Sieg der Nerds
Das Abstimmungsresultat zur E-ID zeigt: Die Schweiz kann Digitalisierung. An die Arbeit, Bundesbern!
Von Adrienne Fichter, 07.03.2021
Es war die erste digitalpolitische Abstimmung weltweit – mit einem klaren Votum. Ein wuchtiges Nein (64 Prozent) zum Bundesgesetz über die E-ID.
Dieses Nein ist kein Nein zur Digitalisierung und zu einer E-ID. Es ist ein Nein zu einer «Lex Swiss Sign», zur Legalisierung des Geschäftsmodells des E-ID-Anbieters Swiss Sign – zu einer eher zweifelhaften, profitorientierten Schweizer Datenkrake und einem komplizierten bürokratischen Kontrollapparat, den niemand mehr überblickte.
Es ist auch ein Nein zu einem riskanten Experiment, das es europaweit noch in keiner Weise gab.
Damit wurde zum zweiten Mal der Reset-Button gedrückt. Der erste Entwurf für die E-ID lag 2014 vor, er sah eine staatliche Lösung mit einer klaren Beziehung zwischen Staat und Bürgerinnen vor, ohne private Intermediäre.
Dass die Schweiz spät dran ist mit der E-ID, wie die Befürworter sagen, stimmt. Doch das lag auch am Bundesparlament, das wertvolle Zeit vergeudete und am Volk vorbeilegiferierte. Denn schon früh zeichnete sich in Umfragen ab, dass es den Bürgerinnen nicht einleuchtet, weshalb eine hoheitliche Aufgabe an private Dienstleister ausgelagert werden soll. Statt bereits die neue Arbeitsteilung infrage zu stellen, wurde nur an Stellschrauben gedreht und hier und da ein wenig optimiert.
Dabei war nicht nur die Frage der Herausgeberschaft – Staat oder Private – störend, sondern auch das Gesetz und dessen vorgesehene Umsetzung selbst enthielten eklatante Schwächen und Konstruktionsfehler, wie nicht zuletzt Recherchen der Republik zeigten. Es mutet geradezu anachronistisch an, als ob es das neue Datenschutzgesetz – das Privatsphäre per Architektur, privacy by design, vorschreibt – nicht geben würde. Als ob die digitalethisch vorbildliche Swiss-Covid-App-Gesetzgebung mit Pflicht zu Open Source und dezentraler Datenspeicherung ein surrealer Traum gewesen wäre. Auch wäre der Anschluss an den digitalen EU-Raum aufgrund der fehlenden staatlichen Haftung und des fehlenden Knotenpunktes nicht gegeben gewesen. Ergo: Das Gesetz wäre zum jetzigen Zeitpunkt nicht mal EU-konform gewesen.
Die bürgerliche Mehrheit in den Räten hat ein Gesetz ausgearbeitet, gemäss dem Bürgerinnen sich wohlwollenden Identitätsdienstleistern hätten «anvertrauen» sollen. Diese horten und verwalten einen Datenpool von allerlei Log-in-Daten von E-Commerce- und Dating-Portalen über Medien bis zur Steuererklärung.
Dieser zentralistische Ansatz ist überholt. Neue, dezentrale «Self Sovereign Identity»-Modelle sind auf dem Vormarsch.
Auch die Debatte zur E-ID war in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert, denn zum ersten Mal haben sich Nerds und IT-Fachpersonen im öffentlichen politischen Diskurs Gehör verschafft. Ausserdem liess sich die Stimmbevölkerung nicht erpressen von der Warnung der Wirtschaftslobby vor einem angeblichen «Rückfall der Schweiz». Dass es im Fall eines Neins keinen Plan B gebe und es Jahre dauere, bis ein neuer E-ID-Entwurf vorliege.
Für diesen Plan B sorgen nun Politikerinnen des Nein-Komitees. Neue Initiativen stehen bereits in den Startlöchern und werden schon am Montag nach der Abstimmung eingereicht. Die staatliche E-ID soll einen klaren, abgegrenzten Zweck verfolgen: Sie stellt einen digitalen Pass für einen digitalen Identitätsnachweis dar. Um sich etwa im digitalen Behördenverkehr auszuweisen. Und nicht, um damit die Taschen eines Konsortiums von Banken und Versicherungen zu füllen.
Die Schweiz hat in den nächsten Jahren noch einige digitalpolitische Baustellen zu bewältigen, wie etwa auch das Patientendossier.
Doch das Votum der Stimmbevölkerung zeigt: Ein aufgeklärter und differenzierter Diskurs über Tech-Themen ist in diesem Land möglich. Die Frage ist nicht: Digitalisierung ja oder nein? Sondern welche.
Ein Daten verschlingender, kommerzgetriebener und riskanter Digitalisierungsturbo findet – trotz der Pandemie, die uns alle hinter die Bildschirme katapultiert – keine Mehrheit. Die Bevölkerung möchte stattdessen eine technologische Entwicklung vorantreiben, die die Bedürfnisse und Interessen der Bürgerinnen ins Zentrum stellt.
An die Arbeit, Bundesbern!