Dieses Küchlein sollte nicht mehr fahren
Die Vorliebe für besoffene Desserts hat unser Hauskulinariker von seiner Mutter geerbt. Ein Gebäck mit Verbindungen zu französischen Comichelden und einem polnischen König kommt ihm da gerade recht. «Geschmacksache», Folge 20.
Von Michael Rüegg (Text) und Reinhard Hunger (Bild), 13.05.2021
«Wir befinden uns im Jahre 50 vor Christus. Ganz Gallien ist von den Römern besetzt … Ganz Gallien? Nein! Ein von unbeugsamen Galliern bevölkertes Dorf hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten.»
So beginnt meines Wissens jedes der Comicbücher mit Asterix und Obelix, den beiden Galliern, die Römer verhauen und ihren Hunger mit gebratenen Wildschweinen stillen. Übermässig heimatverbundene Schweizer können sich mit dem Dorf besonders gut identifizieren. Dummerweise fiel vor einiger Zeit das Bankgeheimnis aus seiner bisherigen Funktion des Zaubertranks. Aber das ist eine andere Geschichte.
Wir wollen hier mit den vier römischen Lagern beginnen, die das kleine gallische Dorf umgeben. Es sind dies (in der deutschen Übersetzung): Aquarium, Laudanum, Kleinbonum – und Babaorum. Erst viele Jahre nach meinem ersten «Asterix»-Band hatte ich endlich den Wortwitz von Letzterem verstanden. Es ist eine Anspielung auf eine berühmte Patisserie, das sogenannte Baba au rhum.
Das Baba ist ein kleines süsses Hefeküchlein, das in einem Rum-Zucker-Sirup ersäuft wird. Es gehört also zu den unzähligen Süssspeisen, in denen Alkohol zur geschmacksgebenden Zutat wird. Hierzulande zu Berühmtheit gebracht hat es die auf demselben Prinzip basierende Zuger Kirschtorte. Eine gute Zuger Kirschtorte sollte man im Auto nie auf den Beifahrersitz legen. Denn steht sie auch nur ein bisschen schräg, läuft sie aus. Läuft sie nicht aus, ist sie keine gute.
Alkohol im Dessert und Liebe in der Garderobe
Meine Mutter gehört nicht zu denjenigen Menschen, die immer und überall Süsses konsumieren. Aber sie hat eine Schwäche für Dinge, die Alkohol enthalten. Sie ist keineswegs eine Säuferin, das möchte ich ausdrücklich betonen, da ich sie bestimmt bald wieder treffen werde und mir keine Schimpftiraden anhören will. Sie mag nur einfach Desserts, in denen man etwas Alkohol herausschmeckt. (Und natürlich genehmigt sie sich an besonderen Abenden auch mal ein Schnäpschen oder Likörchen, daran ist ja nichts verkehrt.)
Ich muss diesen wertvollen Wesenszug von ihr geerbt haben. Denn auch mich entzückt es, wenn man eine Spur eines gebrannten Wassers herausschmecken kann. Manche Mitmenschen mögen so was überhaupt nicht. Aber das ist okay, bleibt mehr für uns.
Mein letztes Baba hatte ich, als ich für die Republik in Saint-Tropez weilte, um eine Strandreportage zu schreiben. Das ist eine der angenehmeren Seiten meines Berufs. Leider haben solche Aufträge einen gewissen Seltenheitswert. Ich sass im Hinterland der plage de Pampelonne in einem einladenden Gasthaus auf einem ausladenden Grundstück und ass mutterseelenallein zu Abend.
Mein Unterhaltungsprogramm bestand aus zwei Pariserinnen im allerbesten Alter und ihren beiden Teenagertöchtern am Nebentisch. Eine der Mütter war gross und blond, die andere klein und brünett, beide trugen eine Rolex.
Was an meinem Tisch an Konversation fehlte, machten die beiden eleganten Damen nebenan wieder wett. Bei einer von beiden vermutete ich gar, dass es sich um eine sehr stark assimilierte gebürtige Deutsche handeln könnte. Ich glaubte den fernen Hauch eines Akzents wahrnehmen zu können. Aber wenn es etwas gibt, was man eine Französin wohl nicht fragen sollte, dann: «Pardon, vous êtes de naissance allemande?»
Zum Dessert fand sich dann ein Baba au rhum vor meiner Nase ein. Ich verschluckte mich beim Verzehr beinahe daran. Schuld war das Thema am Nebentisch. Die Blonde erzählte, wie sie in der Umkleide eines bekannten grand magasin am Boulevard Haussmann zwei Personen beim Geschlechtsverkehr überrascht hatte. Das muss mein Stichwort gewesen sein, ich schlüpfte aus der Rolle des diskreten Mithörers und starrte sie mit grossen Augen an. Sie schaute mit ebenso grossen Augen zurück und fand «mais oui, c’est vrai».
Es sei, sagte ihre Freundin, doch bekannt, dass es in diesen Garderoben ziemlich zur Sache gehe. Und dann plauderten sie noch ein wenig am Thema weiter, bis die Konversation woandershin abbog. Die beiden Töchter spielten derweil unbeeindruckt mit ihren Handys.
Ich konnte die Angaben der beiden bis dato nicht verifizieren, ich hielt mich seither nie wieder in Paris auf. Und ob es in Zeiten des Social Distancing bei der Anprobe von Deuxpièces noch immer zu Intimitäten kommt, ist sowieso fraglich.
Eine polnische Vergangenheit
Doch zurück zum Baba: Dieses soll eine polnische Erfindung sein. Es wird Stanislaus I. Leszczyński zugeschrieben respektive seinem Haushalt. Der Mann bekleidete diverse Funktionen und war unter anderem König von Polen, Herzog von Lothringen, Schwiegervater von Ludwig XV. von Frankreich und wohnte in Nancy. (Das Europa des 18. Jahrhunderts war noch deutlich weniger nationalistisch geprägt als das heutige.)
Es ist denkbar, dass das heutige Baba ein umgedachtes polnisches Küchlein ähnlichen Namens war, zu einem getränkten Miniatur-Gugelhopf umgebacken. Damit wäre quasi der lothringische Einfluss belegbar. Auch heute haben die meisten Babas die Form eines Gugelhöpfchens oder Donuts – sprich: ein Loch in der Mitte. Das wäre die Idealvorstellung. Leider konnte ich keine derartige Form auftreiben. Meine Babas habe ich daher in einer Muffin-Form gebacken respektive einer, die ich traditionell für die Herstellung von Yorkshire-Puddings zu Weihnachten verwende. Letzten Endes ist es nicht entscheidend, wie die Dinger aussehen. Hauptsache, man schmeckt den Rum deutlich heraus.
Das Rezept: Baba au rhum
Zutaten für den Teig: 1 dl Milch, 10 g Hefe, 200 g Weissmehl, 80 g Butter, 50 g Zucker, 2 Eier, 1 Prise Salz, etwas Butter für die Förmchen
Zutaten für den Sirup: 200 g Zucker, 4 dl Wasser, 1,5 dl dunklen Rum, 1 Orange, 1 TL Vanillepaste
Zum Servieren: Rahm, Himbeeren
Die Hefe in der zimmerwarmen Milch auflösen und 5 Minuten stehen lassen.
Mehl, Zucker und die Prise Salz in der Schüssel der Küchenmaschine mischen und eine Mulde formen.
Die Eier und die Milch mit der aufgelösten Hefe in die Mulde giessen und mit dem Teighaken oder dem Rühraufsatz zu einem geschmeidigen Teig rühren.
Weiche Butter zugeben und so lange weiterrühren, bis alles eins geworden ist.
Den Teig zugedeckt anderthalb Stunden an einem warmen Ort aufgehen lassen. Danach rühren und in die gebutterten Förmchen abfüllen. Dazu entweder einen Spritzsack oder einen Löffel nehmen, was beides sehr mühsam ist. (Nicht zu viel Teig pro Form, die Dinger gehen stark in die Höhe. Die Teigmenge dürfte sicher für 8 Babas reichen.)
Die Küchlein in die Mitte des Ofens stellen. 15 bis 20 Minuten bei 180 Grad Ober- und Unterhitze backen, bis sie etwas Farbe haben.
Aus dem Ofen nehmen, aus den Formen stürzen und auf einem Gitterrost auskühlen lassen.
Derweil den Sirup zubereiten: Wasser, Zucker, abgeriebene Orangenschale und Saft der Orange aufkochen und 5 Minuten köcheln lassen. Dabei Vanillepaste unterrühren.
Den Sirup durch ein Sieb in eine breite Schüssel abgiessen. Bei den Babas den Deckel wegschneiden, falls sie etwas zu üppig aufgegangen sind.
Wenn der Sirup in der Schüssel nicht mehr dampft, den Rum dazugiessen und rühren. Nun die Babas in die Schüssel legen, sie sollten schwimmen und sich vollsaugen. Mit einem Schöpflöffel Sirup über die Babas giessen.
Nach 2 Minuten Babas rausnehmen und auf eine Platte legen. Noch einmal etwas Sirup darübergiessen.
Kalt werden lassen, danach vorsichtig (sie sind jetzt sehr sensibel) in ein genügend grosses Gefäss geben und vor dem Servieren einige Zeit in den Kühlschrank legen.
Die Babas serviert man umgekehrt, also mit dem Boden gen Himmel. Daher ist es durchaus keine blöde Idee, wie oben beschrieben, den Deckel abzutrennen. Für den Service ein Baba auf ein Tellerchen legen und etwas mit Puderzucker gesüssten Schlagrahm draufgeben. Mit einer Himbeere oder der nächstbesten Frucht dekorieren und den Gästen zukommen lassen.
Wir bleiben im Glas bei süss
Möchte man ein Gläschen Wein zum Baba servieren, würde sich ein Elsässer Muscat anbieten. Er sollte nicht trocken ausgebaut sein, wir veranstalten hier keinen Apéro. Es gibt preislich vernünftige Grands Crus, gerade beim Muskateller, der meist im Schatten anderer Traubensorten steht (wenn auch nicht sprichwörtlich). Wer einer Flasche vendange tardive habhaft wird, sogar eines älteren Jahrgangs, den belohnen Wein und Winzerin mit besonders konzentrierten Aromen.