Wie gut ist Viola Amherd wirklich?
Sie kannte die Armee bloss als Katastrophenhelfer. Sie macht Fehler, zum Beispiel, ihren Stab nach Parteibuch statt Erfahrung zu besetzen. Manchmal zeigt sie erschreckendes Nichtwissen. Sie trifft wichtige Entscheide, ist aber nicht konsequent genug. Die Draufgänger in der Armee sind unmöglich unter Kontrolle zu bringen – und werden für Skandale sorgen. Wie gut ist die erste Verteidigungsministerin der Schweiz? Bilanz nach einem Jahr.
Von Eva Novak, 16.12.2019
Es ist kurz vor Weihnachten 2018, ziemlich genau vor einem Jahr, doch weihnächtliche Stimmung will bei Viola Amherd nicht so recht aufkommen. Soeben hat der Bundesrat die Departemente neu verteilt und die neue Kollegin ins Verteidigungsdepartement gedrängt. Es ist ausgerechnet jenes Departement, mit dem sie am wenigsten anfangen kann. Mit der Armee hatte die CVP-Politikerin bisher wenig Berührungspunkte, sie kennt sie vor allem im Zusammenhang mit den schweren Unwettern von 1993. Rechtsanwältin Amherd war damals im Stadtrat von Brig für die öffentlichen Liegenschaften zuständig – die wie der Rest der Stadt ohne Hilfe der Militärs «wortwörtlich untergegangen» wären, wie sie später sagt.
Seit 30 Jahren ist Eva Novak Korrespondentin im Bundeshaus. In dieser Zeit hat sie sieben Verteidigungsminister kommen und sechs gehen sehen. Sie gilt als eine der profiliertesten Medienschaffenden im Bereich Sicherheitspolitik. Im ersten Teil ihrer Analyse erklärt sie, wie sich die Armee wie ein Staat im Staat gebärdet – und übermächtige Generäle demokratische Kontrollen aushebeln.
Ungewöhnlich ist Amherds Unlust aufs Departement Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport VBS nicht: Es ist bei den Bundesräten so unbeliebt wie kein anderes. Das vor allem hat mit der Armee zu tun, die ihre eigenen Regeln befolgt und die politischen Vorgesetzten gerne umgeht oder gar hinters Licht führt.
Immerhin: Das Problem des übermächtigen Generalsekretärs hat Viola Amherd, anders als Adolf Ogi, einer ihrer Vorgänger, nicht. Die erste Verteidigungsministerin der Schweiz hatte bereits vor Amtsantritt Toni Eder zum neuen VBS-Generalsekretär ernannt. Der Ingenieur hatte dieses Amt zuvor im Verkehrs- und Energiedepartement von Amherds Parteifreundin Doris Leuthard ausgeübt. Dort bewegte er sich wie ein Fisch im Wasser. Wie sicher er im Haifischbecken VBS schwimmen kann, wird sich noch zeigen.
Es ist nicht so, dass das VBS grundsätzlich nicht führbar wäre. Im Gegenteil: «Es gibt da etwas, was in anderen Departementen weniger bekannt ist: eine gewisse Disziplin. Das vereinfacht das Führen des Departements», sagt der ehemalige Regierungssprecher Oswald Sigg. Doch zum Führen braucht es einen Stab, der erstens das nötige Durchsetzungsvermögen hat und zweitens zumindest ansatzweise etwas von der Materie versteht. Die CVP-Verteidigungsministerin aber hat ihre Entourage nach anderen Kriterien zusammengestellt: Für sie sind Parteibuch und Herkunft entscheidend.
Generalsekretär Eder gehört der CVP an. Amherds persönliche Mitarbeiterin Sandrine Bossy stammt aus dem Unterwallis, ihr persönlicher Mitarbeiter Daniel Floris aus dem Oberwallis. Bossy ist Politikwissenschaftlerin mit Erfahrungen in anderen Departementen, Floris arbeitete als Sekretär für die CVP-Fraktion. Im Sport kennt er sich als Torhüter und Juniorentrainer des FC Naters bestens aus, in der Sicherheitspolitik weniger.
Amherds persönliche Beraterin und Wahlwalliserin Brigitte Hauser-Süess, die als langjährige Freundin die Fäden zieht, präsidierte einst die CVP-Frauen, beriet BDP-Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf und kennt die Departemente Justiz und Polizei, Finanzen sowie Infrastruktur. Vom Verteidigungsfach ist einzig Kommunikationschef Renato Kalbermatten: Der Walliser Christdemokrat ist Militärpolizei-Oberleutnant und arbeitete bereits unter Ueli Maurer als Sprecher im VBS.
Wichtige Entscheide, aber nicht konsequent genug
Umso höher wird Amherd angerechnet, dass sie in ihrem ersten Amtsjahr auch ohne sicherheitspolitische Experten im Stab ein paar längst fällige Entscheide getroffen hat. Diese wusste sie zwar medienwirksam in Szene zu setzen, doch waren sie nicht mutig und konsequent genug. So ergibt es Sinn, dass sie Korpskommandant Aldo Schellenberg, der das Debakel um das gescheiterte Fliegerabwehrprojekt Bodluv massgeblich mitverantwortet und weitherum als unfähig gilt, von seinem Posten als Chef Operationen abgesetzt und zum persönlichen Mitarbeiter des Armeechefs degradiert hat. Nicht ohne weiteres leuchtet dagegen ein, dass er auf dem Abstellgleis seine Sterne und den dazugehörigen Lohn von über 300’000 Franken behält. «Jetzt haben wir einen Dreisterngeneral als Mappenträger – das ist absurd», mokiert sich ein hoher Milizoffizier.
Ähnlich erging es Ausbildungschef Daniel Baumgartner, der auf seinem früheren Posten als Logistikchef grosszügig Goldvreneli verteilt und teure Trinkgelage organisiert hatte. Für den Jahresrapport der Logistikbasis liess er 2015 gegen 4000 Mitarbeiter und Gäste mit Cars zum Velodrome in Grenchen karren, wo sie von 60 Armeeküchenchefs verköstigt und von «Music Star»-Gewinnerin Fabienne Louves, Chemienobelpreisträger Kurt Wüthrich sowie Verteidigungsminister Ueli Maurer unterhalten wurden – was samt indirekten Kosten über eine Million Franken gekostet haben dürfte.
Als die Spesenaffäre aufflog und der inzwischen zum Korpskommandanten Ernannte um seine Versetzung bat, schickte ihn die neue Chefin bei vollem Lohn auf den begehrten Posten des Verteidigungsattachés nach Washington.
Gefährliche Cowboys
Für das heftigste Kopfschütteln sorgte Amherd aber, als sie ihren alten Bekannten Roger Michlig, der für sie unter anderem den Bundesratsempfang in Brig organisiert hatte, zum Chef der neu geschaffenen Cyber-Abteilung im VBS machte. Weil der Walliser mit CVP-Parteibuch weder über nennenswerte Cyber- noch über IT-Kenntnisse verfügt, sprechen Insider von einer «katastrophalen Fehlbesetzung».
Immerhin: Der designierte Armeechef Thomas Süssli – Amherds bisher wichtigstes Personalgeschäft – ist weder CVP-Mitglied, noch stammt er aus dem Heimatkanton seiner Chefin. Dafür ist er von Haus aus Banker. Dass er als Aussenseiter zum Handkuss kam, brachte der VBS-Vorsteherin aussen viel Applaus und innen viele Feinde. In Anspielung auf Süsslis Vergangenheit als Kommandant eines Spitalbataillons verbreiten die düpierten Berufsoffiziere das Gerücht, neuerdings könne man «auf dem blauen Weg» nicht nur ausgemustert werden, sondern auch an die Spitze der Armee kommen – und spielen damit auf die Farbe der Sanitätstruppen an.
Klar ist: Eine Bundesrätin ohne fachkundige Entourage braucht Allianzen. «Wenn Viola Amherd keine Verbündeten hat, werden ihr die Generäle bei erstbester Gelegenheit ein Ei legen», warnt einer, der schon viele VBS-Chefs die Flucht ergreifen sah. Dazu braucht es nicht einmal einen neuen Beschaffungsskandal. Es reicht schon ein aufmüpfiger General. Zum Beispiel Laurent Michaud, der in einem Jahr Chef Operationen und damit die Nummer zwei der Armee werden soll. Der Waadtländer, zurzeit stellvertretender Kommandant der KFOR in Kosovo, gilt als Draufgänger. «So einen Cowboy hat Viola Amherd nie im Griff», heisst es in der Truppe.
SVP-Lob für die «Landesmutter»
Aktuell jedoch erhält Amherd noch viel Applaus. So bezeichnete sie der «Tages-Anzeiger» kürzlich als «schlaue Taktikerin in der Männerdomäne». Ihr Vertrauensvorschuss hält auch im Parlament noch an, das sie vergangene Woche mit dem besten Resultat seit Hans-Peter Tschudi – der als «Vater der AHV» bekannte SP-Magistrat schaffte 1971 zwei Stimmen mehr als jetzt Amherd – im Amt bestätigte. Sicherheitspolitiker sind besonders angetan. Und nicht nur die eigenen Leute wie die Luzerner CVP-Nationalrätin Ida Glanzmann, die die schnelle Auffassungsgabe und anpackende Art ihrer Parteikollegin lobt und erwartet, dass diese durchgreift und mit den Missständen in der Armee aufräumt.
Auch der ehemalige SVP-Fraktionschef Adrian Amstutz äussert sich lobend: «Mit ihrem Image als Landesmutter hat Viola Amherd die einmalige Chance, im Interesse der Sicherheit der Menschen in der Schweiz etwas zu ändern und die Armee mit Kampfflugzeugen und Waffen für die Bodentruppen auf Vordermann zu bringen», sagt er. «Sie hat den nötigen Bonus, um grosse Beschaffungsprojekte auch im Volk durchzubringen.»
Als Fallschirmgrenadier weiss Amstutz aber auch, dass dies nur mit Vertrauen geht – bei den Generälen ebenso wie bei der Truppe. Just dieses verscherzt sich die Walliserin jedoch Stück für Stück. Indem sie die Frauenförderung und die Reduktion des CO2-Ausstosses zur Maxime ihrer Sicherheitspolitik erklärt, punktet sie zwar in der Öffentlichkeit, aber nicht bei den eigenen Leuten, welche die Kernaufgabe der Verteidigungsministerin anderswo verorten. Ihre Auftritte vor der Truppe absolviert Amherd zwar mit viel Charme, offenbart dabei aber auch nach bald einem Jahr im Amt erschreckendes Nichtwissen.
Etwa indem sie intern die Absicht bekundet, den Frauenanteil in den Auslandmissionen erhöhen zu wollen – ausgerechnet in jenem Bereich, in dem kein Frauenmangel herrscht. Oder indem sie sich bei Treffen mit hohen Militärs Zettelchen von ihrer Beraterin Brigitte Hauser-Süess zustecken lässt, die als «sicherheitspolitisch unbedarftes Alter Ego der Departementschefin» in Armeekreisen gar nicht gut ankommt. Oder wenn sie im Bundesrat ihren Antrag auf Verlängerung des Swisscoy-Einsatzes in Kosovo damit begründet, dass «die Absicht und die politisch tragfähigen Möglichkeiten fehlen, sich in anderen Krisenregionen mit einem Kontingent einzubringen».
Amherd setzt alles auf die Kampfjet-Karte
Die Linken halten sich mit Kritik zurück, weil sie gegen Frauenförderung und Umweltschutz nichts einzuwenden haben. Die Rechten hüten sich, die Hoffnungsträgerin zu kritisieren, die dem Land schon bald zu einer rundum erneuerten Luftwaffe verhelfen soll.
Viola Amherd weiss, was sie Letzteren schuldig ist. Den Kampf um den 6-Milliarden-Planungsbeschluss, der im Herbst 2020 an den Urnen entschieden wird, will sie um jeden Preis gewinnen. Diesem Ziel ordnet sie alles unter. Schon nur deshalb kommt ein Departementswechsel für sie noch nicht infrage. Ganz abgesehen davon, dass sich ein Abgang nach nur einem Jahr nicht schickt.
«Die Abstimmung über neue Kampfjets hat für Bundesrätin Amherd absolute Priorität», bestätigt Stefan Holenstein, Präsident der Schweizerischen Offiziersgesellschaft. Die Zukunft der Dienstpflicht oder die zunehmenden Probleme mit der aktuellen Armeereform, die bereits gescheitert ist, weil der Armee das Personal ausgeht, interessieren die Verteidigungsministerin weniger.
Die Zukunft von Bundesrätin Viola Amherd steht auf einem anderen Blatt, zumal neuerdings von links erste Misstöne kommen: Weil die CVP den Grünen nicht zu einem Bundesratssitz verholfen hat, steht nun die Drohung des grünen Fraktionschefs Balthasar Glättli im Raum, dass die CVP in vier Jahren ihre Bundesrätin verlieren werde.
Ein bisschen erinnert das an den ersten Mann an der Spitze des Militärdepartements, Ulrich Ochsenbein. 1848 mit viel Vorschusslorbeeren und dem besten Ergebnis aller sieben Bundesräte gewählt, schuf er die Armee und führte Rekrutenschulen, Wiederholungskurse und Inspektionen ein.
Um sechs Jahre später als erster Bundesrat der Geschichte die Wiederwahl zu verpassen.
Vielleicht setzt Viola Amherd deshalb alles auf die Kampfjet-Karte. Wenn sie am 27. September 2020 einen Triumph feiert, könnte sich die erste Militärministerin in der Geschichte der Schweiz mit einem Sieg aus dem ungeliebten Departement verabschieden. Der Abstimmungssieg wäre dann ihr Austrittsticket.
Damit sich der nächste Neo-Bundesrat am VBS die Zähne ausbeissen kann.