Underneath the Mango Tree
Indien und Pakistan sind sich bei praktisch keinem Thema einig. Schon gar nicht bei der Frage, welches der beiden Länder die besseren Mangos produziert. Wir bleiben neutral: In einer Sommerrolle machen sich beide ausgezeichnet. Geschmacksache, Folge 1.
Von Michael Rüegg (Text), Robin Kranz (Bilder) und Volker Hobl (Foodstyling), 02.07.2020
Zu den von der Weltpresse ignorierten Reibungspunkten zwischen Indien und Pakistan gehört der Mango-Konflikt. Im Gegensatz zum Kaschmir-Konflikt verläuft er ohne Opfer, sieht man von den Abermillionen Früchten ab, die jedes Jahr in den Schlunden gieriger Mango-Fans ihr Leben lassen.
Die Konfliktlinie verläuft entlang der Frage, welches der beiden Länder die leckereren Mangos produziert. Ein damaliger Redaktor des «Tages-Anzeigers» brachte vor Jahren die Alphonso-Mango in mein Leben. Sie wächst im Bundesstaat Maharashtra an der Westküste Indiens. Jedes Jahr orderte er einen Stapel von mangogefüllten Kartons, die man, kaum waren sie in Kloten gelandet, bei ihm daheim zum Selbstkostenpreis abholen konnte.
Wer eine Alphonso-Mango verkostet, versteht im Nu, weshalb in ihrem Herkunftsland die Tageszeitungen jeweils auf den Titelseiten den Beginn der Saison verkünden. Eine Alphonso ist nicht köstlich, sie ist schlichtweg betörend.
Auch bei der «Neuen Zürcher Zeitung» waren Mangos damals hoch im Kurs. Allerdings nicht die Alphonso aus Indien, sondern ihre pakistanische Konkurrenz, die Chaunsa- oder einfach Honigmango. Es war die heutige Republik-Gerichtsreporterin Brigitte Hürlimann, damals bei der «Züri-Ziitig» Chaunsas verzehrend, mit der ich mich vor einem Jahrzehnt erstmals über die Mango-Frage stritt. Ihr Redaktionskollege bei der NZZ besorgte seine Kisten vor der internen Feinverteilung bei einem Händler in Zürich. Welcher das war, galt als eines der vielen gut gehüteten Geheimnisse im Haus an der Falkenstrasse.
Doch auch das bestgehütete Geheimnis hat keine Chance gegen das Glück des Dummen. Es begab sich nämlich zu jener Zeit, dass ich eines Nachmittags nichts ahnend vor einem kleinen Café an einer mehr als ruhigen Strasse sass. Vis-à-vis war ein pandschabischer Curryschuppen eingemietet. Plötzlich hielt ein Jaguar davor. Eine teuer gekleidete Dame entstieg dem Wagen und verschwand auf hohen Hacken im unscheinbaren Laden. Zurück kam sie mit einem Stapel Kartonschachteln, die sie in den Kofferraum hievte – Schachteln, wie sie zur Verpackung von Mangos verwendet werden.
War ich etwa aus purem Zufall auf den NZZ-Mango-Hoflieferanten gestossen? Ja, wie mir Frau Hürlimann hernach auf Anfrage bestätigte.
Neutralität ist genussfreundlich
Die Frage, ob man sich nun in Sachen Mango zum Team Indien oder Team Pakistan zählt, ist eine müssige. Beide Varietäten sind eher klein, haben ein saftiges, geschmacklich intensives Fruchtfleisch – sind aber zu unterschiedlichen Zeiten erhältlich. Alphonsos gelangen ab April bis Ende Juni auf den Markt. Die pakistanischen Kolleginnen haben etwa von Juli bis Ende August Saison. Die Dame im sri-lankischen Laden, in dem ich neulich meine Kiste Alphonsos erwarb, meinte lapidar: «Wenn die Alphonso-Saison vorbei ist, kommen halt die aus Pakistan.» Sie war offensichtlich erfrischend unbelastet vom Konflikt zwischen den beiden Atom- und Mango-Mächten.
Das Problem an der Sache ist, dass man nach dem Genuss beider Mango-Sorten absolut keinerlei Lust mehr verspürt, jemals wieder eines dieser faden, rot-grün-gelblichen Riesendinger aus dem Supermarkt zu verspeisen. Die kommerziell erfolgreichen Haden- und Kent-Mangos zeichnen sich in erster Linie durch lange Haltbarkeit aus, geschmacklich sind sie eine Quantité négligeable, da können noch so viele «Sélection»- und «Primagusto»-Sticker draufkleben.
Egal ob Chaunsa oder Alphonso: Am besten ist es, man geniesst eine Mango pur. Aber nach einem halben Dutzend entsteht möglicherweise das Bedürfnis, sie mal auf andere Weise zu servieren. Mein absoluter Liebling ist die vietnamesische Sommerrolle mit Mango. Hier spielt zwar die Frucht die erste Geige, doch taugt sie nicht bloss zum Dessert, sie brilliert auch hervorragend als Vorspeise.
Eine Sommerrolle ist eine Art unfrittierte Frühlingsrolle mit vielen rohen Zutaten. Man kann sie mit allerlei füllen: Seafood, Poulet oder einfach nur Gemüse – und aromatischen Mangos. Diese Art von Speisen zeichnet sich in Vietnam durch einen verschwenderischen Umgang mit frischen Kräutern aus. Dazu gibts eine hausgemachte Sweet-Chili-Sauce, die das Zeug aus der Flasche um Längen schlägt.
Wir verwenden neben dem obligaten Reispapier zum Einwickeln als Basis Lattich, belegen ihn mit Minze, Thai-Basilikum und Koriander. Gurke sorgt für Knackigkeit, Bananenschalotten für eine leichte Würze, und die Mango trägt das Ganze über die Ziellinie. Natürlich kann man auch Rotkabis, Rüebli oder Peperoni nehmen – aber angesichts einer guten Mango würde ich von allzu viel geschmacklicher Konkurrenz absehen.
Für die Sweet-Chili-Sauce
Zutaten: 6 grosse rote Peperoncini, 1–3 kleine rote Chilis (Bird’s Eyes), 3 Knoblauchzehen, 2 Stangen Zitronengras, ein ca. 2 cm langes Stück Ingwer, 1,5 dl Reisessig, 2 dl Wasser, Saft einer Limette, 4 EL helle Sojasauce, ca. 1–2 TL Salz, ca. 6–8 EL brauner Zucker, 2–3 TL Maizena (mit ein paar Tropfen Wasser zur Paste gerührt)
Die Peperoncini und Chilis entkernen und in Stücke schneiden – am besten mit Latexhandschuhen, die von der Pandemie übrig sind. Die Chilis je nach gewünschtem Schärfegrad dosieren. Zwei sind pikant, drei leicht scharf, darüber beginnt scharf.
Knoblauch schälen. Beim Zitronengras den harten Teil des Stängels abschneiden, äussere Schichten entfernen. Ingwer schälen. Alle drei in Stücke schneiden und in einen guten Mixer geben, zusammen mit den Peperoncini und Chilis. Alles klein hacken, wobei keine homogene Paste entstehen muss.
Reisessig und Wasser zusammen mit dem Limettensaft in eine Pfanne geben, Inhalt des Mixers dazu, aufkochen. Wenns sprudelt, Hitze etwas reduzieren. Einige Minuten köcheln lassen. Dann die Sojasauce, das Salz und den Zucker beigeben, zwischendurch probieren, nachwürzen. (Meine Sauce fand ich am Ende etwas zu sauer und zu salzig. Nach dem Erkalten und in Kombination mit den Rollen war sie jedoch genau richtig.)
Einen Grossteil der Maizena-Paste zur köchelnden Flüssigkeit geben, gut verrühren. Eventuell mehr zugeben, falls die Sauce zu dünn ist. (Nach dem Erkalten wird sie allerdings noch ganz leicht dicklicher sein.)
Heiss in ausgekochte Konfitürengläser oder Glasfläschchen füllen und erkalten lassen.
Nun die Rollenverteilung
Zutaten: 1 Packung Reispapier für Summer-Rolls (rund, ca. 25 cm Durchmesser, meist mit einem Anteil Tapiokamehl), 1 Stück Lattich, je 1 Bund Minze, Thai-Basilikum und Koriander, 1 Bananenschalotte (das sind die langen, dünnen Schalotten, daher ihr Name), 1 Salatgurke, 3–4 Alphonso- oder Chaunsa-Mangos.
Gurke schälen und in Streifen schneiden, dabei den wabbligen inneren Teil mit den Kernen entsorgen. Mangos entlang des flachen Kerns in zwei Hälften teilen, schälen und in Streifen schneiden, restliches Fruchtfleisch vom Kern nagen. Sehr feine Streifen wollen wir von der Bananenschalotte.
Eine grosse Schüssel Wasser bereitstellen. Ein Blatt Reispapier für einige Sekunden ins Wasser geben und auf ein angefeuchtetes Holzbrett legen. Mittig mit gezupftem Grün vom Lattich belegen, dabei links und rechts zwei bis drei Fingerbreit frei lassen.
Grosszügig Blättchen der drei Kräuter drauf verteilen. Je zwei Streifen Gurke, Mango und Schalotte darauflegen.
Nun die Seiten des Reispapiers einklappen und von unten her vorsichtig, aber dicht zusammenrollen. Es sollte durchs Reispapier nur der Lattich sichtbar sein, die Füllung nicht.
Die Rollen etwas antrocknen lassen, danach schräg in zwei Teile schneiden und auf eine mit Salatblättern ausgelegte Platte drapieren. Umgehend mit der Sweet-Chili-Sauce servieren, am besten als Fingerfood oder mit Essstäbchen.
Dazu unbedingt «Underneath the Mango Tree» abspielen, vom «Dr. No»-Soundtrack (1962), das Lied, das Ursula Andress vor sich hin summt, als sie aus dem Wasser steigt.
Falls Lattich übrig ist, macht der sich auch als Gemüse prächtig. In Stücke schneiden, mit Knoblauch und Salz in Öl sautieren, fertig. Die Reisblätter kann man gut lagern, bis man das nächste Mal Sommerrollen macht, selbst wenn schon Herbst sein sollte. Und die restliche Sweet-Chili-Sauce hält im Kühlschrank zwei Wochen, dürfte aber vorher weg sein.
Zur Begleitung
Wer möchte, kann zu den Rollen ein leichtes Bier trinken, wobei sich asiatische besonders gut machen, die mit einem Anteil Reis gebraut sind. Andernfalls empfiehlt sich ein Riesling Kabinett oder ein Elsässer Pinot gris oder Gewürztraminer, mit leichter Restsüsse. Oder einfach ein Glas Champagner, der passt praktisch zu allem.