So täuscht Globegarden die Behörden
Zu viele Kinder, zu wenig Personal: Neue Recherchen deuten darauf hin, dass die grösste Kita-Kette der Schweiz die Aufsicht mit manipulierten Dokumenten täuscht. Und Kinder bei Kontrollen auch mal im Keller versteckt.
Eine Recherche von Philipp Albrecht, Andrea Arežina, Ronja Beck (Text) und Julia Spiers (Illustration), 06.02.2020
«We are family» ist das Motto von Globegarden. Doch nachdem die Republik die Arbeitsbedingungen der Angestellten publik machte, droht die Familie zu zerbrechen. Die Geschäftsleitung hält per Mail an die Mitarbeitenden dagegen: «Wichtig ist nun, dass wir alle zusammenhalten und als Familie mit Kraft und Teamgeist durch diese Phase gehen.»
Die Recherche zur grössten Kita-Kette der Schweiz schlug Mitte Dezember Wellen – in den Medien, in der Politik, aber vor allem auch innerhalb von Globegarden. 10 Ex-Angestellte hatten schwere Vorwürfe erhoben: In den meisten der 54 Einrichtungen von Globegarden fehle es an Personal, Geld und Kompetenz. Die Betreuerinnen würden unter permanenter Überforderung leiden und die Kontrolle über ihre Einrichtungen verlieren. Die Folge: Babys fallen vom Wickeltisch, Kinder gehen auf Ausflügen verloren oder bekommen aus Spargründen nicht genug zu essen.
Die Recherche deuten die drei Chefinnen Christina Mair, Caroline Staehelin und Kristina Rebsamen als Angriff. Als Angriff auf die Familie.
Mit der Republik wollten sie damals trotz mehrmaligen Interviewanfragen nicht reden. Die Globegarden-Gründerinnen bestritten in Medienmitteilungen die Vorwürfe, sie beschwichtigten verunsicherte Eltern und bezeichneten in der NZZ die Aussagen der Betreuerinnen als «absurd».
Doch inzwischen haben sich weitere 24 ehemalige und aktuelle Angestellte von Globegarden bei der Republik gemeldet. Darunter frühere Mitarbeiter der Verwaltung, Betreuerinnen und Kita-Leitungen. Sie bestätigen die Vorwürfe ihrer Ex-Kolleginnen. Und weisen auf neue, bisher unbekannte Missstände bei Globegarden hin.
Gefälschte Präsenzlisten
Darunter sind mutmasslich illegale Methoden: Demnach soll Globegarden Dokumente fälschen und die Kontrolleure von der Krippenaufsicht gezielt an der Nase herumführen, um den Vorschriften der Behörden zu genügen. Dies bestätigen 5 Kita-Leitungen gegenüber der Republik übereinstimmend und unabhängig voneinander.
Und das funktioniert so:
Die Kitas führen Präsenzlisten. Darin wird festgehalten, wie viele Kinder und Angestellte an einem bestimmten Tag anwesend sind. Mit diesen Listen lässt sich feststellen, ob der Betreuungsschlüssel in einer Kita eingehalten wird: Ist genug ausgebildetes Personal für die Kinder anwesend? Je nach Kanton darf eine Fachperson nicht mehr als 5 bis 7 Kinder betreuen.
Um gegenüber der Aufsicht zu verschleiern, dass in ihren Kitas diese Regel verletzt wird, soll die Geschäftsleitung von Globegarden verlangen, dass diese Listen gefälscht werden. Zwei Dinge sollen damit verschleiert werden:
Dass die Kitas mehr Kinder aufnehmen als bewilligt.
Dass für die Anzahl Kinder zu wenig Personal angestellt wird.
Die Firma nutze dabei aus, dass die Krippenaufsicht ihre Kontrollen in der Regel ankündigt. So habe sie genügend Zeit, die Dokumente zu manipulieren, bevor sie sie an die Behörden abgebe. Unangemeldete Kontrollen der Aufsicht finden nur in Ausnahmefällen statt.
Die Informantinnen sagen weiter aus, die Dokumente würden beispielsweise so manipuliert, dass Namen von Erzieherinnen auf die Listen gesetzt würden, die in den Ferien seien oder gar nicht mehr bei Globegarden angestellt seien. Oder es würden Kinder aus den Listen ausgetragen, obwohl sie anwesend seien.
Ein weiterer Trick: Wenn ein Besuch der Aufsichtsbehörde anstehe, hole Globegarden temporär Personal in die Kita. «Sie haben Schnupperlehrlinge aufgeboten, damit es so aussieht, als seien wir genügend Leute», erzählt etwa eine ehemalige Betreuerin.
Manipulationen nach Kontrollen
Um die Listen auch bei unangemeldeten Kontrollen manipulieren zu können, nutze Globegarden einen Kniff. Die Firma hat dazu das Merkblatt «Informationspflicht und Datenschutz» erstellt. Es hält fest, dass eine Kita-Leitung der Aufsichtsbehörde zwar den Dienstplan und die Präsenzliste des Tages zeigen darf, nicht aber jene der vergangenen Wochen.
«Eingeforderte Dokumente unterliegen möglicherweise dem Datenschutz» steht im Merkblatt, das der Republik vorliegt. Die Fragen der Aufsichtsbehörde seien zu notieren und an die Regionalleitung weiterzugeben, die sich später bei der Aufsichtsbehörde melde.
Falls am Tag der unangekündigten Kontrolle der Betreuungsschlüssel nicht aufgehe, müsse das Personal mogeln: «Man verlangte von uns, dass wir Ausreden bringen, wenn zu viele Kinder anwesend waren», sagt eine Ex-Kita-Leiterin. Die Ausreden seien stets plausibel und nachvollziehbar: Bei einer Betreuerin habe es einen Zwischenfall in der Familie gegeben. Oder es sei ausnahmsweise ein Kind zur Betreuung aufgenommen worden, das sonst nicht da wäre.
Die Listen der vergangenen Wochen bekommt die Aufsicht später zugeschickt. Falls diese eine Verletzung des Betreuungsschlüssels aufweisen, werden sie nach Aussagen der Informantinnen von den Regionalleitern nach dem bereits erwähnten Muster manipuliert. Teilweise müssten auch Kita-Leitungen diese Aufgabe übernehmen. Eine ehemalige Leiterin sagt: «Als ich der Aufsicht Listen nachreichen musste, verlangte die Regioleitung von mir, dass ich sie fälsche.»
Mit diesen neuen Vorwürfen konfrontiert, nimmt Globegarden-Geschäftsleiterin Christina Mair erstmals auch in der Republik Stellung – und weist die Vorwürfe der Manipulation entschieden zurück. «Gegenüber Behörden und Eltern sind wir offen und transparent», schreibt sie auf Anfrage. «Wir sind immer bemüht, alle Dokumente korrekt einzureichen.» Beim Besuch vor Ort hätten die Behördenvertreter «immer volle Einsicht» in alle Listen und Pläne im Original.
In ihrer schriftlichen Stellungnahme verweist Mair auf die «komplexen Regulierungen und Auflagen», die von Kanton zu Kanton unterschiedlich seien. «Es kann sein, dass eine Auslegung der geltenden Auflagen falsch verstanden wurde. Falls dem so ist, bedauern wir dies sehr.» Diese unterschiedlichen kantonalen Vorgaben würden Globegarden die Arbeit unnötig erschweren: «Wir haben uns deswegen immer für national einheitliche Standards ausgesprochen.»
Kinder im Keller
Dass in einer Kita mal ein Kind zu viel angemeldet sei, komme in den besten Einrichtungen vor, berichten uns Betreuerinnen aus verschiedenen Krippen. Schliesslich gebe es immer wieder Tage, an denen Eltern unerwartet arbeiten müssten oder ein Geschwister zusätzlich brächten. Deshalb würden einige Kitas mehr Kinder aufnehmen, als sie Plätze hätten.
Diese Praxis birgt allerdings das Risiko, dass irgendwann regelmässig zu viele Kinder da sind – und zu wenige Erzieherinnen, um auf sie aufzupassen.
Listen aus dem internen Buchungssystem, welche die Republik einsehen konnte, deuten darauf hin, dass Globegarden teilweise eine massive Überbuchung seiner Kitas einkalkuliert.
Die Listen weisen aus, wie gut eine Kita ausgelastet ist. Bei voller Auslastung wird ihr ein Wert von 100 zugeteilt. Das bedeutet, dass alle Gruppen in der Kita komplett sind. Eine Gruppe hat in der Regel 10 bis 12 Kinder. Mehrere Globegarden-Listen, welche die Republik einsehen konnte, zeigen, dass in den letzten beiden Jahren mehrere Kitas der Firma während mindestens dreier Monate Werte verbuchten, die teils deutlich über 100 lagen.
Das heisst: Es sind mehr Kinder in der Kita, als von der Gemeinde für die entsprechende Fläche erlaubt werden. Eine Kita-Leiterin sagt: «Letztes Jahr gab es regelmässig Tage, an denen deutlich mehr Kinder anwesend waren, als eigentlich bewilligt sind.»
Zu viele Kinder in den Kitas: Diese Ausgangslage führte bei Globegarden schon zu absurden Situationen. Eine Informantin sagt, dass zum Beispiel in einer Kita im Kanton Zug auf Geheiss der Regioleitung überzählige Kinder während einer Kontrolle der Krippenaufsicht im Keller versteckt worden seien.
Der Zuger Sozialvorsteher Urs Raschle bestätigt, dass seinem Amt im Frühling 2019 dieser Missstand gemeldet wurde. Man habe die Einrichtung daraufhin unangekündigt besucht, was in Zug eher selten geschehe. Weil es sich um ein privates Unternehmen handelt, kann sich Raschle nicht weiter zum Fall äussern. «Grundsätzlich wird der Betreuungsschlüssel in allen drei Kitas eingehalten», sagt er. Dennoch sei Globegarden für die Behörden keine Unbekannte: «Wir müssen bei diesem Träger immer sehr genau hinschauen.»
Urkundenfälschung?
Das hat sich inzwischen auch die Stadt Zürich vorgenommen, wo die Firma Globegarden die meisten ihrer Einrichtungen betreibt. Das Sozialdepartement hat nach der Republik-Recherche angekündigt, jene Vorwürfe zu überprüfen, die «aufsichtsrechtlich relevant» sind. Das betrifft vor allem den Betreuungsschlüssel. Man sei mit Globegarden in Kontakt, richtet eine Sprecherin auf Anfrage aus. Mehr könne man «aus Gründen des Datenschutzes» dazu nicht sagen.
Klar ist: Der Zürcher Sozialvorsteher Raphael Golta gerät unter Zugzwang. Im Dezember hatte die Republik mit ihm ein Interview über Globegarden geführt. Schon damals gab es vereinzelt Hinweise auf manipulierte Präsenzlisten. Darauf angesprochen entgegnete er: «Wenn Sie dafür Belege haben, so wäre ich um einen entsprechenden Hinweis froh. Denn das wäre eine strafbare Handlung.»
Ob sich Globegarden tatsächlich strafbar gemacht hat, ist schwierig zu beurteilen. Von der Republik angefragte Juristen sind uneinig darüber, ob der Tatbestand der Urkundenfälschung erfüllt ist. Dies wäre eine schwerwiegende Straftat, welche die Staatsanwaltschaft auch ohne Anzeige verfolgt. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Unbestritten ist dafür die Ansicht, dass die Behörden in den Städten und Gemeinden mit Globegarden-Kitas aktiv werden müssen: «Diese neuen Erkenntnisse legen nahe, dass die Wirksamkeit der Krippenaufsicht verstärkt werden muss», sagt Amr Abdelaziz, Anwalt in Zürich und Experte für Wettbewerbsrecht. Wer den Betreuungsschlüssel öfters nicht einhalte, spare schliesslich Personalkosten: «Und das zum eigenen Vorteil und zum Nachteil der betreuten Kinder und der Konkurrenz.»
Inzwischen hat Globegarden schon die nächste Kita eröffnet. Die Zahl von 55 Filialen soll in den nächsten Jahren auf 100 wachsen, das haben die drei Chefinnen an einem internen Anlass Mitte Januar erklärt. Ihre Botschaft: Die Familie muss weiter wachsen. Koste es, was es wolle.