Serie «Energie der Zukunft» – Bonusteil

Der Geist muss zurück in die Flasche

Es reicht nicht, den Ausstoss herunterzufahren. Um die Erderwärmung zu bremsen, müssen der Atmosphäre riesige Mengen an CO₂ entzogen werden. Wir zeigen, was möglich, praktisch, wirksam ist. Bonusteil der Serie «Energie der Zukunft».

Von Arian Bastani (Text) und Kwennie Cheng (Illustration), 11.02.2020

Man muss schon sehr laut sprechen, wenn man in unmittelbarer Nähe jener Apparaturen ein Gespräch führt, die uns dabei helfen sollen, den Klimawandel zu stoppen. Der Lärm, den sie machen, erinnert an ein Flugzeug­triebwerk. Und auch die Funktion ist ähnlich: Vorne wird Luft angesaugt und hinten wieder ausgeblasen.

Anders als beim Flugzeug enthält die Luft hinten aber weniger CO2 als vorne.

Im zürcherischen Hinwil steht eine von weltweit bloss einer Handvoll Anlagen, die Kohlen­dioxid aus der Luft filtern und binden. Das gebundene Gas wird in ein nahe gelegenes Treibhaus gepumpt, wo es das Wachstum von Tomaten und anderen Gemüsesorten beschleunigt. Gebaut wurde die Anlage von Climeworks, einem Spin-off der ETH Zürich.

Anlagen wie diese könnten künftig die Landschaft prägen. Denn der Entfernung von CO2 aus der Luft kommt im Kampf gegen den Klimawandel grosse Bedeutung zu: Damit die Erderwärmung bis Ende Jahrhundert auf 1,5 Grad Celsius begrenzt wird, ist es gemäss fast allen Szenarien im Spezialbericht des Weltklimarats IPCC nötig, dass beträchtliche Mengen des Treibhaus­gases eingefangen werden.

Serie «Energie der Zukunft»

Wie schaffen wir es, unseren CO₂-Ausstoss in den nächsten drei Jahrzehnten auf null zu senken? Womit ersetzen wir die fossilen Energie­träger, die heute drei Viertel der Energie liefern? Welche erneuerbaren Energien haben Potenzial? Welche Rolle spielt die Atomen­ergie? Diesen Fragen geht die Serie nach – auf globaler Ebene sowie für die Schweiz.

Teil 3

Er­neu­er­ba­re Energien

Teil 4

Atomkraft

Teil 5

E-Strategie Schweiz

Sie lesen: Bonusteil

Warum CO₂ wieder ein­ge­fan­gen werden kann

Welche Technologien stehen dafür zur Verfügung? Was kosten sie, und wie viel Energie brauchen sie? Und: Um wie viel CO2 geht es überhaupt?

1. Die Menge

Der globale CO2-Ausstoss wuchs voraussichtlich auch im vergangenen Jahr. Das zeigt, wie schwer es fällt, von fossilen Energie­trägern wegzukommen. Selbst jene Szenarien des Klimarats, in denen die Erwärmung bis Ende Jahrhundert auf 1,5 Grad begrenzt ist, rechnen noch jahrzehntelang mit weiteren Emissionen.

Um zu verhindern, dass dadurch das Kohlenstoffbudget – also die verbleibende Menge CO2, die mit dem Klimaziel vereinbar ist – überschritten wird, muss eine entsprechende Gasmenge wieder eingefangen werden.

Wie viel CO2 muss zurück in die Erde?

Die Bandbreite der Schätzungen geht ziemlich auseinander – je nachdem, wie viel CO2 die Welt in einem Szenario ausstösst. Eine Vorstellung davon gibt die folgende Grafik. Sie deckt zwei Drittel der IPCC-Szenarien ab.

Viel CO2 muss eingefangen werden

Negative Emissionen in den IPCC-Szenarien

Median sowie zwei Drittel aller Szenarien
2010203020502070210017,0030 Gigatonnen CO₂Median 2050: 13,2

Quelle: IAMC Scenario Explorer

Die Grafik zeigt: Im Jahr 2050 müssten zwischen 6 und 17 Gigatonnen CO2 aus der Luft eingefangen werden. Der Medianwert aller Szenarien liegt bei rund 13 Gigatonnen, bis 2100 steigt er auf 17 Gigatonnen. Zum Vergleich: Die jährlichen Emissionen an fossilem CO2 betragen aktuell rund 37 Gigatonnen.

Das sind unglaublich grosse Zahlen – vor allem in der Summe: Bis Ende Jahrhundert müssten zwischen 600 und 1600 Gigatonnen CO2 aus der Luft gefiltert und gespeichert werden. Das entspricht bis zu zwei Dritteln der Emissionen durch den Menschen seit der Industrialisierung. Oder, bildlich ausgedrückt: einer Kohlendioxid­menge mit dem mehrfachen Gewicht des Mount Everest.

Orientiert man sich an Prognosen der Energiewirtschaft, sind diese Werte sogar noch vergleichs­weise klein. Die Internationale Energie­agentur und der Weltenergierat beispielsweise rechnen damit, dass die Emissionen in den nächsten Jahrzehnten kaum zurückgehen. Behalten sie recht, müssten entsprechend grössere Mengen an CO2 gefiltert werden.

Ein halbes Dutzend Mount Everests oder mehr – schon fast eine Bergkette an gefiltertem Kohlen­dioxid. Ist das realistisch?

2. Natürliche Methoden

Es gibt diverse Möglichkeiten, das Treibhausgas aus der Luft zu entfernen und langfristig zu speichern. Manche dieser Methoden, sogenannte negative Emissionen zu generieren, benötigen viel Energie, andere nehmen viel Platz in Anspruch. Einige sind bereits ausgereift, andere stecken noch in den Kinderschuhen.

Grob lassen sie sich in zwei Kategorien aufteilen:

  • Methoden, die CO2 technisch entfernen;

  • Methoden, die CO2 auf natürliche Weise entfernen.

Die meisten natürlichen Verfahren basieren auf der Fotosynthese. Pflanzen nehmen dabei CO2 auf und wandeln es in organisches Material um – also etwa in Blätter, Früchte oder Stämme. Über die Wurzeln oder durch das Absterben der Pflanzen gelangt ein Teil des Kohlenstoffs allmählich in den Boden, wo ihn Pilze und Mikroorganismen aufnehmen und halten. Auf diese Weise hat die terrestrische Biosphäre seit der vorindustriellen Zeit rund ein Drittel unserer gesamten Emissionen aus der Luft entfernt und gespeichert.

Hier setzen Methoden der natürlichen Kohlenstoff­fixierung an. Eine von ihnen ist: Bäume pflanzen. Das ist aber nicht so trivial, wie es klingt.

Aufforstung

Forscher der ETH schätzen, dass auf einem Gebiet, das über 200-mal so gross wie die Schweiz ist, potenziell zusätzlicher Wald stehen könnte. Dadurch liessen sich bis Ende Jahrhundert über 700 Gigatonnen Kohlen­dioxid fixieren. Knapp drei Viertel der insgesamt nötigen Menge wären damit bereits abgedeckt.

Entsprechend grosse Aufmerksamkeit erhielten Aufforstungs­kampagnen zuletzt in den Medien. Sogar das WEF in Davos rief eine Initiative ins Leben.

Vielen ist diese Schätzung aber zu optimistisch. Denn nicht überall, wo Bäume gepflanzt werden könnten, ist dies auch sinnvoll. Im hohen Norden wäre eine Aufforstung klimatechnisch sogar kontraproduktiv: Die dunkle Waldfläche würde dort schneebedeckte Tundra ersetzen, was eine Erwärmung zur Folge hätte. Ausserdem könnten Treibhausgase, die im dortigen Permafrost gefangen sind, freigesetzt werden. Aufforstung macht also primär in den Tropen Sinn.

Der Klimarat geht in einem Teil seiner Szenarien davon aus, dass durch Aufforstung bis Ende Jahrhundert insgesamt etwa 400 Gigatonnen CO2 gebunden werden. Das wäre etwas weniger als die Hälfte der nötigen Kohlenstoff­fixierung. Wie die folgende Grafik zeigt, steigt dieser Wert durch eine rasche Aufforstung erst an – auf etwa 8 Gigatonnen jährlich – und sinkt danach wieder ab, weil die Wälder an ihre Wachstums­grenze kommen. Negative Emissionen gibt es nämlich nur, wenn zusätzlicher Wald hinzukommt.

Wälder tragen nur einen Teil bei

Negative Emissionen durch Aufforstung

Median sowie zwei Drittel aller Szenarien
201020302050207021005,0051015 Gigatonnen CO₂

Quelle: IAMC Scenario Explorer

Doch selbst diese Werte könnten zu grosszügig sein. Als realistisch schätzen Forscher derzeit jährliche Werte von 0,5 bis 3,6 Gigatonnen um die Jahrhundertmitte ein.

Aufforstung ist also nicht das Wunder­mittel, das den Klimawandel allein stoppen kann.

Sanfte Landwirtschaft

Wie viel Kohlenstoff sich in der Biosphäre speichern lässt, hängt nicht nur von Pflanzen ab. Entscheidend ist auch, wie viel des Kohlen­dioxids, das die Pflanzen aus der Luft binden, später in den Boden gelangt. Beziehungs­weise: dort bleibt.

Aktuell entweicht gerade auf forst- und landwirtschaftlich genutzter Fläche mehr Kohlenstoff in die Luft als umgekehrt. Diese Flächen stellen also keine Senke, sondern eine Nettoquelle für CO2 dar. Zusätzlich zu den 37 Gigatonnen fossilen Emissionen emittieren sie jedes Jahr global etwa 5 Gigatonnen.

Das liegt zum Beispiel daran, dass Ackerland regelmässig umgepflügt und brach liegen gelassen wird oder dass Weideland in vielen Regionen zu intensiv abgegrast wird. Werden diese und andere Praktiken vermieden und durch eine «sanftere» Bewirtschaftung ersetzt, könnten Böden jährlich 2,3 bis 5,3 Gigatonnen zusätzliches CO2 aufnehmen. Da diese Massnahmen auf bereits bestehenden bewirtschafteten Gebieten umgesetzt werden könnten, bedarf es keiner weiteren Landfläche – es braucht nur mehr Wasser und Dünger.

In den IPCC-Szenarien kommt die sanftere Landwirtschaft allerdings kaum vor. Bloss in einem Pfad ist ein bescheidener Beitrag berücksichtigt.

Unterschätztes Potenzial

Negative Emissionen durch sanfte Landwirtschaft

hier gibt es nur ein Szenario
201020302050207021000,7051015 Gigatonnen CO₂

Quelle: IAMC Scenario Explorer

Eine sanftere Landwirtschaft würde nicht nur CO2 aus der Atmosphäre entziehen. Die Böden würden auch fruchtbarer, könnten mehr Wasser aufnehmen und würden widerstandsfähiger gegen die Folgen des Klimawandels. Allerdings wären sie nach wenigen Jahrzehnten mit Kohlenstoff gesättigt und könnten kein weiteres CO2 mehr aufnehmen. Ähnlich wie bei der Aufforstung wäre dieses Mittel mit der Zeit ausgeschöpft.

Deshalb braucht es weitere Methoden, um Kohlen­dioxid zu binden.

Biokohle

Eine dieser Methoden funktioniert mit Biokohle. Diese kann in speziellen Anlagen aus Pflanzen hergestellt werden, ist im Wesentlichen aber dasselbe Material, das entsteht, wenn etwa die Pizza im Ofen vergessen geht.

Biokohle enthält fast den gesamten Kohlenstoff, der in der Biomasse einer Pflanze enthalten war. Verteilt man sie auf Böden, wird der Kohlenstoff gespeichert. Bis 2050 könnten auf diese Weise zwischen 0,3 und 2 Gigatonnen CO2 pro Jahr gebunden werden.

Positiver Nebeneffekt: Biokohle verbessert die Wasserspeicherung des Bodens und liefert Nährstoffe, was zu Erntegewinnen führen kann. Eine Voraussetzung wäre jedoch, dass Landfläche für den Anbau der Biomasse verfügbar wäre, was wiederum Wasser und Düngemittel benötigen würde.

In den 1,5-Grad-Szenarien fehlen die Methoden der Kohlenstoff­fixierung im Boden fast vollkommen. Nur ein einziger von 90 Pfaden berücksichtigt sie. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Böden sehr vielseitig sind und entsprechend sehr unterschiedlich auf Eingriffe reagieren können. Das macht es schwierig, das effektive globale Potenzial abzuschätzen.

Eine von mehreren Optionen

Negative Emissionen durch Ausstreuung von Biokohle

hier gibt es nur ein Szenario
201020302050207021002,2051015 Gigatonnen CO₂

Quelle: IAMC Scenario Explorer

Fazit: Aufforstung, sanfte Landwirtschaft und die Ausstreuung von Biokohle können künftig einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Generell wirkt die Biosphäre aber nur dann als langfristiger CO2-Speicher, wenn diese Massnahmen zur Gewohnheit werden. So, wie eine Diät nur dann langfristig den gewünschten Effekt hat, wenn man danach nicht wieder in alte Muster zurückfällt. Werden Bäume wieder häufiger verfeuert und Acker­böden öfter gepflügt, wird der gebundene Kohlenstoff wieder freigesetzt.

Negative Emissionen im Ozean

Neben der Biosphäre entzieht auch der Ozean auf natürliche Weise grosse Mengen an CO2 aus der Atmosphäre. Entsprechend gibt es Ansätze, diese Senkleistung zu verstärken. Sie sind jedoch mit weit grösseren Unsicherheiten und potenziellen unbeabsichtigten Neben­wirkungen behaftet. Daher gelten sie bisher nicht als effektive Mittel zur Milderung des Klima­wandels. In den Szenarien des Klimarats werden sie nicht verwendet.

Die Biosphäre ist also ein relativ fragiler Speicher. «Für die Ewigkeit» ist da schon eher Gestein.

3. Lagerung in der Erdkruste

Bis die Natur gebundenen Kohlenstoff in die Erdkruste verfrachtet, vergeht viel Zeit. Das meiste Erdöl hat seinen Ursprung etwa in der Epoche der Dinosaurier. Daher auch die Bezeichnung: fossile Energieträger.

Wollen wir Kohlen­dioxid aus der Atmosphäre innerhalb eines nützlichen Zeitraums im Erdgestein speichern, müssen wir nachhelfen. Eine Option ist es, einen natürlichen Prozess zu beschleunigen, der CO2 ganz ohne Biomasse aus der Luft bindet: die chemische Verwitterung von Gestein.

Beschleunigte Verwitterung

Reagiert CO2 mit Wasser, etwa mit Regen­tropfen, bildet sich Kohlensäure. Trifft diese auf gewisse Gesteine wie zum Beispiel Kalk, kommt eine chemische Reaktion in Gang, bei der das Gestein gelöst wird. Das CO2 wird dabei gebunden. Je wärmer und feuchter es ist, desto intensiver passiert das.

Würde man passendes Gestein in grossen Mengen zu Pulver mahlen und in der Landschaft ausbringen, könnte die chemische Gesteins­verwitterung beschleunigt und damit zu einem Mittel gegen den Klimawandel werden. Ähnlich wie Biokohle würde das Gesteins­pulver auf landwirtschaftliche Anbau­flächen gestreut. Neben der CO2-Aufnahme gäbe es weitere positive Effekte: In tropischen Regionen, wo die Bedingungen für Verwitterung ideal wären, würden dadurch fehlende Nährstoffe in den Boden eingebracht.

Beschleunigte Verwitterung benötigt anders als Aufforstung oder Biokohle kaum zusätzliche Landfläche. Doch das Mahlen des Gesteins kostet viel Energie, die ihrerseits nicht fossilen Ursprungs sein sollte. In den 1,5-Grad-Pfaden des Klimarats taucht die Methode wohl deshalb nur in einem einzigen Szenario auf. Sie bindet Mitte Jahrhundert rund eine Gigatonne CO2 pro Jahr.

Ein weiteres Puzzleteilchen

Negative Emissionen durch beschleunigte Verwitterung

hier gibt es nur ein Szenario
201020302050207021002,5051015 Gigatonnen CO₂

Quelle: IAMC Scenario Explorer

Das theoretisch mögliche Potenzial der beschleunigten Verwitterung schätzen Forscher indes auf eine vergleichbare Grössen­ordnung wie jenes der biologisch basierten Methoden: auf 2 bis 4 Gigatonnen pro Jahr bis 2050.

Statt das Gestein an die Oberfläche zum CO2 zu bringen, ist auch der umgekehrte Vorgang eine Option: CO2 ins Erdinnere zu befördern.

Injektion in die Tiefe

Unter hohem Druck verflüssigtes oder in Wasser gelöstes CO2 könnte in die Tiefe gepumpt werden – in poröse Gesteinsschichten mit unzähligen winzigen Zwischenräumen. Dass der Kohlenstoff nicht wieder an die Oberfläche entweicht, verhindern darüber­liegende dichte Gesteinsschichten.

Für dieses Verfahren eignen sich ehemalige Erdöl- und Gasfelder. Denn: Wo fossile Energie­träger über Jahrmillionen gefangen waren, kann auch CO2 gespeichert werden. Je nach Gesteinsart kann dieses sogar mit dem umliegenden Gestein reagieren und selbst ein Teil davon werden.

CO2 in die Tiefe zu pumpen, ist nichts Neues. Die Ölindustrie praktiziert dies schon seit den 1970er-Jahren, um die Ausbeute aus Ölfeldern zu verbessern – ein Verfahren, das als tertiäre Ölgewinnung (enhanced oil recovery, EOR) bekannt ist. Nur ein kleiner Anteil, knapp 30 Millionen Tonnen, wurde bislang ohne die Absicht, zusätzliches Öl zu fördern, in die Erde gepumpt.

CO2-Speicherung zum falschen Zweck

Bisher ins Erdgestein gepumptes CO2

Für die tertiäre Ölgewinnung210 MegatonnenZur permanenten Speicherung28 Mt

Quelle: GCCSI

Im Vergleich zur Gesamtmenge an negativen Emissionen, die dereinst nötig sein werden – 600 bis 1600 Gigatonnen – sind diese 30 Millionen Tonnen ein Tropfen auf den heissen Stein. Jeden Tag stösst die Welt dreimal mehr CO2 aus. Doch immerhin: Die Technologie funktioniert prinzipiell. Das belegt die jahrzehntelange Erfahrung, unter anderem vor der Küste Norwegens.

An passenden geologischen Formationen mangelt es nicht. Allein in den USA könnte rund das Achtfache der nötigen Menge CO2 gespeichert werden. Allerdings sind die Speicher nicht gleichmässig verteilt.

Die Öl- und Gasindustrie brüstet sich derzeit mit ihren Efforts, Verfahren zur CO2-Abscheidung und -Speicherung (carbon capture and storage, CCS) voranzutreiben. Doch aufgepasst: Emissionen sind nur dann negativ, wenn dadurch die Konzentration in der Atmosphäre langfristig abnimmt.

Bindet etwa ein Kohlekraftwerk CO2 aus dem erzeugten Abgas und pumpt es ins Erdgestein, so taucht dieses zwar in der Statistik auf. Doch selbst wenn dabei sämtliches CO2 eingefangen werden könnte (was nicht der Fall ist), hat dies unter dem Strich keinen Einfluss auf den Luftgehalt – es wird lediglich verhindert, dass dieser steigt. Mit anderen Worten: Die Emissionen sind nicht negativ. Dasselbe gilt, wenn CO2 aus der Umgebungsluft gebunden wird, aber bald wieder in die Atmosphäre entweicht. Das ist etwa bei Biotreibstoffen der Fall – und auch bei den Tomaten aus dem Treibhaus in Hinwil.

Damit Kohlen­dioxid, das ins Erdgestein gepumpt wird, wirklich als negative Emission dem Klima hilft, muss es mit anderen Verfahren gewonnen werden.

4. Technische Methoden

Zwei Varianten stehen hier im Vordergrund.

  • Entweder kann CO2 aus Abgasen verbrannter Biomasse abgefangen werden. Man spricht hier von Bioenergie mit Kohlenstoff­abscheidung (bio-energy with carbon capture and storage, BECCS).

  • Oder das CO2 wird aus der Umgebungs­luft gefiltert. Dann spricht man von direkter Luftfixierung (direct air capture, DAC).

Bioenergie mit Kohlenstoff­abscheidung

Diese Methode ist eine Mischung aus Natur und Technik. Pflanzen entfernen das CO2 zunächst aus der Luft; anschliessend wird die Biomasse in einem Kraftwerk verfeuert, um daraus Energie zu gewinnen. Das dabei entstehende CO2 wird aus dem Abgas heraus­gefiltert und ins Erdgestein gepumpt.

Was ursprünglich quasi als Notlösung gegen unvorhergesehene Folgen des Klimawandels gedacht war, wird in der Wissenschaft inzwischen als fast unverzichtbar angesehen, um die Erderwärmung zu begrenzen. So ist Bioenergie mit CO2-Abscheidung in den Szenarien des Klimarats die mit Abstand prominenteste Methode, negative Emissionen zu generieren.

Bis 2050 kommt sie im Median aller IPCC-Szenarien auf negative Emissionen von 5 Gigatonnen CO2 pro Jahr. Und bis Ende Jahrhundert ist sie sogar für knapp zwei Drittel des gesamthaft aus der Atmosphäre entfernten Kohlen­dioxids verantwortlich.

Hoffnungsträger des Klimarats

Negative Emissionen durch Bioenergie mit CO2-Abscheidung

Median sowie zwei Drittel aller Szenarien
2010203020502070210013051015 Gigatonnen CO₂

Quelle: IAMC Scenario Explorer

Aktuell sind weltweit fünf BECCS-Anlagen in Betrieb. Zusammen fixieren sie jährlich rund 1,5 Millionen Tonnen CO2 und pumpen es ins Erdgestein. Ein Drittel davon wird allerdings zur verbesserten Ölförderung verwendet. Bleiben gerade einmal eine Million Tonnen an negativen Emissionen aus einer Anlage. Sie steht im Mittleren Westen der USA, im Bundesstaat Illinois.

Um bis 2050 auf 5 Gigatonnen zu kommen, wie es die Klimarat-Szenarien vorsehen, bräuchte es also 5000 dieser Anlagen. Werden sie jemals gebaut?

Die Forschung sagt: eher nein. 5 Gigatonnen liegen bereits am oberen Ende des voraussichtlich realistischen Potenzials von jährlich 0,5 bis 5 Gigatonnen CO2. Von diesem Wert auszugehen, wäre also ziemlich hoch gepokert.

Damit mit der BECCS-Methode solch grosse Mengen erzielt werden, müsste jede Menge Biomasse angebaut werden. Das wiederum bräuchte viel Wasser, Dünger und vor allem grosse Anbau­flächen. Die Rede ist von einer Fläche halb so gross wie Europa. Sie käme der Nahrungsmittel­produktion abhanden, was wiederum die Lebensmittelversorgung gefährden könnte.

Vorteilhafter wäre in dieser Hinsicht die zweite technische Variante.

Direkte Luftfixierung

Statt für die Fixierung von CO2 aus der Luft auf die Fotosynthese zu setzen, nutzt diese Methode chemische oder physikalische Filterverfahren. Die benötigten Anlagen – Maschinen wie jene in Hinwil – brauchen anders als Pflanzen keinen Dünger und nehmen relativ wenig Wasser und Platz in Anspruch.

Dafür umso mehr Energie: Strom und insbesondere Wärme sind nötig, um das CO2 zu filtern und es hinterher von den Filtern zu lösen – pro Tonne rund 2000 Kilowattstunden Energie. Das entspricht etwas weniger als der Hälfte des jährlichen Stromverbrauchs eines vierköpfigen Schweizer Haushalts.

Sollen diese Maschinen dereinst massgebliche Anteile der globalen Emissionen aus der Luft entfernen, müssten sie nicht Tonnen, sondern Gigatonnen CO2 herausfiltern. Entsprechend hoch wäre der Energie­bedarf: Bis zu einem Viertel des globalen Verbrauchs könnten Ende Jahrhundert einzig dafür verwendet werden, Kohlen­dioxid aus der Luft zu entfernen.

Die 1,5-Grad-Szenarien, die diese Methode berücksichtigen, lassen sich wohl nicht zuletzt darum an einer Hand abzählen.

Noch nicht im grossen Stil einsetzbar

Negative Emissionen durch direkte Luftfixierung

zu wenig Szenarien, um ein Intervall anzugeben
201020302050207021003,5051015 Gigatonnen CO₂

Quelle: IAMC Scenario Explorer

Es gibt allerdings auch Wissenschaftler, die der direkten Luftfixierung bis 2050 ein Potenzial von 0,5 bis 5 Gigatonnen an jährlichen Negativemissionen zutrauen. Für die Methode spricht etwa, dass die Anlagen in Regionen platziert werden können, in denen der Anbau von Biomasse nicht möglich ist. Nötig ist vor allem eine gute Versorgung mit Energie. Diese sollte allerdings möglichst emissionsfrei bereit­gestellt werden, da sonst die Übung wenig Sinn ergibt.

Nicht zufällig steht eine Anlage des ETH-Spin-offs Climeworks deshalb auf Island, wo geothermische Energie im Überfluss vorhanden ist. Auch der Standort in Hinwil ist bewusst gewählt: Die Filter sind auf dem Dach einer Kehricht­verbrennungs­anlage angebracht, deren Abwärme genutzt wird.

Selbst wenn das Problem der Energie­versorgung gelöst wird, bleibt aber eine gewichtige Hürde: der Preis.

5. Kosten

Eine Tonne CO2 zu filtern, kostet Climeworks nach eigenen Angaben derzeit 600 bis 800 Dollar. Das ist ziemlich viel: Die jährlichen CO2-Emissionen der Schweiz aus der Luft zu entfernen, würde demnach etwa 68 bis 90 Milliarden Franken kosten. Also etwa so viel wie das gesamte Gesundheitssystem.

Sicher ist, dass sich der Preis senken lässt, wenn CO2-Filter­anlagen nicht nur als Pilot­projekte, sondern im grossen Stil industriell hergestellt werden.

Allerdings bleiben andere Optionen voraussichtlich günstiger. Speziell die natürlichen Methoden schneiden beim Preis besser ab: Am günstigsten ist gemäss Schätzungen die Aufforstung mit einem Preis von 28 bis 50 Dollar pro eingefangener Tonne CO2. Es folgen die sanfte Landwirtschaft und die Biokohle-Ausstreuung mit Kosten von 75 bis 120 Dollar pro Tonne CO2.

Natürliche Methoden sind billiger

Kosten negativer Emissionen, in Dollar pro Tonne CO₂

gesamter Schätzungsbereich
AufforstungSanfte LandwirtschaftBiokohleBeschleunigte VerwitterungBioenergie mit KohlenstoffabscheidungDirekte Luftfixierung0 100 200 300

Quelle: Fuss et al, 2018

Egal, wie günstig oder teuer ein Verfahren ist – eine Regel gilt immer: Damit CO2 aus der Luft entfernt wird, müssen die finanziellen Rahmen­bedingungen stimmen. Negative Emissionen müssen günstiger werden als positive.

Um das zu gewährleisten, müssen Staaten entweder CO2-Speicher­verfahren subventionieren – oder eine genügend hohe Steuer auf CO2-Emissionen erheben.

Die Vorreiterrolle von Norwegen ist insofern kein Zufall. Bereits seit 1991 gibt es dort eine relativ hohe CO2-Steuer. Klar ist: Die Privatwirtschaft und der Markt allein werden das Problem ohne die richtigen Anreize nicht lösen.

Schluss

Ohne negative Emissionen sind die Klimaziele nicht zu schaffen. Dies macht der Bericht des Klimarats klar, und auch die Technik legt es nahe. Beim Strom, bei der Wärme und im Autoverkehr sind die Ansätze vorhanden, um die Dekarbonisierung zu schaffen. Anderswo sind Emissions­reduktionen schwieriger: in der Zement- und Stahlindustrie, beim Flug- und Schiffsverkehr und auch in der Land­wirtschaft, insbesondere der Viehzucht.

Die gute Nachricht ist: Die diversen Methoden zum Einfangen und Speichern von Kohlendioxid ergänzen sich nicht schlecht. In tropischen Regionen kann viel CO2 durch Aufforstung gebunden werden; in höheren Breiten sind technische Verfahren besser geeignet. Es macht darum Sinn, möglichst viele Optionen parallel voranzutreiben. Eine Methode allein wäre auch kaum in der Lage, die benötigten Mengen an negativen Emissionen zu generieren.

Kombiniert man die verschiedenen Methoden – was nicht in jedem Fall möglich ist: denn wo aufgeforstet wird, kann nicht gleichzeitig Mais als Rohstoff für Bioenergie angepflanzt werden –, so kommt man im Total auf die benötigte Grössen­ordnung an jährlich gespeichertem CO2.

Es braucht alle Methoden

Negative CO2-Emissionen im Jahr 2050

Nötige negative EmissionenTotal gemäss IPCC-Berechnungen 5 bis 15 Gigatonnen fürs 1,5-Grad-Ziel Beitrag einzelner MethodenAufforstung 0,5 bis 3,6 GtSanfte Landwirtschaft 2,3 bis 5,3 GtBiokohle 0,5 bis 2 GtBeschleunigte Verwitterung 2 bis 4 GtBioenergie mit Kohlenstoffabscheidung 0,5 bis 5 GtDirekte Luftfixierung 0,5 bis 5 Gt

Bandbreite der Potenziale verschiedener Methoden der Kohlenstoff­fixierung gemäss Fuss et al, 2018, im Vergleich mit der IAMC-Szenarien-Bandbreite der Negativ­emissionen (alles ausser Fixierung fossiler Emissionen in Gas- und Kohle­kraftwerken). Das Potenzial der einzelnen Methoden lässt sich nicht ohne weiteres addieren, da sie teilweise dieselben Ressourcen (Land, Energie etc.) nutzen.

Doch selbst wenn an allen Fronten gearbeitet wird, ist nicht klar, dass genug Kohlenstoff fixiert werden kann. Gerade bei den technischen Methoden fehlen Machbarkeits­belege in der nötigen Grössen­ordnung. Und selbst wenn sie im erhofften Ausmass funktionieren, sind natürliche Grenzen gesetzt: Biomasse und Aufforstung konkurrieren den Lebensmittel­anbau; die direkte CO2-Fixierung aus der Luft treibt den Energie­bedarf in die Höhe.

Die Abkehr von fossilen Energie­trägern bleibt daher zentral.

Wird der Verbrauch von Kohle, Öl und Gas nicht drastisch eingeschränkt, werden auch die besten ETH-Erfindungen und die aufopferungs­vollsten Bemühungen, eine Billion Bäume zu pflanzen, die Welt nicht retten.

Serie «Energie der Zukunft»

Teil 3

Er­neu­er­ba­re Energien

Teil 4

Atomkraft

Teil 5

E-Strategie Schweiz

Sie lesen: Bonusteil

Warum CO₂ wieder ein­ge­fan­gen werden kann