Die Impfung ist da. Sie haben noch Fragen? Die hatten wir auch
Vor dem Endspiel bremst uns der Proteinhaufen ein paar ungünstige Mutationen rein. Wirkt die Impfung dagegen? Und wie sicher ist sie überhaupt? Corona IV – Virus on Ice.
Von Ronja Beck, Marie-José Kolly (Text) und Golden Cosmos (Illustration/Animation), 26.01.2021
Seit fast einem Jahr wissen und schreiben wir: Dieses Virus geht nicht von selbst wieder weg. Der einzige Ausweg aus der Krise, das Endspiel nach vielen düsteren Monaten, ist ein passender Impfstoff.
Im September 2020 noch hatte der Immunologe Daniel Speiser vorhergesagt, wenn es richtig gut laufe, dann sähen wir vielleicht schon vor Silvester eine Zulassung in den USA. Und dann, wenn dann noch mal alles richtig gut laufe, einige Wochen später auch in der Schweiz.
Nun: Es ist richtig schnell und richtig gut gelaufen. Ende 2020 war die erste Schweizer Zulassung da. Aber auch sehr hohe Infektionszahlen.
Und fast zeitgleich: ein Plot-Twist. Neue Virusvarianten, durch Mutationen vermutlich ansteckender geworden, rasen durch Europa. Das dumme kleine Proteinhäufchen namens Sars-CoV-2 spielt sich nochmals richtig gross auf.
Wir rufen, es hat ja mittlerweile fast schon Tradition, den Epidemiologen Marcel Salathé an.
«Ja, es ist anstrengend», sagt er. «Wir sehen das Licht am Ende des Tunnels. Aber es wird immer klarer, dass der Tunnel noch verdammt lang ist. Und dieses Bild vom Tunnel – man nimmt immer an, dass da drin eine freie, gerade, geteerte Strasse liegt. Aber it’s not that kind of tunnel, es ist eine Höhle, gespickt mit Stolpersteinen. Wir können nicht einfach duurefreese.»
Umso wichtiger ist es, dass unser Mittel auch gegen die Stolpersteine funktioniert. Dass Sie und wir all unsere Fragen und Unsicherheiten zu den Impfungen klären können. Ohne Vertrauen wird das nämlich nichts.
Diese grosse Unsicherheit bei Impfungen – woher kommt sie eigentlich? «Sie ist so alt wie die Impfungen selber», sagt Flurin Condrau, Medizinhistoriker, im Videocall.
Sie hat, sagt Condrau, damit zu tun, dass wir durchaus bereit sind, Medikamente ein- und Nebenwirkungen hinzunehmen, wenn es uns nicht gut geht. Wenn es uns aber eigentlich gut geht, sind wir dazu etwas zurückhaltender. Und das ist auch berechtigt: Impfstoffe müssen, im Vergleich zu anderen Arzneimitteln, besonders sicher sein. Es ist nicht nur okay, es ist ausgesprochen wichtig, jeweils Fragen zu stellen – abzuwägen.
Das manchmal geringe Vertrauen, was Impfungen angeht, hat aber auch damit zu tun, dass es uns insgesamt viel öfter gut geht als früher. Impfungen haben dazu beigetragen (und tun es noch immer), schwere Infektionskrankheiten in der Schweiz zu vermeiden. Wir haben vergessen, wie es sich in einer Welt ohne Impfstoffe lebt.
Gerade weil Impfungen also ein umstrittenes Thema sind, haben wir für diesen Beitrag mit besonders vielen verschiedenen Personen gesprochen, besonders viele Fragen gestellt und besonders viele Artikel gelesen. Wir haben telefoniert mit:
dem Präsidenten der Eidgenössischen Kommission für Impffragen (Ekif), Christoph Berger;
dem Chef des Bereichs Zulassung der Heilmittelbehörde Swissmedic, Claus Bolte;
dem Medizinhistoriker Flurin Condrau;
der Molekular-Epidemiologin Emma Hodcroft;
dem Epidemiologen Marcel Salathé;
dem Immunologen Daniel Speiser;
dem Public-Health-Experten Marcel Tanner.
Der Winter mag noch etwas düsterer ausgefallen sein, als wir das erwartet hatten. Aber wir kommen da wieder raus.
Letzte Vorbemerkung: Das Ding ist – einmal mehr – verdammt lang geworden. Erstens, weil wir selber viele Fragen hatten. Und zweitens, weil wir auf möglichst viele Fragen eine vernünftige Antwort geben möchten. Darum haben wir das Ganze in drei Teile getrennt. Der erste richtet sich an alle, die unsicher sind. Der zweite richtet sich an alle, die jetzt bitte schön die Spritze möchten. Und im dritten Teil gehts dann um die neuen Mutationen – und ein Update zur Frage: Wann haben wirs endlich hinter uns?
Sie möchten jetzt bitte schön die Spritze? Hier geht es zu Teil 2.
Sie möchten mehr zu den neuen Mutationen wissen? Hier gehts zu Teil 3.
Teil 1: Ich möchte zuerst mehr wissen, bevor das in meinen Körper kommt
Also, wie sicher sind die Covid-19-Impfungen? Zuerst ein kleiner Disclaimer: Der Begriff Sicherheit ist – keine Ironie – ein bisschen gefährlich. Denn er täuscht schnell.
Egal, welche Arznei Sie einnehmen – ob Globuli, Kopfschmerztablette oder Impfung: Sie werden nie eine 100-prozentige Sicherheit haben, dass es Ihnen wegen des Mittels nicht plötzlich schlechter geht als ohne. Man kann das Risiko minimieren. Aber man kann es nie gänzlich ausschliessen.
Wir haben all unsere Expertinnen am Telefon gefragt, ob bei Impfungen grössere Risiken bestehen als bei anderen Arzneimitteln. Sie alle antworteten mit einem dezidierten: Nein.
Auf die Frage, ob sie sich gegen Covid-19 impfen lassen werden, sagten hingegen alle: Ja.
Für sie alle ist klar, dass die positiven Effekte einer zugelassenen Covid-19-Impfung die möglichen negativen um Längen schlagen:
«Das, was man bisher alles über die Impfungen weiss, sind wirklich good news. Diese Impfungen sind sicher. Und das Risiko, am Coronavirus zu erkranken, ist beträchtlich.» – Daniel Speiser, Immunologe
«Die in der Schweiz zugelassenen Impfstoffe sind durch alle Schritte einer gewöhnlichen klinischen Prüfung gegangen. Mit Moderna und Pfizer hat man so was wie den Sechser im Lotto gehabt.» – Marcel Tanner, Public-Health-Experte
«Im Moment fällt es mir schwer, Nachteile der Impfungen zu sehen. Ich müsste wirklich suchen.» – Marcel Salathé, Epidemiologe
«Bis jetzt sind erfreulicherweise aus der Schweiz erst wenige Nebenwirkungen gemeldet worden, die zudem aus Studien bekannt und in den Arzneimittelinformationen aufgelistet sind.» – Claus Bolte, Leiter Bereich Zulassung bei Swissmedic
Schön und gut. Aber eben: Es gibt Nebenwirkungen. Was kann mir passieren, wenn ich mich impfen lasse?
Ja, Sie müssen tatsächlich mit Nebenwirkungen rechnen. Aber die gute Nachricht ist: Diese werden wahrscheinlich nicht allzu heftig sein.
Bei den klinischen Studien zu dem in der Schweiz zugelassenen Impfstoff von Moderna erlebten die Teilnehmenden – zum Teil auch solche, die nur ein Placebo erhalten hatten – vor allem folgende Nebenwirkungen:
Das entspricht den Nebeneffekten von Grippeimpfungen, und die Reaktionen auf den Impfstoff von Pfizer/Biontech bewegen sich in einem ähnlichen Rahmen.
Gemäss Swissmedic gingen bei den fast 170’000 Menschen in der Schweiz, die eine erste Impfdosis gegen Covid-19 erhalten haben, 42 Meldungen zu Nebenwirkungen ein. Was eine sehr kleine Zahl ist. Gemäss den Studien treten unerwünschte Nebenwirkungen nach der zweiten Impfdosis nochmals deutlich häufiger auf.
Was heisst das nun für Sie? Stellen Sie sich am besten darauf ein, dass Sie sich nach der Impfung einige Tage nicht topfit fühlen werden. Und legen Sie vielleicht nicht gleich ein wichtiges Meeting oder ein Bewerbungsgespräch auf den Tag nach dem Impftermin.
Im Laufe der Massenimpfungen können jedoch auch Nebenwirkungen auftauchen, die sich in den klinischen Studien nicht gezeigt haben. Das ist in der Medizinalforschung nichts Aussergewöhnliches. Je mehr Menschen eine Arznei erhalten, desto eher zeigen sich seltene Nebeneffekte. Dabei spannend zu wissen: An den klinischen Studien von Pfizer/Biontech und Moderna haben 44’000 respektive 30’000 Menschen teilgenommen. Früher seien es einige hundert oder einige tausend gewesen, seit einigen Jahren würden jetzt aber solch grosse Teilnehmerzahlen verlangt, sagt Immunologe Daniel Speiser.
Ärztinnen in der Schweiz (und in vielen anderen Ländern auch) müssen nun Nebenwirkungen der Covid-Impfungen in ein Meldesystem eintragen, besonders dann, wenn sie unerwartet oder schwer sind. In der Schweiz ist das im Bundesgesetz für Arzneimittel und Medizinprodukte so vorgeschrieben. So können die Behörden im Notfall frühzeitig in den Impfprozess eingreifen.
Ein solcher Notfall ist kürzlich in Kalifornien bei einem Batch des Moderna-Impfstoffes eingetroffen – dazu gleich mehr.
Bisher klingt das relativ harmlos. Ich habe aber auch gelesen, dass gewisse Menschen allergisch auf die Impfung reagiert haben
Es kann tatsächlich sein, dass Ihr Immunsystem bei der Impfung getriggert wird – und Sie eine sogenannte anaphylaktische Reaktion erleiden. Es ist möglich, dass sich auf Ihrer Haut plötzlich rote Quaddeln bilden. Oder Ihnen die Luft wegbleibt.
Eine solche Reaktion kann in kürzester Zeit lebensbedrohlich werden.
Okay, wenn Sie sich bereits Sorgen gemacht haben, dann hat das jetzt gerade sicher nicht geholfen. Deshalb nochmals: Es ist möglich, dass Ihr Körper so reagiert. Aber ist es auch wahrscheinlich? All die Daten (und es sind schon ziemlich viele), die wir zurzeit haben, geben eine ziemlich deutliche Antwort. Sie lautet: Nein.
Die Centers for Disease Control and Prevention (quasi das US-amerikanische Äquivalent zum Bundesamt für Gesundheit) haben Anfang Jahr einen Bericht veröffentlicht zu allergischen Reaktionen nach der Pfizer-Impfung. Bis kurz vor Weihnachten haben fast 1,9 Millionen Menschen in den USA bereits eine erste Dosis des Impfstoffs erhalten. 21 von ihnen erlitten eine anaphylaktische Reaktion. Das sind 0,0011 Prozent, oder 1 Person von 100’000. Zu wenige, als dass man sie in dieser Grafik überhaupt sehen könnte:
In den darauffolgenden Wochen (mit weiteren Millionen verabreichten Impfdosen) kamen einige wenige Fälle hinzu, auch im Zusammenhang mit dem Moderna-Impfstoff. Alle Betroffenen haben die Anaphylaxie überlebt.
Solche anaphylaktischen Reaktionen sind der Grund, wieso Sie nach einer Impfung kurz in der Arztpraxis oder im Impfzentrum warten müssen. Sie treten häufig in den ersten Minuten nach der Impfung auf. Sie kommen bei dem Pfizer/Biontech-Impfstoff zwar deutlich häufiger vor als bei Grippeimpfungen. Gemäss Ekif und BAG seien sie aber immer noch «sehr selten».
Bei der Impfung von Moderna stehen genauere Daten noch aus. In Kalifornien haben die Behörden kürzlich die Impfungen von Moderna teilweise gestoppt. Mehrere Menschen, die eine Dosis desselben Batchs – aus demselben Kochtopf, wenn Sie so wollen – erhalten haben, erlitten eine anaphylaktische Reaktion. Die gute Nachricht: Die Behörden haben den Batch nach wenigen Tagen wieder freigegeben. Man habe «keine wissenschaftliche Basis gefunden, um die Pause fortzusetzen», vermeldete die oberste Epidemiologin von Kalifornien.
In Norwegen sind über 30 Menschen kurz nach der Impfung gestorben. Auch in der Schweiz gab es Todesfälle. Was bedeutet das?
Hierzu sind zwei Dinge wichtig. Zum Ersten: Alte und kranke Menschen sterben manchmal. Und zum Zweiten: Korrelation bedeutet nicht zwingend Kausalität.
Lassen Sie uns das kurz ausführen.
In Norwegen sind bisher 33 Menschen kurz nach der Pfizer-Impfung gestorben, meldeten die Behörden. Das ist traurig, da lässt sich nicht diskutieren. Aber es bedeutet nicht, dass die Impfung für die breite Bevölkerung gefährlich ist.
Warum nicht?
Norwegen fährt wie viele andere Länder die Strategie, zuerst die gefährdetsten Personen im Land zu impfen und damit vor einer potenziell tödlichen Covid-Ansteckung zu schützen. Im Klartext: Man impft die Alten und die Kranken.
Die 33 Verstorbenen waren mindestens 75 Jahre alt.
Die Behörden in Norwegen haben eine Untersuchung eingeleitet, die zeigen soll, ob ein Zusammenhang mit den Covid-Impfungen besteht. Und sagen: Man könne nicht ausschliessen, dass Nebenwirkungen bei gebrechlichen Menschen mit schweren Grunderkrankungen gefährlich werden – oder zum Tod führen können. In Norwegen würden im Schnitt 400 Altersheim-Bewohnerinnen pro Woche sterben, und ganz unabhängig von der Impfung. Auch hier: Die Impfkampagne läuft weiter.
Es ist wichtig und richtig, solche Todesfälle genau zu untersuchen. Es ist aber gleichzeitig wichtig, dabei nicht zu vergessen: Alte, gebrechliche Menschen sterben. Weil ihr Zustand so schlecht ist, dass eine eigentlich milde Nebenwirkung tödlich wird. Oder weil sie so oder so gestorben wären.
Solche Fälle verunsichern dennoch schnell. Und zwar, weil die Studien sie nicht vorausgesagt haben. Die Teilnehmer der grossen Studien von Pfizer/Biontech und Moderna waren im Schnitt um die 50 Jahre alt. Und wer schwer krank war, durfte aus ethischen Gründen bisher nicht teilnehmen. Deshalb ist es wichtig, dass sich sehr gebrechliche Menschen vor jeder Impfung mit ihrem Arzt absprechen. Und wir alle keine vorschnellen Schlüsse ziehen.
Das gilt auch für die fünf Schweizer, die seit Start der Impfungen in der Schweiz nach der Spritze verstorben sind. Gemäss Swissmedic waren die Verstorbenen zwischen 84 und 92 Jahre alt. «Trotz einer zeitlichen Assoziation mit der Impfung besteht in keinem Fall der konkrete Verdacht, dass die Impfung die Ursache für den Todesfall war», schreibt die Zulassungsbehörde.
Ein etwas schwierigerer Fall ereignete sich in Florida. Dort ist ein 56-jähriger, gesunder Arzt 16 Tage nach der Impfung an einer Hirnblutung gestorben. Die Behörden und Pfizer untersuchen, ob ein Zusammenhang zur Impfung besteht.
Okay, aber was ist mit den Spätfolgen? Was ist, wenn ich erst viel später nach der Impfung krank werde?
«Über die Spätfolgen können wir ehrlicherweise noch nichts sagen», antwortet Claus Bolte, Chef der Zulassung bei Swissmedic. Die Impfstoffe von Moderna und Pfizer werden erst seit letztem Frühling in Studien untersucht. Das heisst, wir können Prognosen nur für einige Monate in die Zukunft machen. Aber darüber hinaus? Im Moment schwierig.
Wir wissen es also noch nicht. Aber haben denn andere Impfstoffe in der Vergangenheit Spätfolgen gezeigt?
Ja. Es sei aber «sehr selten», dass ein Impfstoff ein Jahr nach der Injektion Spätfolgen auslöse, sagt Immunologe Daniel Speiser. Auch Epidemiologe und Public-Health-Experte Marcel Tanner sieht das generelle Risiko für Spätfolgen als «sehr klein» an. Gemäss Claus Bolte von Swissmedic treten die allermeisten Nebenwirkungen bei Impfstoffen in der Regel innerhalb der ersten 6 Wochen nach der Injektion auf.
Ein prominenter Fall von Spätfolgen, der dieser Tage wieder häufig besprochen wird, ist die vermehrte Narkolepsie nach der Schweinegrippe-Pandemie 2009 und 2010. Über 30 Millionen Menschen in Europa wurden in jenen zwei Jahren mit dem Impfstoff Pandemrix geimpft. In den Folgejahren wurde vor allem bei Kindern und Jugendlichen in Nordeuropa vermehrt Narkolepsie festgestellt, auch Schlafkrankheit genannt. Bis 2015 sollen 1300 Menschen betroffen gewesen sein.
Bis heute ist nicht vollständig geklärt, wie es dazu kommen konnte. Eine Theorie ist, dass Pandemrix verglichen mit anderen H1N1-Impfstoffen eine stärkere Immunantwort provozierte. Und Narkolepsie, da ist sich die Forschung unterdessen ziemlich sicher, ist eine Autoimmunkrankheit. Daten aus Asien zeigten jedoch ebenfalls vermehrt Erkrankungen nach Grippeausbrüchen, und das ohne Impfungen. 2018 wurde dem Hersteller GlaxoSmithKline in einem Bericht des «British Medical Journal» vorgeworfen, frühe Anzeichen von Nebenwirkungen ignoriert zu haben.
Solche Vorfälle sind schlimm, und sollten Hersteller sie nicht extrem ernst nehmen, dann ist das unverzeihlich. Einzelne Menschen können nachhaltig zu Schaden kommen. Und das Vertrauen der Gesellschaft in eine unserer grössten medizinischen Errungenschaften kann abnehmen.
Aber nochmals: Es handelt sich hier um eine Abwägung zwischen dem Risiko sehr seltener Fälle mit schlechtem Ausgang – und der Chance auf ein Ende der Pandemie.
Welche Schritte haben die Covid-19-Impfstoffe denn durchlaufen, dass sich eure Experten alle so sicher sind?
Die Sicherheit der Impfstoffe wird durch drei Ebenen hindurch geprüft:
bei den Studien zu den Impfstoffen;
bei der Zulassung;
und bei den breitflächigen Impfungen.
Zu Beginn der Studien wird der jeweilige Stoff in der präklinischen Phase zuerst an Gewebe- und Zellproben untersucht sowie Tieren verabreicht. Die Forscherinnen wollen dabei sehen, ob sich gefährliche Nebenwirkungen zeigen. Ist dem nicht so, geht die Untersuchung über in die klinische Phase. Da gibt es drei Phasen. Von Phase 1 bis Phase 3 wird der Impfstoff immer mehr Menschen verabreicht. (Diese Phasen liefen bei Covid-19 nicht alle strikt nacheinander ab – aber dazu später mehr.)
Ich will das genauer wissen: Was sind die drei Phasen?
In standardisierten klinischen Studien testet man Heilmittel in drei Phasen an Menschen:
Phase 1: Man testet das Mittel auf Sicherheit und Verträglichkeit hin.
Phase 2: Man ermittelt seine optimale Dosierung.
Phase 3: Man prüft in einer grossen Stichprobe von Testpersonen, ob sich seine Wirkung von der eines Placebos statistisch signifikant unterscheidet und welche Nebenwirkungen dabei auftreten.
Sollten die freiwilligen Testerinnen starke oder unerwartete Nebenwirkungen erleiden, werden die Studien pausiert. Passiert ist das bei den Covid-Impfstoffen von Astra Zeneca und Johnson & Johnson (beide in der Schweiz noch nicht zugelassen). Ein unabhängiges Data and Safety Monitoring Board (DSMB) untersucht dann die Vorfälle. Kann der Impfstoff als Ursache für den Vorfall ausgeschlossen werden, wird die Studie fortgesetzt.
Auf der nächsten Ebene schauen sich Experten bei den Zulassungsbehörden die Daten aus den Studien an und stellen Rückfragen an die Hersteller. «Bei Moderna und Pfizer/Biontech wollten wir beispielsweise Informationen zu den schweren Verlaufsfällen, zu bestimmten Altersgruppen und zu Studienteilnehmern mit Vorerkrankungen», sagt Claus Bolte von Swissmedic. «Wurden die Patienten spitalpflichtig oder intensivpflichtig? Und wie schnell haben sie sich wieder erholt? Es ist ein ständiges Pingpong-Spiel.» Swissmedic erhält dabei auch die Beurteilungen des unabhängigen Monitoring-Boards zu den Impfstoffen.
Da gewisse Daten zurzeit noch fehlen – zum Beispiel, ob geimpfte Personen trotzdem eine asymptomatische Covid-Erkrankung erleben können –, hat Swissmedic schnellere, aber befristete Zulassungen für die beiden mRNA-Impfstoffe gesprochen. Die Hersteller haben fehlende Daten nachzuliefern.
Auch die Eidgenössischen Kommission für Impffragen schaut sich die Daten zu den Impfstoffen nach der Zulassung an. Ihr Job ist es, in Absprache mit Swissmedic eine Impfstrategie zu erarbeiten. Darin legt sie fest, wer wann geimpft werden soll. Diese Impfempfehlung erarbeitet sie zuhanden des BAG. Das BAG gibt sie zusammen mit der Ekif heraus.
Während die Bevölkerung geimpft wird, laufen die klinischen Studien weiter. Den Herstellern geht es nun darum, möglichst alle Gesellschaftsgruppen abzudecken. Pfizer/Biontech und Moderna haben noch Ende letzten Jahres mit klinischen Studien zu Kindern und Jugendlichen begonnen. Bisher ist der Impfstoff erst ab 16 Jahren (Pfizer/Biontech) beziehungsweise 18 Jahren (Moderna) erlaubt. Wir kommen noch dazu, warum das so ist.
Nebst den klinischen Studien werden natürlich auch die Impfungen engmaschig überwacht und Nebenwirkungen notiert.
Das ging bei den Covid-Impfstoffen jetzt aber schon verdammt schnell. Kann Impfstoffentwicklung bei diesem Tempo überhaupt seriös sein?
Sie kann. Die erste Zutat lautet: rollendes Verfahren.
Die Phasen der Studien liefen bei Covid nicht strikt sequenziell eine nach der anderen ab. Sie flossen vielmehr ineinander.
Bei diesen rollenden Verfahren muss nicht gewartet werden, bis die Phase 2 abgeschlossen ist, um mit der Phase 3 zu beginnen. Es reichen positive Zwischenergebnisse, um die nächste Stufe einzuleiten. «Vor allem, solange die Sicherheit gegeben ist», sagt Marcel Tanner.
Der Epidemiologe, der lange Jahre in Afrika geforscht hat, hat bereits in den 90er-Jahren die rollenden Verfahren in der klinischen Prüfung eingeführt. In Afrika starben zu jener Zeit jährlich mehrere Millionen Menschen an Malaria. Für neue Interventionen galt es, keine Zeit zu verlieren und dennoch die ethischen und wissenschaftlichen Grundsätze zu erfüllen. «Auch den Ebola-Impfstoff haben wir dank den rollenden Verfahren so schnell vorangebracht. Das vergessen die Menschen häufig», sagt Marcel Tanner.
Durch diese rollenden Verfahren erhalten die Zulassungsbehörden früher erste Ergebnisse. Und können, je nachdem wie das Risiko-Nutzen-Verhältnis ausfällt, auch früher eine Zulassung aussprechen. Gemäss Claus Bolte von Swissmedic kenne man dieses Prozedere zum Teil bereits aus der Onkologie, also aus der Tumorforschung. «Wenn es überzeugende Zwischenergebnisse gibt, warten wir nicht das Ende der Phase-3-Studien ab.» Man wolle möglichst verhindern, dass Patienten unnötig leiden oder sterben würden: «Das ist durchaus vergleichbar mit dem, was in dieser Covid-19-Pandemie passiert ist.»
Die zweite Zutat: vorangehende Forschung.
Die beiden mRNA-Impfstoffe von Pfizer und Moderna werden als medizinischen Durchbruch gefeiert. Und das sind sie auch. Aber schon seltsam, dass dieser Durchbruch genau jetzt gelingt – oder?
Nicht wirklich. Denn das Ding ist: Diese mRNA-Impfstoffe mussten nicht über Nacht erfunden werden. Sie waren eigentlich schon lange da. Wenn auch bis vor kurzem noch ohne Zulassung.
Seit gut 15 Jahren wird intensiv an mRNA-Impfstoffen geforscht, auch klinisch, das heisst an Menschen, wie uns Ekif-Präsident Christoph Berger bestätigt. Diese Forschung ist nicht neu. Sie war die solide Basis, dank der vergangenes Jahr der letzte Schritt gelang.
Damit er genau jetzt gelang, brauchte es jedoch noch etwas anderes. Was uns zur letzten Zutat bringt: dem Geld. Haufenweise Geld.
Die ganze Welt hat ein starkes Interesse daran, diese Pandemie zu beenden. In kürzester Zeit machten Staaten sowie auch private Spender Milliarden Franken locker, um dieses Ziel schnellstmöglich zu erreichen.
«Normalerweise beendet man eine Etappe in der Impfstoff-Entwicklung und sucht erst danach das Funding für die nächste», erklärt Immunologe und Taskforce-Mitglied Daniel Speiser. «In dieser Pandemie war aber so schnell so viel Geld da, dass man nicht mehr suchen musste.»
Fazit: Es wurde also keine Etappe übersprungen. Sie wurden aber gleichzeitig angegangen – und weil das Geld dafür da war, ging das alles viel schneller als normal.
Die Entwicklung einer Arznei kann ein langwieriger, mühsamer Prozess sein. Weil die Probanden fehlen oder das Geld oder weil die Behörden trödelten – oder alles zusammen. So beschreibt es Mark Toshner, der Leiter der translationalen biomedizinischen Forschung an der Universität Cambridge. Selbst in der jetzigen Pandemie war es für die Forscherinnen nicht immer einfach, genügend Probanden aus allen Bevölkerungsschichten zu rekrutieren.
Jetzt mal Butter bei die Fische: Was machen die neuartigen mRNA-Impfstoffe mit meiner DNA?
In aller Kürze: nichts. Wirklich, rein gar nichts. (Es sei denn, Sie sind kein Mensch, sondern eine isolierte Zelle unter speziellen Laborbedingungen.) Um das zu verstehen, müssen Sie wissen, wie diese Impfstoffe funktionieren.
Die mRNA (oder Messenger-RNA) ist genetisches Material, das unseren Zellen sagt, was für Proteine sie bauen sollen. Viel mehr kann mRNA nicht, erst recht nicht an unserer DNA rumwerkeln. Vereinfacht gesagt ist die mRNA ein Bauplan. Im Falle der Covid-Impfungen ist es ein Bauplan für das Spike-Protein von Sars-CoV-2. Die Spike-Proteine liegen stachelartig an der Aussenseite des Virus. Dank diesen Spikes schafft es das Virus, an Ihren Zellen anzudocken, in sie einzudringen, sich dort zu kopieren und Sie krank zu machen.
Die mRNA-Impfstoffe verhindern das, indem sie unser Immunsystem mit den Spike-Proteinen bekannt machen. Dafür muss das Molekül, verpackt in ölige Nanopartikel, als Erstes an unsere Zellen andocken. Wichtig hier: Die mRNA schafft es nur in die Zelle, aber nicht in den Zellkern – dafür fehlen ihr die nötigen Komponenten. Sie kommt also nicht an unser Erbgut ran.
Schafft es die mRNA nun in die Zelle, gibt sie ihr automatisch den Befehl, massig Spike-Proteine zu produzieren. Das Immunsystem sieht diese Proteine, realisiert, dass sie fremd sind, und erklärt ihnen den Krieg. Falls Sie sich nach der Impfung unwohl fühlen sollten: Ihr Immunsystem führt gerade eine kleine Schlacht.
Der wichtigste Part dabei ist: Ihr Immunsystem merkt sich das Spike-Protein und wird es auch in Zukunft zerstören. Und ohne seine Spike-Proteine kann Sars-CoV-2 nicht an unsere Zellen andocken und uns krank machen. Es sei denn, das Protein verändert sich so stark, dass Ihr Immunsystem es nicht mehr erkennen kann. Oder Ihr Immunsystem wird etwas vergesslich. Aber dazu später mehr.
Was passiert eigentlich mit der mRNA? Sie wird innert weniger Tage von Ihrem Körper abgebaut. Der Bauplan löst sich sozusagen in Luft auf. Ihr Immunsystem weiss ja jetzt, was es zu tun hat, sollte es die Spike-Proteine jemals wiedersehen. Und Ihre DNA, die bleibt unberührt.
Gut, und was ist mit dem Impfstoff von Astra Zeneca?
Hier wirds interessant, denn: Beim Impfstoff von Astra Zeneca ist tatsächlich DNA im Spiel. Und diese könnte das Erbgut Ihrer Zellen tatsächlich verändern.
Sie haben Angst? Müssen Sie tatsächlich nicht haben.
Die Forscher der Universität Oxford, die den Impfstoff entwickelt haben, fokussierten ebenfalls auf das Spike-Protein an der Aussenseite von Sars-CoV-2. Sie packten die genetischen Informationen, die eine Zelle zur Herstellung des Proteins braucht, jedoch in eine doppelsträngige DNA statt in eine einsträngige Messenger-RNA.
Diese DNA pflanzten sie wiederum in ein Adenovirus. Diese Viren sorgen bei Menschen üblicherweise für Erkältungen oder Atemwegserkrankungen. Das Adenovirus für den Impfstoff von Astra Zeneca ist jedoch speziell modifiziert: Es ist nicht fähig, sich in unseren Zellen zu vermehren und uns krank zu machen. Diese Technik wurde auch beim Ebola-Impfstoff angewendet, der 2019 zugelassen wurde.
Grosser Vorteil: Der Impfstoff kann bei gewöhnlichen Kühlschranktemperaturen gelagert werden.
Ist das Adenovirus in unserer Zelle, drückt es die DNA in unseren Zellkern. Dort wird sie zu mRNA umgeschrieben. Die mRNA verlässt schliesslich den Zellkern und gibt unserer Zelle die Anweisung, das Spike-Protein zu produzieren.
Was dann passiert, wissen Sie ja schon.
Und was macht der Impfstoff nun mit Ihrer DNA? In gewissen Fällen kann es tatsächlich zu einer sogenannten DNA-Integration kommen. Das bedeutet, dass die DNA im Adenovirus das Erbgut unserer Zelle verändert. «Ein molekularer Unfall», wie Immunologe Daniel Speiser es nennt. «Adenoviren sind eigentlich nicht dazu ausgerüstet, das Genom einer Zelle zu verändern.»
Veränderungen des Genoms können Krebs verursachen. Aber, und jetzt kommt der springende Punkt: dass sich unsere DNA verändert, ist nichts Aussergewöhnliches. «Vor allem bei alten Menschen häufen sich diese Veränderungen stark», sagt Daniel Speiser. Nur in den seltensten Fällen sind schwere Erkrankungen die Folge.
Kann ein Adenovirus nun so eine Erkrankung verursachen? Dafür fehlt jegliche Evidenz. Bis dato habe sich kein Zusammenhang zwischen Adenoviren und Erkrankungen wie Krebs beobachten lassen, sagt Daniel Speiser. «Bisher deutet alles darauf hin, dass Adenoviren ungefährlich sind.»
Ist diese Impfung weniger riskant als eine Immunisierung durch die Krankheit selbst?
Es ist auf jeden Fall sehr wahrscheinlich, dass es Ihnen nach einer Covid-Ansteckung schlechter geht als nach einer Impfung.
Bis zum 24. Januar wurden weltweit über 64 Millionen Impfdosen verabreicht. Bei den drei Impfstoffen, die in Europa und den USA zum allergrössten Teil eingesetzt werden, gibt es bisher nur wenige einzelne Fälle, in denen Menschen kurz nach der Impfung gestorben sind. Die Impfung als mögliche Ursache konnte bisher immer ausgeschlossen werden, ausser bei dem bereits erwähnten Arzt aus Florida.
In der Schweiz starben seit Anfang Jahr knapp 2 Prozent der Menschen, die vom Labor einen positiven Covid-Bescheid bekommen haben. Würden wir auch alle nicht diagnostizierten Covid-Erkrankungen im Land kennen, fiele die Prozentzahl zwar deutlich tiefer aus. Aber, und das ist wichtig: Es sterben bisher sehr, sehr viele Menschen mehr am Virus als nach den Impfungen.
Und es geht nicht nur ums Sterben. Die allermeisten Menschen überleben Covid-19. Doch viele von ihnen leiden nach der Erkrankung an Langzeitfolgen, auch Long Covid genannt. Das Phänomen wird weltweit intensiv erforscht.
Die bisher grösste Studie zu Long Covid stammt aus China, Mitte Januar in der wissenschaftlichen Zeitschrift «The Lancet» veröffentlicht. Von den 1700 Probanden, die wegen Covid im Spital behandelt wurden, litten drei Viertel ein halbes Jahr nach ihrer Erkrankung noch an mindestens einer Beschwerde. Über die Hälfte klagt über Müdigkeit oder Muskelschwäche, ein Viertel leidet an Schlafstörungen, fast so viele an psychischen Erkrankungen. Bei Patientinnen mit schwerem Verlauf stellten die Forscher zudem häufig Lungenschäden fest, manchmal auch Schäden an Nieren. Wie unter anderem eine Studie aus Irland zeigte, kann auch eine milde Erkrankung häufig monatelang Symptome nach sich ziehen.
Teil 2: Ich bin überzeugt, ich möchte mich impfen lassen
Willkommen zum praktischen Teil. Wenn Sie vorher doch noch einige Unsicherheiten ausräumen möchten, dann können Sie hier zurück zur Theorie springen. Hier gelangen Sie zum Start von Teil 1.
Oder Sie möchten es doch nicht so genau wissen – dafür umso genauer, wann wir den Mist endlich hinter uns haben. Dann springen Sie doch gleich zum Schluss. Hier kommen Sie zum Teil 3.
Wie lange wirkt so eine Impfung überhaupt?
Die einzig ehrliche Antwort: Genau wissen wir das nicht.
Wir wissen, dass unser Immunsystem bei einer Infektion durch andere Coronaviren, welche gewöhnliche Erkältungen verursachen, uns typischerweise knapp ein Jahr lang schützt. Gegen die Coronaviren Sars-CoV-1 und Mers-CoV dagegen können genesene Personen mehrere Jahre immun sein.
Wir wissen ebenfalls, dass die Antikörper, die das Immunsystem nach einer eher milden Covid-19-Erkrankung aufbaut, bei manchen Genesenen schon nach drei Monaten schwinden. (Ob sie krank werden können, ist nochmals eine andere Frage, denn das Immunsystem hat ein paar weitere Tricks im Ärmel. Und bisher sind nur wenig Genesene erneut an Covid-19 erkrankt.)
Wir vermuten aber, dass die Impfung das Immunsystem besser aktiviert als die Covid-19-Erkrankung. «Die Daten sehen danach aus», sagt Immunologe Speiser, «aber das wird sich noch bestätigen müssen.»
Wir wissen aus den klinischen Studien, dass die Wirksamkeit von mehr als 90 Prozent der mRNA-Impfstoffe im Mittel 2 bis 3 Monate nach der Impfung gemessen wurde. Wir können also davon ausgehen, dass die Impfung mindestens so lange so gut wirkt. «Wenn uns nun die Impfung nur drei Monate schützen, dabei aber zusätzlich Ansteckungen verhindern würde, so würde uns das auch schon sehr helfen», sagt Epidemiologe Marcel Tanner.
Tanner vermutet aber, dass der Schutz viel länger wirkt. Und dass er durch eine Auffrischung des Impfstoffs, etwa nach einem Jahr, stark verlängert werden kann.
Die Firma Moderna vermutet, dass ihr Impfstoff mindestens ein Jahr gegen Covid-19 immun macht.
Und der Immunologe Daniel Speiser wünscht sich, «dass sie jahrelang wirken».
Aber es sei möglich, sagt Speiser, dass man die Impfung schon nach einem Jahr auffrischen müsse. Den logistischen Aufwand hiervon können Sie sich ja mittlerweile vorstellen.
Hat die Schweiz genug Impfstoff bestellt?
Die Schweiz hat bisher 15,8 Millionen Impfdosen vertraglich reserviert, von denen je zwei Dosen pro Person vorgesehen sind:
3 Millionen mRNA-Impfdosen von Pfizer/Biontech (zugelassen am 19. Dezember 2020);
rund 7,5 Millionen mRNA-Impfdosen von Moderna (zugelassen am 12. Januar 2021);
bis zu 5,3 Millionen vektorbasierte Impfdosen von Astra Zeneca (Zulassungsgesuch in Begutachtung)
Ein weiteres Zulassungsgesuch hat die Firma Johnson & Johnson eingereicht. Der erste Teil der Daten zu ihrem vektorbasierten Impfstoff sind bei der Heilmittelbehörde Swissmedic schon in Begutachtung, die letzte Phase ihrer klinischen Studie ist aber noch nicht abgeschlossen. Und die Schweiz hat bisher keinen Vertrag mit der Firma.
Mit den zurzeit reservierten und zugelassenen Impfstoffen kann man in der Schweiz etwa 5,25 von den gut 7 Millionen Erwachsenen impfen, die zur Wohnbevölkerung der Schweiz gehören. Für Kinder und Jugendliche sind die Impfstoffe bisher nicht zugelassen (Biontech/Pfizer: ab 16 Jahren, Moderna: ab 18 Jahren). Ohne eine Zulassung des Vakzins von Astra Zeneca reicht der Stoff also nicht für alle Erwachsenen.
Was, wenn der Astra-Zeneca-Impfstoff gar nicht zugelassen oder empfohlen wird? «Entweder bestellt die Schweiz bei Pfizer/Biontech und Moderna nach, oder es kommen noch weitere Impfstoffe auf den Markt, es sind ja noch viele in der Pipeline», sagt Berger. Wann aber solche Nach- oder Neubestellungen für die Schweiz bereitstünden, das wissen wir im Moment noch nicht.
Ich will es genauer wissen: Warum noch keine Astra-Zeneca-Zulassung?
Die Herstellerin muss weitere Daten liefern, vorher wird es von Swissmedic keine Zulassung und von der Eidgenössischen Kommission für Impffragen keine Empfehlung geben. Gemäss Experten gibt es in mehreren Bereichen noch Unklarheiten. Claus Bolte, der Verantwortliche für Zulassungen bei Swissmedic, erwähnt Fragen zur Dosierung: Eigentlich waren zwei Standarddosen pro Person geplant, die Resultate mancher Studienteilnehmer deuten aber darauf hin, dass eine halbe Dosis bei der ersten Spritze insgesamt besser wirken könnte.
Auch zur Wirksamkeit gibt es noch Fragen. Sie liegt bei 60 bis 70 Prozent und damit bedeutend niedriger als die der mRNA-Impfstoffe von Pfizer/Biontech und Moderna. Und für ältere Probanden gibt es noch schlicht zu wenig Daten für eine Aussage. Christoph Berger, Präsident der Eidgenössischen Kommission für Impffragen, sagt, es sei durchaus vorstellbar, dass der Impfstoff für bestimmte Gruppen wirksamer sei als für andere, aber «ohne dieses Wissen können wir auch keine Empfehlung dazu machen, wer sich mit welchem Ziel mit der Vakzine impfen lassen soll».
Wann bekomme ich die Spritze?
Kommt darauf an, ob das Coronavirus Sie wegen Ihres Alters oder Ihres Gesundheitszustands – Diabetes, Bluthochdruck, Herzerkrankung – besonders gefährdet.
Falls nicht: irgendwann gegen Ende Frühling.
Das erste Ziel der Schweizer Impfstrategie: schwere Krankheitsverläufe, Hospitalisationen und Todesfälle verhindern. Das soll auch das Gesundheitssystem entlasten und gesellschaftliche sowie wirtschaftliche Effekte der Pandemie vermindern. Deshalb werden im Moment die besonders gefährdeten Personen geimpft (dabei zuerst 75-Jährige und ältere sowie «Personen mit chronischen Krankheiten mit dem höchsten Risiko», dann 65- bis 74-Jährige und weitere Personen mit chronischen Erkrankungen). Sobald diejenigen von ihnen, die das möchten, geimpft worden sind, erhält das Gesundheits- und Betreuungspersonal Zugang zur Impfung, dann enge Kontakte der besonders gefährdeten Personen sowie Erwachsene, die in Gemeinschaftseinrichtungen leben.
«Diese Phase wird vermutlich mindestens drei Monate dauern», sagt Christoph Berger von der Kommission für Impffragen. Danach sollen sich alle Erwachsenen impfen lassen können, denn auch sie können – seltener – schwer an Covid-19 erkranken und Langzeitfolgen davontragen. «Das wird vermutlich ab Mai oder Juni möglich sein», sagt Berger, «aber auf den genauen Zeitplan können Sie mich nicht festnageln.»
Und wenn Ziel Nummer eins geschafft ist, was tun wir dann, Herr Berger? «Das Virus richtig zurückdrücken. Aber Stand heute wissen wir nicht, ob das Ziel realistisch ist.» Wir wissen zwar, dass die Impfung vor Krankheit schützt – nicht aber, ob sie auch die Übertragung des Virus verhindert. «Trotz Impfung ist vorstellbar, dass sich auf Ihrer Schleimhaut Viren befinden, die Sie beim Husten oder Niesen weitergeben.» Solche Fragen werden gerade erforscht.
Und wo bekomme ich die Impfung?
Entweder in einem Impfzentrum, das in Ihrem Kanton aufgestellt wurde, oder möglicherweise noch aufgestellt werden wird – in Turnhallen, Kongresszentren, Messezelten. Oder bei Ihrem Hausarzt. (Falls Sie in einem Altersheim leben, kommt vermutlich ein mobiles Impfteam vorbei.)
Seit der Moderna-Impfstoff zugelassen und geliefert worden ist, kann man in der Schweiz auch ausserhalb grosser Zentren impfen. Denn die tiefgekühlten Ampullen mit diesem Impfstoff werden in kleineren Paketen geliefert als die von Pfizer/Biontech. Taut man ein Paket auf, möchte man natürlich auch seinen gesamten Inhalt verwenden können, und mit dem Moderna-Impfstoff ist das auch für kleinere Praxen realistisch – zumal er länger im Kühlschrank haltbar ist.
Die hohen Kapazitäten von Impfzentren sind zwar notwendig für das vorgesehene Tempo. Aber für viele Personen ist das Vertrauensverhältnis zu ihrer Hausärztin wichtig. Schon im September sagte Immunologe Daniel Speiser zu uns, trotz aller logistischen Schwierigkeiten werde die allergrösste Hürde vermutlich sein, dass viele Menschen sich nicht werden impfen lassen wollen. Er sieht das immer noch so. Umso wichtiger ist es, dass sich Personen mit Fragen und Unsicherheiten vom Hausarzt beraten lassen können. «Im Idealfall setzen Sie etwas Neues immer in einem Versorgungssystem um, das schon erprobt ist und funktioniert», sagt Christoph Berger von der Kommission für Impffragen.
Noch nicht so gut funktioniert der digitale Teil der Logistik. Vermutlich liegt bei Ihnen auch irgendwo ein papierner Impfausweis. Wenn man, wie es das Bundesamt für Gesundheit vorsieht, schweizweit bis zu 70’000 Menschen pro Tag impfen soll, braucht man digitale Systeme: für die Terminplanung etwa, für die Dokumentation des Impfstoffs, den Sie an einem bestimmten Datum erhalten haben, oder für Rückmeldungen zu Nebenwirkungen. «Das läuft noch nicht so rund, wird aber schon kommen», sagt Berger. Und eine Republik-Recherche zeigt, dass der (freiwillige) digitale Impfausweis «keine zeitgemässen Standards an Sicherheit und Datenschutz» erfüllt.
Wann Sie sich wo impfen lassen können, ist also massgeblich abhängig davon, wann wie viel von welchem Impfstoff im Land eintrifft, wie effizient die Kantone ihn verteilen und lagern – und wie schnell sie beim Planen und Impfen vorankommen. Genaue Lieferpläne seien nicht einsehbar, schreibt das Bundesamt für Gesundheit auf Anfrage der Republik, weil es sich dabei um «vertrauliche vertragliche Vereinbarungen» handle. Das Amt geht aber «nach wie vor davon aus, dass sich bis im Sommer alle impfen lassen können, die das möchten».
Ich habe gehört, Impfen werde kompliziert, weil ich a) schwanger, b) zu jung, c) immundefizient bin. Warum, und was tun?
Für Schwangere und unter 16-Jährige sind die Impfstoffe bisher weder zugelassen, noch werden sie empfohlen (eine neue Ausnahme betrifft schwangere Frauen mit Vorerkrankungen, zu denen wir gleich kommen werden). Der Grund: Jüngere Probanden waren in den klinischen Studien noch zu wenig stark vertreten, schwangere Frauen wurden, wie bei Studien zu vielen anderen Arzneimitteln, nicht mit eingeschlossen (einige Probandinnen wurden während der klinischen Studie schwanger und sind noch unter Beobachtung). Auch immundefiziente Personen waren nicht Teil der klinischen Studien, für sie lautet aber die Empfehlung «Fragen Sie Ihren Facharzt».
Künftige mRNA-Impfstudien mit schwangeren und immundefizienten Probandinnen sind geplant, und jüngere Probandinnen rekrutieren die Firmen Pfizer und Moderna schon seit Ende 2020. Das bedeutet aber nicht, dass eine Impfung für sie alle bis zum Abschluss der entsprechenden Studien streng ausgeschlossen ist.
Sie sind schwanger? Ihr Immunsystem verändert sich durch die Schwangerschaft (sonst würde es den Embryo als körperfremd wahrnehmen und loswerden wollen). Zudem belastet die Schwangerschaft Ihre Lunge und Ihr Herz-Kreislauf-System. Beides macht Sie anfälliger für schwere Coronavirus-Infektionen als gleich alte nicht schwangere Personen, was sich auch in den (spärlichen) Daten zu Krankheitsverläufen bei Schwangeren widerspiegelt.
Dennoch empfiehlt die Kommission für Impffragen eine Impfung für Schwangere aufgrund der fehlenden Daten «generell (noch) nicht». Sind Sie schwanger, und haben Sie eine chronische Erkrankung? In diesem Fall empfahlen die Schweizer Behörden bisher eine «sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung durch die betreuende Fachärztin», neu aber explizit eine Impfung – nach Besprechung der Vor- und Nachteile mit Ihrer Gynäkologin.
In Grossbritannien dagegen empfiehlt man sie Schwangeren generell noch nicht. Die amerikanische Food and Drug Administration und die Centers for Disease Control and Prevention empfehlen zwar eine ärztliche Beratung, überlassen die Entscheidung aber der schwangeren Frau. In Israel stehen Schwangere neu sogar auf der Liste der Personen, die prioritären Zugang zur Impfung erhalten.
Bisherige Daten aus Tierversuchen zeigten keine Auswirkungen der Impfung auf Fruchtbarkeit, Schwangerschaft oder Embryo, und auch die Expertise und Erfahrung von Spezialisten gibt keinen Anlass zur Sorge, was Impfungen während der Schwangerschaft angeht. Dennoch müssen wir für sichere Aussagen die Daten aus klinischen Studien abwarten.
Während der Stillzeit sind die Impfstoffe zugelassen: Es sei unwahrscheinlich, dass die Impfung einer stillenden Mutter ein Risiko für ihr Kind darstelle, schreibt die Eidgenössische Kommission für Impffragen in ihrer «Impfempfehlung für mRNA-Impfstoffe gegen Covid-19». Auch hierzu gibt es aber noch keine klinischen Daten.
Sie sind jünger als 16? Je jünger, desto kleiner ist nach allem, was wir zum Coronavirus wissen, das Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs. Deshalb und weil sie nicht eigenständig über ihre Rolle als Probanden entscheiden können, werden Kinder in der Regel erst nach Erwachsenen in klinischen Studien untersucht. Dennoch: «Bis im Sommer sollten wir auch Kinder impfen können», sagt Christoph Berger von der Kommission für Impffragen, zumal eine der neuen Mutationen (N501Y) Erwachsene und Kinder leichter zu infizieren scheint.
Sie haben eine Immundefizienz? Ist Ihr Immunsystem geschwächt – von Geburt an oder weil Sie Medikamente nehmen, die es unterdrücken –, gehören Sie zu den besonders gefährdeten Personen. Deshalb empfiehlt die Kommission für Impffragen eine Abwägung zwischen dem Nutzen der Impfung (nämlich: eine möglicherweise schwer verlaufende Infektion zu verhindern) und den fehlenden klinischen Daten.
Bisherige Erfahrungen mit anderen Impfstoffen legen nahe, dass die mRNA-Impfstoffe auch für Personen mit Immundefizienz verträglich, möglicherweise aber weniger wirksam sein könnten. Sogenannte Totimpfstoffe – im Gegensatz zu Lebendimpfstoffen enthalten sie nur inaktivierte Krankheitserreger, Bruchstücke oder den Bauplan davon – werden in der Regel mit oder ohne Immundefizienz gleich gut toleriert (detaillierte Empfehlungen finden Sie in der Impfempfehlung der Eidgenössischen Kommission für Impffragen).
Okay, ich habe den Termin. Muss ich einen negativen Test zum Impfzentrum oder zur Hausärztin mitbringen?
Nein.
Aber wenn Sie Symptome haben, sollten Sie den Impftermin verschieben, «denn ich würde nicht gerade in eine akute Infektion reinimpfen», sagt Christoph Berger, Präsident der Eidgenössischen Kommission für Impffragen. Verschieben sollten Sie ohnehin, denn bei Covid-19-Symptomen sollten Sie sich ja testen lassen. Und sich dann im Fall eines positiven Resultats zu Hause isolieren. Dort lässt es sich schlecht impfen.
Was passiert, wenn ich am Impftermin asymptomatisch – also unwissentlich – infiziert sein sollte?
Nichts. «Das Schlimmste, was passieren kann: Man hat schon so viele Antikörper und eine so gute Immunreaktion, dass es den Impfstoff grad neutralisiert», sagt Immunologe Daniel Speiser.
Vielleicht waren Sie im vergangenen Jahr einmal asymptomatisch infiziert und haben Antikörper, von denen Sie nichts wissen. Deshalb vor einer Impfung auf Antikörper zu testen, lohne sich aber nicht, sagt Speiser. Denn die Impfung führt vermutlich zu einem stärkeren Immunschutz als die Krankheit selbst, und beides zusammen – die Antikörper, die Ihr Immunsystem durch eine Infektion mit Sars-CoV-2 gebildet hat, und die Antikörper, die Sie nach der Impfung herstellen – verstärke sich gegenseitig, sagt Speiser.
Wenn Sie Covid-19 wissentlich schon hatten, sollten Sie mindestens 3 Monate lang immun gegen das Virus sein. Sie können also vor der Impfung 3 Monate warten (so empfiehlt es die Eidgenössische Kommission für Impffragen), Sie müssen aber nicht.
Darf ich mir meinen Lieblingsimpfstoff aussuchen?
Jetzt gerade: Eigentlich nicht.
Die beiden mRNA-Impfstoffe seien punkto Wirksamkeit und Sicherheit gleichwertig, sagt Berger von der Kommission für Impffragen. «Es gibt also keinen Grund dafür, sich den einen oder anderen zu wünschen, das wäre logistisch noch komplizierter.» Vermutlich erhalten Sie in einem grossen Impfzentrum eher den Impfstoff von Pfizer/Biontech, in einer kleinen Praxis den von Moderna.
In Zukunft: Ist das noch sehr unklar.
Denn falls weitere, nicht gleichwertige Impfstoffe auf den Schweizer Markt kommen, hätten Sie ja vermutlich gerne den wirksamsten Impfstoff mit den leichtesten Nebenwirkungen. Sie und alle anderen 7 Millionen Schweizer Erwachsenen auch.
Das wären im Moment die beiden mRNA-Vakzine: zu 95 Prozent (Pfizer/Biontech) respektive 94 Prozent (Moderna) wirksam. Wird nun ein Impfstoff zugelassen, der in allen Altersgruppen eine Wirksamkeit von 70 Prozent bietet, werden sich Christoph Berger und seine Kolleginnen von der Kommission für Impffragen der schwierigen Frage stellen müssen: Impfstoff empfehlen – oder nicht?
«Wenn wir nur einen einzigen zu 70 Prozent wirksamen Impfstoff hätten, dann würden wir den impfen», sagt Berger, «denn es wäre immer noch bedeutend besser, zwei von drei Personen zu schützen als keine.» Auch bietet eine Wirksamkeit von 70 Prozent einen höheren Schutz, als man noch vor wenigen Monaten zu hoffen gewagt hatte. Nur haben wir jetzt eben Impfstoffe, die 9 von 10 Geimpften schützen. «Wie kann ich jemandem dann sagen: ‹Die kriegen Sie nicht, Sie kriegen den weniger wirksamen›?», fragt Berger.
Ich habe gerade meine erste Spritze bekommen. Brauche ich wirklich eine zweite?
Die Diskussion kam in den vergangenen Wochen in Grossbritannien auf und wurde dann weltweit breit geführt, unter Wissenschaftlern, Politikerinnen, in den Medien. Verabreicht man so vielen Personen wie möglich eine erste Spritze – und nimmt in Kauf, dass (durch Lieferverzögerungen, andere logistische Hürden oder bewusste Entscheide) die zweite Dosis erst später als nach den vorgesehenen 3 bis 4 Wochen folgt? Oder verabreicht man das Mittel so, wie man es in den klinischen Studien getan – und für sicher und wirksam befunden hat?
Gemäss den Studien bietet auch die erste Spritze einen Schutz, er ist aber bedeutend schwächer.
«Auch die Taskforce hat das intensiv diskutiert. Denn es gibt wissenschaftliche Argumente dafür, die zweite Injektion zu verzögern, womit rasch mehr Menschen die erste Injektion erhalten würden», sagt der Immunologe Daniel Speiser. Jedoch wurde aus verschiedenen Gründen, wie auch im Hinblick auf das Vertrauen der Bevölkerung in die Impfkampagne, bis jetzt entschieden, die Protokolle möglichst wenig zu verändern, sagt Speiser.
In der Schweiz sind die mRNA-Impfstoffe nur in der Anwendung zugelassen und empfohlen, die dem Vorgehen beim grössten Teil der Probanden aus den klinischen Studien entsprechen. «Alles andere ist nicht ausreichend wissenschaftlich, klinisch und mit Daten seriös belegt, sodass eine Zulassung auch nicht korrekt wäre», sagt Claus Bolte von Swissmedic.
Grossbritannien sei anders, sagt Bolte, die Infektionen seien mit den neuen Virusvarianten hochgeschossen, die Spitäler hoffnungslos überlastet. Deshalb weiche dort die Empfehlung des «Chief Medical Officer» und der Impfkommission ab von der Zulassung. «Es ist eine andere Situation.»
Er sagt aber auch, man müsse bedenken, dass die Aktivierung des Immunsystems durch Impfung mit zunehmendem Alter schwächer werde. Gerade für die besonders gefährdeten Personen sei die zweite Impfdosis deshalb auch besonders notwendig.
Wie gross ist das Risiko, dass mich das Coronavirus trotz der Impfung erwischt?
Ziemlich klein. Und, wie schon erwähnt, weit kleiner, als man anfangs zu hoffen wagte.
Eine (Pfizer/Biontech) oder zwei (Moderna) Wochen nach der zweiten Spritze ist Ihr Immunsystem bereit. Ab dann bieten die beiden mRNA-Impfstoffe eine Wirksamkeit von 95 (Biontech/Pfizer) respektive 94 (Moderna) Prozent. Bedeutsame Unterschiede je nach Geschlecht, Hautfarbe oder Vorerkrankungen sind in den klinischen Studien nicht aufgetreten. Vermutlich sind die Impfstoffe bei älteren Personen etwas weniger wirksam, «aber genau kann man das jetzt noch nicht beziffern», sagt Immunologe Speiser, denn die Zahl der älteren Probanden ist hierfür noch zu klein.
Das heisst: Wir müssen uns darauf einstellen, dass rund 5 Prozent der geimpften Personen trotzdem an Covid-19 erkranken werden. Die allermeisten davon nur mild: Von den 17’411 Probandinnen, die zwei Impfdosen von Pfizer/Biontech erhalten haben, wurde nur eine schwer krank.
Teil 3: Wann? Wann denn jetzt? WANN!!!
Kurze Zwischenfrage: Wie geht es Ihnen? Bald ein Jahr Pandemie, das ist verdammt anstrengend. Passen Sie auf sich auf – und es ist okay, wenn bei Ihnen nicht alles okay ist. Bei uns auch nicht. Und nun … zum Endspiel.
Wenn ich zweimal geimpft bin – kann ich dann die Masken wegwerfen und wieder unter die Leute?
Machen wir einen Schritt zurück: Gerade wissen wir leider noch nicht, ob Ihre Impfung dazu führt, dass Sie niemanden anstecken können. Es kann sein, dass Sie trotzdem eine Ladung Viren erwischen, die sich kurz in Ihren Zellen vermehren können, und Sie sie an Ihre Mitmenschen weiterhusten oder -atmen (die Impfung schützt Sie in diesem Szenario lediglich vor Krankheit, aber das ist ja auch schon was).
Das Problem dahinter, kurz umrissen: Greift ein Krankheitserreger an, braucht auch das geimpfte Immunsystem etwas Zeit, um die Verteidigung hochzufahren. Zeit, in der das Virus freie Bahn hat. Wer ist schneller, Immunsystem oder Virus? Bei der Hepatitis-B-Impfung ist es das Virus: Die Impfung schützt zwar vor Krankheit, das Virus kann aber trotzdem in den menschlichen Körper eindringen und sich dort vermehren. Bei der Masernimpfung gewinnt das Immunsystem: Sie verhindert auch Übertragungen.
Auch wenn sie Ansteckungen nicht komplett verhindern, so wirken viele Impfungen «zumindest als Übertragungsbremse», sagt Epidemiologe Marcel Salathé. Bei den Impfstoffen gegen Sars-CoV-2 gibt es durchaus Hoffnung auf dieses Szenario. Aber: Die Faktenlage ist noch inexistent. «Die Frage ist noch ein grosses wissenschaftliches schwarzes Loch», sagt Salathé. Forschende leuchten es nun aus, und je mehr Menschen geimpft werden, desto mehr lernen wir darüber. Bis dahin brauchen wir die Masken noch und auch den Abstand zu Mitmenschen.
Nach dieser Vorbemerkung kommen wir zu den Vorteilen, die Sie gerne hören wollten:
Sie werden mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht krank.
Falls doch, werden Sie mit noch höherer Wahrscheinlichkeit nicht schwer krank.
Vermutlich wird es auch eine grosse psychische Erleichterung, dass Sie wissen: Die latente Gefahr, etwas zu erwischen, was Sie schwer und langfristig krank machen kann, ist weg.
Da ist aber auch der enorme kollektive Nutzen: Für Sie, für uns alle ist die Impfung der Weg zurück zu den gewohnten Freiheiten. Langfristig können Sie sich von Maske und Desinfektionsmittel verabschieden, wenn Sie möchten. Wir alle können wieder so nahe beieinander sein, wie wir wollen, reisen, wohin wir möchten, unsere Läden, Restaurants und Schulen ohne Bedenken öffnen.
Jetzt ist aber das Virus heftig mutiert. Wirken die Impfstoffe überhaupt noch?
Die Datenlage ist noch viel zu schmal für ein eindeutiges Ja oder Nein. «Solange wir keine Evidenz dafür haben, dass die Impfstoffe gegen diese Virusvarianten weniger oder nicht wirken, sollten wir uns nicht verrückt machen lassen», sagt die Molekular-Epidemiologin Emma Hodcroft.
Die gute Nachricht: Beide der neueren und vermutlich ansteckenderen Virusvarianten, die Forschende zunächst in Grossbritannien und Südafrika entdeckt haben, enthalten mehrere Mutationen am Virus-Stachel, unter anderem die Mutation N501Y. In – noch nicht begutachteten und deshalb erst vorläufigen – Labor-Experimenten konnte man nun zeigen, dass sich Antikörper von geimpften Personen trotz der N501Y-Mutation an den Virus-Stachel heften und Sars-CoV-2 so am Eindringen in die Zellen hindern. «Und das scheint auch mit Antikörpern zu klappen, die durch eine Infektion statt durch Impfung entstanden sind», sagt Epidemiologin Hodcroft. Solche Resultate seien ermutigend, aber wir bräuchten mehr Daten – insbesondere dazu, wie sich Virus und Immunantwort ausserhalb von Petrischalen verhielten. «Dazu wird man Tausende und Tausende von geimpften Personen beobachten müssen.» Ebenfalls wird gerade untersucht, wie die Immunantwort auf die anderen Mutationen der neuen Virusvarianten reagieren.
Die schlechtere Nachricht: Auffällig an der Virusvariante, die zunächst in Südafrika entdeckt wurde, ist zudem die Mutation E484K. Sie hat sich auch in Brasilien weit verbreiten können. Diese Mutation schafft es unter bestimmten Umständen im Labor, den Antikörpern von genesenen Personen zu entwischen. Auch diese Resultate sind aber bisher erst vorläufig, sie haben den wissenschaftlichen Begutachtungsprozess noch nicht durchlaufen. Hodcroft warnt vor vorschnellen Interpretationen: Die Mutation sei im vergangenen Jahr immer wieder aufgetaucht. «Vielleicht beobachten wir sie nun in einem Kontext höherer Übertragungen, weil sie mit spezifischen anderen Mutationen zusammenspielt. Oder wegen spezifischer Umweltbedingungen oder des veränderten Verhaltens der Menschen … aber unter dem Strich sieht es tatsächlich not great aus, was die neuen Virusvarianten mit dieser Mutation angeht.»
Am 25. Januar verkündete die Firma Moderna, die in Südafrika verbreitete Mutation reduziere die Menge der Antikörper, die sich im Blut von geimpften Personen befindet. Dennoch biete ihr Impfstoff auch gegen diese sowie gegen die in Grossbritannien entdeckte Virusvariante ausreichend Schutz. Die Firma will präventiv eine neue Auffrisch-Impfung entwickeln. Ihre Resultate stammen aus einer noch nicht begutachteten Studie mit schmaler Datenlage.
Auch viele Wissenschaftlerinnen sind nach wie vor zuversichtlich, und dazu gehören auch Emma Hodcroft, der Epidemiologe Marcel Salathé und der Immunologe Daniel Speiser. Die Immunantwort auf die Impfungen ist so stark, dass eine kleine Reduktion ihrer Wirksamkeit immer noch genügend Schutz bieten könnte. Ausserdem ist das Immunsystem breit aufgestellt. Künftige Forschung wird zeigen, ob diese Mutationen nebst den Antikörpern auch andere Immunsystem-Funktionen beeinträchtigen können.
Könnte das Virus denn künftig so mutieren, dass die Impfstoffe nicht mehr wirken?
Ja, es könnte. Das ist eine Möglichkeit unter vielen. Ist sie wahrscheinlich? Schwer zu sagen. Aber sie wird wahrscheinlicher, je verbreiteter das Virus ist. Sprich: je mehr Wirte es erhält, in denen es sich vermehren und dabei mutieren kann.
Erwischt es zum Beispiel einen Körper mit einem geschwächten Immunsystem, kann es dort über Monate hinweg überleben, «vom Immunsystem zwar herumgekickt werden, aber nicht so stark wie durch ein gesundes Immunsystem», sagt Emma Hodcroft. Das ist eine optimale Lernumgebung, um mehrere Mutationen zu entwickeln, die den Hieben des Immunsystems entwischen können. Verbreitet sich das Virus von hier aus weiter auf andere Menschen, kann es zur Gefahr für die ganze Welt werden. «Vor kurzem hätte ich noch gesagt, das Szenario sei sehr unwahrscheinlich», sagt die Molekular-Epidemiologin Emma Hodcroft. «Und das ist es ja auch. Aber mehr Fälle heisst: mehr Chancen für unwahrscheinliche Plots.»
Auch die Virusvarianten, die man zunächst in Grossbritannien und Südafrika entdeckte, weisen nicht nur eine, sondern mehrere Mutationen – mehrere punktuelle Veränderungen – im genetischen Code des Virus auf, die das Proteinhäufchen ansteckender zu machen scheinen. Eine Mutation wäre auch nicht genug, um die Wirkung einer Impfung zunichtezumachen: «Ihr Körper lernt, mehrere Teile des Stachel-Proteins zu erkennen», sagt Emma Hodcroft. Ändert sich eine Stelle auf dem Stachel, erkennt Ihr Immunsystem noch viele andere seiner Teile. «Möglicherweise hat aber das Immunsystem Vorlieben: etwa für die Teile, die leicht zu erkennen sind.» Verändern sie sich durch Mutationen, ist das vermutlich nicht hilfreich.
«Es ist ein evolutionäres Wettrennen», sagt Marcel Salathé, «in dem das Virus, wenn wir nicht vorsichtig und schnell genug sind, ständig neue Varianten entwickelt.» Das kennen wir auch von anderen Viren und Bakterien.
Die gute Neuigkeit hierbei ist, dass es mit der mRNA-Technologie möglich ist, innerhalb von rund 6 Wochen einen Impfstoff gegen die neue Virusvariante zu entwickeln. Dann testet man ihn erneut in klinischen Studien – oder man ist bereit, darauf zu verzichten, und beginnt direkt mit Impfen. Hier käme nun wieder unser Hinweis auf die logistischen Hürden: Bis alle, die das möchten, gegen eine neue Virusvariante geimpft sind, wird wieder Zeit vergehen. «Ich hoffe, man bereitet sich jetzt schon darauf vor. Nicht dass es dann in einem Jahr wieder heisst: ‹Wir waren überrascht, wie schnell es ging›», sagt der Epidemiologe Marcel Salathé.
Wann wird denn endlich alles wieder normal?
Um diese Frage werden Akteure aus Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft vermutlich noch ringen:
Verabschieden wir uns von allen Einschränkungen, sobald die besonders gefährdeten Personen, die das möchten, geimpft sind – weil dann das Risiko einer Überlastung des Gesundheitssystems wegfällt?
Oder warten wir ab, bis wir mit Impfungen die «Herdenimmunität» erreichen – weil wir auch junge, gesunde Menschen vor Langzeitschäden einer Infektion schützen wollen? «Gäbe es diese nicht, könnten wir problemlos zurück zur Normalität, sobald die Risikogruppen geimpft sind», sagt Epidemiologe Marcel Salathé, «aber Long Covid müssen wir ernst nehmen. Es kann die meisten von uns treffen.» Keine Einschränkungen und noch nicht genügend Impfungen: Damit würde ein erneuter starker Anstieg der Infektionen drohen.
Vielleicht stellt sich diese Frage auch nur kurzfristig im Frühling 2021: falls a) sich der grösste Teil der Bevölkerung impfen lässt, b) wir damit schnell vorankommen, c) die Impfung lange genug und d) auch vor Übertragungen schützt. Die sogenannte Herdenimmunität erreichen wir, wenn zwischen 60 und 80 Prozent der Bevölkerung geimpft sind – «genauere Zahlen kann man nicht angeben», sagt Salathé. Sie hängen von der berüchtigten R0 ab, die man ebenfalls nicht genau angeben kann. Sie liegt irgendwo zwischen 2 und 3: Eine infizierte Person steckt, ohne jegliche Vorsichtsmassnahmen, im Schnitt 2 bis 3 weitere an. Die Schwelle zur Herdenimmunität liegt dann bei 100×(R0–1)/R0. (Fall Sie jetzt nachgerechnet haben, sind Sie auf 50 bis 67 Prozent gekommen.)
Warum sagt also Salathé 60 bis 80? Erstens liegt R0 bei den neuen, mutierten Virusvarianten vermutlich höher. Damit zweitens durch diejenigen, die sich nicht impfen lassen, keine grösseren Ausbrüche mehr entstehen, «sollte es nicht so sein, dass in Aarau 90 Prozent geimpft sind und in Olten nur 50», sagt Christoph Berger von der Kommission für Impffragen. Idealerweise wäre die Impfrate gleichmässig verteilt.
«Wenn dann einer krank ist, das Virus an einen anderen weitergibt, in dessen Netzwerk aber alle anderen Antikörper haben, so bricht die Ansteckungskette auch ohne Quarantänen ab», sagt Salathé. «Durch Herdenimmunität schicken wir das Virus in Sackgassen.» Sind aber ganze Gruppen noch ansteckbar, wird es auch künftig noch kleinere Covid-19-Ausbrüche geben. Das ist zu erwarten – und deshalb gehen wir davon aus, dass die Herdenimmunität noch einmal etwas höher liegen muss.
Ich will nicht rechnen, ich will ein Datum
«Ich bin eigentlich optimistisch und gehe davon aus, dass sich 2022 schon vollkommen normal anfühlen wird, samt Ferien und Reisen», sagt Salathé. Das Bundesamt für Gesundheit geht davon aus, dass sich im Sommer alle, die das möchten, haben impfen können. Und damit rückt dann die Herdenimmunität in Griffnähe.
«Aber Vorsicht», sagt der Epidemiologe, «life finds a way. Wenn eine Mutante auftritt, gegen welche die jetzigen Impfstoffe nicht mehr gut genug wirken, dann wird man auch die Impfstoffe anpassen müssen.»
Dann aber werden wir aufatmen können. Und noch besser: ausatmen auch.
Einfach so.
Wo immer wir wollen.