Aus für das Rahmenabkommen, das grosse Öffnen beginnt – und Linke wollen US-Jets per Initiative abschiessen
Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (148).
Von Reto Aschwanden, Dennis Bühler und Cinzia Venafro, 27.05.2021
«Das Institutionelle Abkommen Schweiz-EU wird nicht abgeschlossen», so nüchtern überschrieb der Bundesrat am Mittwoch seine Mitteilung zum Scheitern des Rahmenabkommens.
Nach jahrelangen Verhandlungen, nach Säbelrasseln in Brüssel und innenpolitischem Hickhack; nach all den Bemühungen von Aussenminister Cassis, der den «Reset»-Knopf drücken wollte und eine neue Chefunterhändlerin ernannte; nachdem Bundespräsident Parmelin persönlich zu EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach Brüssel reiste. Nach all dem ist das Drama nun vorbei.
Nachdem die Landesregierung der EU am Mittwoch mitgeteilt hatte, dass sie das Abkommen weder unterzeichnen noch weiter verhandeln wolle, traten Ignazio Cassis, Bundespräsident Guy Parmelin und Karin Keller-Sutter zu dritt vor die Medien, um das Scheitern zu erklären. «Es blieben substanzielle, unüberwindbare Differenzen», sagte der Aussenminister, namentlich in den bekannten Streitpunkten Unionsbürgerrichtlinie, Lohnschutz und staatliche Beihilfen.
Die Europäische Union nimmt in einer ersten Stellungnahme «diese einseitige Entscheidung der Schweizer Regierung zur Kenntnis». Sie bedauert das Scheitern, erklärt aber auch: «Privilegierter Zugang zum Binnenmarkt setzt voraus, dass alle die gleichen Regeln und Pflichten respektieren.» Mit Blick auf die künftige Entwicklung hält sie fest: «Ohne dieses Rahmenabkommen wird diese Modernisierung der laufenden Beziehungen unmöglich, und die bestehenden bilateralen Abkommen werden zwangsläufig veralten.»
Um dem entgegenzuwirken hat der Bundesrat das Justiz- und Polizeidepartement EJPD mit einer Analyse der Differenzen zwischen EU-Recht und der schweizerischen Rechtsordnung beauftragt. Dabei soll das Departement von Keller-Sutter auch aufzeigen, wo eine Angleichung «sinnvoll und im gegenseitigen Interesse sein könnte». Im Vordergrund stehen die Themen Personenfreizügigkeit, Landwirtschaft, Land- und Luftverkehr sowie die Beseitigung von technischen Handelshemmnissen. Allfällige Angleichungen würden von der Schweiz «autonom» beschlossen.
Mehr zu den gescheiterten Verhandlungen und die neue Unberechenbarkeit der Politik lesen Sie im Essay von Roger de Weck.
Und damit zum Briefing aus Bern.
Corona: Das grosse Öffnen geht los
Worum es geht: Freundinnen treffen, in einem Restaurant dinieren, im Schwimmbad planschen: Der Bundesrat öffnet schneller und umfassender, als er es in der jüngsten Konsultation vorgeschlagen hatte. «Die epidemiologische Lage entspannt sich weiter, die Fallzahlen sinken. Zudem haben bis Ende Monat die meisten Kantone die Impfung der besonders gefährdeten Personen abgeschlossen», so der Bundesrat in einer Mitteilung am Mittwoch. Damit sei die Schutzphase – also die erste Phase der Ausstiegsstrategie des Bundesrats – per Ende Mai abgeschlossen. Nun folge die Stabilisierungsphase, in der die gesamte erwachsene Bevölkerung Zugang zur Impfung erhält. Und das gilt ab Montag:
Publikumsveranstaltungen: Drinnen 100, draussen 300 Personen. Allerdings müssen diese maximal 300 Leute beim Public Viewing auch dann sitzen bleiben, wenn die Schweiz an der EM ein Tor schiesst.
Fussball mit den Kollegen im privaten Rahmen gucken geht aber auch: Dann darf man sich drinnen mit 30, draussen mit 55 Personen treffen – und ebenfalls sitzend jubeln.
Endlich wieder ins Restaurant: Ab Montag dürfen Gäste auch in Innenräumen bewirtet werden. Es gilt Abstand und maximal vier Leute pro Tisch. Zudem muss man die Kontaktdaten angeben und sitzen bleiben. Nix mit auf den Tischen tanzen – vorerst.
Gute News für Nachtschwärmer: Die Sperrstunde zwischen 23 und 6 Uhr wird aufgehoben.
Amateursport: Neu dürfen maximal 50 statt 15 Personen gemeinsam Sport treiben. Publikum ist zugelassen.
Good News auch für Wasserratten: Thermalbäder und Wellnesseinrichtungen dürfen wieder öffnen – bei 15 Quadratmetern pro Person und ohne Maske. Dieselben Regeln gelten für Hallenbäder.
Hochschulen: Präsenzunterricht ausgeweitet, mit Maske und Schutzkonzept darf an Hochschulen auch wieder mit mehr als 50 Personen in einem Hörsaal gelernt werden.
Homeoffice: Betriebe, die wiederholt testen, dürfen Homeoffice beenden. Und sobald alle Personen geimpft sind, die dies möchten, wird die Homeoffice-Regel in eine reine Empfehlung umgewandelt.
Keine Quarantäne für Geimpfte und Genesene: 6 Monate lang ist man nach einer Impfung oder durchlittener Erkrankung von der Quarantäne befreit. Auch Personen unter 16 Jahren werden von der Reisequarantäne und der Testpflicht bei der Einreise ausgenommen. Das gilt aber ausdrücklich nicht für Personen, die aus Ländern mit besorgniserregenden Virusvarianten einreisen.
Altersheime können die Maskenpflicht für Geimpfte und Genesene aufheben. Generell gilt die Maskenpflicht aber weiterhin auch für Geimpfte, Genesene und Getestete, und diese werden bei der maximal zulässigen Personenzahl mitgezählt.
Grossveranstaltungen: Ab dem 1. Juni soll es Pilot-Events mit bis zu 1000 Leuten geben. Ab dem 1. Juli dürfen Veranstaltungen mit bis zu 3000 Leuten drinnen und bis zu 5000 draussen stattfinden. Wermutstropfen: Sitzplatzpflicht. Der Bundesrat betont: «Für Veranstaltungen im Freien mit Stehplätzen, etwa für Open Airs, sind maximal 3000 Personen zugelassen, bei halber Kapazität und mit Maske.» Zudem ist der Einlass zu Grossveranstaltungen auf vollständig Geimpfte, Genesene oder negativ Getestete beschränkt. Möglich machen soll es das Covid-Zertifikat, das bis dahin verfügbar sein soll. Ab dem 20. August sollen dann auch wieder Anlässe mit bis zu 10’000 Personen – etwa ein Konzert – möglich sein.
Warum Sie das wissen müssen: Damit Sie Ihre Sommeraktivitäten planen und eigenverantwortlich handeln können.
Wie es weitergeht: «Weil der Öffnungsschritt Ende Mai nun grösser als geplant ausfällt, ist vor der Sommerpause nur noch ein weiterer, ebenfalls grösserer Öffnungsschritt geplant», so der Bundesrat. Er schickt das nächste Öffnungspaket, das ab dem 1. Juli gelten soll, voraussichtlich am 11. Juni in Konsultation und entscheidet darüber am 23. Juni. Angesichts der allmählichen Rückkehr zu einer gesellschaftlichen Normalität will der Bundesrat auch in der Wirtschaftspolitik zurück zum courant normal. Dort sollen «die ordentlichen und bewährten Instrumente wieder zur Anwendung kommen», heisst es in einer Mitteilung, die auch punktuelle Anpassungen an der Härtefallverordnung in Aussicht stellt.
Linke wollen US-Kampfjets mit Initiative verhindern
Worum es geht: SP, Grüne und die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) haben zwei Varianten mit ausformulierten Initiativtexten zur formellen Überprüfung bei der Bundeskanzlei eingereicht. Die Kampfansage ist unmissverständlich: Sollte sich der Bundesrat kommenden Monat für einen Kampfjet aus den USA entscheiden, beginnen sie mit der Unterschriftensammlung für eine Volksinitiative.
Warum Sie das wissen müssen: Am 27. September 2020 war das Resultat hauchdünn: Mit 50,1 Prozent entschied sich die Stimmbevölkerung für den Kauf neuer Kampfjets. Doch welchen Flieger die Armee beschaffen soll, ist hoch umstritten. Und das nicht zum ersten Mal: 2014 landete der damalige Verteidigungsminister Ueli Maurer mit dem Volks-Nein zum schwedischen Kampfjet Gripen eine veritable Bruchlandung. Nun konkurrieren mit dem französischen Rafale und dem Eurofighter aus Deutschland, Italien, Spanien und Grossbritannien zwei europäische Flugzeuge mit zwei amerikanischen – dem F-35 Lightning II von Lockheed Martin Corporation und dem F/A-18 Super Hornet von Boeing. Für Kampfjet-Nerds haben die Kolleginnen von der NZZ eine Übersicht der Flieger erstellt.
Wie es weitergeht: Der Bundesrat will noch vor den Sommerferien, das heisst spätestens am 30. Juni, die Entscheidung für ein Typenmodell treffen. Hinter den Kulissen wird seit Jahren für die jeweiligen Jets lobbyiert, schliesslich handelt es sich um einen Milliardenauftrag. Mit ihrer Ankündigung, im Falle eines Entscheids für einen der beiden US-Jets eine Volksinitiative zu lancieren, erhöht die Linke jetzt den Druck auf den Bundesrat. In ihren Augen sind die Flieger aus den USA viel zu teuer und verschärfen die Probleme mit der Datensicherheit.
E-ID: Bundesrat startet neuen Versuch
Worum es geht: Nachdem die Stimmbevölkerung am 7. März Nein gesagt hat zu einer privaten E-ID, will der Bundesrat nun unter Einbezug der Wissenschaft und der Kantone einen staatlichen elektronischen Identitätsnachweis erarbeiten. Bis Ende Jahr soll ein Grobkonzept vorliegen.
Warum Sie das wissen müssen: Befragungen nach dem Urnengang zeigten, dass es den Befürwortern im Abstimmungskampf nicht gelungen war, Vertrauen in die private Lösung aufzubauen. Die grundsätzliche Notwendigkeit eines elektronischen Identitätsnachweises ist aber weitgehend unumstritten – das Nein war kein Nein zur Digitalisierung und zur E-ID, sondern eine Absage an ein «Lex Swiss Sign», so genannt nach der Firma, welche die E-ID hätte herausgeben sollen. Das zeigte sich auch in der Frühjahrssession des Parlaments, als alle Fraktionen deckungsgleiche Motionen für eine «vertrauenswürdige, staatliche E-ID» einreichten. «Die Herausgabe und der Betrieb einer elektronischen Identität ist eine öffentliche Aufgabe, für die der Staat zuständig sein muss», heisst es in den Begründungen zu den Vorstössen. Der Bundesrat beantragt sie dem National- und Ständerat zur Annahme.
Wie es weitergeht: Bis Ende Jahr will der Bundesrat sein Grobkonzept vorlegen. Im Mai 2022 soll dann die Vernehmlassung für ein neues Gesetz eröffnet werden, das frühestens 2023 von den beiden eidgenössischen Räten beraten wird.
Erhebliche Cyberrisiken beim Bund
Worum es geht: Die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK) hat Cyberrisiken bei kritischen Infrastrukturen entdeckt. Hackerinnen können sich demnach relativ einfach Zugang zu kritischen Infrastrukturen verschaffen. So hat die EFK bedenkliche Lücken in den Bereichen Gebäudeautomation, Infrastruktur, Vernetzung der Anwendungssysteme sowie bei den Sicherheits- und Sicherungssystemen festgestellt.
Warum Sie das wissen müssen: Die Mängel betreffen nicht nur die Gebäudesteuerung in der Bundesverwaltung, sondern auch das Interbank-System, über das Finanzinstitute untereinander ihren Massenzahlungsverkehr abwickeln. Dieses Zahlungssystem sei nichts anderes als eine «Blackbox im Schweizer Bankensystem». Zudem würden Banken Cybervorfälle nicht immer wie vorgeschrieben der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (Finma) melden. Die EFK empfiehlt der Finma deshalb, vermehrt Inspektionen vor Ort durchzuführen. Dass die Gefahr real ist, zeigte letzte Woche ein Bericht der «Rundschau» über eine Hackerattacke auf den bundesnahen Rüstungskonzern Ruag, die sich vor einem Monat ereignet haben soll.
Wie es weitergeht: Die Schweiz ist im Schneckentempo dabei, ihre Cybersicherheit aufzurüsten. Laut EFK sei dies «auf die mangelnde Klarheit in Bezug auf die Verantwortlichkeiten und Kompetenzen» zurückzuführen. Das Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport VBS will nicht erst seit gestern dagegen vorgehen und hat sich 2018 professionell hacken lassen. Das war die letzte Übung zur Simulation von Cyberangriffen. Das Bundesamt für Bauten wiederum hat die Feststellung der EFK anerkannt und will jetzt die Informatiksicherheit der Gebäudesteuerung angehen – was «mehrere Jahre» dauern werde.
Messias der Woche
Es war ein Rückzug mit fadem Beigeschmack: Nach nur einem Jahr gab «Mitte»-Ständerätin Andrea Gmür den Posten als Fraktionschefin schon wieder ab. Die Luzernerin vermochte die gerade erst aus der CVP entstandene neue Partei «Die Mitte» nicht zu disziplinieren, sie schaffte es nicht, ihre Kollegen in der grossen Kammer auf Parteilinie zu trimmen. Das Amt übernommen hat nun Philipp Matthias Bregy: Der konservative Nationalrat wird neuer Chef der Mitte-Fraktion. Einst folgte er im Nationalrat auf Viola Amherd, jetzt soll er der Heilsbringer für die ehemaligen CVPler und BDPler unter der Bundeshauskuppel werden. Sicher ist: Bei der Weissweinfraktion (so nennt man im Bundeshaus die lustigeren SVPler) wird Bregy Gleichgesinnte finden, verkleidet sich der neue starke Mann der Mitte doch gern als Osmane und frönt diesem Hobby im Türkenbund, einer Bruderschaft, die in Brig die Fasnacht mitorganisiert. Jetzt soll er der Partei mit den christlichen Werten in Bundesbern wieder Hoffnung geben. Wohl nicht nur darum nennt man Bregy ennet dem Lötschberg «Messias» Bregy. Na dann, Amen.
Illustration: Till Lauer