Wenn die Rendite in den Himmel wächst, steigt die Lust am Bauen.

Wie sich Immo-Firmen in Zürich ausbreiten

Wohnungen sind Gold wert in der grössten Stadt der Schweiz. Darum kaufen Investoren immer mehr davon. Wo liegen sie? Und was tun die Eigentümerinnen damit? Unsere Recherche gibt erstmals Einblick in die intransparenten Besitzverhältnisse.

Von Christian Zeier (Text) und Florian Spring (Bilder), 17.05.2021

Ohne Frau Rossi sähe Zürich anders aus. Ende der 1980-Jahre erhielt sie vom Immobilien­unternehmen Ledermann ein Kaufangebot für ihr Haus im Seefeld. Das heutige Trend­quartier galt damals als leicht verrucht und eher günstig. Die Immobilien­firma jedoch hatte grosse Pläne: An der Ecke Seefeld-/Münchhalden­strasse sollte eine ganze Häuserzeile abgerissen und mit einem Neubau ersetzt werden. Die Nachbarn von Marianna Rossi verkauften, sie lehnte ab.

Aus Ledermanns neu erstandenen Häusern mussten die Mieterinnen ausziehen, die Gebäude wurden abgerissen und mit dem neuen «Tor zum Seefeldquartier» ersetzt. Frau Rossi sanierte ihr Haus in Etappen, baute neue Küchen ein, neue Badezimmer, liess die Fassade streichen und ersetzte Dach und Fenster. Heute steht die Ecke im Seefeld symbolisch für den Wandel in der Stadt: rechts der Neubau in Rot, modern mit Flachdach und vielen Kanten – daneben der Altbau mit weisser Fassade, schrägen Dächern und einem runden Turm.

«Nicht nur äusserlich ist der Unterschied enorm», sagt Georges Nievergelt, der sich im Quartier­verein Riesbach engagiert und vis-à-vis wohnt. Frau Rossis Gebäude sei belebt, voller Menschen, während rund um den Neubau, von einem Kinderhort im Erdgeschoss abgesehen, meist Totenstille herrsche. Einer der Gründe: Im Neubau, der seit 2019 der Versicherungs­gesellschaft Swiss Life gehört, lassen sich möblierte Business­appartments mit 2,5-Zimmern für 4000 Franken pro Monat mieten.

Ein Bild der «Seefeldisierung»: Neubau an der Ecke Seefeld-/Münchhaldenstrasse.

Bei Marianna Rossi kosten auch 3-Zimmer-Wohnungen nicht mehr als 1500 Franken. «Vor 20 Jahren hiess es, das lohne sich nie, diese Häuser sanft zu sanieren», sagt George Nievergelt. «Dafür, dass Frau Rossi das Gegenteil bewiesen hat, gilt sie nicht wenigen im Quartier als Heldin.»

Wenn Wohnungen zum Finanz­produkt werden

Berlin, Amsterdam, London – überall haben Unternehmen viel Geld in den Wohnungsmarkt investiert. In Zürich gaben Gross­investoren in den Jahren 2016 und 2017 mindestens eine Milliarde Franken aus, um Liegenschaften in Stadt und Umland­gemeinden zu kaufen. Dies geht aus Erhebungen der Analyse­firma Real Capital Analytics hervor. Eine Milliarde: Das ist zehn Mal so viel Geld als ein Jahrzehnt zuvor.

Spätestens seit der Finanzkrise 2007 gelten Wohn­immobilien, besonders in den florierenden Gross­städten, als begehrte Anlage­objekte. Weil rendite­trächtige Alternativen fehlen, die gleichzeitig sicher sind, fliesst immer mehr Geld in Immobilien. Ähnlich wie Aktien oder Fonds werden Wohnungen so zunehmend zum Finanz­produkt. Diese sogenannte Finanzialisierung des Immobilien­marktes findet auch in der Schweiz statt. Ganz besonders in Zürich.

Hier haben kommerzielle Wohnungs­besitzerinnen in den vergangenen Jahren stark zugelegt. 2006 lag ihr Anteil am gesamten Wohnungs­bestand bei 22 Prozent. 2020 besassen Immobilien­gesellschaften, Pensions­kassen und Anlage­stiftungen bereits 28 Prozent aller Wohnungen in der Stadt.

Firmen kaufen zunehmend Wohnraum

Anteil der kommerziellen Wohnungs­besitzer in Zürich

Achse gekürzt200620102015202028 %202530 %

Vor 2020 wurde ein Teil der Anlage­stiftungen vom Zürcher Statistikamt anders kategorisiert. Wir haben die Zahlen von 2006 bis 2019 um diese Differenz bereinigt. Quelle: Stadt Zürich

Während die Gesamtzahl der Wohnungen in Zürich um 25’000 stieg, legten allein die kommerziellen Wohnungs­besitzer um 20’000 Einheiten zu. Unter dem Strich geht also fast das gesamte Wohnungs­wachstum auf deren Konto.

Wo liegen diese Wohnungen? Wem gehören sie und was geschieht damit?

Zürich hat ein Transparenzproblem

Um diese Fragen zu beantworten, braucht es Geld, Zeit und nochmals Zeit. Denn die Stadt Zürich hinkt bei der Digitalisierung der Grundbücher hinterher. Wer wissen will, wem ein Gebäude gehört, muss eines der elf Stadtzürcher Grundbuch­ämter per Mail oder Telefon kontaktieren und darf dann nur eine limitierte Anzahl Anfragen stellen, die sich immer auf ein spezifisches Grundstück beziehen müssen. Manche dieser Auskünfte sind kostenpflichtig, personen­bezogene Anfragen sind nicht möglich.

Das Recherche­team «Reflekt», die Republik und das Magazin «Tsüri» haben diese Kleinarbeit an die Hand genommen und die Daten des grössten Wohnungs­besitzers von Zürich – der Swiss Life – bei den Ämtern erfragt. Zudem wurden zwei Dutzend der grössten Haus­besitzerinnen der Stadt gebeten, Auskunft über ihr Liegenschafts­portfolio zu geben. So entstand die bisher umfang­reichste zu journalistischen Zwecken erstellte Adress­datenbank zum Immobilien­besitz in Zürich.

Zur Recherche

In Städten wie Basel, Bern oder Schaffhausen ist das Grundbuch digitalisiert. Anfragen können dort einfacher gestellt werden, was Lokalmedien wie «Bajour», der «Bund» und die «Schaffhauser AZ» genutzt haben, um den Immobilien­markt transparenter zu machen. Im Kanton Zürich waren dagegen Anfang November 2020 erst etwas mehr als 40 Prozent aller Grundstücke digital erfasst.

Laut einer Erhebung des Zürcher Stadt­magazins «Tsüri» liegt der Kanton damit landesweit auf dem letzten Platz. Aus diesem Grund haben wir mit Fach­personen gesprochen, Berichte gelesen und Anfragen ans Grundbuch­amt gestellt. So ist die bislang umfassendste, wenn auch nicht abschliessende Datenbank der grössten Wohnungs­besitzer Zürichs und der Immobilien in ihren Portfolios entstanden.

Die Datenbank umfasst 26 Unternehmen. Sie besitzen Liegenschaften an über 1800 Adressen in der Stadt Zürich. Rund zwei Drittel der Gebäude werden für Wohnungen genutzt, rund ein Sechstel wird an Geschäfte vermietet. Bei einem weiteren Sechstel der Adressen ist der Verwendungs­zweck nicht bekannt.

Die meisten Unternehmen haben uns auf Anfrage Auskunft gegeben. Eine kleine Gruppe weigerte sich dagegen, Transparenz zu schaffen. Die Pensionskasse Profond, die Zürcher Kantonalbank, Coop sowie die Versicherungs­gesellschaften Swiss Re und Bâloise gaben nicht einmal bekannt, wie viele Wohnungen sie aktuell besitzen. Sie könnten daher ebenfalls zu den grösseren Immobilien­besitzerinnen der Stadt gehören, sind in der Datenbank aber nicht enthalten.

Keine Detail­auskünfte gab die grösste Immobilien­besitzerin der Stadt: Swiss Life. Ihre Liegen­schaften haben wir in Handarbeit bei den Grundbuch­ämtern erfragt. Nach einem längeren Prozess, in dem das öffentliche Interesse an der Auskunft begründet werden musste, haben zehn der elf Grundbuch­ämter die Daten heraus­gegeben. Gegen den Entscheid des elften Grundbuch­amts hat das Recherche­team Beschwerde vor dem Bezirks­gericht Zürich eingereicht.

Offene Fragen bleiben. Unsere Adressen decken nur rund 30 Prozent aller Wohnungen ab, die sich im Besitz von institutionellen Investoren befinden. Wem also gehören die restlichen 70 Prozent? «Von den Behörden abgesehen, weiss niemand, wem wie viele Wohnungen gehören», sagt Donato Scognamiglio, Geschäftsführer des Immobilien­beratungs­unternehmens IAZI. Expertinnen gehen davon aus, dass es sich bei den Besitzern um weniger bekannte Immobilien­gesellschaften handelt, die nicht börsenkotiert sind – kleinere Firmen oder Anlage­stiftungen, über die Privat­personen oder Vorsorge­einrichtungen ihr Kapital investieren, sowie sogenannte Family-Offices, die das Kapital vermögender Familien verwalten.

Aus der Datenbank geht hervor, dass die Immobilien im Besitz der grossen Banken, Versicherungen, Pensions­kassen und Immobilien­gesellschaften über die ganze Stadt verstreut sind. Besonders in der Innenstadt, entlang der Bahnhofstrasse, ist ihr Anteil hoch. Im City-Quartier besitzt die Gruppe der 26 untersuchten Investoren über ein Fünftel der gesamten Gebäudefläche.

Auch in der Gegend um den Escher-Wyss-Platz in Zürich-West besitzen die Gross­investoren viele Liegen­schaften. Ähnlich wie in der City wird ein Teil davon an Firmen und Gewerbe­treibende vermietet und ein weiterer Teil an Privat­leute zum Wohnen. Viele solcher Wohn­liegenschaften besitzen die untersuchten Investoren auch in Alt-Wiedikon im Südwesten der Stadt sowie in den nördlich gelegenen Quartieren Oerlikon, Affoltern und Hirzenbach.

Am rechten Zürichseeufer, im Seefeld, ist besonders die Swiss Life präsent. Das hängt damit zusammen, dass sie 2014 ein grosses Immobilien­paket von der eingangs bereits erwähnten Ledermann AG übernommen hat. Gemeinsam besitzen die beiden Firmen einen Grossteil der eingezeichneten Wohnungen im Quartier.

Zürich soll grüner werden wie hier am Altstetterplatz …
… aber Bürogebäude bleiben eben doch lukrativer (Europaallee).

Wie dominant die Gross­investoren an gewissen Stellen der Stadt sind, zeigen exemplarisch die Häuser­blöcke nördlich der Sportanlage Sihlhölzi nahe des Bahnhofs Wiedikon, wo rund jede zweite Liegenschaft der Zürcher Kantonal­bank, der Swiss Life oder der Credit Suisse gehört. Ganz ähnlich im Stadtteil Schwamendingen: Hier sind die UBS, die Allreal Holding, die Axa, die Zurich-Versicherung und die Swiss Life quasi Nachbarn – mit ganzen Siedlungen in unmittel­barer Nähe zueinander.

Ein Gigant unter den Immobilienbesitzern

Dass immer wieder dieselben Namen auftauchen, ist kein Zufall. Der Zürcher Wohnungs­markt wird von einer Versicherung und zwei Banken dominiert: Die Swiss-Life-Gruppe besitzt laut eigenen Angaben rund 5000 Wohnungen in Zürich. Die UBS und die Credit Suisse kontrollieren über mehrere Fonds, Anlage­stiftungen oder betriebs­interne Pensions­kassen fast 3700 respektive 2400 Einheiten. Dahinter folgen Pensions­kassen (Migros, Kanton Zürich), Anlage­stiftungen, weitere Versicherungen sowie Immobiliengesellschaften.

Zusammengenommen gehören den 10 grössten von uns identifizierten Wohnungs­besitzerinnen etwa 9 Prozent aller Wohnungen in Zürich. Fast alle von ihnen haben ihren Bestand seit 2006 ausgebaut.

Drei Firmen überragen das Feld

Wohnungen im Besitz der zehn grössten Investoren

Stand 2006
Zunahme 2006 bis 2020
Swiss Life05000 UBS03698 Credit Suisse02391 AXA01600 Zurich*01377 BVK-Pensionskasse01367 Migros-Pensionskasse01325 Pensimo01224 SBB*01000 Agensa*0847

* Die Zurich-Versicherung besass 2006 mehr Immobilien als heute. Bei den SBB und Agensa ist der Stand von 2006 nicht bekannt. Die SBB besitzt laut eigenen Angaben «rund 1000 Objekte, die derzeit in Betrieb sind oder innerhalb der nächsten sechs Monate in Betrieb genommen werden». Quelle: Angaben der Unternehmen

Stark ausgebaut haben auch zehn weitere Investoren, zu denen Zahlen vorliegen. Zum Beispiel die Anlagestiftung Assetimmo, die Gelder von Pensionskassen anlegt. Sie besass vor fünfzehn Jahren nur 7 Wohnungen. 2011 übernahm sie die Immobilien der Pensionskassen des Tamedia-Verlags und besitzt mittlerweile mehr als 140 Wohnungen. Auch einige Immobilienfirmen haben stark zugelegt: Swiss Finance & Property Group (+151 Wohnungen), Mobimo (+239) oder Fundamenta (+174) besassen 2006 jeweils noch gar keine oder sehr wenige Wohnungen.

Ausreisser sind die Pensions­kasse des Bundes, Publica, die ihren Bestand kaum erweitert hat, und die Zurich-Versicherung – die einzige Firma, die einen Rückgang verzeichnet.

Mit Abstand die eindrücklichste Entwicklung hat aber die Swiss-Life-Gruppe hinter sich. Der Versicherungs­riese hat sein Immobilien­portfolio um 2700 Einheiten ausgebaut – und die UBS als grösste Wohnungs­besitzerin abgelöst. Der Konzern kontrolliert heute jede fünfzigste Wohnung der Stadt. Details dazu hält die Swiss Life jedoch geheim: Anders als UBS, CS oder Axa macht die Gruppe ihr Immobilien­portfolio weder auf ihrer Webseite noch im Jahresbericht publik und beantwortet auch entsprechende Anfragen nicht.

Wohnhochhaus Vulcano in Altstetten: Viele Mieterinnen bringen letztlich deutlich mehr Gewinn …
… als ein Baum, der deshalb schnell den Kürzeren zieht.

Wie genau die Unternehmen ihre Portfolios vergrössert haben, lässt sich nur schwer erheben. Vereinfacht gesagt gibt es dafür drei Möglichkeiten: Neubau, Verdichtung oder Zukauf. Jede Firma fährt hier ihre eigene Strategie – mit unterschiedlichen Folgen fürs räumliche und soziale Gefüge der Stadt.

Neu bauen – oder sanieren?

«Neubauten werden ausschliesslich von institutionellen Investoren, Wohnbau­genossenschaften oder der Stadt Zürich erstellt», sagt Immobilien­experte Robert Weinert vom Beratungs­unternehmen Wüest Partner. Tatsächlich spielen die grossen Unternehmen eine zentrale Rolle bei der Entwicklung der Stadt. Sie investieren viel Geld in grosse Überbauungen wie die Europaallee (beim Hauptbahnhof), die Vulcano Towers (in Zürich-Altstetten) oder das Freilager (in Albisrieden).

Dabei entstehen nicht selten halbe Quartiere aus dem Nichts – zum Beispiel am Fuss des Käferbergs, wo die UBS Pensionskasse die Überbauung Guggachpark hochgezogen hat. Auf dem ehemaligen Gelände einer Sportanlage steht nun eine Siedlung mit 252 Wohnungen und einem Kindergarten. Als «Glücksort für Familien mit Kindern, Best Agers und alle Jung­gebliebenen», wird der Neubau angepriesen. Die Wohnungen entsprächen mittlerem bis gehobenem Ausbau­standard. Die Mieten sind stattlich: rund 3300 Franken brutto für 3,5 Zimmer à 100 Quadratmeter.

Dass Zürich kein günstiges Pflaster ist, weiss jede, die hier eine Bleibe sucht. Wohnen wird immer teurer: Der von der Stadt erhobene Mietpreis­index ist seit 2005 um 14 Prozent angestiegen. Mitgezählt sind alle Wohnungs­typen – die mit bisherigen und die mit neuen Mietern. Blickt man nur auf die Wohnungen, die zurzeit auf dem Markt sind, ist die Steigerung der Mieten doppelt so hoch: Gemäss Zahlen von Wüest Partner liegt sie bei 30 Prozent.

Neubauprojekte könnten den Druck auf die Mieten reduzieren. Doch sie hätten zuletzt an Bedeutung verloren, sagt Walter Angst vom Mieter­verband Zürich. «Wir beobachten eine Verschiebung hin zu Ersatz­neubauten.». Dabei würden immer jüngere Gebäude ersetzt, um mehr und meist teureren Wohnraum zu schaffen. «Wir sehen Bauten aus den 1980er- und 1990er-Jahren, die abgerissen werden», so Angst. «Das ist eine relativ neue Entwicklung.»

Tatsächlich ist Zürich weitgehend bebaut. Es fehlen freie Flächen oder grössere Areale, die umgenutzt werden könnten. Das beobachtet auch Robert Weinert von Wüest Partner. Nachdem es 20 Jahre immer nur aufwärts gegangen sei, befände sich der Zürcher Wohnungs­markt nun in einer Phase der Reife. Trotzdem hätten viele Akteure nach wie vor das Bedürfnis, Objekte zu erwerben, um eine langfristige Rendite zu erwirtschaften. «Die Investoren stehen unter Rendite­druck und wollen ihr Portfolio optimieren. Sie sanieren, bauen aus, erstellen Ersatzneubauten.»

Der Anlagedruck ist ein Problem. Er erhöht die Zahlungs­bereitschaft der Investoren. Und wer teuer kauft, möchte auch teuer vermieten.

Investoren treiben die Gentrifizierung voran

Zu beobachten ist das im eingangs erwähnten Seefeld­quartier. Dieses wurde über die vergangenen Jahre stark aufgewertet und gilt heute als Inbegriff der Gentrifizierung – also der Verdrängung von alteingesessenen Bewohnerinnen durch zahlungs­kräftige Zuzüger. Doch auch in anderen Stadtteilen greift die «Seefeldisierung» um sich: Vom Zentrum bis zum Stadtrand lassen sich zahlreiche Beispiele finden für Leer­sanierungen (also für Umbauten, bei denen allen Mietern einer Liegenschaft gekündigt wird) oder für Ersatz­bauten zur mutmasslichen Rendite­optimierung der Investorinnen.

Der prominenteste Fall ist wohl die Wohnsiedlung Brunaupark nahe des Einkaufs­zentrums Sihlcity im Süden der Stadt. Die Pensions­kasse der Credit Suisse wollte sie abreissen, um 239 relativ gut erhaltene Wohnungen mit 500 neuen zu ersetzen. Der Plan weckte Widerstand bei Bewohnerinnen und Politik; sogar die Uno-Sonderberichterstatterin für das Recht auf Wohnen kam zu Besuch. Gemeinsam erreichte man schliesslich eine ausser­gerichtliche Einigung: Die betroffenen Mieterinnen dürfen vorerst bis 2024 in ihren Wohnungen bleiben.

Neben den ganz Grossen sind auch kleinere Akteure im Geschäft der Aufwertung aktiv. Etwa die Fundamenta sowie mehrere ihr nahe­stehende Anlage­gefässe haben in den vergangenen zehn Jahren zahlreiche Immobilien in Zürich gekauft, die später totalsaniert wurden. Ein Beispiel ist das rote Eckhaus am Bullinger­platz im Stadtteil Hard, das 2018 an die Fundamenta ging und im Mai 2021 neue Mieterinnen willkommen hiess. Eine totalsanierte 2,5-Zimmer-Wohnung mit 70 Quadrat­metern kostet dort nun 2790 Franken brutto. Vorher waren es nach Angaben des Zürcher Mieter­verbandes 1700 Franken netto.

Ich will es genauer wissen: Die Fundamenta

Die Fundamenta zeigt exemplarisch, wie schwer durchschaubar der Zürcher Wohnungs­markt ist: Die Fundamenta Real Estate AG teilt sowohl ihren Namen als auch ihre Adresse in Zug mit der Fundamenta Anlage­stiftung, der Fundamenta Group AG sowie mehreren Anlage­vehikeln, die unter der Bezeichnung FG Promotion 1 bis 10 auftreten. Die beiden erstgenannten Firmen besitzen insgesamt 174 Wohneinheiten in der Stadt, die von der Fundamenta Group verwaltet werden. Die Promotionen entwickeln dagegen Liegenschaften und verkaufen diese laut der Fundamenta Group noch während des Prozesses.

Daniel Kuster, der CEO der Fundamenta Group, sagt, dass die Fundamenta Real Estate AG nicht auf das Luxus­segment abziele: «Unser Ziel ist es, markt­fähigen und qualitativ hoch­stehenden Lebensraum anzubieten.» Fast 90 Prozent aller Wohnungen würden einen Netto­mietzins von unter 2000 Franken aufweisen. Für eine kürzlich getätigte Neuerwerbung dürfte das jedoch nicht gelten: An der Weststrasse 145 in Wiedikon gewann die Fundamenta Anlage­stiftung letztes Jahr das Bieter­verfahren einer Erben­gemeinschaft und stach dabei auch die von der Stadt gegründete Stiftung PWG aus. Diese soll Liegen­schaften kaufen und günstig vermieten. An der Weststrasse war das nicht möglich, weil die Gebote so hoch lagen, dass sie unweigerlich hohe Mieten nach sich gezogen hätten.

«Es stellt sich schon die Frage, unter welchen Bedingungen wir als Stadt überhaupt noch Bauland oder Liegen­schaften kaufen können», sagt André Odermatt, Vorsteher des Zürcher Hochbau­departements. Das viele Geld im Markt mache es jedenfalls schwieriger. Die Kaufpreise seien stark gestiegen, was wiederum eine Erhöhung der Mietpreise und bei den gewinn­orientierten Bauträgern oft auch forcierten Neubau mit Leer­kündigungen zur Folge habe.

Dank Autobahnumfahrung mit dem Üetlibergtunnel stiegen die Mieten im Zürcher Stadtkreis Wiedikon dramatisch: Haus an der Weststrasse 145.

Da Mieten in der Schweiz unter normalen Bedingungen nicht ohne Weiteres erhöht werden können, bieten sich Leer­sanierungen und Ersatz­neubauten an, um den Bewohnerinnen zu kündigen und nach abgeschlossenem Bauprojekt neue Mieter zu erhöhten Preisen einzuquartieren. Bei älteren Gebäuden erhöhen sich die Mieten dabei nicht selten um den Faktor zwei bis drei.

Mieter rauswerfen? Es ginge auch anders

Nicht alle institutionellen Wohnungs­besitzer gehen nach diesem Muster vor. Die Management­gesellschaft Pensimo, die in mehreren Anlage­stiftungen Pensionskassen­vermögen verwaltet, baut meist in Etappen oder saniert in bewohntem Zustand. «Umbauen ist zwar dreckig, macht Lärm und bringt viele Unwägbarkeiten mit sich», sagt ihr Firmen­chef Jörg Koch. «Aber die Menschen können bleiben, und der Mietzins­aufschlag nach der Sanierung ist moderat und durch das Mietrecht limitiert.» Eines der vier Anlagege­fässe von Pensimo ist auf preis­günstiges Wohnen ausgerichtet. Das habe nicht nur altruistische Gründe, sagt Koch, denn die Nachfrage nach günstigen, qualitativ hoch­wertigen Wohnungen nehme zu.

Auch Wohnbau­genossenschaften agieren sanfter: Sie bauen und sanieren sozial­verträglich – denn wo die Mieterinnen mitreden können, braucht es bei Erneuerungs­prozessen ihre Zustimmung. Damit alle bleiben können, müssen also Renovationen und Ersatz­neubau­projekte gut durchdacht sein. Wo möglich, wird in bewohntem Zustand saniert – wo nicht, geschieht dies in Etappen, damit die Bewohner später zurück­kehren können.

Banken, Versicherungen und profit­orientierte Immobilien­gesellschaften stellen sich oft auf den Standpunkt, dass dies teuer sei – und rechtfertigen Leer­kündigungen mit den tieferen Kosten. Das sei nicht zwingend, sagt Andreas Wirz, Architekt und Vorstands­mitglied im Zürcher Regional­verband der Wohnbau­genossenschaften. Aktuell begleitet er mit seiner Firma die Baugenossenschaft Wiedikon bei einem grossen Erneuerungs­vorhaben: Zwei von drei Siedlungen werden saniert, wobei eine aufgestockt und eine neu gebaut wird. Die Erneuerung geschieht in Etappen, keine Bewohnerin wird raus­geworfen. Am Ende werden die neuen Genossenschafts­wohnungen nur rund 20 bis 30 Prozent teurer. Konkret: Eine zentrale 3-Zimmer-Wohnung dürfte künftig etwa 1100 Franken monatlich kosten.

Vor zehn Jahren verankerten Zürichs Stimmbürger in der Gemeinde­ordnung, dass mehr Wohnraum dem Rendite­druck entzogen werden soll. Bis 2050 ist ein Drittel gemein­nütziger Wohnungen anvisiert – aktuell beträgt ihr Anteil an den Miet­wohnungen je nach Zählweise zwischen 26 Prozent und 29 Prozent. «Unser Ziel haben wir noch längst nicht erreicht», sagt Stadtrat Odermatt. Obwohl die absolute Zahl gemeinnütziger Wohnungen gestiegen sei, habe man aufgrund der hohen Bautätigkeit den Anteil nicht erhöhen können. Um die Mietpreis­steigerungen zu dämpfen, versuche die Stadt, Liegen­schaften mit einer aktiven Wohn­politik dauerhaft dem Markt zu entziehen. Bei privaten Bauvorhaben könne sie zudem im Rahmen von sogenannten Mehr­ausnutzungen auch bezahlbaren Wohnraum einfordern.

Mehr Genossenschafts­wohnungen und sozial­verträglichere Um- oder Neubauten – könnte das reichen, um die steigenden Preise zu dämpfen?

Verschiedene Faktoren treiben die Preise hoch

Die Meinungen gehen auseinander. Manche sehen die Haupt­ursache für den Preisanstieg im vielen Geld, das in den Immobilien­markt fliesst.

«Zürich ist ein extremer Markt», sagt etwa Michael Trübestein, Professor an der Hochschule Luzern. Hier treffe eine hohe Investitions­sicherheit und eine gute Lage auf positive Zuwanderung, sehr knappe Land­reserven und viel verfüg­bares Kapital. Das habe mit dazu geführt, dass sich die Preise für den Kauf von Wohn­immobilien allein zwischen 2008 und 2018 verdoppelt haben.

«Die Unternehmen sind professioneller unterwegs als früher», sagt auch Donato Scognamiglio, Professor für Immobilien­wirtschaft an der Uni Bern und Geschäfts­führer eines Beratungs­unternehmens. Sie könnten Miet­anpassungen gross­flächiger vornehmen und hätten mehr Mittel, um grössere Objekte zu kaufen oder Total­sanierungen zu realisieren.

Zu den Gross­investoren kommen Privat­personen und Familien, die Immobilien in der Stadt besitzen. Auch sie treiben laut Fach­personen die Preisspirale an: Genau wie die institutionellen Eigen­tümerinnen sind auch sie an steigenden Miet­einnahmen interessiert. Und sie können günstig Kredite aufnehmen, um Liegen­schaften zu sanieren und aufzuwerten.

Dass sich Immobilien­investitionen lohnen, ist jedoch kein Natur­gesetz. In Zürich ist es dem Umstand geschuldet, dass ein enormes Miss­verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage nach Wohnraum besteht.

Seit zwanzig Jahren liegt der Wohnungs­leerstand in Zürich stets nahe null. Das heisst: Seit langem möchten eigentlich mehr Menschen in Zürich wohnen als möglich ist. «Diese Tatsache treibt die Preise in die Höhe», sagt Sibylle Wälty, Raum­wissenschaftlerin an der ETH. Die grossen Investoren seien höchstens ein Teil der Aufwertungs­spirale, aber nicht die eigentliche Ursache.

Laut Wälty trägt die Stadt selbst einen grossen Teil der Verantwortung für die hohen Miet­preise. Denn in den letzten Jahr­zehnten entstanden massiv mehr Arbeits­plätze als Wohnplätze – was Zürich zwar Wirtschafts­wachstum beschert, es aber auch mit einem Dilemma konfrontiert habe: Wo sollen all die Menschen unter­kommen, die diese Arbeits­plätze füllen?

«Eine nachhaltige Siedlungs­entwicklung ist nur möglich, wenn Politik und Raum­planung die stadt­ökonomischen Zusammen­hänge miteinbeziehen», sagt Wälty. Verglichen mit 1960 habe Zürich heute aber rund 20’000 Einwohnerinnen weniger und 160’000 Vollzeit­beschäftigte mehr. So habe sich die Stadt vom damaligen 1:2-Verhältnis hin zu einem 1:1-Verhältnis zwischen Arbeits- und Wohn­plätzen entwickelt. Damit die Mietpreise sinken, müsste es nach ihrer Ansicht wieder in die umgekehrte Richtung gehen. Nicht das Bauen sei also das Problem, sondern das Nicht-Bauen. «Als Mieter müsste man daran interessiert sein, dass deutlich mehr Wohnraum zugelassen wird», sagt sie.

Schön kann teuer sein: Im roten Haus am Bullinger­platz kostete die Wohnung nach der Total­sanierung 1000 Franken mehr.

Hochbauvorsteher André Odermatt betont hingegen, dass die Wohn­nutzung in Zürich nicht von den Arbeits­plätzen verdrängt werde. «Wir haben keine City-Bildung wie in London», sagt er: «Bei uns wird in der Innenstadt noch gewohnt.» Dass die Nachfrage durch forcierten Wohnungsbau kleiner würde, sei nicht zwingend. Und: «Die Attraktivität der Stadt zu mindern, nur damit weniger Jobs oder Menschen angezogen werden, ist für uns keine Option.»

Investieren, verdichten, aufwerten – oder die Stadt so lassen, wie sie ist?

Im Kleinen zeigt sich dieses Dilemma auch im Seefeld. Das Haus von Frau Rossi wurde sanft saniert, die Mietpreise stiegen moderat, und das Quartier profitiert von den lebhaften Bewohnerinnen – aber zusätzlicher Wohnraum ist nicht entstanden. Anders im Neubau vis-à-vis: Dort sind die Preise deutlich höher als früher, Einwohner wurden verdrängt. Doch es wurden zusätzliche Wohnungen geschaffen.

Wie der optimale Kompromiss aussieht, bleibt offen. Klar ist: Steigen die Bodenpreise weiter stark an, verteuert sich auch der Wohnraum weiter.

In einer früheren Version haben wir ein Bild fälschlicherweise mit «Guggachpark» bezeichnet, darauf war aber eine andere, benachbarte Wohnsiedlung zu sehen. Wir haben dieses Bild entfernt und entschuldigen uns für den Fehler.

Zu den Autoren

Christian Zeier ist Journalist. Florian Spring ist Fotograf. Beide leben in Bern und arbeiten für das Recherche­team «Reflekt». Für die Republik haben sie bereits über das Schicksal von Asylbewerbern berichtet, welche die Schweiz nach Eritrea abgeschoben hat. Ihre Recherche über die Immobilien­besitzerinnen in Zürich, an der auch die Journalistin Esther Banz und das Magazin «Tsüri» beteiligt waren, ist Teil eines Projekts, das sich über 16 Länder Europas erstreckt. «Reflekt» hat eine durchsuchbare Karte mit den Adressen der kommerziellen Wohnungs­besitzer aufgeschaltet, nimmt weiter Hinweise über Wohn­eigentümerinnen entgegen und erklärt Interessierten, wie sie eine Anfrage an eines der Grundbuch­ämter in Zürich starten können.