Zurück in die Diktatur
Die Schweizer Behörden weisen immer mehr Asylsuchende aus Eritrea ab. Sie könnten ohne Probleme in ihr Heimatland zurückkehren, heisst es in Bern. Doch stimmt das? Erstmals reden Rückkehrer öffentlich. Auftakt zur Recherche-Serie.
Von Christian Zeier (Text), Florian Spring (Bilder) und Amir Ali (Redaktion), 08.04.2020
Was passiert mit Menschen, die aus Eritrea geflohen sind und dann wieder dorthin zurückkehren? Erstmals erzählen abgewiesene eritreische Asylsuchende öffentlich, was in der Schweiz niemand so genau wissen will.
Geflüchtete aus Eritrea machen seit 2011 die grösste Gruppe unter den Asylsuchenden in der Schweiz aus. Rund 40’000 Gesuche sind in den letzten neun Jahren eingegangen, und die meisten haben gute Chancen. Doch 2016 haben die Schweizer Asylbehörden ihre Praxis bei Eritreern verschärft, sie sprechen immer häufiger Wegweisungen aus – und preisen die freiwillige Rückkehr als valable Option an. Nach Ansicht des Staatssekretariats für Migration ist die Rückkehr in das autoritär regierte Land «möglich und zumutbar». Die verschärfte Praxis wurde durch mehrere Entscheide des Bundesverwaltungsgerichts gestützt.
«Es ist undenkbar, dass die Schweiz Menschen in einen Willkürstaat zurückschickt», fasste 2015 die damalige Justizministerin Simonetta Sommaruga die Haltung des Bundesrates gegenüber Eritrea zusammen. Inzwischen hat sich das Bild von Eritrea stark gewandelt – vom «Nordkorea Afrikas» zu einem Land, in dem es sich doch eigentlich ganz gut leben lässt.
Doch stimmt das wirklich?
Am Anfang des gewandelten Images stand eine Reise von Schweizer Politikern, die sich auf Einladung der eritreischen Regierung ein Bild von der Lage im Land machen sollten. «Eritrea ist nicht das Paradies auf Erden (…). Aber es ist auch nicht die Hölle, als die es manchmal beschrieben wird», berichtete SVP-Nationalrat Thomas Aeschi im exklusiven Reisetagebuch für die Boulevardzeitung «Blick». Auch mit dabei: die damalige grüne Aargauer Regierungsrätin Susanne Hochuli, die ihre Eindrücke in einer Reportage für die «SonntagsZeitung» festhielt. Sie habe sich frei bewegen können, schrieb sie. Ihr Fazit: «Nein, so habe ich mir das Nordkorea Afrikas nicht vorgestellt.»
Die Recherche
Recherchen der Republik in Kooperation mit dem gemeinnützigen Berner Recherchekollektiv Reflekt belegen nun erstmals, dass diese Sicht auf die Lage in Eritrea blauäugig bis fragwürdig ist. Und dass die Asylbehörden in der Schweiz kaum wissen, was mit den geflüchteten Menschen nach der Rückkehr geschieht – schlimmer noch: gar nicht genau wissen wollen.
«Sie banden mir Hände und Beine zurück, steckten mir einen Metallstab zwischen die Hände und hängten mich an den Füssen auf. Dann schlugen sie mir auf die Füsse. Bis wir ins nächste Gefängnis verlegt wurden, konnte ich nicht mehr alleine gehen», erzählt Solomon, ein junger Eritreer, der in der Schweiz einen negativen Asylentscheid erhielt und nach seiner Rückreise direkt am Flughafen der eritreischen Hauptstadt Asmara verhaftet wurde.
Saudiarabien
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Eritrea
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Jemen
Djibouti
Äthiopien
Somalia
Addis Abeba
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Mehrere Fälle, die das Recherche-Team in Eritreas Nachbarland Äthiopien und in der Schweiz rekonstruiert und verifiziert hat, belegen willkürliche Inhaftierung, Folter und Zwangsarbeit. Mithilfe von Zeugenaussagen und Satellitenbildern haben die Reporter Gefängnisse in Eritrea lokalisiert und mit ehemaligen Inhaftierten gesprochen.
Das alles wirft Fragen auf zur Praxis der Schweizer Asylbehörden.
Serie «Zurück in die Diktatur»
Seit die Behörden den Druck erhöht haben, müssten Tausende Asylsuchende aus Eritrea die Schweiz verlassen. Die Rückkehr in das autoritär regierte Land sei «möglich und zumutbar», findet das Staatssekretariat für Migration. Doch nun zeigen Recherchen des Journalisten-Kollektivs Reflekt in Zusammenarbeit mit der Republik, wie fragwürdig diese Sicht ist.
Sie lesen: Auftakt
Zurück in die Diktatur
Teil 2
Die Zermürbungsstrategie
Teil 3
Willkür, Folter, Zwangsarbeit
Podcast
Gespräch mit den Autoren
Der Journalist Christian Zeier beschäftigt sich seit Jahren mit Eritrea und eritreischen Asylsuchenden in der Schweiz. 2016 hielt er sich mit einem offiziellen Visum in Eritrea auf. Der Fotograf Florian Spring arbeitet vorwiegend für Reportagen, bisher unter anderem in Papua-Neuguinea und Moçambique. Ayse Turcan, die zu dieser Serie beigetragen hat, ist Journalistin. Die Serie entstand in Zusammenarbeit mit dem Schweizer Recherchekollektiv Reflekt.