Aufstand der Eltern
Die Corona-Zeit hat viele Kita-Betreuerinnen endgültig an ihre Grenzen gebracht. Jetzt schlagen sich erstmals Mütter und Väter auf ihre Seite – und drängen auf eine Reform der Krippenbranche.
Von Philipp Albrecht, Andrea Arežina, Ronja Beck (Text) und QuickHoney (Illustration), 17.08.2020
Der Mann im Video ist nicht zu beneiden. Frédéric Baudin, Chef der Kita-Kette Pop e Poppa, wendet sich aus dem heimischen Büro an seine 950 Angestellten. Seine Augen pendeln angestrengt zwischen Linse und Notizen hin und her. Man sieht ihm die Belastung an.
Denn die Sache ist bitterernst: Der Umsatz ist eingebrochen, Jobs sind in Gefahr – und keiner weiss, wann die Krise überstanden ist.
Es ist der 3. Juni, der Lockdown ist geschafft. Wochenlang war die Situation in den Kinderkrippen unübersichtlich, teilweise chaotisch. Viele Kinder blieben zu Hause, und die Kitas durften trotzdem nicht schliessen. Im Mai sprach das Parlament zwar Geld für die Krippenbranche, nach Streitereien mit einem auf stur gebürsteten Bundesrat. Doch die finanziellen Perspektiven bleiben düster.
Auch für Pop e Poppa, den zweitgrössten Kita-Betreiber im Land, wirds eng.
Um das Überleben seiner 52 Einrichtungen zu sichern, hat Frédéric Baudin deshalb Massnahmen beschlossen, die er seinen Mitarbeiterinnen nun mitteilt. Wichtigster Punkt: Statt 42 Stunden soll in allen Kitas nur noch 40 Stunden pro Woche gearbeitet werden. Im gleichen Verhältnis sinkt der Lohn, in der Regel um etwa 200 Franken pro Monat.
Doch auch positive Nachrichten verkündet der Firmenchef im Video – etwa die Aussicht auf einen Mindestlohn von 4200 Franken und Lohnerhöhungen für erfahrene Mitarbeiter. Wie er das finanzieren will, bleibt unklar. Was bei den Angestellten hängen bleibt, ist die Lohnreduktion.
Und die kommt nicht gut an. Baudin beschreibt die drohende Krise und appelliert an die Arbeitsmoral. Es hilft wenig bis nichts. «‹Arbeitsmoral› my ass», kommentiert jemand auf Youtube.
Der Frust über schlechte Arbeitsbedingungen ist in der Kita-Branche nichts Neues und betrifft nicht nur Pop e Poppa. Viele der eher jüngeren Betreuerinnen verdienen nicht mehr als eine Kassiererin beim Discounter, obschon sie ein erstaunliches Mass an Verantwortung auf ihren Schultern tragen. Seit die Missstände im grössten Schweizer Kita-Unternehmen Globegarden publik wurden, steht die Kita-Welt unter verschärfter Beobachtung. Parlamentarierinnen in mehreren Städten und Kantonen fordern mehr Transparenz und härtere Kontrollen.
Völlig neu ist hingegen, dass sich jetzt die Mütter und Väter einschalten. Sie lehnen nicht nur die Lohnkürzungen für ihre Kinderbetreuer ab, sondern sehen am Ende sogar eine Chance: die Reform der gesamten Branche.
Unruhen in Ostermundigen
Der Aufstand der Eltern ist digital. Die Konflikte werden in Videochats, Whatsapp-Gruppen und E-Mails ausgetragen. Wenn etwa Jasmin Keckeis, die ihren Sohn in die Pop-e-Poppa-Kita in Ostermundigen bringt, die Gefechte mit der Firmenleitung nacherzählt, schaut sie im Handy und im Laptop nach. Sie zitiert aus kämpferischen Protestbriefen, unangenehmen Ankündigungen und knappen Rechtfertigungsmails von Pop e Poppa.
«So einen Bullshit habe ich noch nie gehört», sagt Keckeis. Sie meint das Argument von Baudin, dass sich die Reduktion der Arbeitszeit positiv auf die Work-Life-Balance der Betreuerinnen auswirken würde. Sie weiss, wovon sie spricht: Früher arbeitete sie mit Kindern in Wohngruppen von heilpädagogischen Schulen, heute hilft sie Erwachsenen bei der Integration in die Arbeitswelt. «Wegen zweier Stunden weniger Arbeitszeit pro Woche sinkt der Druck nicht», sagt sie, im Gegenteil: «Neu müssen die Betreuerinnen die gleiche Arbeit in weniger Zeit erledigen.»
Dann ist da das Mittagessen. Keckeis wehrt sich gemeinsam mit ihrem Mann und anderen Eltern gegen eine Neuerung: Die Betreuer sollen nicht mehr zusammen mit den Kindern essen. In den welschen Einrichtungen sei dies schon länger der Fall, argumentiert die Kita-Kette, sie will eine schweizweit einheitliche Lösung. Für Keckeis ergibt die neue Regel keinen Sinn: «In der Entwicklung von Kindern ist das Abschauen von Erwachsenen das, was am meisten prägt.»
Schliesslich intervenierten die Ostermundiger Eltern bei Baudin und wandten sich an die Medien. «Bund» und «Berner Zeitung» veröffentlichten daraufhin mehrere Artikel.
Anderswo marschierten Eltern dafür physisch auf. In Zürich-Altstetten kam es im Juli erstmals zu einem Protest-Zmorge. Tenzing Sewo, eine Mutter, die ihre beiden Kinder in die «Chinderburg» bringt, stellte um 7 Uhr einen Tisch vor die Kita, mit Kaffee und Gipfeli. Es war wohl die erste Eltern-Protestaktion in einer Schweizer Kinderkrippe.
«Wenn in unserer Kita etwas vor sich geht, was wir nicht in Ordnung finden, dann können wir nicht einfach wegschauen», sagt sie. Die Aktion war umstritten: «Einzelne Angestellte sagten, sie wollten oder könnten nicht mit mir reden. Das zeigt, wie stark sie unter Druck sind.» Den Druck hat die protestierende Mutter selber auch gespürt. So soll die Geschäftsleitung sie eindringlich zu überzeugen versucht haben, ihre Aktion abzublasen, nachdem sie diese via Flyer angekündigt hatte.
Zwei Augenöffner
Organisierte Elternkomitees fordern bessere Arbeitsbedingungen in Krippen: Das ist neu. Bisher wurden bestenfalls einzelne Mütter oder Väter aktiv, wenn ihre Kinder das versprochene Bio-Essen nicht bekamen oder sie sich mit der Kita um Rechnungen stritten. Jetzt aber geht es um die Solidarität mit dem Personal. Pop e Poppa hat es medienwirksam erwischt, weil die Kita-Kette in der Corona-Krise ungeschickt kommuniziert hat. Konflikte gibt es aber auch bei kleineren Trägerschaften.
Der Fall Globegarden und die Corona-Krise hätten die Eltern aufgeweckt, sagt Stephan Germann, Gründer des Elternkomitees Kinderbetreuung. «Und der Lockdown hat ihnen klar vor Augen geführt, welche Arbeit das Betreuungspersonal täglich leistet. Denn während dieser Zeit durften in vielen Kantonen die meisten Eltern ihre Kinder nicht mehr in die Kita bringen.»
Germann war fünf Jahre für die Gewerkschaft Unia tätig. Nun macht er sich als Marketingexperte selbstständig. Das Elternkomitee hat der Vater zweier Kinder kurz vor dem Lockdown ins Leben gerufen. Die inzwischen 76-köpfige Gruppe hat sich gute und günstige Kinderbetreuung für alle zum Ziel gesetzt. Im April kam sie in verschiedenen Onlinemedien zu Wort. In den Artikeln erzählten Eltern, wie schwierig es sei, Homeoffice und Kinderbetreuung gleichzeitig zu meistern. Der Verein ist nach eigenen Angaben politisch neutral, arbeitet aber eng mit der «Trotzphase» zusammen, einer Gruppe von aktivistischen Betreuerinnen, die der Gewerkschaft VPOD angeschlossen ist.
Germann vernetzte sich mit Eltern, die sich gegen die neuen Arbeitsbedingungen bei Pop e Poppa wehren, und half etwa beim Protest-Zmorge von Tenzing Sewo in Altstetten mit. Noch wichtiger ist ihm, jene Eltern ins Boot zu holen, die von Problemen in Kitas nichts hören wollen: «Wenn man die Eltern nicht sensibilisiert, merken sie nicht, was vor sich geht.»
Damit will er den Druck auf die Kita-Branche erhöhen, etwas zu verändern.
Von der Kita zum Konzern
Pop e Poppa ist eine Firma mit tadellosem Erscheinungsbild, süssen Tierzeichnungen auf der Website und professioneller Organisation. 2003 von Frédéric Baudin und Frédéric Chave in Fribourg gegründet, ist sie nach Globegarden heute die zweitgrösste Kette der Schweiz, mit über 50 Krippen und starker Präsenz in der Romandie.
Angefangen hatten Baudin und Chave als Berater: Sie halfen Gemeinden und Firmen beim Aufbau von Kitas. 2008 eröffneten sie ihre erste eigene Krippe, 2013 folgte die Fusion mit der Winterthurer Trägerschaft Familienservice. 59 Prozent der Aktien von Pop e Poppa gehören inzwischen dem französischen Kita-Konzern La Maison Bleue, den Rest teilen sich die beiden Gründer auf.
Vergangenes Jahr wuchs das Unternehmen besonders stark, als es 14 Krippen übernahm. «Vieles lief chaotisch ab, und man wusste nicht, an wen man sich bei Fragen wenden musste», erinnert sich eine frühere Kita-Leiterin in Bern, deren Einrichtung zu Pop e Poppa überging. «Es konnte sich niemand Zeit nehmen für uns, weil viel zu wenig Leute im Backoffice beschäftigt waren.»
Baudin hat unter Eltern und Ex-Angestellten den Ruf eines Zahlenmenschen, der seine Zeit lieber dafür aufwendet, nach Sparpotenzial zu suchen, als den Puls seiner Leute zu spüren.
Am Telefon mit der Republik stellt sich CEO Baudin den Vorwürfen:
Sie reduzieren Arbeitszeit und Lohn Ihrer Angestellten. Viele befürchten, dass die Belastung steigt. Können Sie das nachvollziehen?
Das ist falsch, die Belastung wird sinken, und das Lohnniveau bleibt gleich. Mit den eingesparten Stunden kreieren wir neue Stellen. Davon profitieren die Betreuerinnen. Denn die Auslastung in den Kitas geht zurück. Wahrscheinlich wird sie im September 10 Prozentpunkte unter dem letzten Jahr sein. Wir werden das spüren, weil wir nicht in einer Branche mit riesigen Margen sind.
Haben Sie die Wirkung Ihrer Ankündigungen unterschätzt?
Die Wirkung gegen aussen hatten wir so nicht erwartet. Ich ging davon aus, dass wir das intern lösen. Dass wir die Leute nicht physisch treffen können, hat auch einiges noch schwieriger gemacht.
Es heisst, Sie wären viel näher bei den Zahlen als bei Ihren Angestellten.
Die Menschen stehen an erster Stelle. Wir wollen Betreuungs- und Arbeitsplätze sichern. Dazu müssen die Zahlen stimmen. Mit Goodwill allein ist das nicht gemacht. Wir gehen stark davon aus, dass wir die Arbeitsbelastung reduzieren und Kündigungen vermeiden, wenn wir die Arbeitszeit des Personals reduzieren. Das ist doch eine Massnahme, die doppelt positiv ist.
Plötzlich systemrelevant
Doppelt positiv – wirklich? Wir fragen bei Markus Guhn nach, Betreiber der Kita Regenbogen in Zürich. Er sitzt auch im Vorstand des Krippenverbands Kibesuisse, betont aber, als Kita-Leiter zu sprechen.
«Ich staune», sagt Guhn, «dass man aus kommerziellen Gründen bereit ist, seine Kernressource aufs Spiel zu setzen.» Im Kaffeeraum einer seiner drei Kitas führt Guhn aus, was er mit Kernressource meint: das Personal. Für die Qualität einer Kita seien stabile Beziehungen zwischen Erziehenden und Kindern immens wichtig. Und angesichts des Fachpersonalmangels umso wertvoller.
Inzwischen seien mehrere Pop-e-Poppa-Mitarbeiterinnen bei ihm vorstellig geworden. Sie wollen die neuen Massnahmen nicht mittragen.
Markus Guhn lobt die Elternproteste. Eine neue Mentalität sei eingekehrt: «Früher – und damit meine ich vor zehn Jahren – waren die Eltern froh, überhaupt einen Platz zu finden», erzählt er in schnellen Sätzen. «Heute können sie in vielen Städten ihre Wunsch-Kita aussuchen.»
Verantwortlich für das vergrösserte Angebot ist der Bund. Über ein Impulsprogramm hat er seit 2003 fast 400 Millionen Franken an Anschubfinanzierung in die Kitas gesteckt. Auch deshalb hat sich in Zürich die Zahl der Betreuungsplätze zwischen 2008 und 2018 fast verdoppelt.
Haben Eltern den Luxus auszuwählen, so haben sie auch den Luxus, nach Details zu fragen, vor Vertragsabschluss vielleicht zwei- oder dreimal vorbeizugehen und sich zu beschweren, wenn ihnen etwas nicht passt. All dies hat Guhn über die vergangenen Jahre hinweg immer öfter beobachtet.
Doch dann kam die Pandemie. Die Schweiz realisierte schmerzlich, dass sie ohne Kinderbetreuung nicht funktionieren kann. Die Kitas erhielten den Stempel «systemrelevant».
Die Corona-Krise verpasste der Diskussion um die Kinderbetreuung einen neuen Drall. Und sie weckte das Interesse der Eltern für das, was hinter dem Vorhang passiert, was etwa die grundsätzlichen Arbeitsbedingungen in den Kitas betrifft. Als der Fall Globegarden aufflog, hatte der Zürcher Sozialvorsteher Raphael Golta genau dies in einem umstrittenen Interview mit der Republik verlangt: «Man ist auch als Eltern gefordert, genau hinzuschauen.»
Guhn jedenfalls hofft nun, dass sich der Aufstand der Eltern positiv auf die nationale Politik auswirkt: «Sie hat es in der Hand, die Rahmenbedingungen festzulegen.»
Braucht es staatliche Kitas?
Zuletzt tat die Politik jedoch vor allem eines: Feuer löschen. Während des Lockdown liess der Bund die Kitas offen. Aber Kinder hatten sie kaum mehr, und so fragten sich Eltern nicht unberechtigterweise, wieso sie noch zahlen sollten.
Am Ende sprach das Parlament eine Ausfallentschädigung von 65 Millionen Franken. Der Verteilkampf ums Geld wird im Herbst wohl wieder hochkochen, weil die Kitas der Gemeinden bisher nicht am Topf beteiligt wurden.
In der Zwischenzeit versuchen vor allem linke Politiker, das entstandene Momentum zu nutzen. Sie haben Vorstösse rund um die Qualität der Kinderbetreuung eingereicht – in den Städten, in den Kantonen, in Bundesbern. Natürlich geht es auch da ums Geld: Verlangt wird vielfach, dass Kitas vermehrt oder gleich vollständig von der öffentlichen Hand finanziert werden sollten.
Ich will es genauer wissen: Vorstösse zur Kinderbetreuung
Im Bundesparlament sowie in diversen Kantonen und Städten wurden zuletzt Vorstösse rund um das Thema Kinderbetreuung eingereicht:
Eine parlamentarische Initiative, angestossen von Nationalrätin Katharina Prelicz-Huber (Grüne), will Gratis-Kitas, finanziert vom Staat.
GLP-Nationalrätin Kathrin Bertschy schlägt eine effizientere Subventionierung von Kita-Plätzen vor.
Der Kanton Genf fordert in einer Standesinitiative, dass die staatliche Förderung von Betreuungsplätzen in der Verfassung verankert wird.
Im Kanton Bern fordert die grüne Grossrätin Natalie Imboden höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen für das Kita-Personal, und drei SP-Grossräte fordern den Regierungsrat auf, eine Standesinitiative einzureichen, damit der Bund die Kitas finanziell besser unterstützt.
In den Kantonen Basel-Stadt und Zürich fordert die SP mit Vorstössen, dass die Kitas zum Service public zählen sollen und darum mehrheitlich von der öffentlichen Hand finanziert werden.
In Zürich verlangen SP und Grüne, dass die Stadt Eltern bei der externen Kinderbetreuung finanziell entlastet und sich für einen Gesamtarbeitsvertrag (GAV) fürs Kita-Personal einsetzt.
In Chur hat die SP eine städtische Initiative für bezahlbare Kitas lanciert, die Beiträge der Stadt sollen verdoppelt werden.
Eine der Wortführerinnen im Parlament ist Katharina Prelicz-Huber. Die grüne Nationalrätin und VPOD-Präsidentin fordert, dass Kinderkrippen ans Bildungssystem angegliedert werden – also ähnlich wie Kindergärten und Schulen zum staatlichen Service public gehören. Ein Prozent des Schweizer Bruttoinlandprodukts (BIP) soll in die vorschulische Betreuung fliessen.
«Im Vergleich zum internationalen Schnitt sind wir nirgends», sagt Prelicz-Huber und verweist auf den jüngsten Bericht der OECD. Gemäss diesem geben die Mitgliedsstaaten der Organisation durchschnittlich 0,7 Prozent ihres BIP für die Kinderbetreuung aus, die skandinavischen Länder sogar bis zu 2 Prozent. In der Schweiz sollen es lediglich 0,2 Prozent sein. Erhärten lässt sich dies aber nicht, weil die Kantone die Ausgaben dem Bund nicht melden.
Dass so viele Eltern einen subventionierten Kita-Platz in Anspruch nähmen, zeige doch, so Prelicz-Huber, wie stark man sowieso schon von einer staatlichen Finanzierung abhängig sei. Wieso also nicht den ganzen Weg gehen?
CVP-Nationalrat und Bildungspolitiker Philipp Kutter widerspricht: Eine Verstaatlichung komme nicht infrage. «Familien, die es sich leisten können, sollen die Kinderbetreuung selber bezahlen», sagt er. Zudem fördere die Konkurrenz die Qualität in den Kitas. Zwar habe der Lockdown die Sensibilität für die Kita-Probleme erhöht. Doch in Bundesbern seien die Ampeln angesichts der Corona-Krise nun wirklich nicht auf neue Milliardenausgaben gestellt.
Gespräch über einen Gesamtarbeitsvertrag
Sparen hin oder her: Vielen Eltern in der Schweiz reichts.
In den beiden Pop-e-Poppa-Kitas in Zürich-Altstetten und in Ostermundigen wurden Videomeetings durchgeführt und zahlreiche E-Mails geschrieben. Am Ende gab es mehrere Kündigungen – von Mitarbeitenden wie von Eltern. Auch Tenzing Sewo, die den Protest-Zmorge organisierte, nahm ihre Kinder aus der Kita. CEO Baudin betont unterdessen, in Altstetten sei alles unter Kontrolle.
Dagegen hat es in Ostermundigen geknallt. Sämtliche Angestellten, die sich gegen die neuen Bedingungen wehrten, haben gekündigt. Nur die Lernenden bleiben. Der Frust sitzt tief, die ehemaligen Kita-Leiterinnen wollen sich öffentlich nicht mehr äussern. Laut Baudin wurde inzwischen bis auf eine Angestellte das gesamte Personal ersetzt. Und auch in Ostermundigen haben mehrere Eltern ihre Kinder aus der Pop-e-Poppa-Krippe genommen.
Noch bevor der Konflikt eskalierte, hatte Stephan Germanns Elternkomitee eine Petition lanciert. Es ist eine Aufforderung an die Politik, «sich endlich ernsthaft mit dem Thema Kinderbetreuung auseinanderzusetzen und sich für eine Verbesserung der Situation von Betreuerinnen und Eltern einzusetzen».
2400 Eltern haben bereits unterschrieben. Das übertrifft die Erwartungen, wie Germann sagt: «Ich hatte geglaubt, dass wir bestenfalls 100 Unterschriften erreichen, wenn wir uns anstrengen.»
Konkret verlangt die Petition:
einen tieferen Betreuungsschlüssel, also mehr Personal in Kitas;
höhere Löhne, damit das Betreuungspersonal länger im Beruf bleibt;
Zugang zur familienergänzenden Kinderbetreuung für alle Familien.
Der dritte Punkt setze voraus, so das Komitee, «dass familienergänzende Kinderbetreuung kostenlos ist und ins Bildungssystem integriert wird». Das deckt sich mit dem Service-public-Vorstoss von Katharina Prelicz-Huber.
Ob oder wann diese Forderungen erfüllt werden, ist unklar. Die Corona-Krise hat Hunderte Baustellen zutage gefördert, die nun politisch beackert werden müssen. Es käme überraschend, würde die Kinderbetreuung plötzlich vom Bundesparlament priorisiert.
Das bedeutet nicht, dass die Schweiz in Sachen Kitas keine Veränderungen zu erwarten hat. Denn es stehen ein paar interessante Termine an:
Am 4. September sitzen in Zürich auf Einladung von Sozialvorsteher Raphael Golta mehrere Branchenvertreterinnen an einen runden Tisch, um über die Probleme der Stadtzürcher Kitas zu sprechen.
Für den 26. September hat die «Trotzphase» eine «Demo für die Kinderbetreuung» in Zürich angekündigt.
Drei Tage später will Frédéric Baudin schliesslich einen «Meilenstein in der Branche» setzen, wie er sagt. Er hat Vertreter anderer Kita-Betriebe eingeladen, um über einen Gesamtarbeitsvertrag zu sprechen, der bessere und einheitliche Arbeitsbedingungen bringen würde. «Wir sind der Überzeugung, dass es einen GAV braucht», sagt Baudin. «Aber alle Firmen müssen mitmachen.»
Korrigendum: In einer ersten Version schrieben wir, dass Globegarden seine Teilnahme an Gesprächen über einen Gesamtarbeitsvertrag abgesagt habe. Das ist falsch. Richtig ist, dass Globegarden nicht auf eine Einladung reagiert hat, einer Interessengemeinschaft beizutreten. Die IG Branchenentwicklung KiTa wurde im Frühjahr 2019 mit dem Ziel gegründet, einen GAV zu verhandeln.