Lachen ist ansteckend
Wirklich lustig ist in dieser Krise kaum etwas. Schlimmer noch: Gemeinsam lachen ist sogar ein Übertragungsrisiko! Soll man es also gleich lassen?
Von Jan Wilm, 27.05.2020
Das Wohnhaus in Frankfurt, in dem ich lebe, war schon zu Beginn der Lockdown-Zeit kein Ort der Stille. Seine Klangkulisse bescherte mir sinnliche Nachbarschaftsnähe über alles Social Distancing hinweg. Von der Familie über mir, deren Kinder noch immer nur gestaffelt zur Schule können, hört man hauptsächlich Geweine und Gekeife, auch wenn das pubertierende Söhnlein inzwischen eine fast melodische Version von «My Heart Will Go On» auf der Querflöte hinbügelt. Die Geschäftsfrau nebenan trägt pausenlos Telefonkonferenzen bei, deren Gesprächspartner alle im Bass murmeln, voll gelangweilter Wichtigkeit. Aus der Wohnung unter mir vernahm man zunächst Paarungsgeräusche. Zuletzt hörte man nur noch Netflix.
Ein Geräusch allerdings habe ich in zwei Monaten nicht ein einziges Mal gehört: Lachen.
Jenes laute, luftzerreissende Lachen, ohne das Nicolas Chamfort keinen Tag für gelungen hielt. Und nachdem man aus meiner eigenen Wohnung seit Wochen weder eine Querflöte (hurra!) noch eine Paarung (schade) hörte, bin ich mittlerweile dazu übergegangen, das Haus aktiv mit lautem Lachen zu beschallen. Nicht aus Anlass; nur aus Notwendigkeit.
Während die Welt in diesem jungen, naiven Jahrtausend in einer unvergleichlichen Krise steckt, zu viele Menschen zu viele Nahestehende, zu viele Existenzen verlieren, ist jeder Moment der Erleichterung willkommen. In der Klemme verschafft das Lachen Luft. Es soll ja sogar gut fürs Immunsystem sein! Obwohl auch das Lachen selbst zu den potenziellen Übertragungswegen zählt. Ob es sich deshalb hinter Atemschutzmasken verzogen hat? Oder gleich, wie so vieles derzeit, ins Web?
Die Therapie
Cartoons, Clips, Kommentare und Memes reagieren mit Humor auf die Pandemie wie das Kind mit einem Pfeifen auf den dunklen Keller. Dass man zuvor für die Verbreitung von Web-Content auf die Idee gekommen war, von viralen Phänomenen zu sprechen, wirkt unglücklich. Doch das gilt auch für ein leider unverzichtbares Zitat von Dr. Freud: «Lachen gehört zu den in hohem Grade ansteckenden Äusserungen psychischer Zustände.»
Er hat ja recht. Humor und Witz sind die natürlichen Desinfektionsmittel der Seele. Sie verbergen und sublimieren die Angst vor Ungewissheit, Absurdität, Schrecken. Wie schrieb der Wiener Medizinmann? Humor ist eben nicht resigniert, «er ist trotzig».
Da ich dieser Tage selbst mit meiner Psychotherapeutin soziale Distanzierung praktizieren muss, zehre ich von Freuds Erkenntnissen auch in meiner Online-Therapie, wo man mir riet, ich solle meine Angst vor dem Virus «veräppeln». Das Wort führte mich nicht nur zum Schmunzeln, sondern auch zum etymologischen Wörterbuch, in dem ich lernte, «veräppeln» komme von «mit Äpfeln bewerfen». Und die antivirale Beäpfelungsattacke ist doch auch ein Sinnbild für die ersten Abwehrreaktionen auf den ganzen Schlamassel.
Wie jetzt, Ausnahmezustand?
Die humoristische Angriffslust war nur anfangs auf das Virus selbst gerichtet, als es in den Clips und Memes noch so ausgefuchst böse war wie Hannibal Lecter – auch wenn wir diejenigen waren, die in der Zelle sassen. In Illustrationen hatte es immer Vampirzähnchen oder so gesenkte Augenbrauen wie der böse Wolf im Cartoon. Nach zwei Monaten Quarantäne-Leben ist das gekrönte Virus längst nicht mehr zum Lachen (in den Nachrichten erscheint es elektronenmikroskopisch beinahe beängstigend edel). Und so betreibt auch der Internet-Humor Social Distancing zum Virus und richtet sich vielmehr auf das, was es mit unserem Alltagsleben anstellt. Oder mit dem eines Zwergspitz-Hündchens.
Wie dieses Hündchen seine Gewohnheit braucht, braucht die Meme-Kultur die Wiederholung. Das Meme «veräppelt» nicht nur, es äfft auch nach. Das Monkey-Puppet-Meme zum Beispiel, jenes peinlich berührte Plüsch-Äffchen, das immer so dreinblickt, als fühlte es sich ertappt, wird immer wieder für neue Absurditäten aktualisiert. Und stellt dann etwa fest, dass sein Lebensstil schon immer Quarantäne-Qualitäten hatte.
Ist das noch Humor oder schon Melancholie?
Das Problem mit dem Running Gag
Weil die Krise global ist und von allen, sprachübergreifend, sofort in ihren Auswirkungen verstanden wird, erzeugt die Meme-Kultur in kürzester Zeit eine unüberschaubare Zahl an Running Gags. Bloss werde ich den Verdacht nicht los, dass die Gags mittlerweile auf der Stelle treten.
Zwar behauptet der Humor-Philosoph Henri Bergson, das Nachäffen, die Nachahmung, sei an sich schon komisch. Doch nach dem zehnten Corona-Meme ist es wie mit dem alten Witz, von dem eine Figur in Becketts «Endspiel» sagt, «man findet ihn immer gut, aber man lacht nicht mehr darüber».
Trotzdem schafft die humoristische Wiederholung so etwas wie Ordnung in unordentlichen Zeiten. Memes und Posts (und von Influencerinnen der Komik als witzig beglaubigtes Material) tragen mitunter einen kleinen Anteil zur Stressbewältigung bei. Das Meme als Lebenschance?
Der schon wieder
Bestünde das Web allein aus drolligen Running Gags und niedlichen Social-Media-Kommentaren, na dann wär doch alles schnafte (so sagt man «sehr gut» in Berlin). In Wahrheit sind manche Viruswitze in Reddit-Threads oder Twitter-Posts aber so taktlos wie das Querflötenspiel im Stock über mir – selbst wenn einige Kulturpäpste gerade Absolution für Witze aller Art erteilen. Ist es nicht ernüchternd? Noch im einzigartigsten Pandemie-Pandemonium hat man immer wieder mit denselben Deppen zu tun. Die weltgeschichtlichen Personen und Tatsachen wiederholen sich eben doch, erst als Tragödie, dann als Farce.
Der Lachphilosoph Henri Bergson erklärt zwar, «die Wiederholung ist das Lieblingsverfahren der klassischen Komödie». Doch schreibt er auch: «Das wahrhaft lebendige Leben soll sich eben nie wiederholen. Da, wo Wiederholung und völlige Gleichheit ist, argwöhnen wir immer einen hinter dem Lebendigen arbeitenden Mechanismus.» Das gilt auch für Waschzwänge. Und ich fürchte, ebenso für Corona-Witze.
Genau wie der Comedian Dave Chappelle einst meinte, Donald Trump tue der Comedy in den USA nicht gut, weil plötzlich jeder den dicken Trumpel mit dem Bronzer zum Thema nimmt, so kreist die Komik in covidiotischen Zeiten häufig nur um eines, naturgemäss. Die amerikanischen Late-Night-Shows, die seit über einem halben Jahrhundert der geeignete Ort für aktuelle und politische Kommentar-Komik sind, ermüden dieser Tage nicht nur wegen ihrer späten Sendezeit.
«The Late Show with Stephen Colbert» auf CBS oder «Late Night with Seth Meyers» auf NBC sind so fest im selben Stoff gefangen wie die Hosts in ihren heimischen Zimmern, aus denen sie ihre Shows produzieren wie ein Piratensender.
Zuversicht mit Karl Kraus
Die Komik leidet, wenn ihr zwei Dinge fehlen: Abwechslung und Distanz. Besonders die Comedy vor Publikum lebt von Witzewechsel und Thementennis. Und ein Stand-up-Comedian ohne Publikum ist so betrüblich wie ein Alleinunterhalter in der Unterführung vom Pendlerbahnhof am Sonntagmorgen. Die soziale Distanz nimmt der Komik das Publikum, der thematische Aktualitätszwang nimmt ihr die Distanz. Und wenn Woody Allen (das wird man ja wohl noch sagen dürfen!) recht hat mit seinem Satz: «Komödie ist Tragödie plus Zeit», dann, fürchte ich, sind wir im Moment noch die im Wartezimmer.
Vielleicht ist es ja kein Zufall, dass das Repertoire an klassischen Pandemie-Komödien bisher so dünn ist wie die Wände in meinem Wohnhaus. Vielleicht eignet sich die Pandemie nicht für grosse Lacher, weil Komik sich häufig aus Eskalationen, Unordnungen und Chaotisierungen speist, die zwar prekär, aber nicht lebensgefährlich sind.
Doch etwas in mir will sich weigern, das zu glauben. Ich will an ein Wort glauben, das vielleicht von Karl Kraus kommt (so genau weiss man das nicht): Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst.
Zum Schluss doch noch ein Schmunzeln
Von meinem Wecker lasse ich mich jetzt morgens immer mit Sonny & Chers «I Got You Babe» aus dem Bett werfen, damit ich weiss, es ist schon wieder Murmeltiertag, und ich muss in den sauren Apfel beissen und alles dransetzen, diese täglich wiederholte Monotonie zu veräppeln. Immerhin setzt sich ein Lächeln auf meine trotzigen Lippen, wenn ich Türen mit dem Ellbogen und meiner Fussspitze aufmache und dabei so ungelenk aussehe wie Monsieur Hulot. Oder wenn ich eine Pizzabestellung durchplanen muss, als handelte es sich um eine Lösegeld-Übergabe.
Am verlässlichsten aber ist das Schmunzeln beim Schmökern. Als ich heute von meinem P.-G.-Wodehouse-Roman, mit denen ich mir die Wochen vertreibe, aufsah und aus dem Fenster träumte, wünschte ich mir, ich hätte auch so einen Gentleman’s Gentleman an meiner Seite. Einen Kammerdiener wie Jeeves, der mir aus allerlei Patschen helfen würde, vielleicht sogar aus dieser Pandemie-Patsche.
Ich hoffe, sie dauert nicht länger, als ich brauche, um alle 99 Bände der Werkausgabe zu lesen, selbst wenn mich Wodehouse derzeit zum Lachen bringt wie nichts anderes. Sein Landsmann Evelyn Waugh meinte einmal: «Wodehouse’ idyllische Welt kann niemals fad werden. Er wird auch künftige Generationen aus einer Gefangenschaft erlösen, die noch ärger sein mag als die unsrige.» Falls diese Tage die Gefangenschaft unserer Generationen darstellen, dann will ich wenigstens versuchen, für die Menschen in meinem Leben ein bisschen so wie Jeeves zu sein, ein wenig wie Wodehouse.
Das Lachen weder zu verlernen noch zu vergessen, scheint mir jetzt jedenfalls so bedeutend, wie daran zu denken, mir nicht ins Gesicht zu fassen. Und vielleicht gibt es irgendwann, auf der anderen Seite dieser entsetzlichen Zeit, einen Moment, in dem diese Pandemie so fern ist, dass es sich nicht mal lohnen würde, sich über sie lustig zu machen.
Fürs Erste vertiefe ich mich wieder in die idyllische Komik von Wodehouse um Bertie Wooster und Gussie Fink-Nottle und nehme mir vor, einen lieben Menschen beim nächsten Gespräch, ob am Bildschirm oder Telefon, wenigstens einmal zum Lachen zu bringen, ohne von diesem sauertöpfischen Virus zu sprechen. Vielleicht kann ich mich dann heute Abend ins Bett legen, und hinter mir läge ein gelungener Tag. Bis mich Sonny & Cher wieder wachsingen.
Jan Wilm ist Schriftsteller, Literaturkritiker und Übersetzer. Seine Rezensionen und Essays erscheinen unter anderem im «Tagesspiegel», in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» und der «Los Angeles Review of Books». Im Herbst erschien sein Debütroman «Winterjahrbuch» im Verlag Schöffling & Co. Für die Republik schrieb Jan Wilm bereits über den Kultautor Dag Solstad und über die wichtigsten neueren Literaturimporte aus Norwegen.