist die leichteste Variante des deutschen Rieslings, sein Alkoholgehalt liegt meist deutlich unter 10 Prozent. Das ist gut, weil Schärfe und Alkohol sich nicht besonders mögen. Ebenfalls hat Riesling Kabinett meist etwas Restzucker.
Merke: Scharfe Gerichte und knochentrockene Weine sind in der Regel keine ideale Kombination. Generell gilt: Für asiatische Gerichte einer gewissen Schärfe sollte man in die deutschen Riesling-Gebiete oder im Elsass nach einem passenden Tropfen Ausschau halten. Oder – für Experimentierfreudige unter uns – einen Ermitage aus dem Wallis probieren, wenn er süss ausgebaut ist, also etwas mehr Restzucker aufweist.